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Archiv "Gesundheitspolitik der achtziger Jahre" (25.09.1980)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Heft 39 vom 25. September 1980

Gesundheitspolitik der achtziger Jahre

Gerold Tandler

Die Redaktion hat vor der Bundestagswahl 1980 Vertre- tern der im Bundestag vertre- tenen Parteien Gelegenheit gegeben, zu Fragen der Ge- sundheits- und Sozialpolitik Stellung zu nehmen. In Heft 34 äußerte sich in einem Inter- view Dieter Julius Cronen- berg, stellvertretender Vorsit- zender der FDP-Bundestags- fraktion („FDP will mit Modell- versuchen zur Selbstbeteili- gung Ernst machen"), in Heft 35 schrieb Udo Fiebig, ge- sundheitspolitischer Obmann der SPD-Bundestagsfraktion („Perspektiven für die Ge- sundheitspolitik der achtziger Jahre"), in Heft 38 der Gene-

ralsekretär der CDU, Dr. Hei- ner Geißler („Bilanz und Per- spektiven der Sozialpolitik").

Seitens der CSU äußert sich in diesem Heft der bayerische In- nenminister Gerold Tandler.

Das Gesundheitswesen und damit die Gesundheitspolitik ist in der Bundesrepublik Deutschland nach unserer Verfassung vorrangig Sache der Länder. Dennoch hat sich in der Vergangenheit der Schwerpunkt zu- gunsten des Bundes verlagert. Dies hat den Einfluß der Länder erheblich gemindert, ja faktisch die Zuständig- keiten im Gesundheitswesen umge- kehrt.

Der Bund hat von seiner Befugnis im Rahmen der konkurrierenden Ge- setzgebung so umfangreich Ge- brauch gemacht, daß für die Länder kaum noch Raum für eigene Aktivi- täten besteht. Es kommt hinzu, daß die vielfach perfektionistische Bun- desgesetzgebung im Interesse des Gesundheitswesens nicht zwingend geboten erscheint. Das ist z. B. bei einigen Regelungen der Staatlichen Anerkennung von Heilhilfsberufen, des Lebensmittel- oder des Apothe- kenwesens der Fall.

Trotz gelegentlicher Klagen der Bundesregierung über den „Stol- perstein" Bundesrat sind dessen Einflußmöglichkeiten nur beschei- den. Das liegt ungeachtet verfas- sungsrechtlicher Gegebenheiten in der Schwierigkeit, aus oft sehr un- terschiedlichen, in der jeweiligen Struktur und Situation der elf Län- der begründeten Sachauffassungen, eine ebenso sachgerechte Mehr- heitsmeinung zu erzielen. Neben der gesetzlichen Führungsrolle haben auch Programme und finanzielle Mittel des Bundes — bevorzugt bei der Sozialpolitik — den ursprüngli- chen Handlungsspielraum der Län- der eingeengt oder kanalisiert.

Ein weiteres Problem liegt darin, daß gerade in der Gesundheitspolitik je- de Zukunftsprognose leicht Gefahr läuft, künftigen Anforderungen nicht gerecht zu werden. So haben wir z. B. erlebt, wie schnell aus einem Krankenhausbetten-Defizit ein Bet- tenberg wurde.

Andererseits ist eine Prognose für die 80er Jahre kein vermessenes Un- terfangen, sehen wir doch in der Vergangenheit Entwicklungen, die es im Interesse der Gesundheit un- serer Bürger auch in der Zukunft abzuwehren gilt.

Selbstverantwortlichkeit des einzelnen Bürgers für seine Gesundheit

Im Gesundheitsprogramm der Baye- rischen Staatsregierung von 1974 und ebenso im Gesundheitspoliti- schen Programm der CSU von 1977 sind zahlreiche Grundsätze enthal- ten; sie werden auch für die 80er Jahre maßgebend sein.

Gesundheitspolitik steht danach im Dienste der Gesellschaft und des einzelnen. Der einzelne ist jedoch nicht nur Objekt einer freiheitlichen Gesundheitspolitik, sondern we- sentlich mitgestaltendes Subjekt.

Wir gehen von der Selbstverantwor- tung und Eigeninitiative des einzel- nen Bürgers für seine Gesundheit aus. Gesundheitspolitik kann nur er- folgreich sein, wenn der einzelne, aber auch die jeweiligen gesell- schaftlichen Gruppen und Vereini- gungen genügend Raum für eigene Aktivität haben. Staatliche Übervor-

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Tandler: Gesundheitspolitik

sorge oder Bevormundung müssen zu einer Verkümmerung von Kreati- vität, Unternehmensgeist, eigen- ständigem Denken und Handeln füh- ren. Das würde sich vor allem im Bereich der psychosozialen Ge- sundheit schädlich auswirken und könnte auf andere gesundheitliche oder sogar gesellschaftspolitische Bereiche nicht ohne nachteilige Fol- gen bleiben.

Die Gesundheitspolitik wird noch stärker als bisher solche Initiativen wecken und fördern müssen. Dies soll sowohl der Pflege, Erhaltung und Wiederherstellung der Gesund- heit des einzelnen dienen, als auch dazu, das bestehende, leistungsfähi- ge System der gesundheitlichen Si- cherung zu bewahren, zu verbes- sern und für seine Wirtschaftlichkeit Sorge zu tragen. Zu diesem Ziel wer- den neue Möglichkeiten gefunden werden müssen, um dem Bürger klarzumachen, wie wichtig sein ei- genes Verhalten, seine eigene Ent- scheidung ist. Bisherige Maßnah- men, wie z. B. Prospekte, Aufrufe von gesundheitspolitischen oder ge- sellschaftlichen Vereinigungen, die Trimmen, Eßbremse, Aktivurlaub o. ä. empfehlen, und die Einschal- tung der Medien haben noch nicht den gewünschten Erfolg gebracht.

Klarheit sollte auch darüber beste- hen, daß die fachlich-medizinische Erwartungshaltung auf ein reales Maß zurückgeführt werden muß. Die Medizin hat vor allem im techni- schen und kurativ-naturwissen- schaftlichen Bereich große Fort- schritte gemacht und den Eindruck vermittelt, alles sei heilbar, oder — wenn dies heute bei der einen oder anderen Krankheit noch nicht der Fall ist —, sei das nur eine Frage der Zeit, der notwendigen Forschungs- intensität und der bereitzustellen- den finanziellen Mittel.

Wie groß dieser Irrtum ist, sieht man aus dem vielleicht provokatorischen Satz des Präsidenten der Bundes- ärztekammer, Vilmar, daß es desto mehr „Kranke" gebe, je besser die Medizin sei. Er begründet dies da- mit, daß die Lösung vieler Fragen zum Entstehen oder zum Erkennen

Gerold Tandler

Foto: Archiv/

Dokumentation

neuer, bisher unbekannter Proble- me führe. Jeder Fortschritt bringt die Erkenntnis, wieviel wir noch nicht wissen, und provoziert gleich- zeitig die Frage, wie weit man noch

„technisch" gehen kann. Dies zeigt sich u. a. bei der Intensivmedizin oder bei der Transplantation, wobei die Humanität im allgemeinen und das Recht auf Sterben im besonde- ren als ethische Werte in Gefahr ge- raten.

Auch im „machbaren" medizini- schen Bereich gibt es diese Er- wartungshaltung, die leicht dazu verführt, jede nicht hundertprozen- tig geglückte „Reparatur" eines

menschlichen „Betriebsdefektes"

als Kunstfehler zu werten. Damit sol- len nicht echte schuldhafte Verse- hen, Fehler oder Nachlässigkeiten von Ärzten oder anderen Heilperso- nen als schicksalhaftes Geschehen entschuldigt werden, nur müssen die Kritik und der Zweifel im Interes- se des heilungssuchenden Patien- ten selbst auf das richtige Maß zu- rückgeführt werden.

Auch die Heilberufspersonen könn- ten hier in Zukunft durchaus einen nützlichen Beitrag leisten, indem sie neben den dankenswerten Initiati- ven um eine Aufklärung des Patien- ten und aufgeschlossene Bereini- gung eingetretener Schadensfälle vielleicht etwas weniger Medizin praktizieren, als vielmehr Heilkunde ausüben. Die technische Dimension bei der Krankheitsbewältigung muß durch eine verbesserte soziale Di- mension ergänzt werden, bei der die Beratung des Patienten (vielleicht schon, bevor er „Patient" ist), das Gespräch mit ihm und die Berück- sichtigung seiner psychosozialen Probleme im Vordergrund stehen müssen. Lösungsmöglichkeiten se- he ich hier in einer entsprechenden

Ausbildung einschließlich der Stär- kung der Position des Allgemein- (Haus-)Arztes in einer gezielten Fort- bildung.

Bisher habe ich nur Punkte ange- sprochen, die in den 80er Jahren vorrangig Anforderungen an die Ei- genverantwortlichkeit der Bürger und gesellschaftlichen Gruppen stellen, den Staat aber lediglich als Initiator oder Förderer in die Pflicht nehmen. Aufgaben der Gesund- heitspolitik des Staates stellen sich in der Vergangenheit wie in der Zu- kunft dort, wo der dem „Vermögen"

des einzelnen oder der den gesell- schaftlichen Gruppen angepaßte Verantwortungs- und Handlungs- spielraum überschritten wird, dies vor allem bei der Gewährleistung ei- nes kollektiven Schutzes vor ge- sundheitlichen Gefahren, die aus der Luft, dem Wasser, der Nahrung, der Umwelt schlechthin drohen.

Verfehlte Zielsetzungen

Zunächst noch ein Wort zur gesund- heitspolitischen Situation, wie sie von der derzeitigen Bundesregie- rung, den sie tragenden Parteien und ihnen nahestehenden gesell- schaftspolitischen Gruppen ge- schaffen wurde. Dies deswegen, weil diese Situation für die 80er Jah- re gesundheitspolitische Ausblicke zuläßt, die nicht Wirklichkeit werden dürfen.

Beginnen wir auch hier mit der Ei- genverantwortlichkeit des einzelnen Bürgers für seine Gesundheit. Da- von ist in allen Programmen der Koalitionsparteien und der zuneh- mend einflußstärkeren Gewerk- schaften die Rede. Wie soll aber die- se Eigen-Selbstverantwortung des mündigen Bürgers und der gesell- schaftlichen Gruppen nach Auffas- sung einiger in der Gesundheitspoli- tik heute sehr maßgeblichen Organi- sationen in Wirklichkeit aussehen?

Beispielhaft dafür sollen Erkenntnis- se aus dem gesundheitspolitischen Programm des Deutschen Gewerk- schaftbundes (DGB) und den Ende 1978 dargelegten DGB-Vorstellun-

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Tandler: Gesundheitspolitik

gen zur Reform der Organisations- struktur der Sozialversicherung stehen:

"Eine präventive Neuorientierung im Gesundheitswesen, mehr Integra- tion, Kooperation und Koordination der Aktivitäten in und zwischen den einzelnen Versorgungsbereichen, eine weitere Verbesserung des Pla- nungs- und Steuerungsinstrumenta- riums, :die Stärkung der Selbstver- waltung und eine den erweiterten und gewandelten Aufgaben der so- zialen Krankenversicherung ange- messene, moderne und leistungsfä- hige Organisationsstruktur - in ei- nem Gesundheitswesen, das den mündigen Bürger und Patienten in den Mittelpunkt stellt (Gerhard Muhr, stellvertretender DGB-Vorsit- zender, "Die Weit", 15. 1. 1979)."

Hier ist der untaugliche Versuch un- ternommen worden, schlagwortarti- ge Begriffe unter einen Hut zu brin-

gen. Schlagworte, die von der Natur

der Sache her gegensätzlich sind.

Was soll eine Stärkung der Selbst- verwaltung neben einer weiteren (!)

"Verbesserung" des Planungs- und Steuerungsinstrumentariums noch für eine Bedeutung haben, da das

"Instrumentarium" im Interesse von mehr Integration, Kooperation und Koordination der einzelnen Versor- gungsstufen "natürlich" nur zentral wirksam sein kann?

Die Erwähnung des mündigen Bür- gers kann hier nur als eine verbale Pflichtübung verstanden werden, denn für das Umsetzen seiner Mün- digkeit besteht hier kein Raum mehr. Mündiger Bürger in diesem Sinne kann nur derjenige sein, der sich freiwillig in ein noch größeres und dichteres Netz sozial- und ge- sundheitspolitischer Abhängigkei- ten begibt.

Wesentliche Stationen zu diesem Ziel finden sich im "Orientierungs- rahmen '85" der SPD, z. B. die Ein- führung einer allgemeinen obliga- torischen Krankenversicherungs- pflicht, Abschaffung des frei nieder- gelassenen zugunsten des ange- stellten Arztes, Abschaffung der freien Arztwahl (Einführung med.- techn. Zentren - MTZ -), zentrale

Erfassung medizinischer Daten der Bürger und Standardisierung von Gesundheitsleistungen, Entprivati- sierung des Arzneimittelmarktes ... Bedenklich ist, daß es sich dabei nicht nur um Vorhaben, Vorstel- lungen und Programme handelt, sondern teilweise bereits die Um- setzung begonnen hat. So enthal- ten das Krankenversicherungs-Wei- terentwicklungsgesetz (KVWG) so- wie das Kostendämpfungsgesetz (KVKG) nicht nur Ansatzpunkte für ein sozialisiertes Gesundheitswe- sen. Es sind dies im KVWG u. a. die Pflicht zur Modernisierung der Arzt- praxen mit deutlicher Tendenz zum MTZ; neben der schon bestehen- den allgemeinen berufsständischen Fortbildungspflicht (in Selbstverwal- tung und Selbstverantwortung!) die gesetzliche Pflicht der Fortbildung für Kassenärzte und die Beteiligung der psychiatrischen Krankenhäuser als Institution an der ambulanten Versorgung. Das KVKG schließlich kam für das eigentliche Ziel des Ge- setzes, die Kostendämpfung im Ge- sundheitswesen, zu spät. Bereits 1Y2 Jahre vorher hatte sich gezeigt, daß die sprunghaften Kostensteigerun- gen auch durch freiwillige Vereinba- rung zwischen Krankenkassen und Ärzteschaft bekämpft werden kön- nen. Der sogenannte Bayernvertrag aus jüngster Zeit beweist, daß es sich hier um keine Eintagsfliege aus Angst vor gesetzlicher Bevormun- dung handelt.

..,. Das eigentliche Ziel des KVKG war neben einersachwidrigen Berei- nigung der Rentenmisere eine Ablö- sung der persönlichen Arzt-Patien- tenbeziehung zugunsten einer an- onymen lnstitutionalisierung und ei- ne Vereinheitlichung, Zentralisie- rung, Verplanung und Bürokratisie- rung der gesundheitlichen Versor- gung, was letztlich zu deren Ver- schlechterung führt.

Gesundheitserziehung - Gesundheitsvorsorge

Auf dem Gebiet der Gesundheitser- ziehung sehe ich eine wichtige Auf- gabe der öffentlichen Hand, durch

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DEUI'SCHES ARZTEBLATT

geeignete Initiativen und ideelle, personelle wie finanzielle Förderung die Eigenverantwortlichkeit des Bür- gers für seine Gesundheit zu wek- ken und zu stärken. Ziele sind ein gesundheitsgerechteres Verhalten und eine intensivere Inanspruchnah- me der im Bereich der ärztlichen Versorgung vorhandenen wie noch zu schaffenden Hilfen der Gesund- heitsvorsorge. Ich nehme als Bei- spiel nur die Senkung der Säug- lingssterblichkeit, die Impfprophyla- xe und die Krankheitsfrüherken-

nungsprogramme.

Dieses schon die 70er Jahre beherr- schende Problem wird auch in den 80er Jahren noch an der Spitze ge- sundheitspolitischer Überlegungen und Maßnahmen stehen, wenn ich es auch im Grunde als ein allgemei- nes gesellschaftliches Problem an-

sehe. Die seit geraumer Zeit als not-

wendig erkannten Maßnahmen der Familien- und Erziehungspolitik, Be- reitstellung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen, Anregungen zu sinn- voller Freizeitgestaltung sind nur einige Beispiele für Möglichkeiten, bei jungen Mitbürgern die Bereit- schaft herabzusetzen, über Sucht- stoffe die Flucht vor sich selbst und vor der Lebenswirklichkeit anzu- treten.

Schwangerschaftsabbruch

Wenn die soziale Indikation heute so drastisch im Vordergrund steht (mehr als zwei Drittel der Abbrüche werden wegen sozialer Indikation vorgenommen) und die übrigen lndi-·

kationen nur rein statistischen Wert erhalten, dann muß man darüber re-

den, ob nicht der Wille des Gesetz-

gebers verfehlt wurde. Von Beginn an war es ja schon widersprüchlich, daß unser hochentwickelter Sozial- staat sozialrelevante Gründe und so- ziale Härten sehen konnte, die einen Schwangerschaftsabbruch rechtfer- tigen sollen.

Auf Initiative des Freistaates Bayern wurde die ursprünglich geplante Fri- stenlösung verhindert und auch die geltende Indikationsregelung wurde gegen die Stimme Bayerns im Bun-

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Tandler: Gesundheitspolitik

desrat beschlossen. Wir stehen nach wie vor zu dieser Auffassung. ..,.. Die derzeitige Praxis können L!nd dürfen wir nicht hinnehmen. Ist es nicht unseres Staates und unserer Gesellschaft unwürdig, wenn wir - eines der reichsten Länder der Welt - zulassen, daß aus sozialer Not ab- getrieben wird?

..,.. Wir müssen deshalb alles tun und dürfen kein Mittel scheuen, da- mit es für eine werdende Mutter kei- nen Grund mehr geben kann, die soziale Indikation als Grund für ei- nen Schwangerschaftsabbruch in Anspruch zu nehmen.

Alle gesellschaftlichen Kräfte zu- sammen müssen dieses Ziel anstre- ben, nicht nur Hilfsorganisationen und Beratungsstellen, ganz beson- ders aber die Kirchen, die gerade hier große Verantwortung tragen.

Ärztliche Ausbildung und Berufsausübung

Die Neugestaltung der ärztlichen Ausbildung in den 80er Jahren ist ein allgemein als notwendig erkann- tes Vorhaben. Ohne in Einzelheiten zu gehen, wird es sich darum han- deln, am Ende der - universitären und gegebenenfalls nachuniversitä- ren - Ausbildung einen selbstkriti- schen verantwortungsbewußten, mit den nötigen Grundkenntnissen, -fä- higkeiten und -fertigkeiten versehe- nen Berufsanfänger zu erhalten;

mehr vermag keine Ausbildung zu leisten.

Wesentlich wird dabei auch sein, daß die universitäre ärztliche Ausbil- dung die heilkundliehe Gesamt- schau in den Vordergrund stellt und das Spezialistentum nicht schon beim Studenten fördert. Auch eine Neuordnung des Prüfungswesens mit stärkerer Betonung mündlich- praktischer Kontrolle der Kenntnisse und Fähigkeiten wird eine wesentli- che Hilfe sein.

Angesichts dieser nicht ganz einfa- chen Situation in der ärztlichen Aus- bildung kommt auf die ärztliche

Fortbildung in Zukunft eine große Aufgabe zu. Auf diesem Gebiet ha- ben die Berufsvertretungen schon vorbildliche Arbeiten geleistet. Es sollte aber noch stärker in das Be- wußtsein jedes einzelnen Arztes dringen, daß die berufsrechtliche Fortbildungspflicht auch in seinem eigenen Interesse besteht und schon deswegen gewissenhaft er- füllt werden muß .

Gesundheitlicher Verbraucherschutz

Gesundheitspolitik ist nicht be- grenzt auf ärztliche Fragen. Sie be- zieht vielmehr weite Bereiche unse- rer Gesellschaftspolitik mit ein und steht in steigender und enger Wech- selbeziehung dazu. Die zunehmen- de Kenntnis vor der Kontamination unserer Lebensmittel durch Umwelt- einflüsse rückt die gesundheitspoli- tische Komponente des Verbrau- cherschutzes auf dem Sektor der Le- bensmittel immer mehr in den Vor- dergrund.

Das Lebensmittelgesetz verbietet generell, Lebensmittel und Bedarfs- gegenstände von gesundheits- schädlicher Beschaffenheit zu ge- winnen, herzustellen oder in den Verkehr zu bringen. Wegen der Be- weisschwierigkeiten bei der Fest- stellung der Gesundheitsschädlich- keit muß jedoch von der gesetzli- chen Ermächtigung Gebrauch ge- macht werden, durch Rechtsverord- nungen festzulegen, wann ein Le- bensmittel als gesundheitsschädlich zu .bewerten ist.

Der Freistaat Bayern hat zu Recht häufig und nachhaltig die Vorschrif- tenflut und den Gesetzesperfektio- nismus des Bundes beklagt; auf die- sem für den Gesundheitsschutz des Verbrauchers wichtigen Gebiet hat die Bundesregierung aber nicht in ausreichendem Umfang und nicht rechtzeitig entsprechende Verord- nungen erlassen.

Da der Vollzug lebensmittelrechtli- cher Vorschriften den Ländern ob- liegt, war es für Bayern, das in der Lebensmittelüberwachung auf eine

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DEUTSCHES ARZTEBLATT

hundertjährige Tradition zurückblik- ken kann, Verpflichtung, durch das Gesetz zum Vollzug des Lebensmit- telrechts eine neue Grundlage für eine moderne, allen Verbraucheran- liegen Rechnung tragende Überwa- chung zu schaffen.

Das bereits 1969 erlassene Gesetz gewährleistet eine- einheitliche, straffe Überwachung unter Einbe- ziehung und Zusammenfassung al~

ler zur wissenschaftlichen Beurtei- lung der Lebensmittel und Bedarfs- gegenstände notwendigen Fach- kräfte.

in konsequenter Fortführung dieser Konzeption hat Bayern 1974 mit der Errichtung von zwei Landesuntersu- chungsämtern für das Gesundheits- wesen auch auf der Untersuchungs- und Begutachtungsebene eine fach- lich optimale Lösung geschaffen, die Beachtung und Anerkennung in der gesamten einschlägigen Fach- welt gefunden hat.

Nur die Zusammenfassung der bis- lang selbständigen, nach wissen- schaftlichen Disziplinen ausgerich- teten chemischen, bakteriologi- schen und Veterinärmedizinischen Untersuchungsanstalten zu zwei Ämtern, in denen Ärzte, Tierärzte, Lebensmittelchemiker und Apothe- ker sowohl in der Seuchenbekämp- fung bei Mensch und Tier als insbe- sondere auch in der Lebensmittel- untersuchung interdisziplinär eng zusammenarbeiten, kann auf Dauer zu optimalen Ergebnissen führen. Eine der wichtigsten Forderungen der modernen Wissenschaft und Praxis, das Untersuchungsgut ganz- heitlich zu untersuchen und zu be- gutachten, kann auf diese Weise ver- wirklicht werden.

Katastrophenmedizin und Gesundheits-

sicherstellungsgesetz

..,.. Obwohl auf diesen Gebieten eine Lösung überfällig ist, hat der Bund die nötigen gesetzlichen Grundla- gen immer noch nicht geschaffen.

Verschiedene Katastrophen, z. B.

mit Verbrennungsverletzten, haben

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Aufsätze • Notizen

ALTERNATIVES

Zu der Glosse von Prof. Michael Arnold („Alternatives") in Heft 16/1980:

Glückwunsch

An Ihnen sieht man, daß es noch Leute mit Idealen gibt! Ich nehme an, daß Sie sich als Nichtgrüner für eine Gesellschaft einsetzen, in der fossile Energie nur bei Kälte, Bewöl- kung und Windstille eingesetzt wird, Herbizide nur verwendet werden, um eindeutig gesundheitsschädli- che Beimengungen in Nahrungsmit- teln (Mutterkorn) zu vermeiden, radioaktive oder mutagene (Trigot- petrolium) Stoffe nur aufgrund me- dizinischer Notwendigkeiten einge- setzt werden und nur, wenn dies kei- ne schwereren Auswirkungen zur Folge hat als beispielsweise fünfbei- nige Maikäfer,

Dieselgeneratoren nur noch zur Not- stromversorgung (bei Kälte, Bewöl- kung und Windstille) dienen.

Zu dieser Einstellung kann ich Sie als Grüner nur beglückwünschen!

Nur sind Sie vielleicht noch etwas zu radikal und wenig realistisch .

Egmont Rupprecht Langbürgnerseestraße 24 8207 Endorf

ERFAHRUNGSBERICHTE

Zu den Gedichten in Heft 30/1980: „Er fahrungsberichte — einmal anders'', von Dr. F. J. Kretz, Dr. Erwin Theiss, Frau Anna Specht und Dr. Benedikt Kienle (dessen Name irrtümlich falsch gedruckt war):

Maßhalten!

Kollegen, die Ihr so schön dichtet:

Gelingen tut es Euch schon recht das Werk, in dem Ihr uns berichtet, was gut fürs Heilen und was

schlecht.

Jedoch ich kann es nicht verhehlen, daß mancher schöne Spruch

verstimmt.

Ja, Eure Verse können quälen, wenn sie so furchtbar holprig sind.

BRIEFE AN DIE REDAKTION

Bedenkt beim Dichten,

Musensöhne:

Der Reim alleine macht es nicht.

Gefühl, Gedanken, alles Schöne:

Erst mit dem Versmaß wird's Gedicht!

Dr. med. Klaus Gritz Tibarg 21

2000 Hamburg 61

SOZIALSTAAT

Zu dem Leserbrief von Dr. 0. Bengert (Heft 13/1980):

Schwachsinniger Kram

Die Klage ... über Sinn und Praxis der „Schwerbeschädigten"-Anträge kann ich aus der Perspektive eines unlängst niedergelassenen Prakti- kers nur bestätigen. Hier wird unge- bührlich viel wertvolle Zeit mit schwachsinnigem Verwaltungskram vergeudet. Dieses Thema verdiente eine größere Aufmerksamkeit, denn allerorten vernimmt man gleicharti- ge Beschwerden aus der Kollegen- schaft, leider (noch?) hinter vorge- haltener Hand. Wohin diese Praxis führen muß: Tatsächlich zu einem

„Volk von Schwerbehinderten". Es ist einfach schlechter sozialpädago- gischer Stil, solche Manipulationen zu ermöglichen; und wir Ärzte ha- ben nolens volens unversehens die Rolle von Steigbügelhaltern über- nommen. Vor der Bundestagswahl hier ein politisch' Ohr zu finden, er- scheint illusorisch. Unsere Vertreter sollten sich trotzdem über ein Pro- cedere verständigen, wie hier eine Änderung herbeigeführt werden kann, sonst werden wir in einem Volk von Schwerbehinderten tat- sächlich zu den Fach-Idioten wer- den, zu denen uns manche Sozial- staatsfanatiker gerne machen möch- ten; denn die Antragsteller nützen ja nur die präformierten Gesetzesmög- lichkeiten aus. Ihnen einen Vorwurf zu machen, hieße das Übel an der falschen Wurzel packen. Diesem Thema ist große Resonanz zu wün- schen!

Dr. med. Rainer Wütscher Germersheimer Straße 137 6722 Lingenfeld

Tandler: Gesundheitspolitik

gezeigt, daß unser bestehendes Ver- sorgungssystem darauf nicht genü- gend eingerichtet ist.

Natürlich wird jede Katastrophe die Verantwortlichen immer vor schwie- rige Aufgaben stellen, und eine völ- lig befriedigende Vorsorge wird we- gen des extrem seltenen Anfalls nie möglich sein. Das Grundgerüst einer gesundheitlichen Versorgung in ei- nem Katastrophenfall, gleich wel- cher Art, muß aber sehr bald errich- tet sein.

Das gleiche gilt für das Gesundheits- sicherstellungsgesetz, dessen bis- herige Entwürfe gezeigt haben, daß der Bund sogar auf diesem Gebiet, das die Improvisation als wesentli- chen Bestandteil für das Funktionie- ren berücksichtigen muß, nur sehr schwer von dem heute üblichen Ge- setzesperfektionismus abweichen kann und andererseits nicht ungern die Gelegenheit ergreifen möchte, für den Verteidigungsfall wohl un- umgänglich „Gleichschaltungsmaß- nahmen" zu Lasten der Selbstver- waltung und der Länder schon in unserer friedlichen Gegenwart zu etablieren.

In diesem Rahmen konnte ich nur einen unvollständigen Überblick über anstehende Probleme geben und die Probleme selbst kaum aus- reichend vertiefen. Allein die Gedan- ken und Vorstellungen über eine neue ärztliche Ausbildung könnten mittlerweile Bände füllen. Die kaum erwähnten dringenden Anliegen des Krankenhauswesens und der psych- iatrischen Versorgung verdienten ei- ne gesonderte Behandlung.

Dennoch hoffe ich deutlich gemacht zu haben, in welche Richtung die Gesundheitspolitik der 80er Jahre gehen muß und welche großen Auf- gaben gelöst werden müssen.

Anschrift des Verfassers:

Gerold Tandler Bayerischer

Staatsminister des Innern Odeonsplatz 3

8000 München 22

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