eim 9. Ärztetag hat die slowa- kische Ärztekammer Ende Oktober die Arbeit ihres bis- herigen Vorstandes bestätigt. Die Führungsspitze unter Präsident Ladis- lav Petri`´cko wurde weitgehend wie- dergewählt, ihre wesentlichen pro- grammatischen Forderungen mit überwältigender Mehrheit angenom- men. Unter anderem fordert die Ärz- tekammer von der Regierung ein kla- res Bekenntnis zu einer besseren Fi- nanzierung des Gesundheitswesens, die Pflichtmitgliedschaft aller Ärzte in der Kammer, das Recht der Ärzte- schaft, eine eigene Berufsordnung zu formulieren und zu überwachen, so- wie die Kompetenzen, die Weiterbil- dung und die ärztliche Qualitätssiche- rung zu regeln.
Einzig in Mitteleuropa sind in der slowakischen Ärztekammer nur niedergelassene Ärzte Pflichtmitglie- der – ein Ausdruck der gegen die Ärzte und ihre Organisation gerichte- ten Politik Vladimir Meciars und seiner Partei HZDS. Es ist einer der vielen und vergeblichen Versuche, die Ärzte- schaft zu spalten. Die Europäische Union hatte der Regierung Meciars be- reits vor den Beitrittsverhandlungen mit den mitteleuropäischen Staaten zu verstehen gegeben, daß sich die Slowa- kei zu wenig in Richtung Demokratie bewegt habe und man die Pressefrei- heit nicht ausreichend geschützt sehe.
Unter diesem Regime litten auch die Ärzte, die seit Jahren auf relativ verlorenem Posten für ein leistungs- fähigeres Gesundheitssystem kämp- fen. Seit Ende Oktober ist die neue Regierung unter Premierminister Mikulas Dzurinda im Amt. Auf seiner Vier-Parteien-Koalition lastet eine enorme Hypothek: Neben der
mangelhaften Demokratisierung liegt auch die Wirtschaft brach. Lag der Schwerpunkt der Industrieprodukti- on der ehemaligen Tschechoslowakei im südlichen Bundesstaat, sind die 5,3 Millionen Slowaken inzwischen durch die isolationistische Politik Meciars auch wirtschaftlich vom ehemaligen Bundesgenossen Tschechien abge- hängt worden. Wenn in wenigen Mo- naten der Staatspräsident gewählt wird, muß die neue Regierung ihre er- ste Prüfung bestehen. Gelingt es ihr nicht, bis dahin das Vertrauen der Be- völkerung zu gewinnen, hat Meciar ei- ne Chance, Staatspräsident zu wer- den. Ein gefährliches Szenario, denn in dieser Funktion kann er wieder Einfluß auf die Regierungspolitik nehmen. Auf dringend benötigte aus- ländische Investitionen dürfte das kei- nen stimulierenden Einfluß haben.
Gesundheitsetat muß drastisch erhöht werden
Die Hürden sind hoch: Abgese- hen von der bescheidenen wirtschaftli- chen Situation, besteht eine ideologi- sche Barriere, die eine Reform des Gesundheitswesens verhindern könn- te. Das Recht auf eine unentgeltliche medizinische Behandlung ist in der slo- wakischen Verfassung verbrieft. Nach Ansicht vieler Ärztetagsteilnehmer ist dies eine gefährliche Illusion, die, wie sich bisher zeigte, jede Entwicklung des unterfinanzierten Gesundheitswe- sens bremse oder verhindere.
Von der neuen Regierung erwar- tet die Ärztekammer daher ein klares Bekenntnis, daß die gesundheitliche Versorgung Geld kostet (und immer gekostet hat), und ein Ende der Ver-
sprechungen, daß jeder unentgeltlich behandelt werden kann. Das bedeute keineswegs eine Abkehr der Ärzte- schaft von sozialstaatlichen Prinzipi- en, sondern lediglich die Abkehr von einer alten Lebenslüge. „Frei“ könne die gesundheitliche Versorgung nur am Punkt der Erbringung (Sachlei- stungsprinzip) sein. Bezahlt werden muß sie aber in jedem Fall, sei es durch Steuern oder Beiträge. Der neue Gesundheitsminister Tibor Sa- gat muß das Wunder vollbringen, den Gesundheitsetat drastisch zu steigern.
Derzeit beträgt der Anteil der Ge- sundheitsausgaben am Bruttoinlands- produkt nur 6,1 Prozent.
Aufgeben soll die Regierung auch den Versuch, die Ärzteschaft zu spalten. Die Ärztekammer fordert ei- ne Pflichtmitgliedschaft für alle 16 600 slowakischen Ärzte. Damit sollen auch die mehr als 11 000 Kranken- hausärzte (von denen rund 4 500 frei- willige Mitglieder zur Zeit knapp die Hälfte der 9 500 Kammermitglieder stellen) unter die Berufsaufsicht der Kammer fallen. Offenbar wollen sich die Ärzte nicht länger vom Staat gän- geln lassen. Das gilt ebenso für die Weiterbildung und die Qualitätssiche- rung, über die die Ärzte demokratisch selbst bestimmen wollen.
Diese drei Forderungen dürften sich nur schwer verwirklichen lassen.
Bisher waren sie Kontrollinstrumente der Regierung über eine nach Auto- nomie strebende Berufsgruppe. Die Ärztekammer wird nun in den Ver- handlungen mit der Politik beweisen müssen, daß ihr Verlangen nach be- ruflicher Autonomie kein Streben nach feudalen Standesprivilegien ist, sondern notwendiges Werkzeug, um die sensible Beziehung zwischen Pati- ent und Arzt ausreichend zu schützen.
Subsidiarität und das Vertrauen auf eine funktionierende Selbstver- waltung brächten die Slowakei wieder näher dorthin, wo sie geographisch ohnehin liegt: in die Mitte Europas.
Die in den Demokratisierungsprozeß Mittel- und Osteuropas eingebettete Gründung der Ärztekammern ver- deutlicht eines: Das Vertrauen der Bürger in die Regierung ist nur eine Voraussetzung für die Demo- kratie, das Vertrauen des Staates in seine Bürger ist mindestens ebenso wichtig. Dr. med. Otmar Kloiber A-3194 (22) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 50, 11. Dezember 1998
P O L I T I K AKTUELL