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Archiv "Trotz großer Probleme mit Optimismus in die achtziger Jahre" (20.12.1979)

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DEUTSCHE S RZTE LATT

Ärztliche Mitteilungen

Herausgeber: Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung

Trotz großer Probleme mit Optimismus

in die achtziger Jahre

Hans W. Muschallik

Zur 7. Sitzung der 6. Wahlperiode trat die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung am 8. Dezember 1979 im Köl- ner EuroCrest-Hotel zusammen.

Nach der Diskussion über den von Dr. Muschallik erstatteten „Bericht zur Lage", der nebenstehend und auf den folgenden Seiten im Wort- laut wiedergegeben ist, hatten die Delegierten über Richtlinien der KBV für Radiologie und Nuklearme- dizin sowie über die Voraussetzun- gen zur Durchführung von zytologi- schen Untersuchungen im Rahmen der Krebsfrüherkennungsmaßnah- men bei Frauen zu beraten. Die bei- den Vorlagen wurden beschlossen und werden am 1. Februar 1980 in Kraft treten. Ferner wurden verab- schiedet der Finanzbericht 1978, ein Haushaltsnachtrag für 1979 und der Haushaltsplan für das Jahr 1980.

Bericht zur Lage, erstattet vom Ersten Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vor der

KBV-Vertreterversammlung am 8. Dezember 1979 in Köln

Der „Bericht zur Lage", den ich, wie gewohnt, zum Ende dieses Jahres der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesver- einigung als dem obersten Beschlußorgan vorlege, um ein Bild von der ökonomischen Situation der deutschen Kassenärzte zu vermit- teln und die Strategien zu erläutern, die dieser Entwicklung zugrunde lagen, hat im Hinblick auf die schon heute zu erkennenden Probleme und Aufgaben, welche das neue Jahrzehnt stellen wird, besonderes Gewicht.

Die Spannungsfelder der weltpolitischen Lage wirken bei den heute bestehenden nationalen und internationalen Interdependenzen stär- ker als bisher auch auf die Geschehnisse unseres Landes ein.

Nahezu auf allen Sektoren zeichnen sich weltweit Phänomene politi- scher, sozialer und ökonomischer Instabilität ab, die ein schärferes Krisenbewußtsein erfordern:

— Ideologisch grundverschieden ausgerichtete Gesellschaftsvor- stellungen und konträr strukturierte Gesellschaftssysteme ringen in immer härterer Konkurrenz um die Vorherrschaft.

— Das materielle und wirtschaftliche Desaster der Öl- und Energie- krise beeinflußt national und supranational fast jeden Lebensbe- reich.

— Trotz der weltweiten Diskussion um die Verwirklichung der Men- schenrechte und die Bewahrung der Menschenwürde nehmen reli- giöser Fanatismus und Terror in weiten Bereichen Ausmaße an, welche das Grundziel der Erhaltung des nun seit fünfunddreißig Jahren andauernden Weltfriedens in ein sorgenvolles Blickfeld

rücken.

Heft 51/52 vom 20. Dezember 1979 3349

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— Die Balance der Kräfte scheint insgesamt in Gefahr. Unvorstellba- re Anteile geistiger, technischer und wirtschaftlicher Potenz wer- den in die Herstellung oder den Erwerb immer schrecklicherer Massenvernichtungsmittel inve- stiert. Nach Jahrzehnten organi- sierter Abrüstungsbemühungen stehen wir — so hat es manchmal den Anschein — immer noch am Anfang.

I> Vor dem Hintergrund dieser nur schwer kalkulierbaren politi- schen Realfaktoren ist auch die besorgniserregende weltwirt- schaftliche Situation zu sehen. In allen hochentwickelten Industrie- staaten, insbesondere in den USA, mehren sich die Anzeichen für ein Ende des gerade erst wieder er- wachten konjunkturellen Auf- schwungs. Der in erster Linie durch den Ölpreisschub bedingte steile Anstieg der Energiekosten verursacht verstärkte inflationäre Tendenzen und führt auch in den westeuropäischen Industrielän- dern zu einem starken Preisauf- trieb.

Zwar ist nach übereinstimmender Meinung aller Experten davon auszugehen, daß es in unserem Land trotz der labilen Lage auf den Märkten für Erdöl und Erdöl- produkte kurzfristig nicht zu einer Rezession kommen wird, die etwa der von 1974/75 vergleichbar wäre.

Diese Prognosen gelten allerdings nur unter den Prämissen, daß die auch weiterhin zu erwartende Öl- preisverteuerung nicht nennens- wert über der Preissteigerung der Industrieerzeugnisse liegt, daß die Versorgung grundsätzlich ge- währleistet bleibt und daß der durch die Energieverteuerung ausgelöste verteilungspolitische Anpassungsprozeß und dabei ins- besondere die nächste Lohnrunde maßvoll verlaufen wird.

Ich stelle solche Betrachtungen heute bewußt an den Anfang mei- ner Ausführungen, um schlag- lichtartig zu beleuchten, mit wel- chen Turbulenzen das neue Jahr- zehnt beginnt. Auch wenn es weit

hergeholt scheinen mag, sind un- sere speziellen Probleme mit all diesen Fragen verbunden, und wenngleich der Kassenärztlichen Bundesvereinigung als öffentlich- rechtlicher Körperschaft ein Han- deln aus jeweils konkreten Anläs- sen und Vorgaben aufgegeben ist, so vollzieht sich dies doch stets als integraler Bestandteil einer Ge- samtpolitik, welche ordnungs-, planungs- und leistungspoliti- schen Rahmenbedingungen und Gesetzmäßigkeiten unterliegt.

I

Mehr Freiheit

und Eigenverantwortung des einzelnen

Im Gesundheitsbereich beherr- schen nicht nur bei uns, sondern ausgeprägt auch in allen übrigen Industriegesellschaften die Bemü- hungen um eine im Vergleich zum Bruttosozialprodukt angemessene Steigerung der Ausgaben für so- ziale Sicherung die Politik. Die Frage, wie man der Öffentlichkeit den Nutzen der modernen Medi- zin-Technik zu erschwinglichem Preis zur Verfügung stellen kann, ist dabei ein vordringliches Pro- blem. Die Meldungen aus unserem Nachbarland Frankreich über eine krisenhafte Entwicklung seiner Krankenversicherung und Maß- nahmen staatlicher Kostenbrem- sung mit Blockierung der Arztho- norare sind in diesem Zusammen- hang ein alarmierendes, wenn auch nicht ohne weiteres auf die Bundesrepublik Deutschland übertragbares Beispiel.

Die Befürchtung der Nichtbezahl- barkeit einer ungesteuerten An- wendung medizinischer Leistun- gen wird bei alldem ebenso disku- tiert wie die auf den ersten Blick ketzerisch erscheinende Frage nach dem Nutzen der heute mit hohem technischem Aufwand be- triebenen medizinischen Maß- nahmen.

Immer mehr gewinnt die uralte Er- kenntnis, daß Gesundheit kein ab- soluter, sondern ein relativer zeit-, situations- und persönlichkeitsge-

bundener Begriff ist, bei diesen Fragen und den daraus resultie- renden gesundheitspolitischen Entscheidungen an Gewicht.

Vornehmlich wird zur Zeit

die Problematik einer sinnvol- len Inanspruchnahme heute mög- licher medizinischer Leistungen, 1> die versicherungstechnischä Frage: Sachleistungssystem mit oder ohne Selbstbeteiligung sowie

1> die Frage nach dem Nutzen ei- nes nationalen Gesundheitsdien- stes im Vergleich zu einem von freiberuflich tätigen Ärzten getra- genen freiheitlichen Gesundheits- sicherungssystem ebenso disku- tiert wie die Einführung einer ein- nah men-/ausgabengebundenen Globalsteuerung.

> Die Auswirkungen des An- wachsens der Zahl der Ärzte weit über einen bis zum Jahre 2000 vor- ausgeschätzten Bedarf und die Sorgen um die weitere Garantie ihrer qualitativen Befähigung sind in der Bundesrepublik Deutsch- land im Hinblick auf die Mitte 1980 wirksam werdenden EG-Regelun- gen ein besonderes und ein be- sonders vordringliches Problem.

Für die Gesundheitspolitik der achtziger Jahre, ihre Chancen und ihre Gefahren wird die Klärung all dieser Fragen von grundsätzlicher Bedeutung sein. Dies gilt insbe- sondere für die politische Ent- scheidung hin zu mehr Freiheit und Eigenverantwortung des ein- zelnen Menschen, wie wir sie für eine aktive Gesundheitspolitik der achtziger Jahre befürworten, oder hin zu einem großen Kahlschlag in einem kollektivistisch veränderten System.

Die Erhaltung einer an gesi- cherten wissenschaftlichen Er- kenntnissen orientierten, zweck- mäßigen Medizin im Rahmen einer qualitativ hochwertigen ambulan- ten ärztlichen Versorgung und ih-

re Finanzierbarkeit — das wird die

3350 Heft 51/52 vom 20. Dezember 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(3)

Bilder von der Sitzung der Vertre- terversammlung der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung am 8. Dezember 1979 im Kölner Eu-

roCrest-Hotel. Oben ein Blick auf den Vorstandstisch während der Eröffnung der Beratungen;

von links: Dres. Krein, Doe- ring, Schmitz-Formes, Muschallik, Fiedler (Hauptgeschäftsführer), Löwenstein, Weinhold, Adamek, Kolb. Foto links: Als Gäste herz- lich begrüßt wurden wiederum Dr.

Vilmar, Präsident der Bundesärz- tekammer und des Deutschen Ärz- tetages, und Hauptgeschäftsfüh- rer Prof. Deneke. Bild unten: Die Reihen der Delegierten während des vom Ersten Vorsitzenden Dr.

Hans Wolf Muschallik erstatteten Berichts zur Lage. Fotos (10):d-e-w

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 51/52 vom 20. Dezember 1979 3351

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zentrale Herausforderung auch der beginnenden achtziger Jahre sein. Von ihrer sachgerechten Lö- sung werden Hoffnungen, Aus- sichten und Chancen eines mo- dernen und humanen Gesund- heitswesens entscheidend ab- hängen.

Bei der Durchführung der uns ob- liegenden gesetzlichen Aufgaben stand die Arbeit der Kassenärztli- chen Bundesvereinigung gemein- sam mit allen Kassenärztlichen Vereinigungen der Länder stets im Zeichen der Bemühungen, an ei- ner grundsätzlichen Stabilität der Krankenversicherung mitzuwir- ken, bei der Weiterentwicklung ärztlicher Honorare die Grund- lohnsummenentwicklung zu be- achten und modernen Fortschritt eines qualitativ hochstehenden und modernen Gesundheitswe- sens im Interesse unserer Bürger zu fördern. Nicht Anpasserei, wohl aber die Bereitschaft zu vernünfti- gen Kompromissen unter Bewah- rung des Bewährten — das ist un- sere Maxime.

Der Rückblick und die heute zu ziehende Bilanz bestätigen dies.

Trotz einer sozialpolitischen Ver- unsicherung der Ärzteschaft, die sich als eine durchgängige Ent- wicklung von Beginn der siebziger Jahre bis heute zeigt — ich erinne-

re an die massiven Angriffe gegen die Ärzteschaft bezüglich Qualität und Quantität der ärztlichen Ver- sorgung —

trotz der im Zuge der Liquiditäts- krise der Rentenversicherung auf die Krankenversicherung abge- wälzten Kosten in Milliardenhöhe und

trotz der erfolgten gesetzlichen Eingriffe in das Kassenarztrecht haben die deutschen Kassenärzte nicht nur ihren aufopferungsvol- len Dienst in der sozialen Kranken- versicherung erfolgreich wahrge- nommen, sondern darüber hinaus unter Hinnahme eigener finanziel- ler Verluste als erste freiwillig zu einer nachweislichen Kostenba-

lance im Gesundheitswesen und damit zu einer Beitragsstabilität der gesetzlichen Krankenkassen beigetragen.

II

Das Ergebnis einer konsequenten Honorarpolitik

Ohne auf Details einzugehen, wa- ren unsere Bemühungen in der zurückliegenden Zeit von zwei Grundlinien gekennzeichnet:

> Verwirklichung einer bürger- nahen und flächendeckenden am- bulanten ärztlichen Versorgung mit einem geregelten, rund um die Uhr erfolgenden Notfalldienst, zu- mutbaren Arztwegen und zumut- baren Wartezeiten, Qualitätskon- trolle ärztlicher Leistungen und schnelle Heranbringung gesicher- ter medizinischer Erkenntnisse an die ambulante Praxis.

> Vereinbarung einer angemes- senen Honorierung ärztlicher Lei- stungen unter Berücksichtigung der finanziellen Lage der sozialen Krankenversicherung und unter Beachtung gesamtwirtschaftlicher Gegebenheiten.

• Die heute vorliegenden Zahlen und die auch nach den jüngsten reglementierenden Gesetzesbe- stimmungen wiedergewonnenen Freiräume zeigen, daß wir auf dem richtigen Wege sind. Diese Frei- räume den Kassenärzten zu erhal- ten war das Ergebnis einer konse- quenten Honorarpolitik, die auf ei- ner gefestigten und überzeugen- den Rechtsauslegung basierte.

Mit dem Krankenversicherungs- Kostendämpfungsgesetz sollte — wie bei Ihnen allen sicher nicht vergessen — der Gedanke einer Globalsteuerung im Gesundheits- wesen in Analogie zum Wirt- schaftsbereich verwirklicht wer- den. Unter dieser Vorstellung wur- de im Gegensatz zum Kassenarzt- recht von 1955 das Schlagwort von der einnahmenorientierten Ausgabenpolitik in der Sozial- und Gesundheitspolitik geprägt. Unter

diesem Gedanken der Global- steuerung wurde der Versuch un- ternommen, die Entwicklung der kassenärztlichen Gesamtvergü- tung an gesetzlich vorgegebene feste Obergrenzen zu binden.

Unmittelbar nach Verabschiedung des Krankenversicherungs-Ko- stendämpfungsgesetzes haben wir unsere einer solchen Interpre- tation des Gesetzes entgegenste- hende Rechtsposition den Ver- tragspartnern deutlich gemacht;

ihr wurde jedoch von den RVO- Krankenkassen, unterstützt vom Bundesarbeitsministerium, zu- nächst widersprochen.

O Dennoch gelang es, gemein- sam mit den Ersatzkassen unter Anerkennung unserer Rechtsauf- fassung den entscheidenden Ver- tragsabschluß vom Dezember 1978 durchzusetzen: Die uneinge- schränkte Einzelleistungsvergü- tung im Ersatzkassenbereich wur- de damit aufrechterhalten und die Gebührensätze jeder einzelnen Leistung um vier vom Hundert er- höht.

O Nach diesem Vertragsabschluß konnte auch auf dem RVO-Sektor im Grundsatz der entscheidende Schritt zurück zur Berechnung der Gesamtvergütung nach Einzellei- stungen ohne zahlenmäßige Fest- legung einer Obergrenze für den Gesamtausgabenanstieg erreicht werden.

• Trotz der Berechnungsform der Gesamtvergütung nach einem Fallpauschale bei Laborleistungen und trotz einer Fallwertbegren- zung bei den übrigen kurativen ärztlichen Leistungen, alles je- doch bezogen auf den einzelnen Fall, geht das sogenannte Morbi- ditätsrisiko, oder anders ausge- drückt, das Risiko der Inanspruch- nahme des Kassenarztes wieder voll zu Lasten der Krankenkassen.

Je nachdem, wie sich die Fallzahl entwickelt, entwickelt sich die Ge- samtvergütung.

Die Wahl einer anderen Form der Errechnung der kassenärztlichen

3352 Heft 51/52 vom 20. Dezember 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Nahziel und Fernziel

Diskussion nach Muschalliks Lagebericht: Als Prof. Dr. Sieg- fried Häußler zum Rednerpult stürmt, um die Aussprache zu eröffnen, ist eigentlich jedem im Saal des Kölner Crest-Motels schon klar, was die Stunde ge- schlagen hat. Häußler nutzt ei- ne weitere Gelegenheit, um für seine Vorstellungen vom Allge- meinarzt zu werben. Zunächst aber ein braver Dank an die KBV, an das Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versor- gung für deren bisherige För- derung der Allgemeinmedizin, ein Dank an Muschallik für des- sen verständnisvolle Worte zu- gunsten der Allgemeinmedizin im Lagebericht. Dann aber kommt Häußler zu seiner Sa- che: Die Anforderungen an den Hausarzt wüchsen, das bedinge eine „längere Qualifikation".

Das Studium aber vermittele — selbst wenn es reformiert wer- de — nicht genügend praktische Befähigung. Die zweijährige Vorbereitungszeit für die Kas- senpraxis (soeben von der Kon- zertierten Aktion im Gesund- heitswesen noch einmal als Forderung bekräftigt!) habe kaum eine Realisierungs- chance (glaubt jedenfalls Häuß- ler), und außerdem seien sich die ärztlichen Verbände in die- ser Frage schon uneins: Einig- keit aber tue not — ein Aufruf, mit dem Ärzten immer Beifall zu entlocken ist —, und so möge man sich doch vereint dafür einsetzen, „daß die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden, damit in Zukunft nur Ärzte mit abgeschlossener Wei- terbildung zur kassenärztlichen Tätigkeit zugelassen werden."

Häußler zieht gleich einen for- mulierten Entschließungsan- trag aus der Tasche. Den möge die Vertreterversammlung doch beschließen.

Dr. Eckart Fiedler weist demge- genüber auf die Beschlüsse der

Vertreterversammlung in Nürn- berg (im Mai 1979, unmittelbar vor dem Deutschen Ärztetag) hin; die habe ausdrücklich die zweijährige Vorbereitungszeit gefordert. Daran habe die KBV ihre Politik ausgerichtet. Wenn gerade jetzt von dieser Forde- rung abgegangen werde, wo die Bundesregierung in dieser Sache in Brüssel vorstellig wer- den wolle, und statt dessen die Häußlersche Weiterbildung ge- fordert werde, dann garantiere er, „daß überhaupt nichts mehr passiert. Eine Chance der Selbstverwaltung ist dann ver- spielt".

Die Diskussion pendelt sich schließlich auf einen Kompro- miß ein. Zunächst Dr, Peter Krein, dann Dr. Horst Bourmer und Dr. Kaspar Roos plädieren

— wenn auch mit abgestuftem Engagement — dafür, als Nah- ziel die zweijährige Vorberei- tungszeit weiterzuverfolgen (laut Bourmer sollte sie nicht nur vorübergehend eingeführt werden, sondern für dauernd), als Ziel für die Zukunft könne man aber „tendenziell" Häuß- lers Auffassung vertreten, nur noch weitergebildete Ärzte für die kassenärztliche Versorgung zuzulassen. Lediglich Dr. Otto Schloßer vertritt die Auffas- sung, wenn im Häußlerschen Sinne verfahren werde, werde die Einheit des Arztberufes zer- stört, und man bekomme via Zulassungsrecht den Staat auch noch „dahin, wo wir ihn gar nicht haben wollen". Beifall und Zustimmung. Das Ergebnis der Diskussion entspricht je- doch eher der kompromißleri- schen Linie im Diskussionsver- lauf. Dr. Karl Nicklas beantragt, den Häußler-Antrag, „um ihn nicht ablehnen zu müssen", an den Vorstand zu überweisen.

So geschieht es. Mit großer Mehrheit. Ein kleiner Erfolg für Professor Häußler — seine frü- heren Vorstöße waren noch ab- gelehnt worden NJ

Muschallik: Bericht zur Lage

Gesamtvergütung war — und ich betone dies erneut — wegen der unterschiedlichen Rechtsausle- gung zu § 368 f Abs. 3 RVO nicht möglich. Um den Vertragspartnern auf Landesebene überhaupt die Chance zu eröffnen, ein anderes Modell, und sei es eines mit Ober- grenze, aushandeln zu können, mußte auf Bundesebene zunächst einmal unsere Rechtsauffassung, wonach eine Obergrenze gesetz- lich nicht zwingend vorgeschrie- ben ist, durchgesetzt werden.

Nachdem die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen die vertragli- che Regelung mit den Ersatzkas- sen und die vorher ausgehandelten Honorarverträge im RVO-Bereich zustimmend zur Kenntnis genom- men hat, ist für uns die Rechtslage in diesem Sinne entschieden.

Blende ich an dieser Stelle das Ergebnis unserer bisherigen Be- mühungen um eine Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage der Krankenversicherung ein, dann rufe ich in Erinnerung, daß infolge der Mitte der siebziger Jahre ein- setzenden wirtschaftlichen Rezes- sion und deren Auswirkung auf die Rentenversicherung und die soziale Krankenversicherung erst- mals im Jahre 1976 bei laufenden Verträgen eine Begrenzung der Gesamtvergütung anerkannt wur- de, mit der ein Ansteigen des Ho- norarvolumens über acht vom Hundert von dem ebenfalls auf acht vom Hundert begrenzten Ho- norarvolumen des nächsten Jah- res in Abzug gebracht wurde.

Eine dem Sinne nach gleiche Re- gelung mit einer maximalen Stei- gerung von vier vom Hundert wur- de dann auch für das 1. Halbjahr 1978 vereinbart.

Für den Zeitraum Juli 1978 bis Ju- ni 1979 galt, bedingt durch die ge- setzliche Einführung eines neuen und einheitlichen Bewertungs- maßstabes auf E-Adgo-Basis, ein Kopfpauschale, welches 5,5 vom Hundert über der . Gesamtvergü- tung des Vergleichszeitraums lag.

Diese Regelung diente bekannt- lich zur sachgerechten Ermittlung

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 51/52 vom 20. Dezember 1979 3353

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Tabelle 1: Umsatz- und Arztzahlentwicklung (Kassen- und Vertrags- ärzte) nach Fachgruppen im Vergleichszeitraum 1. Juli 1978 bis 30. Juni 1979 gegenüber 1. Juli 1977 bis 30. Juni 1978 im Bundesgebiet

Veränderung des Veränderung Veränderung des Fachgruppe Gesamtumsatzes der Arztzahl Umsatzes je Arzt

in % in % in %

Augenärzte Chirurgen Frauenärzte H NO-Ärzte Hautärzte Internisten Kinderärzte Laborärzte Lungenärzte Nervenärzte Orthopäden Pathologen Röntgenologen Urologen

Allgemein/Praktische Ärzte

+ 0,3 + 2,9 + 5,8 + 3,6 + 11,0 + 9,6 + 10,5 + 10,9 - 6,5 + 14,4 + 5,0 + 1,2 + 2,1 + 7,3 + 8,6

+ 3,6 - 3,2 + 0,5 + 2,5 + 5,3 + 0,5 + 0,9 + 2,7 + 1,9 + 9,3 + 5,7 + 3,9 + 2,4 + 8,1 - 6,5 + 4,2 - 5,2 - 1,2 + 7,1 + 7,1 + 6,0 - 0,9 + 5,3 - 2,7 + 3,0 - 0,7 + 7,8 - 0,3 + 0,2 + 8,5

Sämtliche Ärzte + 7,5 + 2,4 + 5,1

Quelle: KBV-Statistik. Formblatt 1

eines Punktwertes und führte, be- dingt durch die unterschiedlichen Leistungsgewichtungen in BMÄ und E-Adgo, unter Betonung der ärztlichen gegenüber den medi- zin-technischen Leistungen zu ei- ner Honorarverschiebung zwi- schen den einzelnen Arztgruppen.

Entgegen anfänglicher Befürch- tung ist aber, wie die Tabelle 1 ausweist, bei keiner Fachgruppe ein Erdrutsch eingetreten. Schon diese Darstellung zeigt aber auch deutlich, wie stark die Verände- rung der Arztzahl die Entwicklung der statistischen Berechnung des Durchschnittumsatzes je Arzt- gruppe beeinflußt.

Auch bei der nun weitgehend ab- geschlossenen Ermittlung der Punktwerte läßt sich dieser Einfluß der Arztzahlentwicklung deutlich erkennen. Die Punktwerte wurden, vereinfacht ausgedrückt, bekannt- lich dergestalt ermittelt, daß .die in der Zeit von Juli 1978 bis Juni 1979 nach einem Kopfpauschale er-

rechnete Summe der Gesamtver- gütung durch die Zahl der abge- rechneten ärztlichen Leistungen, ausgedrückt in Punkten, dividiert wurde. Je mehr ärztliche Leistun- gen dabei aus einer fix vorgegebe- nen Gesamtvergütung zu honorie- ren waren, um so stärker mußte demgemäß der Punktwert absin- ken. Auch die in den KV-Bereichen unterschiedliche Punktwerthöhe hängt hiermit zusammen.

Die heute zu überblickenden Punktwerte für die einzelnen Kas- senarten liegen im Bundesgebiet wie folgt: Für die Ortskrankenkas- sen bei 9 Pfennig, die Betriebs- krankenkassen bei 9,2 Pfennig, die Innungskrankenkassen bei 9,3 Pfennig und für die landwirt- schaftlichen Krankenkassen bei 8,9 Pfennig.

Dieses Ergebnis bestätigt, daß der Abstand zum Punktwert der Er- satzkassen, der mit 10 Pfennig festgelegt wurde, nicht so groß ist, wie vielfach behauptet, und eine

gute Ausgangsbasis für die Wei- terentwicklung der Gesamtvergü- tungen bildet.

I

Hoffnung auf Einigung mit den Ersatzkassen

Bevor ich auf die weiteren Tabel- len zur Erläuterung der honorar- politischen Entwicklung zu spre- chen komme, noch ein Wort zu der Vertragssituation mit den Er- satzkassen. Der schon apostro- phierte, von mancher politischen Seite kritisierte Vertragsabschluß mit den Ersatzkassen für 1979 hat sich, wie man heute objektiv fest- stellen kann, bewährt. Nachdem im 1. Quartal die Ausgabenent- wicklung für ambulante ärztliche Leistungen auszuufern drohte und von den Vertragspartnern auch aus politischer Notwendigkeit mit einer Notbremse ä la Dernbach unter Einwirkung auf das Labor reagiert wurde, hat sich die Ent- wicklung bis heute deutlich stabi- lisiert.

Nach Vorliegen der Abrechnungs- ergebnisse von drei Quartalen die- ses Jahres sind die Gesamtzahlun- gen der Ersatzkassen zwar im Ver- gleich zum Vorjahr um 8,5 vom Hundert gestiegen, was unter Be- rücksichtigung der in dieser Zeit wiederum deutlichen Zunahme der Zahl der Ersatzkassenmitglie- der jedoch lediglich einer Aus- gabensteigerung von 5,6 vom Hundert, bezogen auf das einzelne Mitglied, entspricht. Die vom Bun- desarbeitsminister, ohne die effek- tiven Abrechnungsergebnisse ab- zuwarten, vorschnell in der Öffent- lichkeit genannten Zahlen sind - und ich wiederhole dies - erwiese- nermaßen falsch und die dabei gleichzeitig unterschwellig gegen die Vertragspartner erhobenen

Drohungen ungerechtfertigt.

Dennoch scheinen leider diese Einschüchterungsversuche bei unserem bisher so stabilen Ver- tragspartner Ersatzkassen nicht ohne Nachwirkung geblieben zu sein. Hierzu rufe ich in die Erinne-

3354 Heft 51/52 vom 20. Dezember 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Muschallik: Bericht zur Lage

Fotografisch notiert — Delegierte der Vertreterversammlung bei den Beratungen über die gesundheits- und sozialpolitische Situation

rung zurück, daß die nunmehr über 50 Jahre bestehenden Bezie- hungen zwischen Kassenärzten und Ersatzkassen bis heute durch eine besonders konfliktlose Part- nerschaft ausgezeichnet sind. Auf dieser Grundlage konnten die ver- traglichen Beziehungen und dabei auch die Honorarvereinbarungen, wenn auch naturgemäß nicht oh- ne temporäre Spannungen und Härten, so doch stets einvernehm- lich in partnerschaftlichem Zu- sammenwirken gestaltet werden.

Daß diese Tatsache einer guten Partnerschaft nicht nur innerärzt- lich zu einem hohen Ansehen der Ersatzkassen beigetragen hat, be- tone ich mit Überzeugung.

Bei den vor wenigen Tagen un- ter Zugrundelegung der genann- ten zufriedenstellenden Abrech- nungsergebnisse durchgeführten konkreten Verhandlungen über ei- ne angemessene Weiterentwick- lung der vertragsärztlichen Hono- rierung für 1980 zeigten sich erst- mals so weit auseinanderliegende Vorstellungen über die Höhe des Vergütungszuschlags, daß die Verhandlungen unterbrochen und auf den 18. Dezember dieses Jah- res vertagt werden mußten.

Erstmals in der langen Vertragsge- schichte scheint eine Anrufung des gemäß Arzt/Ersatzkassenver- trag auf vertraglicher Vereinba- rung beruhenden Schiedsamtes nicht ausgeschlossen. Allein dies schon kann eine bemerkenswerte und besorgniserregende Entwick- lung bedeuten. Bisher ist eine An- rufung des seit 1963 vertraglich vorgesehenen Schiedsamtes so unvorstellbar gewesen, daß so- wohl die Ersatzkassen als auch die Ärzte es bisher nicht für erforder- lich gehalten haben, ein solches Schiedsamt personell zu be- setzen.

All dies will ich aber nicht dramati- sieren, denn ich bin zuversicht- lich, daß es trotz mancher heute besonders großen Schwierigkei- ten, die nicht vornehmlich in den finanziellen, sondern in den be- fürchteten politischen Auswirkun-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 51/52 vom 20. Dezember 1979 3355

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gen liegen, doch noch gelingen wird, ein beiderseits tragbares Er- gebnis freivertraglich zu vereinba- ren. Diese Zuversicht - und auch das sage ich ganz offen - kann jedoch nicht so weit gehen, daß angesichts der vertretbaren Aus- gabenentwicklungen dieses Jah- res und im Vertrauen auf das auch weiterhin verantwortungsbewußte Verhalten der Kassenärzte im Jah- re 1980 auf die Wahrung ihres angemessenen Interessenstand- punktes verzichtet werden kann.

Diese wenigen, aber doch deutli- chen Markierungen mögen ange- sichts der gestern im Länderaus- schuß erzielten Übereinstimmung, wie ich mit Ihrer Zustimmung hof- fe - auch im Hinblick auf die am 18. Dezember anstehenden weite- ren Verhandlungen- heute ausrei-

chen, ohne im einzelnen auf zah- lenmäßige Details einzugehen.

• Zur optischen Verdeutlichung meiner bisherigen honorarpoliti- schen Ausführungen komme ich nun auf die vorliegende Tabelle 2 zu sprechen. Graphisch darge- stellt ist von 1970 bis 1979 die Ent- wicklung des kassenärztlichen Gesamtumsatzes und seine Zu- sammensetzung unter Angabe der prozentualen Veränderung zum Vorjahr. 1979 ist, da noch nicht abgeschlossen, geschätzt.

Die gleichen Angaben betreffen die Entwicklung der Arztzahlen. Zu der Darstellung der statisti- schen Errechnung des Durch- schnittsumsatzes je Kassenarzt muß betont und bei persönlicher Vergleichsbetrachtung berück-

sichtigt werden, daß nur knapp 45 vom Hundert der Kassenärzte in beziehungsweise über diesem sta- tistischen Durchschnitt liegen und demgemäß mehr als 55 vom Hun- dert darunter.

Die angegebene Entwicklung des Lebenshaltungskostenindex ent- spricht den für das Bundesgebiet amtlichen beziehungsweise für 1979 geschätzten Zahlenangaben.

• Tabelle 3 verdeutlicht die An- gaben der Tabelle 2 graphisch.

Man erkennt die Prosperität der frühen siebziger Jahre und ent- sprechend der zu dieser Zeit ver- schwindend geringen Arztzahlent- wicklung die weitgehende Paralle- lität des Arztumsatzes mit der Ent- wicklung des Gesamtumsatzes. Es zeigt sich deutlich die starke Oe-

Tabelle 2: Entwicklung der Honorarumsätze in Milliarden DM nach Kassenarten aus kassenärztlicher Tätigkeit (zugelassene und beteiligte Ärzte) in den Jahren 1970 bis 1979 mit Veränderungsraten in Prozent von Jahr zu Jahr

Mrd.

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1976 1 97 7

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• 2,5 • 2,0

218,1 226,1

• 2,5 • '·'

• 4,5 • ),9

3356 Heft 51/52 vom 20. Dezember 1979 DEUTSCHES ARZTEBLATT

1 9 7 8 1 9 7 9 Jahr

57 814 59 000

• 2,4 • 2,1

235,8 2'S,l

• 4,3 • 4,0

• 2,6 • 4,0

(9)

z

14 ---

Lebenshlt sk. Index

zahl

1 9 7_0 1 1 9 7 1 1 1 9 7 2 1 1 9 7 3 1 1 9 7 4 1 1 9 7 5 1 1 9 7 6 1 1 9 7 7 1 1 9 7 8 1 1 9 7 9 1 Jahr Honorarumsatz

Honorarunis. je Arzt

Honorarumsatz

6 — Honorarums.je Arzt

4 — 2 -e- 24 22 — 20 --- 18 — 16 —

Muschallik: Bericht zur Lage

Tabelle 3: Veränderungsraten in Prozent für Honorarumsatz, Honorarumsatz je Arzt, Arztzahl und Lebens- haltungskosten von 1970 bis 1979

Quelle: KBV-Statistik und Statistisches Bundesamt

pression in der Entwicklung des Gesamtumsatzes während der Re- zessionsjahre 1976/77, und man erkennt die Einwirkung der stei- genden Kassenarztzahlen auf die Entwicklung des durchschnittli- chen Kassenarztumsatzes an der Abweichung vom Gesamtumsatz.

Die Jahre 1978 und 1979 scheinen eine gewisse Stabilisierung der Gesamtentwicklung anzudeuten und infolge eines mäßigeren Net- tozugangs an Kassenärzten einen weniger negativen Trend der Arzt- umsatzentwicklung, allerdings neutralisiert durch einen deutli- chen Anstieg der Lebenshaltungs- kosten.

Läßt man alle Imponderabilien subjektiver Vergleichsbetrachtun- gen und die oft unterschätzten Ri- siken des freien Berufes außer acht, dann will mir auf dem Hinter- grund meiner eingangs gegebe- nen Darstellung aller Zusammen- hänge das Fazit einer insgesamt zufriedenstellenden Bilanz als ge- rechtfertigt erscheinen.

• Dennoch, die Sorgen um die erfolgreiche Fortführung unseres Auftrages, die wirtschaftliche Si- tuation des Kassenarztes durch Schaffung einer angemessenen Honorierung seiner Leistungen zu wahren, sind damit nicht gemin- dert; es ist unbestreitbar, daß von dem Gros der Kassenärzte ein Rückgang ihres Realeinkommens in Kauf genommen werden mußte und sich ein Fortgang dieser Ent- wicklung nicht ausschließen läßt.

In den Zusammenhang der hono- rarpolitischen Bilanz gehört auch eine Betrachtung des Arzneimit- telbereiches. Zwischenzeitlich ha- ben wir uns daran gewöhnt, mit dem Instrument des Arzneimittel- höchstbetrages umzugehen. Un- sere mit den Krankenkassen abge- stimmte Auffassung, wonach dem Arzneimittelhöchstbetrag mehr oder weniger die Funktion einer roten Warnlampe zuzumessen ist und bei Überschreitung die Kas- senärzte zu informieren sind, hat sich als richtig und ausreichend erwiesen.

Die bis heute erkennbare Ausga- benentwicklung für Arzneimittel beweist dies. Die aufgrund der Arzneikostenhöhe im 1. Quartal mögliche Gefahr einer deutlichen Höchstbetragsüberschreitung hat als Folge der sofortigen Informa- tion zu einer schnellen und um- sichtigen Reaktion der Kassenärz- te geführt. Nachdem sich schon im 2. Quartal der Ausgabenzu- wachs der Krankenkassen für ver- ordnete Arzneimittel gegenüber dem 1. Quartal deutlich ab- schwächte, ist im 3. Quartal trotz inzwischen erfolgter Erhöhung der Mehrwertsteuer ein weiteres Absinken des Steigerungsprozent- satzes festzustellen, und es be- steht die berechtigte Zuversicht, daß es im Bundesdurchschnitt bei den meisten Kassenarten gelingen wird, den Höchstbetrag einzu- halten.

• Auch hier zeigt sich, daß Maß- nahmen zur Information des Kas- senarztes und Aufklärung des Ver- sicherten, Maßnahmen also, die

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 51/52 vom 20. Dezember 1979 3357

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einer freiheitlichen Gestaltung der kassenärztlichen Versorgung sy- stemkonform sind, durchaus zu· den gewünschten Resultaten füh- ren. Der Gesetzgeber ist zu keiner weiteren Reglementierung aufge- rufen.

Ein sachgerechtes Instrument al- lerdings, welches dem Kassenarzt zum Beispiel bei einer drohenden Überschreitung des Arzr;leimittel- höchstbetrages rechtzeitig klare Informationen vermittelt, liegt noch nicht vor.

Mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen sind unter dieser Zielsetzung Verhandlungen über eine gemeinsame Erstellung von Arzneikostenstatistiken im Gange.

Damit soll erreicht werden, daß dem einzelnen Kassenarzt fortlau- fend sachdienliche Informationen - beispielsweise über den Umfang seiner Verordnungstätigkeit, den durchschnittlichen Rezeptwert und die Zahl der verordneten Me- dikamente - zur Verfügung ge- stellt werden. Über das individuel- le Verordnungsspektrum wird da- bei, um jede Beeinflussung der Therapiefreiheit auszuschließen, keine Aussage getroffen.

8 ln diesem Zusammenhang be- tone ich, daß der Nutzen der fast wie Pilze aus dem Boden schie- ßenden vielfältigen Arzneimittelli- sten ernsthaft in Frage gestellt werden muß. Diese derzeitige Li- stenvielzahl und damit der Listen- wirrwarr birgt die große Gefahr in sich, daß der Arzt weniger infor- miert, sondern vielmehr verwirrt, ja verunsichert wird.

ln der diesjährigen Herbstsitzung der Konzertierten Aktion im Ge- sundheitswesen ist zur Vermei- dung dieser negativen Auswirkun- gen gemeinsam mit den Spitzen- verbänden der Krankenkassen, dem Bundesverband der Pharma- zeutischen Industrie und der Apo- thekerschaft eine dementspre- chende Empfehlung durchgesetzt worden. Danach soll dem Arzt un- ter Berücksichtigung von Qualität und Preis eine im Aufbau einheitli- che und umfassende Übersicht über die verordnungsfähigen Arz- neimittel an die Hand gegeben werden.

ln den Empfehlungen zum Arznei- mittelbereich wurde auch die For- derung nach therapiegerechten Packungsgrößen erhoben, wo- nach nunmehr grundsätzlich von

Bei einer Abstimmung -die Gegenprobe ...

einer Dreiteilung ausgegangen werden soll.

[> Die Packungsgröße N 1 ist auf

die Behandlung von Krankheiten mit erfahrungsgemäß kurzer Dau- er beziehungsweise den Test auf Unverträglichkeit abgestellt.

[> Die Packungsgröße N 2 ent-

spricht der Behandlung von Krankheiten mittlerer Verlaufsdau- er und

[> die Packungsgröße N 3 der

Dauertherapie.

[> Der Inhalt der Packungsgrößen

N 1, N 2 und N 3 wird indikations- bezogen festgelegt.

.,.. Die Umsetzung dieser Verein- barung bedeutet nicht nur eine er- hebliche Erleichterung für den Kassenarzt, sondern sie wird auch zu einer besseren Markttranspa- renz und damit zur Wirtschaftlich- keit beitragen.

I

Ernste Bedenken gegen den Entwurf

einer Negativliste

Zur Kostendämpfung im Arznei- mittelbereich hätte der in der Kon- zertierten Aktion an die Bundesre- gierung gerichtete Vorschlag, den Mehrwertsteuersatz für Arzneimit- tel zu reduzieren, fühlbar beitra- gen können. Leider hat der heftige Widerstand des Bundesarbeitsmi- nisters eine solche Empfehlung der Konzertierten Aktion vereitelt.

8 Die Spitzenverbände der Kran- kenkassen, die Ärzte, die pharma- zeutische Industrie und die Apo- theker konnten in einer gemeinsa- men Presseerklärung dieses Ver- halten nur bedauern und noch- mals betonen, daß sie in Anpas- sung an die Regelungen in ande- ren EG-Mitgliedstaaten zumindest eine schrittweise Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes für Arznei- mittel für unerläßlich halten, damit auch der Staat selbst zu einer er- heblichen Reduzierung der Aus- gaben der Krankenversicherung beiträgt.

3358 Heft 51/52 vom 20. Dezember 1979 DEUTSCHES ARZTEBLATT

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Zu diesen Betrachtungen zum Arz- neimittelsektor gehört auch ein klärendes Wort zu dem vom Bun- desausschuß der Ärzte und Kran- kenkassen verabschiedeten Ent- wurf einer sogenannten Negativ- liste.

Entscheidendes Ordnu ngskrite- rium für diese Liste ist nach dem Gesetz der Begriff "geringfügige Gesundheitsstörung". Zur Defini- tion dieses dehnbaren und un- klaren Begriffs fand eine Anhö- rung namhafter Sachverständiger durch den Bundesausschuß statt.

Zu unerem großen Bedauern hat aber auch dieses Unternehmen nicht zu der gewünschten Klärung geführt, so daß nach Hilfskriterien gesucht wurde und das Kriterium der Publikumswerbung in die Dis- kussion kam. Dieses Kriterium aber hielt unserer rechtlichen Prü-

fung, inwieweit damit die gesetzli-

chen Bestimmungen erfüllt wer- den, nicht stand.

~ Wenn ein Arzneimittel nicht zu Lasten der Krankenkassen verord- net werden darf, weil es publi- kumsumworben ist, ein identi- sches Arzneimittel aber auf Kran- kenkassenkasten verordnet wer- den kann, nur weil dafür keine Laienwerbung betrieben wird, so ist die Entscheidung darüber, ob die Leistungspflicht der Kranken- kasse gegeben ist oder nicht, kei- neswegs dem Kriterium "geringfü- gige Gesundheitsstörung" zuzu- ordnen.

Wir haben demzufolge wegen gra- vierender Rechtsbedenken, aber auch aus medizinischen und Ko- stengründen eine solche Negativ- liste verworfen.

e

Die Entscheidung über das ln- krafttreten dieser für die Versi- cherten wie die Kassenärzte glei- chermaßen wichtigen Bestimmun- gen trifft nunmehr nach dem Ge- setz allein der Bundesarbeitsmini- ster. Es wird abzuwarten sein, ob er sich über unsere Ablehnungs- gründe und die zahlreichen Rechtsklagen pharmazeutischer Firmen hinwegsetzt und eine frag-

liehe Kostendämpfung einer tat- sächlichen Arzneikostensenkung durch eine wirksame Selbstbeteili- gung beziehungsweise eine dies- bezügliche Mehrwertsteuerredu- zierung vorzieht.

Natürlich sind die dargestellten Arzneimittelprobleme und ihre sachgerechte Lösung ein wichti- ges Detail zur Erhaltung des ho-

Dr. Hans Wolf Muschallik bei seinem Referat vor der Vertreterversammlung am 8. Dezember, das auf diesen Seiten im Wortlaut dokumentiert ist

hen Leistungsstandards der am- bulanten kassenärztlichen Versor- gung und zu einer Kostenbalance im Gesundheitswesen.

• Mit Sicherheit problematischer werden sich aber die Auswirkun- gen des Anwachsans der Zahl der Ärzte weit über einen bis zum Jah- re 2000 vorausgeschätzten Bedarf auf die Erhaltung einer zweckmä- ßigen, modernen und qualitativ hochstehenden ambulanten ärztli- chen Versorgung und ihre Finan- zierbarkeit auswirken. Mit den da- mit zusammenhängenden viel- schichtigen Problemen ist nach meiner Überzeugung eine ent- scheidende Bewährungsprobe verbunden, die Gesetzgeber,

Muschallik: Bericht zur Lage

Krankenkassen und Ärzte im nächsten Jahrzehnt gemeinsam werden bestehen müssen.

Auch wenn man weiß, daß die zu erwartende Arztzahlentwicklung aufgrund der Altersstruktur der Kassenärzte gemildert wird, wenn man berücksichtigt, daß speziell ländliche Gebiete und Stadtrand- bereiche noch ein sinnvolles und notwendiges Aufnahmepotential darstellen, und wenn man die Möglichkeit der Unterbringung von Ärzten im öffentlichen Ge- sundheitsdienst und im Rahmen der betriebsärztlichen Versorgung hinzunimmt, bleibt dennoch die berechtigte Sorge, daß Mitte der achtziger Jahre ein deutlicher Ärz- teüberschuß resultiert.

I

Unerläßlich:

Zweijährige Vorbereitung vor Kassenzulassung Diese mögliche Entwicklung allein würde aber noch kein unlösbares Problem darstellen, käme nicht die Tatsache hinzu, daß die Quali- fikation des deutschen Arztes we- gen nicht ausreichend gegebener Ausbildungsmöglichkeiten zur Zeit zumindest nicht derart ist, daß diese Kollegen in der Lage wären, alleinverantwortlich als Kassen- arzt tätig zu werden.

Diese so hinreichend bekannten, bereits auf dem letzten Ärztetag kontrovers diskutierten Zusam- menhänge will ich im Rahmen meines Berichtes nicht detailliert ansprechen; eines betone ich aber mit Nachdruck an die Adresse von Gesetzgeber und Regierung:

e

Eine zumindest vorübergehen- de Verpflichtung eines Arztes zur Ableistung einer zweijährigen Vor- bereitungszeit vor Kassenzulas- sung ist unerläßlich, um den der- zeitig hohen Standard der ambu- lanten kassenärztlichen Versor- gung in Deutschland aufrechtzu- erhalten.

Diese Problematik beschäftigt seit längerer Zeit auch die Konzertierte

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 51/52 vom 20. Dezember 1979 3359

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Aktion im Gesundheitswesen und war auf der vor wenigen Ta- gen durchgeführten Herbstsitzung wiederum ein Kernpunkt der Bera- tungen.

Einmütig waren alle Beteiligten, zu denen neben den Spitzenver- bänden der Krankenversicherung und acht Repräsentanten der Ärz- teschaft einschließlich der frei- en Verbände die Sozialpartner, die deutsche Krankenhausgesell- schaft, die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände und die Gesundheitsminister der Länder gehören, in der Empfeh- lung: Zur Erhaltung der Qualität der ambulanten kassenärztlichen Versorgung soll bis zur Verab- schiedung einer neuen Approba- tionsordnung vorübergehend eine zweijährige Vorbereitungszeit vor Kassenzulassung eingeführt wer- den. Zu den innerdeutschen und europarechtlichen Bedenken bei einem solchen Vorgehen verweise ich auf die in der letzten Vertreter- versammlung von unserem Juri- sten Dr. Bösche gemachten Aus- führungen und seine diesbezügli- chen Darstellungen im DEUT- SCHEN ÄRZTEBLATT (Heft 21/

1978, Seiten 1430 bis 1434).

Eine gewisse Zuversicht, daß ei- ne Regelung in dem für erforder- lich gehaltenen Sinne zustande kommt, kann man aufgrund der vom Bundesarbeitsminister vor der Konzertierten Aktion abgege- benen Erklärung heute haben. Die Bundesregierung wird demnach bei der Kommission der Europäi- schen Gemeinschaften in Brüssel eine Ausnahmegenehmigung der Mitte 1980 in Kraft tretenden Be- stimmung über den Fortfall ei- ner Vorbereitungszeit beantragen.

Trotz mancher dennoch verblei- benden Skepsis bestärkt mich in einer zuversichtlichen Prognose die unter Hinweis auf das Gewicht der Bundesrepublik im Rahmen der EG vom Bundesarbeitsmini- ster vertretene feste Haltung. Ich leite aus alldem ab, daß die Bun- desregierung bereit ist, sich der von ihr geforderten politischen Entscheidung zu stellen.

Ich betone aber an dieser Stelle mit Nachdruck, daß die Wiederein- führung einer zweijährigen Vorbe- reitungszeit ein nationales Pro- blem ist. Wenn andere EG-Länder aus ähnlichen Problemstellungen heraus durch nationale Gesetzge- bung — wie zum Beispiel jüngst in Frankreich — eine Pflichtweiterbil- dung und besondere Qualifika- tionsanforderungen für die Tätig- keit in der gesetzlichen Kranken- versicherung einführen, muß glei- ches auch für die Bundesrepublik rechtlich möglich sein. Wir sehen daher die angestrebte Zustim- mung der EG-Kommission zu ei- ner Änderung der Zulassungsord- nung nicht als eine „conditio sine qua non" für die von uns geforder- te Regelung. Die nicht nur in die- sem Bereich festzustellende Treue der Bundesrepublik zu Europa darf nicht zur Selbstaufgabe un- verzichtbarer Grundsätze für die Qualität der ärztlichen Versorgung unserer Bevölkerung führen!

Der im Zusammenhang mit die- ser Problematik von mancher ärzt- lichen Seite gegebene Hinweis, daß eine Entscheidung deshalb nicht so dränge, weil ja erst 1984 mit zirka 12 000 frisch approbier- ten Ärzten zu rechnen sei, ist aus meiner Sicht fast defätistisch. Ein- mal wird wahrscheinlich in Erwar- tung einer Zwei-Jahre-Bestim- mung eher ein beschleunigter Wechsel von heute noch im Kran- kenhaus tätigen Ärzten in die Pra- xis erfolgen, und zum anderen be- darf die Einführung der geplanten Maßnahmen, die auch die Zustim- mung von Bundestag und Bun- desrat erfordern, einer geraumen Zeit, so daß ich es nicht für vertret- bar halte, in dieser für die soziale Krankenversicherung entschei- denden Frage auch nur den An- schein zu erwecken, als ob man die Hände in den Schoß legen könne.

Die weitere Behandlung gerade dieser wiederholten Empfehlun- gen der Konzertierten Aktion ist in meinen Augen für uns Kassenärz- te und für den Erhalt des Systems der deutschen sozialen Kranken-

versicherung der wichtigste Grad- messer dafür, inwieweit die Bun- desregierung nicht nur dieses Pro- blem, sondern auch die Konzer- tierte Aktion im Gesundheitswe- sen ernst nimmt. Es bedarf einer schnellen und eindeutigen politi- schen Entscheidung. Und dies be- deutet in einem ersten Schritt: die vorübergehende Einführung einer Vorbereitungszeit von zwei Jah- ren als Assistent im Krankenhaus und in freier Praxis als Vorausset- zung für die Zulassung als Kassen- arzt!

Mit den hier wegen ihrer gro- ßen Bedeutung noch einmal dar- gelegten, als unerläßlich für den Erwerb praktischer Berufserfah- rung angesehenen Maßnahmen kann nicht zuletzt auch die Funk- tion des Hausarztes gestärkt und damit ein weiterer wesentlicher Schritt in Richtung Sicherung der Qualität der ambulanten ärztli- chen Versorgung und ihrer Finan- zierbarkeit getan werden.

II

Primäre Prävention in der gesetzlichen Krankenversicherung Lassen Sie mich an dieser Stelle ein offenes Wort zu der in unse- rem Lande kontrovers geführten Diskussion zum Allgemeinarzt sagen:

Der Arzt für Allgemeinmedizin mit der ihm vor allem zufallenden Hausarztfunktion entspricht nicht nur dem heutigen Sozialempfin- den, sondern er hat darüber hin- aus eine wichtige Aufgabe im Zu- sammenhang mit der notwendi- gen Kostenbalance zu erfüllen.

Die Probleme der Arztzahlentwick- lung, der Qualität der ambulanten kassenärztlichen Versorgung und der Bezahlbarkeit der Anwendung moderner medizinischer Erkennt- nisse können nach meiner Über- zeugung dann erfolgreich und harmonisch gelöst werden, wenn es gelingt, speziell weitergebildete Allgemeinärzte als Hausärzte in ausreichender Zahl in unser Sy- stem zu integrieren.

3360 Heft 51/52 vom 20. Dezember 1979 DEUTSCHES ARZTEBLATT

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Unentbehrlich auch hier für Meinungsbildung und Entscheidungstindung der Mit- glieder der KBV-Vertreterversammlung - Papiere, Papiere

~ Wenn der Hausarzt wieder als persönlicher Berater in medizini- schen. sozialen. rehabilitativen.

psychosomatischen und Gesund- heitsvorsorgefragen auf der Basis eines persönlichen Vertrauensver- hältnisses in kontinuierlichem Kontakt den Patienten berät und führt, wird es nach meiner Über- zeugung auch gelingen, die Ge- sundheitspolitik der achtziger Jah- re ohne kollektivistische System- änderung weiterzuentwickeln.

~ ln einem Zeitalter, das mit sei- nen rasant fortschreitenden medi- zinischen Erkenntnissen und me- dizin-technischen Möglichkeiten nicht nur eine Kostendisziplin er- zwingt, sondern auch den Schutz des Menschen vor den Gefah- ren einerungesteuerten und letzt- lich unmenschlichen Anwendung dieser Möglichkeiten notwendig macht, fällt dem Allgemeinarzt in meinen Augen eine entscheidende koordinierende Grundfunktion zu.

• Läßt sich eine solche Entwick- lung, von uns gemeinsam getra- gen, durchsetzen und auf den Weg bringen- und bei gegebener Kompromißbereitschaft aller Be- teiligten halte ich dies für möglich -, dann werden sich auch andere Gefahren für die Erhaltung unse-

rer sozialen Krankenversicherung und die in ihr wirkenden freiprakti- zierenden Kassenärzte in sachge- rechtere Bahnen lenken lassen.

Ich apostrophiere in diesem Zu- sammenhang als partes pro toto:

integriertes Gesundheitswesen, Einheitskrankenkasse, Plastikkar- te als Ersatz des Krankenscheines, Datenspeicherung patientenbezo- gener Angaben sowie die brisan- ten Struktur- und Wettbewerbs- probleme der Ortskrankenkas- sen.

ln diesem Zusammenhang gewin- nen die auf der diesjährigen Herbstsitzung der Konzertierten Aktion unter dem Stichwort "Ge- sundheitsvorsorge in der gesetzli- chen Krankenversicherung" dis- kutierten Überlegungen besonde- re Bedeutung.

Zu dieser Problematik lagen Text- vorschläge der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundes- vereinigung vor, aber auch solche der Gesundheitsministerkonfe- renz und der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbän- de.

Von meiner Seite wurden zu unse- ren Empfehlungen ausführliche

Muschallik: Bericht zur Lage

einleitende Darstellungen gege- ben, die neben einer nüchternen Bestandsaufnahme die Konzep- tion zur Einführung einer primä- ren Prävention und ihrer prakti- schen Umsetzbarkeit zum Ziele hatten. Neben der Feststellung, daß sich solche Maßnahmen zur Erhaltung der Gesundheit nur dann als sinnvoll erweisen kön- nen, wenn sie sich an gesicherten wissenschaftlichen Maßstäben orientieren, habe ich betont, daß es zur Beeinflussung des individu- ellen Gesundheitsverhaltens maß- geblich sowohl der persönlichen Beratung des Versicherten durch den Arzt seiner Wahl als auch der sinnvollen Zusammenarbeit aller für die Prävention Verantwortli- chen bedarf, wobei von der sozia- len Krankenversicherung auch in finanzieller Hinsicht verstärkt Auf- gaben zu erfüllen sein werden.

Zu der Übernahme entsprechen- der diesbezüglicher Aufgaben durch die Kassenärzte besteht die Bereitschaft. Eine solche Aufgabe ist für die Ärzte ja kein Neuland, sondern ein seit der Antike aner- kanntes, nach dem Stand des jeweiligen Wissens befolgtes Grundprinzip. Prävention im Sin- ne der Krankheitsverhütung oder der Frühintervention gehört des- halb neben der kurativen und re- habilitativen Medizin zu einem fe- sten Bestandteil moderner und zeitgemäßer Gesundheitssiche- rung.

Allerdings haben all diese Bemü- hungen die Betonung einer Kern- frage zur Voraussetzung:

8 Wenn Gesundheit mit an der Spitze des Wünschenswerten un- serer Bürger steht und vom Arzt erwartet wird, daß er sich nicht nur um die Wiederherstellung der Ge- sundheit, sondern gleichermaßen um ihre Erhaltung und Förderung bis ins hohe Alter hinein bemüht, dann muß auch der einzelne Bür- ger das Seine dazu beitragen, krankmachende Faktoren nicht nur im Vorstellungsbereich, son- dern auch in der alltäglichen Le- bensführung frühzeitig zu erken-

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 51/52 vom 20. Dezember 1979 3361

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nen und auszuschalten. Dies be- deutet Verhütung von Krankheit auch durch den Betroffenen selbst.

Ohne die Bedeutung gesundheits- gerechter Lebens- und Arbeits- bedingungen zu unterschätzen, hängt für mich die Verwirklichung der Qualität Gesundheit vorrangig davon ab, ob und inwieweit das Stabilitäts- und leistungsbewah- rende Strukturprinzip unseres frei- heitlichen und fortschrittlichen Gesundheitssystems die Verant- wortung des Individuums betont und grundsätzlich vor die des Staates stellt. ln diesem Zusam- menhang habe ich darauf hinge- wiesen, daß man auch nicht davon ausgehen darf, daß Gesundheit nur der zu verteidigen habe, der frei von jeglicher Krankheit sei.

Ein solcher Ansatz verkennt, daß nahezu jeder erwachsene Mensch einen oder mehrere Zustände auf- weist. die medizinisch als Krank- heit benennbar sind. Gesundheit ist demgemäß das, was ein Mensch je nach Lebensalter, Schicksal. Lebensführung und leib-seelischer Konstitution zum jeweiligen Zeitpunkt an verbliebe- nen körperlichen und psychischen Fähigkeiten zu einer positiven Le- bensentfaltung besitzt. ln diesem Sinne sind vom Arzt und speziell dem Kassenarzt gesundheitsbera- tende und präventive Aufgaben entscheidender Art zu erfüllen.

Ich habe der Darstellung der Pro- bleme zur Einführung einer primä- ren Prävention in der gesetzlichen Krankenversicherung einen so breiten Raum gewidmet, weil ich davon überzeugt bin, daß mit der Umsetzung eines solchen Vorha- bens eine sinnvolle und aktive Ge- sundheitspolitik im Interesse un- serer Bürger verfolgt wird, die Intentionen zur Kostendisziplin nachhaltig unterstützt werden und auch die zentrale Position des Arz- tes im Rahmen unserer geglieder- ten sozialen Krankenversicherung gestärkt und gefestigt wird. Im Sinne meiner Darlegungen und auf der Basis einer dementspre- chend von der Konzertierten Ak-

tion gefaßten Empfehlung wird im Jahr 1980 ein erster Modellver- such angestrebt, an dem sich, wie ich zuversichtlich annehme, alle Kassenarten beteiligen werden.

I

Zusammenstehen, um die Gefahren von außen gemeinsam zu meistern!

Fasse ich die bisherigen Gedan- ken zu den Chancen und Gefahren einer Gesundheitspolitik der acht- ziger Jahre zusammen, dann tue ich dies trotz der vielfachen gro- ßen Probleme mit Optimismus.

0

Die Qualität und die Einsatzbe- reitschaft der heute tätigen Kas- senärzte ist gut und erfolgreich gewesen, ihre Einsicht und ihr Wil- le zu einem sachgerechten Lö- sungsbeitrag bei der Weiterent- wicklung eines modernen und in- dividuellen Gesundheitswesens in einer sich ändernden Welt ist vor- handen.

0

Auch in den achtziger Jahren wird nach meiner Überzeugung der deutsche freipraktizierende Kassenarzt in einem freiheitlichen System einer sozialen Krankenver- sicherung seine bisherige Stel- lung und sein Ansehen behalten.

Voraussetzung ist allerdings die politische Entscheidung zur Arzt- zahlentwicklung in dem darge- stellten Sinne ebenso wie die kas- senärztliche Einsicht, daß es auch in den kommenden Jahren aus ei- gener Initiative weiterer Anpas- sungen und Strukturänderungen bedarf.

..,.. Dies betrifft einmal die be- schleunigte Förderung des Allge- meinarztes mit dem Ausbau des Hausarztprinzips unter Betonung des quartalsgebundenen Kranken- scheins.

..,.. Zweitens wird vom Kassenarzt im Rahmen einer aktiven Gesund- heitspolitik primäre Prävention, an gesicherten wissenschaftlichen Maßstäben orientiert, im Zusam- menhang mit der kurativen Ver- sorgung, der Nachsorge und der

Rehabilitation in verstärktem Ma- ße zu erfüllen sein.

..,.. Drittens muß durch die Zusam- menarbeit aller Arztgruppen die ambulante kassenärztliche Ver- sorgung derart sichergestellt wer- den, daß die Inanspruchnahme des Krankenhauses auch für am- bulante Leistungen auf das unbe- dingt notwendige Maß reduziert werden kann.

..,.. Viertens: Da Rationalisierungs- maßnahmen in Einzelpraxen, of- fenkundig im Laborbereich, nur bedingt durchführbar sind und auch die notwendige und sinnvol- le Nutzung von medizinischen Großgeräten in der ambulanten Versorgung der Kooperation be- darf, muß der Zusammenschluß zu Gruppenpraxen und zu über- sehaubaren Laborgemeinschaften beschleunigt in Angriff genom- men und gefördert werden. Gewiß, gerade dieses von mir ge- zeichnete Bild kann nur ein Bei- trag zur Diskussion sein. Sicher ist für mich aber eines:

• Viel Zeit sollte bei der Festle- gung unserer Strategie und der dabei notwendigen Abwägung von gruppenspezifischen Interes- sen nicht verloren werden.

Nachdrücklicher noch als in dem vergangenen Jahrzehnt richte ich den Appell an alle Ärzte, speziell aber an uns Kassenärzte, in nüchterner Abwägung der Realitäten oh- ne Selbstüberschätzung in Kollegialität unsere Einigkeit zu bewahren.

Wir werden die Chancen zum Erhalt unserergegliederten so- zialen Krankenversicherung und zur Bewahrung der Freibe- ruflichkeil des Arztes nur dann erfolgreich nutzen, wenn jun- ge und alte Arztgeneration in Beachtung ihrer gegenseiti- gen Verantwortung offen und fair zusammenstehen, um die Gefahren von außen gemein- sam zu meistern.

0

3362 Heft 51/52 vom 20. Dezember 1979 DEUTSCHES ARZTEBLATT

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