A 2128 Deutsches Ärzteblatt
|
Jg. 106|
Heft 43|
23. Oktober 2009KOALITIONSVERHANDLUNGEN
Zankapfel Gesundheitspolitik
Die Gesundheitspolitik gehört zu den großen Streitthemen der neuen Koalition. Einigungen in den Kernfragen hat die Arbeitsgruppe Gesund- heit nicht zustande gebracht. Es geht nur in kleinen Schritten voran.
U
nion und FDP sind eigentlich erklärte Wunschpartner. Dass sie aber vom Traumpaar weit ent- fernt sind, zeigt sich in den Ver- handlungen zum Thema Gesund- heitspolitik. Als Ursula von der Leyen (CDU) mit der Nachricht vor die Presse trat, man habe sich dar - auf geeinigt, der Gesundheitsfonds bleibe vorerst bestehen und werde weiterentwickelt, kam von den Li- beralen prompt das Dementi. „Dar - auf haben wir uns nicht verstän- digt“, widersprach der niedersäch- sische Wirtschaftminister Philipp Rösler, der für die FDP die Ver- handlungen führt. Von der Leyen musste zurückrudern. Klar sei, dass die Finanzprobleme des Fonds ge- löst werden müssten. Immerhin fehlen den Krankenkassen allein 2010 etwa 7,5 Milliarden Euro.Nicht nur von der Leyens Aus- scheren machte deutlich: In der Ge- sundheitspolitik herrschte nach zwei Wochen intensiver Koalitions- gespräche und nächtlicher Mara- thonsitzungen mehr Dissens als Konsens. Daran konnten auch die Parteichefs Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Guido Westerwelle (FDP) nichts ändern:
Selbst sie wurden sich zunächst nicht einig. In den weiteren Ver-
handlungen der Spitzen von CDU, CSU und FDP wird es dabei ein wichtiger Punkt sein, wie hoch die Last ist, die man den Beitragszah- lern zumutet. Im Gespräch ist, die Obergrenze für Zusatzbeiträge – bislang ein Prozent des Monatsein- kommens – zu erhöhen, die von den Kassen erhoben werden können, wenn sie mit ihrem Geld nicht aus- kommen. Die Zusatzbeiträge wer- den von den Versicherten allein ge- tragen.
Streit gibt es auch noch über den künftigen Rechtsrahmen für die Se- lektivverträge. Dagegen haben sich Union und Liberale in vielen ande- ren Punkten geeinigt. Das geht aus einem gemeinsamen Papier der Ar- beitsgruppe Gesundheit und Pflege hervor, das dem Deutschen Ärzte- blatt vorliegt. Demnach wird der Wechsel von der gesetzlichen in die private Krankenversicherung wieder einfacher werden. Die erst 2007 ein- geführte dreijährige Wartefrist soll fallen. Künftig sollen Gutverdienen- de schon nach einem Jahr, in dem sie die Versicherungspflichtgrenze überschreiten, in die private Kran- kenversicherung wechseln können.
Auch bei der gesetzlichen Pfle- geversicherung sind Union und FDP auf einer Linie: Das Umlage-
verfahren soll durch eine verpflich- tende kapitalgedeckte Zusatzversi- cherung ergänzt werden.
Ein weitere Vereinbarung dürfte viele Ärzte freuen: Schwarz-Gelb tritt bei der Einführung der elektro- nischen Gesundheitskarte erst ein- mal auf die Bremse. Vor einer weite- ren Umsetzung sei eine „Bestands- aufnahme“ notwendig. Erst danach könne entschieden werden, ob eine Weiterarbeit auf Grundlage der der- zeitigen Strukturen möglich sei.
Die künftige Regierung will au- ßerdem die Honorarreform für Ver- tragsärzte kritisch überprüfen. Ziel sei ein einfaches Vergütungssystem für niedergelassene Ärzte, das Leis- tungen adäquat abbildet und regio- nale Besonderheiten berücksichtigt.
Die Kassenärztlichen Vereinigun- gen (KVen) möchten die Koalitio- näre gestärkt sehen: Die KVen sol- len mehr Spielraum bei der Gestal- tung der Vergütung erhalten, um den Versorgungsauftrag vor Ort ge- währleisten zu können.
Eine Stärkung des freien Arztbe- rufs sehen die Koalitionäre auch in einer weiteren Vereinbarung: Medi- zinische Versorgungszentren sollen nur unter bestimmten Vorausset- zungen zugelassen werden. Ge- schäftsanteile sollen nur Ärzte und Krankenhäuser halten dürfen, wo- bei die Mehrheit der Anteile und der Stimmrechte in ärztlicher Hand liegen muss. Ausnahmen für Klini- ken sind nur vorgesehen, wenn in unterversorgten Gebieten keine Ärzte als Interessenten auftreten.
Die vermeintlichen Wunschpart- ner Union und FDP haben sich nun selbst unter Zugzwang gesetzt: Um Einigkeit zu demonstrieren, haben sie für den 25. und 26. Oktober Par- teitage angekündigt. Bis dahin müs- sen die Koalitionspartner ein „Ge- sundheitssystem aus einem Guss“
geschaffen haben, wie der FDP-Ver- handlungsführer Rösler die Zielset- zung der Koalitionsgespräche die- ser Tage formuliert hatte. Denn: Auf den Parteitagen soll über den ferti- gen Koalitionsvertrag abgestimmt werden – und damit sollen die Wei- chen für die Gesundheitspolitik der nächsten Jahre gestellt werden. ■
Dr. med. Birgit Hibbeler, Nora Schmitt-Sausen, Heinz Stüwe
Foto: dpa