• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Aufgabe für die achtziger Jahre: Durch wirksame Selbstbeteiligung die Eigenverantwortung stärken" (24.05.1979)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Aufgabe für die achtziger Jahre: Durch wirksame Selbstbeteiligung die Eigenverantwortung stärken" (24.05.1979)"

Copied!
6
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Die heutige Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesver- einigung hat sich — fast zwei Jahre nach Inkrafttreten des Kranken- versicherungs-Kostendämpfungs- gesetzes und zweieinhalb Jahre nach Inkrafttreten des Kranken-

versicheru ngs-Weiterentwick- lungsgesetzes — mit so vielen durch diese Gesetze beeinflußten Problemen zu befassen, daß es nicht sinnvoll erscheint, auf alle Fragen in einem Übersichtsreferat einzugehen.

• Inhalt und Konsequenzen aus der jüngsten Empfehlung der Kon- zertierten Aktion zur Weiterent- wicklung der Gesamtvergütung;

• die für das kassenärztliche Wir- ken so bedeutenden Entscheidun- gen über Arzneimittelverordnun- gen unter dem Einfluß eines Arz- neimittelhöchstbetrages;

• der heillose Wirrwarr, den das Gesetz mit dem, wie ich meine, unpraktikablen Transparenz-, Ver- gleichs- und Negativlisten-Feti- schismus geschaffen hat;

• die Auswirkungen der Geset- zesvorschriften über die ärztliche Bedarfsplanung

• und speziell die auf dem mor- gen beginnenden 82. Deutschen Ärztetag anstehende Problematik der Ausbildung der Ärzte, ihrer Qualifikation und ihrer zahlenmä- ßigen Entwicklung;

das sind im Zusammenhang mit der von der Kassenärztlichen Bun-

desvereinigung ergriffenen Initiati- ve zu einer vorübergehenden No- vellierung der Zulassungsordnung Problemkreise, welche von den Delegierten unserer Vertreterver- sammlung systematisch und ge- sondert beraten werden müssen.

Mein Bericht wird sich demgemäß heute quasi einleitend darauf be- schränken, die Ergebnisse der Empfehlungen der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen vom März 1979 noch einmal in ihren Schwerpunkten darzustellen und die damit geschaffene Basis auf ihre längerfristige Tragfähigkeit zu überprüfen.

Die diesjährigen Empfehlungen der Konzertierten Aktion zur Ver- änderung der kassenärztlichen Gesamtvergütung entsprechen in vollem Umfang den im Selbstver- waltungsspielraum von Kranken- kassen und Ärzten durchgeführten Vorarbeiten und den daraus von den Selbstverwaltungsgremien übereinstimmend getroffenen Be- schlüssen.

Die Empfehlungen der Konzertierten Aktion

Danach wurde für den Zeitraum vom 1. Juli 1979 bis 31. Dezember 1980 den Partnern der Gesamtver- träge folgender Modus emp- fohlen:

1. Die vorübergehend nach einem Kopfpauschale errechnete Ge-

samtvergütung wird ab Juli 1979 wieder nach Einzelleistungen be- rechnet.

2. Das bisher von den Kassenärz- ten getragene Morbiditätsrisiko geht uneingeschränkt wieder auf die Krankenkassen über.

3. Für den Zeitraum Juli 1979 bis Juni 1980 wird der bis dahin aus der Kopfpauschalregelung ermit- telte durchschnittliche Punktwert je Kassenart um 3,5 Prozent erhöht.

4. Ausgenommen von der Berech- nung nach Einzelleistungen und der Honoraranhebung bleiben ku- rative Laborleistungen sowie zyto- logische und histologische Lei- stungen. Diese Leistungen werden nach einem Fallpauschale vergü- tet, welches auf der Grundlage der hierfür von den Krankenkassen im Ausgangszeitraum Juli 1978 bis Juni 1979 geleisteten Zahlungen ermittelt wird.

5. Steigt der Fallwert für kurative Leistungen über eine Zuwachsrate von 2 Prozent pro Jahr, wird der Überschreitungsbetrag gekürzt — es sei denn, daß durch die Partner des Gesamtvertrages übereinstim- mend festgestellt wird, daß die Überschreitung

> durch eine Erweiterung des Leistungsumfangs der Kranken- versicherung,

> durch Gesetz, Satzung oder Rechtsprechung,

D durch eine Leistungsverlage- rung aus dem stationären in den ambulanten Bereich

I> oder durch anderweitige, nicht vorhersehbare Tatbestände verursacht wurde.

6. Ab 1. Juli 1980 bis 31. Dezem- ber 1980 erfolgt eine weitere Erhö- hung des Punktwertes um 1,5 Pro- zent. Auch das ermittelte Fall- pauschale für Laborleistungen nimmt an dieser Erhöhung teil. >

Aufgabe für die achtziger Jahre:

Durch wirksame Selbstbeteiligung die Eigenverantwortung stärken

Dr. Hans Wolf Muschallik,

Erster Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung

Referat, gehalten auf der Sitzung der Vertreterversammlung der KBV am 14. Mai 1979 in Nürnberg

(2)

Die Konzertierte Aktion hat diesem Empfehlungsvorschlag von RVO- Krankenkassen und Kassenärztli- cher Bundesvereinigung trotz mancher kritischer Bemerkungen über die Höhe der zu erwartenden finanziellen Auswirkungen zuge- stimmt und damit ausdrücklich die in freier Selbstverwaltung getrof- fenen Regelungen zwischen Kran- kenkassen und Ärzten zum Be- standteil ihrer Empfehlung ge- macht. Gleichermaßen wurde der bereits am 12. Dezember 1978 ge- tätigte Vertragsabschluß zwischen der Kassenärztlichen Bundesver- einigung und den Verbänden der Ersatzkassen über eine lineare An- hebung der Vergütungssätze der E-GO um 4 Prozent zum Bestand- teil der Empfehlung der Konzer- tierten Aktion. Insgesamt hat die Konzertierte Aktion die Zuversicht geäußert, daß die voraussichtliche Entwicklung der Einnahmen der gesetzlichen Krankenversiche- rung bei Aufrechterhaltung der Beitragssatzstabilität ausreichen wird, die Entwicklung der Ausga- ben für die ambulante ärztliche Versorgung zu decken.

Die Konzertierte Aktion hat unter Hinweis auf den Sinn des Geset- zes, den Selbstverwaltungen ein geeignetes Instrumentarium zur Kostendämpfung zur Verfügung zu stellen, die Verpflichtung deut- lich gemacht, bei der Erhöhung der Gesamtvergütungen die auf Grund des erwarteten Anstiegs der durchschnittlichen Grundlohn- summe je Versicherten sich erge- bende wirtschaftliche und finan- zielle Entwicklung der Träger der Krankenversicherung angemes- sen zu berücksichtigen.

Der Bundesarbeitsminister hat un- ter Hinweis auf die für 1981 vorge- sehene Berichtspflicht an Bundes- tag und Bundesrat die Erwartung unterstrichen, daß die erzielten Einigungen zwischen der Kassen- ärztlichen Bundesvereinigung und den Bundesverbänden der Kran- kenkassen einschließlich der Bun- desknappschaft einerseits sowie die vertragliche Regelung zwi- schen den Verbänden der Ersatz-

kassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung andererseits dazu beitragen werden, die weiter- hin notwendige Kostendämpfung im Gesundheitswesen auch in die- sem Vertragszeitraum zu gewähr- leisten. Die gleichen Erwartungs- appelle hat die Konzertierte Aktion an die übrigen Beteiligten — Zahn- ärzte, Pharma-Industrie und Kran- kenhäuser — mit ebensolcher Ein- dringlichkeit gerichtet.

Der Kompromiß sichert System und Niveau

der ambulanten Versorgung Alle an der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen Beteiligten einschließlich der politischen Par- teien und der Aufsichtsbehörde haben die Tatsache begrüßt, daß es auf Grund freier, in Eigenver- antwortung getroffener Entschei- dungen der Selbstverwaltungsgre- mien von Ärzten und Krankenkas- sen der Konzertierten Aktion wie- derum möglich war, einen Kom- promiß zu finden, der sowohl die Chance der Erhaltung der Bei- tragssatzbalance beinhaltet als auch den unterschiedlichen Inter- essen der beteiligten Gruppen an- gemessen Rechnung trägt. Einen Kompromiß, der die Garantie dafür bietet, daß weder das System un- serer sozialen Krankenversiche- rung noch der hohe Stand der am- bulanten ärztlichen Versorgung grundsätzlich gefährdet werden.

Analysiert man die sich heute auf Grund dieser Entscheidungen er- gebende Situation, speziell aus der Sicht des Kassenarztes, dann läßt sich feststellen, daß es grund- sätzlich gelungen ist — im Rahmen eines von mir nach wie vor als un- nötig empfundenen Gesetzes —, in einer gesamtwirtschaftlich und so- zialpolitisch so stürmischen Zeit 1. die wirtschaftliche Situation des einzelnen Kassenarztes trotz einer steigenden Zahl der Kassen- ärzte weitgehend abzusichern, 2. die Rechtsstellung des freibe- ruflich tätigen Kassenarztes zu er- halten,

Dr. Hans Wolf Muschallik hielt das (hier im Wortlaut wiedergegebene) einleiten- de Referat bei der Vertreterversamm- lung der Kassenärztlichen Bundesver- einigung am 14. Mai 1979 in Nürnberg, Thema: Inhalt und Konsequenzen aus der jüngsten Empfehlung der „Konzer- tierten Aktion" zur Weiterentwicklung der kassenärztlichen Gesamtvergütung

3. das System unserer freiheitli- chen sozialen Krankenversiche- rung weitgehend von Dirigismus freizuhalten und

4. den Entscheidungsspielraum der Selbstverwaltungen von Kran- kenkassen und Ärzten uneinge- schränkt zu wahren!

Dadurch, daß die Konzertierte Ak- tion im Gesundheitswesen unter Vorsitz des Bundesarbeitsmini- sters die von der Selbstverwaltung der Ärzte und Krankenkassen zu- vor ausgehandelten Verträge in ih- re Empfehlung aufgenommen hat, sind auch für die Zukunft maßge- bende Interpretationen des Ko- stendämpfungsgesetzes erfolgt:

• Die Möglichkeit, zwischen den Partnern der Gesamtverträge und des Arzt/ E rsatzkassen-Ve rtrag es unterschiedliche Vergütungsver- einbarungen abzuschließen, ist die eine.

• Die zweite ist die Möglichkeit, daß die Vertragsdauer auch Zeit- räume, unabhängig vom Jahres-

(3)

Über die für das kassenärztliche Wirken so bedeutenden Entscheidungen über Arzneimittelverordnungen unter dem Einfluß eines „Arzneimittelhöchstbetrages", insbesondere auch über den „gesetzlichen Wirrwarr" von Transparenz-, Vergleichs- und Negativlisten, referierte Dr. Eckart Fiedler (Bild links) (Wortlaut ab Seite 1423). — Die Notwendigkeit einer dringlichen vorübergehenden Novellierung der Zulassungsordnung begründete Dr. Jürgen W. Bösche (Bild Mitte) in seinem Referat (Wortlaut ab Seite 1430). Dr. Josef Schmitz-Formes (Bild rechts) hielt ein Referat über den Stand der „Bedarfsplanung" in der kassenärztlichen Versorgung (der Wortlaut kann aus technischen Gründen erst im nächsten Heft wiedergegeben werden)

rhythmus der Konzertierten Ak- tion, umfassen kann.

• Und drittens ist klargestellt, daß die Vereinbarung einer Gesamt- vergütung nach Einzelleistungen ohne fixierte Obergrenze für die Gesamtausgaben der Krankenkas- sen durch die Bestimmungen des KVKG nicht ausgeschlossen ist.

Die Tatsache, daß nach der jetzt vorliegenden Empfehlungsverein- barung die Berechnung der Ge- samtvergütungen nach Einzellei- stungen erfolgt, und vor allem die Tatsache, daß das Morbiditätsrisi- ko — ausgedrückt in der Zahl der Original-, Überweisungs- und Not- fälle — voll zu Lasten der Kranken- versicherungsträger geht, ist nach meiner Überzeugung von ganz entscheidender Bedeutung.

Damit ist ein — von manchen nicht mehr erhoffter — großer Schritt in Richtung auf Wiedereinführung einer uneingeschränkten Einzel- leistungsvergütung getan.

Allerdings — und darüber hat we- der im Vorstand noch im Länder-

ausschuß je ein Meinungsdissens bestanden —, die jetzt vorliegende Vereinbarung hat dieses Ziel noch nicht ganz erreicht. Angesichts des vereinbarten Fallpauschales für Laborleistungen und der Fall- wertobergrenze stellt die heutige Vereinbarung eine Verbindung mehrerer gesetzlich möglichen Berechnungsarten dar. Dies ist nie bestritten oder von offizieller Seite anders dargestellt worden, und ich halte es für müßig, über diese Fra- ge zu streiten.

Sachkritik

in der Ärzteschaft

Die im Bereich der innerärztlichen Diskussion bisher bekanntgewor- denen sachkritischen Anmerkun- gen, denen man sich natürlich stellen muß, bezogen sich im we- sentlichen darauf, daß

1. eine Fallwertsteigerung über 2 Prozent nur unter besonderen und von Krankenkassen und Ärzten gemeinsam festzustellenden Tat- beständen erfolgen kann;

2. ein Fallpauschale für kurative Laborleistungen vereinbart wurde;

3. die Laufzeit des Vertrages eine Spanne von eineinhalb Jahren vorsieht.

Daß von manchen — speziell den nicht direkt an den Verhandlungen verantwortlich Beteiligten —, von diesen Details abgesehen, das ökonomische Gesamtergebnis in Anbetracht des von den Kassen- ärzten schon seit geraumer Zeit geleisteten Beitrages zur Kosten- dämpfung und der für sie damit verbundenen Einschränkung des Realeinkommens als nicht ausrei- chend betrachtet wurde, konnte kaum überraschen.

Hierzu betone ich zur Vermeidung von Mißverständnissen aber mit Nachdruck, daß die heute vorlie- genden Verhandlungsergebnisse den äußersten noch erreichbaren Kompromiß darstellen. Dies gilt für alle Teile der Vereinbarung. Ohne verlängerte Laufzeit, ohne Verein- barung des Begrenzungsdatums für die Fallwertentwicklung und

(4)

ohne Fallpauschalierung im Labor waren die vereinbarten Prozent- sätze für die Anhebung des Punkt- wertes nicht zu erreichen. Die Ver- treter der RVO-Krankenkassen waren auch nicht bereit, für das gesamte Leistungsspektrum der ambulanten kassenärztlichen Ver- sorgung die Berechnung der Ge- samtvergütung nach einem Fall- pauschale zu vereinbaren. Gemäß ihrer früheren Zusage strebten auch sie eine Rückkehr zur Einzel- leistungsvergütung an.

Wie sieht das mögliche ökonomi- sche Gesamtergebnis, das nun in den Ländern in Gesamtverträge umgesetzt werden muß, aus?

Angesichts einer Honorarsteige- rung für ärztliche Leistungen um 3,5 Prozent, eines sich hinzuad- dierenden möglichen Fallwertan- stiegs von 2 Prozent und einer zu erwartenden Morbiditätssteige- rung um 1,5 Prozent werden sich die Gesamtzahlungen der Kran- kenkassen zumindest so entwik- keln, daß trotz eines neuerlichen Inflationsschubes und trotz des zu erwartenden Anwachsens der Zahl der Kassenärzte wenigstens ein weiteres Absinken des durch- schnittlichen Realeinkommens je Kassenarzt ausgeschlossen wer- den kann.

Dennoch, man kann sich natürlich immer höhere Prozentsätze und günstigere Modalitäten bei der Er- rechnung der Gesamtvergütung vorstellen; nur: erreichbar sind solche Ergebnisse ohne gravie- rende Einbrüche in die freiheitli- che kassenärztliche Tätigkeit zur Zeit nicht.

Das vorliegende Ergebnis versteht sich keineswegs von selbst. Es ist in dem Bestreben nach partner- schaftlichem Zusammenwirken von Krankenkassen und Ärzten nicht ohne guten Willen, nicht oh- ne Einsatz und Leistung von allen Beteiligten zustande gekommen.

Man muß aus der Geschichte lernen

In diesem Zusammenhang unter- streiche ich meine Zuversicht in

die verantwortliche Arbeit des Kassenarztes und seine Erkennt- nis, daß bei Veranlassung und Er- bringung diagnostischer und the- rapeutischer Maßnahmen weiter- hin das Gebot der Wirtschaftlich- keit und Notwendigkeit zu beach- ten ist. Unter ausdrücklichem Be- zug auf die von den Bundesver- bänden der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesver- einigung gemeinsam getroffene Vereinbarung appelliere ich — wie die Krankenkassen an ihre Versi- cherten — an alle Kassenärzte, im Interesse der Aufrechterhaltung des derzeitigen freiheitlichen Sy- stems der sozialen Krankenversi- cherung sich der weiterhin not- wendigen Sparsamkeit bewußt zu sein.

• Wer wissen will, was ist, muß wissen, was war.

Blättert man in der Geschichte der sozialen Krankenversicherung, dann muß man angesichts der der- zeitigen so angespannten Gesamt- wirtschaftslage die heute gefunde- ne Kompromißform der Errech- nung der Gesamtvergütung als ei- nen Fortschritt in der Entwicklung angemessener, den Belangen bei- der Seiten gerecht werdender Ver- gütungsformen ansehen.

Die gesetzliche Einführung einer von den Krankenkassen an die KVen zur Abgeltung der kassen- ärztlichen Versorgung zu zahlen- den Gesamtvergütung geht be- kanntlich zurück auf die wirt- schaftliche Krise Anfang der drei- ßiger Jahre, in der die Krankenkas- sen in eine solche finanzielle Not- lage geraten waren, daß eine Sen- kung ihrer Ausgaben speziell auch für ärztliche Leistungen erstrebt wurde. Damals gaben die Ärzte die schon teilweise erreichte Honorie- rung nach Einzelleistungen zu- gunsten einer pauschalen Abgel- tung auf, und in der Notverord- nung vom Dezember 1931 wurde das sogenannte Kopfpauschale als einziges gesetzlich zugelasse- nes Zahlungssystem eingeführt.

Sämtliche kassenärztlichen Lei- stungen wurden demgemäß pau-

schal abgegolten, und das Morbi- ditätsrisiko wurde allein auf die Kassenärzte verlagert.

Diese Einschränkung wurde erst wieder durch das Gesetz über das Kassenarztrecht von 1955 insofern aufgehoben, als neben der Be- rechnungsmöglichkeit der Ge- samtvergütung nach einem Kopf- pauschale als Regelform alternativ auch eine solche nach einem Fallpauschale, nach Einzelleistun- gen oder nach einem System ver- einbart werden konnte, das sich aus der Verbindung mehrerer Be- rechnungsarten ergab.

Diese Möglichkeiten zur Errech- nung der Gesamtvergütung sind jetzt gleichberechtigt nebeneinan- der auch Bestandteil des KVKG, ohne daß darin in einer rechts- staatlich relevanten Form die Wei- sung zur Vereinbarung von Ober- grenzen enthalten ist.

Langfristig nach wie vor finanzieller Druck .

Dennoch, niemand kann verken- nen, daß die Finanzlage der ge- setzlichen Krankenversicherung nach wie vor prekär ist und die gesetzlich vorgeschriebene Ver- pflichtung der angemessenen Be- rücksichtigung wirtschaftlicher Daten zur Zeit nur enge Wachs- tumsspielräume zuläßt. Die politi- sche Brisanz eines Nachhinkens der Kostendeckung hinter der Ko- stenentwicklung in den Kernberei- chen der sozialen Sicherung — Rentenversicherung und Kranken- versicherung — ist unbestreitbar und erfordert von allen Beteiligten Rücksichtnahme, Augenmaß und äußerste Verantwortung. In die- sem Zusammenhang möchte ich auch mit aller Deutlichkeit davor warnen, in der Abwälzung des Morbiditätsrisikos auf die Kran- kenkassen ein Signal für eine hori- zontale oder vertikale Diversifika- tion zu sehen. Mit ebensolcher Dringlichkeit möchte ich alle Be- teiligten davor warnen, die Er- kenntnis einer unverändert not-

(5)

wendigen Kostendämpfung im Gesundheitswesen zu verdrängen.

Die längerfristige Tragfähigkeit der jetzt in freier Entscheidung er- reichten Selbstverwaltungsverein- barungen müßte zu Bruch gehen, wenn auch nur bei einem an unse- rem Gesundheitssicherungssy- stem Beteiligten die Bemühungen zur Sparsamkeit nachlassen würden.

Gerät die bisher erreichte Kosten- balance in unserem Gesundheits- wesen ins Wanken, kommt die bis- herige Beitragssatzstabilität der Krankenkassen in einen unvertret- baren Aufwärtstrend, dann kann sich sehr schnell die heute er- reichte Stabilisierung der ökono- mischen Situation des Kassenarz- tes und speziell die durch unser Handeln erreichte Harmonisierung bei der Anwendung des KVKG als ein Trojanisches Pferd erweisen.

... und weiterhin

ideologische Zielsetzungen Wenn man sich von der aktuellen Honorarpolitik löst und vorauspla- nend unsere Zielsetzungen für die nächsten Jahre überdenkt, dann muß man sich immer wieder auf einer grundsätzlichen Ebene Ge- danken über das Wohin der sozia- len Krankenversicherung und da- mit über die Rechtsstellung des freipraktizierenden Kassenarztes in diesem System machen.

• Man darf trotz einer scheinbar möglichen Ruhe in den vor uns liegenden eineinhalb Jahren we- der vergessen, daß es unverändert starke Kräfte gibt, welche die be- währten Sicherungsstrukturen aus ideologischen Überlegungen be- seitigen wollen, noch darf man übersehen, daß für den Fall zuneh- mender Defizite in den Haushalten speziell der Renten- und der Kran- kenversicherung die Wahrschein- lichkeit eines Allparteiengesetzes mit noch stärkerer Einführung staatlicher Bevormundung in die- sen Bereichen reale Erfolgschan- cen haben würde.

Man darf auch nicht vergessen, daß zunächst wohl nur mit Rück- sicht auf den anstehenden Bun- destagswahlkampf bei der Diskus- sion um unser soziales Siche- rungssystem Vokabeln wie „De- mokratischer Zentralismus" oder

„Ökonomisierung und Verrechtli- chung" im Augenblick weniger häufig zu hören sind.

Dennoch darf man die sich perma- nent und zielstrebig in Deutsch- land, wenn auch in kleinen Schrit- ten abspielenden Veränderungen nicht übersehen, und mir will scheinen, daß angesichts des europäischen Trends in Richtung auf eine sozialistischere Gesell- schaft auch wir Ärzte eine neue Verantwortung im politischen Ge- schehen zu tragen haben. Wir müssen uns aktiver als bisher mit Politik beschäftigen und dabei im Interesse von Patient und Arzt da- für eintreten, ein modernes Ge- sundheitswesen in ein angemes- senes Verhältnis zur Bewahrung von Humanität und allgemeiner Freiheit zu setzen.

Wir müssen die Öffentlichkeit und unsere Politiker davon überzeu- gen, daß es ein Irrglaube ist, menschliche Beziehungen in ge- sunden und kranken Tagen durch technische Superbürokratien und austauschbare Datenstrukturen organisieren zu wollen.

Alle Beteiligten — und damit meine ich den Bürger, den Politiker, die Krankenkassen und die Kassen- ärzte — sollten aus Theorie und Praxis lernend, berücksichtigen, daß solche Zielsetzungen letztlich zu einer Entmündigung der Be- troffenen führen und daß sie nicht eine allgemeine Kostensenkung im Gesundheitswesen bewirken, sondern im Gegenteil eine Teue- rungsschraube ohne Ende dar- stellen.

Man sollte auf die vielfach vorlie- genden Stellungnahmen der So- zialökonomen hören und erken- nen, was die Befürworter einer umfassenden Einheitsversiche- rung offenbar nicht einsehen wol- len, daß es nämlich kein besseres,

weil selbsttätig wirkendes Instru- ment zur Leistungssteigerung, zur Rationalisierung und zur Kosten- balance gibt als den Wettbewerb.

Man sollte erkennen, daß ein plu- ralistisches System neben dem Vorteil des großen Freiheitsgrades auch den der höheren ökonomi- schen Rationalität bietet.

Solche Erkenntnisse müssen nach meiner Überzeugung in den acht- ziger Jahren wieder grundsätzli- che Beachtung finden, wenn man die in der ganzen Welt gelobte deutsche soziale Krankenversi- cherung finanzierbar erhalten will.

Dazu gehört auch die Bereitschaft zur Überprüfung der Frage, ob nicht eine Differenzierung des Lei- stungsumfangs mit einer Staffe- lung der Beiträge nach der finan- ziellen Leistungsfähigkeit des ein- zelnen Mitglieds möglich ist.

Die Eigenverantwortung des Versicherten stärken Ich weiß, daß die Diskussion sol- cher Fragen zur Zeit nicht der poli- tischen Wirklichkeit entspricht.

Dennoch wird man bei sachver- ständiger und verantwortungsvol- ler Betrachtung nicht übersehen können, daß das in der deutschen sozialen Krankenversicherung er- reichte Sicherungsmaß teilweise die „Risiken" selbst provozieren kann, die abzufangen es einge- richtet wurde. Hierin liegt ganz si- cher eine mögliche Ursache für permanente Kostenexpansionen im Gesundheitswesen.

Wenn schon als Gegenmaßnahme eine sich hierfür anbietende um- fassende Selbstbeteiligung poli- tisch zur Zeit nicht durchsetzbar ist, dann wäre zumindest die Frage zu prüfen, ob nicht in Teilberei- chen die Eigenverantwortung des Versicherten durch eine wirksame Selbstbeteiligung gestärkt werden kann.

Mir will scheinen, daß technisch am einfachsten und von der Wir- kung her am besten eine Kosten-

(6)

transparenz mit deutlicher Selbst- beteiligung zum Beispiel auf dem Arznei- und Heilmittelsektor ohne Schaden für die Gesundheit mög- lich wäre. Eine Benachteiligung sozial schwacher Gruppen und langfristig Kranker wäre durch Einbau entsprechender Kompo- nenten ausschließbar. Der alten Erfahrung, daß das, was nichts zu kosten scheint, auch als weniger wertvoll angesehen und im Um- fang entsprechend großzügig be- handelt zu werden pflegt, könnte so Rechnung getragen und der Bildung von kostspieligen „Müll- halden" verordneter, aber nicht verbrauchter Medikamente auf quasi marktwirtschaftliche Weise entgegengewirkt werden. Ein sol- ches in Modellversucher) prüfba- res Verfahren stärkt nach meiner Überzeugung die Mündigkeit des Versicherten, und es beseitigt Wunschvorstellungen ebenso wie manche Konflikte im Sprechzim- mer des Arztes.

Diese nur in einigen Schwerpunk- ten angesprochenen Überlegun- gen zur Stabilisierung und Weiter- entwicklung unserer sozialen Krankenversicherung in den acht- ziger Jahren werden den Einsatz der kassenärztlichen Selbstver- waltungsgremien und ihres wis- senschaftlichen Instituts in part- nerschaftlicher Korrespondenz zu den Krankenkassen erfordern, und ich habe die Zuversicht, daß es grundsätzlich möglich sein wird, im Rahmen solcher Zusammenar- beit eine tragfähige Brücke in die achtziger Jahre zu schlagen.

Der ökonomische Wachstumspfad der Kassenärzte ist zur Zeit schmal und weist manche Schlaglöcher auf. Diese erfordern anpassungs- fähiges Verhalten und stabile Stoßdämpfer. Die für 1979/80 von der Konzertierten Aktion im Ge- sundheitswesen auf dem Boden freier Selbstverwaltungsverein- barungen getroffenen Gesetzes- auslegungen und ökonomischen Empfehlungen geben mir den Op- timismus zu der Annahme, daß die gröbste „Schotterstrecke" hinter uns liegt.

Diskussion

Von „Ein gelungener Balanceakt"

bis zu „Große Bedenken für die langfristige Perspektive" erstreck- ten sich in der Diskussion, die sich an das Referat von Dr. Hans Wolf Muschallik anschloß, die Charak- terisierungen, die einzelne Mitglie- der der Vertreterversammlung fan- den, um ihr persönliches Urteil über die Honorarempfehlungen der Märzrunde der „Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen"

auszudrücken.

Zur Vorgeschichte wurde daran erinnert, daß das Kostendämp- fungsgesetz nicht eigentlich we- gen der prekären Finanzlage der Krankenkassen entstanden ist — die im übrigen schon gar nicht von den niedergelassenen Ärzten zu verantworten war, deren relativer Honoraranteil ohnehin klein ist —, sondern vielmehr wegen der lang- fristigen finanziellen Schwierig- keiten der Rentenversicherung.

Und daran habe sich grundlegend wenig geändert. Weiter zweifelte ein Delegierter an, daß die Kran- kenkassen durch die Honorarver- einbarungen das Morbiditätsrisiko wieder voll übernommen hätten.

Aber dies blieben sehr vereinzelte kritische Stimmen. In seinem Schlußwort räumte Dr. Muschallik noch einmal ein, es gebe durchaus

„im Wein (der Honorarempfehlun- gen) auch bittere Tropfen"; im Rahmen demokratischer, partner- schaftlicher Verhandlungen war das Ergebnis jedoch das Bester- reichbare — und an dieser Stelle demonstrierte die Versammlung durch ihren starken Beifall noch einmal den Dank und die Anerken- nung dieser gewählten Vertreter der deutschen Kassenärzte für die erfolgreiche Verhandlungsfüh- rung ihres Vorstandes und seiner Mitarbeiter und für das erreichte Verhandlungsergebnis.

Zu einer sachlichen Klarstellung meldete sich KBV-Hauptge- schäftsführer Dr. Eckart Fiedler während der Diskussion zu Wort:

Unter das Fallpauschale, das die Kassen den KVen für die Laborlei-

stungen zahlen, kommen nur die kurativen, aber nicht die präventi- ven Leistungen der Zytologie. Ku- rative zytologische und histologi- sche Leistungen sind zugegebe- nermaßen kaum rationalisierbar (Frau Dr. Gertraud Bäcker wies darauf hin); dennoch kann die Honorierung durch die Honorar- verteilungsmaßstäbe der einzel- nen Kassenärztlichen Vereinigun- gen angemessen gestaltet werden.

Keine Überraschung war die spon- tane Diskussionsäußerung von Professor Siegfried Häußler, Mu- schalliks deutliche Fürsprache für

*den Gedanken einer Selbstbeteili- gung in der sozialen Krankenversi- cherung sei „Musik in meinen Oh- ren" gewesen; für diese anerken- nenden Worte erhielt Häußler auch starken Applaus. Er „über- zog" aber das Tempo, als er vor- schlug, sich nun auch gleich auf eine Methode der Ausgestaltung einer solchen Selbstbeteiligung zu einigen. Über die Methoden zu sprechen wird Aufgabe der näch- sten Zukunft sein.

Um den Grundgedanken jedoch, die Eigenverantwortung des Versi- cherten durch eine wirksame Selbstbeteiligung — wenn auch zu- nächst nur in Teilbereichen, und selbstverständlich mit dem Einbau von Sicherungen für sozial Schwache — zu stärken, wird es in Zukunft bei den Kassenärzten nicht mehr still werden; daran kann wohl kein Zweifel bestehen.

Von grundlegender Bedeutung für das Urteil über die Honoraremp- fehlungen der Konzertierten Ak- tion sind noch einige Angaben aus Dr. Muschalliks Schlußwort: Die Ausgaben der sozialen Kranken- versicherung für ambulante ärztli- che Behandlung betrugen im Jah- re 1978 schätzungsweise 13,4 Mil- liarden DM; das waren diesmal et- wa 18,7 Prozent der Gesamtausga- ben. Im Vergleich dazu sind die rund 14,7 Milliarden DM, die für Arzneimittel sowie für Heil- und Hilfsmittel ausgegeben wurden, so Muschallik, „eine Relation, die nicht ordnungsgemäß sein

kann". gb

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

ln einer gemeinsamen Kom- mission der Spitzenverbände der Krankenkassen und der Kassen- ärztlichen Bundesvereinigung sol- len die Grundlagen für die Umset- zung

Das gleiche gilt für das Gesundheits- sicherstellungsgesetz, dessen bis- herige Entwürfe gezeigt haben, daß der Bund sogar auf diesem Gebiet, das die Improvisation als wesentli-

Allerdings muß man fordern , daß sich der Staat geeignete Objekte aussucht , bei denen er einen Schutz des Bürgers mit den dazu geeigne- ten und angemessenen Mitteln

Christian Dies alleine wäre aber noch wurden im Abstand von einer Celigoj wurde im Jahr 1985 als nicht Grund genug, gegen Woche abgehalten, dabei war Professor für

Heute hat sich das Verhältnis zwischen Praxen und Polikliniken umgekehrt: Nur noch zwei Prozent der Vertragsärzte in den ostdeutschen Bundesländern arbeiten in den

Bei diesen Patienten sollten vor Beginn der Lopirin Therapie die Diuretika abge- setzt oder deren Dosis stark reduziert und auch die Lopirin Dosis reduziert werden, um dadurch

Damit wurde die umstrittene Fra- ge des Abbruchs der Schwanger- schaft auch bei nicht-medizini- scher Indikation (schwere Notla- ge) als „Leistung auf Kranken- schein"

„Professor Kampik hat unsere Gesellschaft in erheblicher Weise geprägt und sie fit gemacht für die Herausforderungen des 21.. Dafür sind wir ihm zu großem