• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "SPRÜCHE: Was ist Gesundheitspolitik?" (30.10.1980)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "SPRÜCHE: Was ist Gesundheitspolitik?" (30.10.1980)"

Copied!
4
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Aufsätze • Notizen Gesundheitstraining

schen Nachfragen hatten nach zwei Jahren 51,3 Prozent der Männer und 56 Prozent der Frauen zu Hause die Gewichtsminderung beibehalten und zum Teil noch weiter verringert.

Wir erzielten in den vier Wochen, daß der übergewichtige Vielesser wieder ein normales inneres Sätti- gungsempfinden empfand statt der bisher vorwiegenden Außenreize der Kost.

Man könnte doch durch Appelle an ein Solidargemeinschafts-Denken erreichen, daß die Menschen selbst etwas mehr für ihre eigene Gesund- heit tun, zum Beispiel durch tägli- ches Bestimmen ihres Körperge- wichts festzustellen, ob sie am Tage vorher zu viel oder richtig gegessen hatten („Iß das Richtige"), ferner durch täglich zwei kleine hydrothe- rapeutische Wechseltemperaturrei- ze zur Abhärtung und zum Kreislauf- training, sowie durch die genannten Körperübungen.

Es wäre auch zu überlegen, Versi- cherten, die diese Selbstbeteiligung an ihrer Gesundheit durchführten und in der zweiten Lebenshälfte kaum die Krankenkassen in An- spruch genommen haben, durch ei- nen kleinen Bonus zu belohnen, um sie und ihre Angehörigen weiter zu motivieren.

Gestützt werden derartige Überle- gungen auch durch die Rechtspre- chung. Pressemeldungen zufolge hat zum Beispiel das Ob.landgericht Hamburg (Az 16. 11. 79) entschie- den: Ein Versicherter darf nach ein- dringlicher ärztlicher Belehrung über die Auswirkungen seines Eß- verhaltens die ungesunden Eßge- wohnheiten nicht fortsetzen. Die Versicherung zahlt nicht, wenn er sich deshalb erneut in stationäre Be- handlung begeben muß. Und: Ein Schweizer Raucher hat eine Kür- zung seiner Invalidenrente um zehn Prozent hinnehmen müssen; das Eidgenössische Versicherungsge- richt hat die Entscheidung der Inva- lidenversicherung jetzt ausdrücklich bestätigt. Das Gericht berief sich auf Schweizer Gesetze und auf ein Urteil des Schweizer Bundesgerichtes (BGD 104 IV 1). Danach können

Geldleistungen der Invalidenversi- cherung gekürzt oder entzogen wer- den, wenn ein Versicherter seine In- validität grobfahrlässig herbeige- führt oder verschlimmert hat. Als grobe Fahrlässigkeit gilt auch die Verletzung der Sorgfaltspflicht. Die- se Rentenkürzung kann bei einer Entziehungskur und Wohlverhalten wieder aufgehoben werden.

Die modernen Volkskrankheiten sind ohne eine aktive Mitarbeit der Versicherten nicht wirksam zu be- kämpfen (Häusler). Die Lebens- und Verhaltensweisen der Bevölkerung sind heute mit Ursache für die Hauptkrankheiten unseres Jahrhun- derts. Heute ist für viele das Krank- sein immer lohnender geworden, als gesünder zu leben (Ellwanger).

Eine derartige fast kostenlose häus- liche physikalische Therapie — im Gegensatz zu der oft kritisierten physikalischen Therapie mit teuren Apparaten — wäre ein wertvoller Bei- trag zur Kostendämpfung.

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med. Kurt Franke Kirchberg 15

3422 Bad Lauterberg

SPRÜCHE

Was ist

Gesundheitspolitik?

„Es gibt keine Gesundheits- politik. Was ist das? Ich ken- ne auch keinen richtigen Ge- sundheitsminister! Wir ha- ben in der Bundesrepublik keinen."

Diplom-Volkswirt Wolfgang Mudra, stellvertretender Vor- sitzender der Arbeitsgemein- schaft der Sozialdemokraten im Gesundheitswesen (Mit- telrhein), Referent im Wirt- schafts- und Sozialwissen- schaftlichen Institut des DGB, bei einer Podiumsdis- kussion in Köln.

FORUM

Medizinische Informatik:

Wissenschaft oder das große

Unbehagen?

Zu dem Artikel

in Heft 47/1979, Seite 3095 ff.

Peter Reichertz

Ganz sicher hat G. Burkart recht, daß die Terminologie in der Medizi- nischen Informatik und in der Infor- matik allgemein sich von der Nor- malsprache entfernt, zumindest aber von der ärztlichen Fachspra- che, indem sie sich aus Kommunika- tionsgründen prägnante Begriffe schafft, welche für den Fachmann eine Fülle von Einzelheiten beinhal- ten, entsprechend einer diagnosti- schen Bezeichnung im klinischen Bereich. Dabei wird es gewiß schwer sein, eine Sprachgestaltung zu fin- den, die dem Kliniker voll verständ- lich bleibt, wenn es sich um Fachdis- kussionen handelt. Auch zwischen den einzelnen klinischen Disziplinen haben sich gewisse Sprachdifferen- zierungen entwickelt. Es wäre ein leichtes, nachzuweisen, daß Inter- nist, Chirurg und Psychiater eine deutlich voneinander verschiedene Sprache sprechen, welche hier viel- leicht in ihren gemeinsamen Antei- len dem klinischen Mediziner ähn- lich klingt und deswegen von ihm nicht von vornherein als fremd emp- funden wird. Bei dem Sprachge- brauch in der Medizinischen Infor- matik mit Begriffen aus der Informa- tik selbst, der Systemanalyse sowie der Biometrie und Statistik, ist dies anders, da hier andere Vorstellun- gen und Konzepte zur Anwendung kommen und naturgemäß mit den Begriffen bezeichnet werden, mit welchen sie in den jeweiligen Grundwissenschaften beschrieben

2632 Heft 44 vom 30. Oktober 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(2)

Computer in der Medizin

werden. Das Resultat mag, ob wir dies nun wünschen oder nicht, zu einer Ausdrucksweise führen, wel- che in der fachlichen Darstellung dem nicht in diesem Fachgebiet Ausgebildeten schwer verständlich ist. Die Bildung eines eigenen Sprachraumes ist aber auch ein Aus- druck lebendiger Fortentwicklung, und auch bei entsprechender Um- schreibung der Dinge wäre einem mit den hier vorkommenden Begrif- fen und Vorstellungen nicht Vertrau- ten wenig geholfen.

Zu wenig

theoretische Grundlagen

Burkart meint, daß die gegenwärtige Situation durch viel Theorie beim Computereinsatz in der Medizin ge- kennzeichnet ist. Ich bin der Mei- nung, daß viel zu wenige theoreti- sche Grundlagen bestehen und daß man noch viel zu sehr nach „trial and error", d. h. also nach dem Ver- fahren von Versuch und Fehlschlag, handelt. Solche dringend notwendi- gen theoretischen Voraussetzungen können von den praktisch ausgebil- deten Medizinern nicht verlangt wer- den; der bescheidene Beitrag der Medizinischen Informatik zum jetzi- gen Gegenstandskatalog vermag al- lenfalls ein Verständnis für das Fachgebiet zu wecken.

Auf der anderen Seite gelingt es aber in zunehmendem Maße, Infor- matiker in gesonderten Studiengän- gen in die Denkweisen der Medizin einzuführen und sie vorzubereiten auf ihre Arbeit im Bereich der klini- schen oder theoretischen Medizin.

Es dürfte heute außerordentlich schwer sein, jemanden zu finden, der die zitierte „anscheinend beina- he hemmungslose, fast beängsti- gende" Fortschrittsgläubigkeit hat.

Dies wird zwar häufig zitiert, dürfte aber m. E. der Vergangenheit ange- hören, insbesondere bei denjenigen, die sich praktisch mit diesen Com- puteranwendungen befassen. Daß aber „Experten", wie Burkart es nennt, gewisse Gebiete im Bereich der Medizin bearbeiten müssen, für die das erforderliche Fachwissen bei

einem „normalen" Arzt nicht mehr vorausgesetzt werden kann, trifft nicht nur für das Gebiet der Medizi- nischen Informatik zu. Es scheint mir sinnvoller, darüber nachzuden- ken, wie solche Fachleute integriert werden können in Ausbildung und in ihrem Arbeitsplatz in das Gesamt- gebäude der Medizin, als diese Tat- sache an sich zu bedauern.

Die angeführte Skepsis, gedeutet als Unbehagen im Hinblick auf Anwen- dungen des Computers, z. B. in der Praxis des niedergelassenen Arztes, sind nicht primäre Negationsgelüste oder nebulöse Ahnungen von einem auf uns zukommenden Unbehagen, sondern Ausdruck der Anwendung der Werkzeuge der Systemanalyse:

ein wesentliches neues Verfahren erst gründlich zu untersuchen, ehe es zum Einsatz kommt. Ich glaube, manche Verfahren in der prakti- schen Medizin wären besser einem solchen Vortest unterworfen wor- den, als allzu kritiklos und teilweise technikgläubig durch die Klinik übernommen zu werden. Gerade auf diesem Gebiet hat sich ganz sicher in der Medizin allgemein eine stärke- re Zurückhaltung entwickelt mit der Forderung einer vorausgehenden evaluierenden Untersuchung.

Ähnliches gilt für meinen Vortrag über das Wissenschaftsgebiet der Medizinischen Informatik insge- samt. Ich glaube, es tut einer jungen, sich entwickelnden Wissenschaft gut, wenn sie auf ihre Grenzen ver- wiesen wird, auf ihre Probleme und auf die Möglichkeiten, Konzepte zu verbinden zu einem sinnvollen Gan- zen in dem Rahmen, in dem sie ent- steht, in diesem Fall der klinischen Medizin. Solche Analysen sind kei- neswegs am Anfang einer jeden heute etablierten klinischen oder theoretischen Disziplin zu finden.

Meines Erachtens sind sie mitbe- dingt durch den analytischen An- spruch der Medizinischen Informa- tik, welche weniger die Computeran- wendung als ihren Selbstzweck an- sieht, sondern die Untersuchung des in der Medizin ablaufenden Pro- zesses, den Versuch seiner Be- schreibung und, wo möglich und

sinnvoll, seiner Unterstützung durch Computerverfahren.

Die Faktenfülle in der Medizin wird immer größer und muß zwangsläufig dazu führen, daß ein einzelner nicht mehr die Erfahrung erwerben kann, die er idealerweise brauchte, um al- len Aspekten seines Berufes gerecht zu werden; abgesehen davon, daß der Erwerb solcher Erfahrungen u.

U. mit Folgen für den Patienten ver- bunden sein kann. Sollte es daher nicht angemessen sein, eine analyti- sche Wissenschaft einzusetzen zu dem Versuch, zumindest einen Teil der Entscheidungsprozesse aufzu- zeigen und aus ihrer Analyse heraus verständlich und somit lehrbar zu machen?

Dabei muß die logische Analyse ei- nes Prozesses nicht zwangsweise die Mathematisierung des Kontaktes nach sich ziehen. Ich glaube eher, daß die Medizin einer solchen Me- thodologie bedarf, als daß hier eine Gefährdung für sie liegt. Es genügt nicht mehr, das allgemein menschli- che Mitgefühl des Leidens zu haben.

Dies ist zwar ein unverzichtbares Element in dem zwischenmenschli- chen Kontakt zwischen Arzt und Pa- tient, reicht aber keinesfalls aus, um den wachsenden Anforderungen ge- recht zu werden. Schlimm wäre es nur, wenn eine rein deduktive und logische Denkweise jenes Verhältnis zwischen Arzt und Patient verdrän- gen würde, dem ich auch bei vielfäl- tigen Äußerungen auf dem Berliner Kongreß über die Medizinische In- formatik höchste Priorität gegeben habe.

Meine Schlußausführungen zur Ent- wicklung der Medizinischen Infor- matik sollten betonen, was im Auf- satz nicht zur Darstellung gekom- men ist: die Entwicklung in die Peri- pherie hinein zu kleinen Geräten er- folgt nicht allein aus technologi- schen Gründen, sondern auch aus soziologischen im Sinne der Gestal- tung des eigenen Lebensraumes der Betroffenen und zum stärkeren Schutz der verarbeiteten Daten in der eigentlichen Sphäre der persön- lichen Beziehungen. Ich meine aber trotzdem, daß eine Integration erhal-

Heft 44 vom 30. Oktober 1980 2633 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(3)

Computer in der Medizin

ten bleiben muß. Dies läßt sich leicht daraus ableiten, daß es nicht sinn- voll sein kann, jeweils alle Daten, auch über bereits früher festgestell- te Erkrankungen oder Erfahrungen, erneut in jedem klinischen Bereich erheben zu lassen. Ist es nicht selbstverständlich, daß Krankenblät- ter im Bedarfsfall ausgetauscht wer- den, um wichtige klinische Erkennt- nisse mitzuteilen bzw. um auf Befun- de hinzuweisen, welche u. U. bei An- wendung differenter Verfahren zu Komplikationen führen könnten?

Mir scheint hier eine wesentliche Aufgabe der Medizinischen Informa- tik zu liegen, diese klinische Integra- tion, den Gesamtheitsanspruch des Patienten, zu vertreten.

Wie jede Medaille ihre zwei Seiten hat, so verschließe ich mich keines- wegs dabei Befürchtungen, daß hier durch Mißbrauch die Persönlich- keitssphäre bedroht werden könnte.

Deswegen scheint es mir ratsam, hierüber beizeiten nachzudenken, ehe Unheil geschehen ist. Meine ge- forderte Verbindung von administra- tiven Daten und Patientendaten ist dabei allerdings eine andere, als die von Burkart vordergründig ange- nommene: ich meine die Analyse von Verfahrensweisen z. B. im Hin- blick auf Dauer, Leistung, Aufwand, Erfolg und Gefährdung für den Pa- tienten. Wir müssen lernen, welche Kosten in welchen klinischen Berei- chen aufgrund welcher Anwendun- gen und welcher Erkrankungen ent- stehen, um bei gleichen Erkrankun- gen differierende Kosten (z. B. ver- stärkter oder zu geringer Antibioti- kaschutz) einer kritischen Analyse mit entsprechenden Empfehlungen zu unterziehen oder Kostenschwer- punkte zu erkennen, um sie aus me- dizinischen Gründen auch politisch vertreten zu können.

Die Gefahr des Datenmißbrauches liegt nicht in der Analyse am Ort des Geschehens, in der Praxis, in dem Krankenhaus, sondern in der Über- tragung an Krankenkassen, Versi- cherungsträger, Versicherungsge- sellschaften, Arbeitgeber usw. Hier stimme ich voll mit Burkart überein.

Ich teile auch seine Ansicht, daß vie- le Systematisierungseffekte durch die verbesserte Analyse, Dokumen- tation und Aufarbeitung erreicht werden und nicht primär durch die Anwendung des Computers, wel- chen ich in jedem Fall als sekundä- res Hilfsmittel betrachtet sehen möchte. Auf der anderen Seite er- zwingt er die gewünschte Systemati- sierung. Die Erkenntnis, daß ein all- gemeiner Zustand durch Anwen- dung systematischer Verfahren ver- bessert werden könnte, bleibt eine theoretische, solange nicht alle be- teiligten Ärzte sich einer verbesser- ten Dokumentation oder verstärkten Systematik unterziehen. Mit Hilfe des Computers könnte dies aber im gewünschten Maße erreicht werden, vorausgesetzt, daß die Kosten ver- tretbar sind, welches heute zwar in speziellen Fällen, aber nicht allge- mein zutrifft. Von einer gedankli- chen Einsicht bis zu einer tatsächli- chen Umstellung eines gewohnten Systems ist ein weiter Weg.

Abschirmen von Daten gegen Mißgriff

Die Datenschutzproblematik ist, glaube ich, bisher weder von der Medizinischen Informatik noch von der Medizin insgesamt voll erkannt worden. Die jetzigen Datenschutz- gesetze sind dringend notwendig, bringen aber auch viele Probleme, auch im Hinblick auf den Austausch von Daten zwischen behandelnden Ärzten oder gar im Hinblick auf die Rechte des Patienten auf Änderung von falschen bzw. Sperrung von nicht bewiesenen Daten. Einer der Gründe, weshalb ich bei dem nieder- gelassenen Arzt in den letzten Jah- ren in immer stärkerem Maße die dezentrale Datenverarbeitung gefor- dert habe, liegt in der besseren Mög- lichkeit des Abschirmens von Daten gegen Mißgriff in kleinen abge- schlossenen Systemen, welche nicht, zumindest nicht ohne Zustim- mung des Betroffenen, in ein größe- res Netzwerk eingeschaltet werden können. Und noch einmal, die von mir als künstlich betrachtete Tren- nung der verwaltenden und medizi- nischen Ebene im Krankenhaus zielt

nicht auf die größere Rationalität als Hauptargument, sondern auf die Ausnutzung der Möglichkeit, aus den Verbindungen medizinischer und administrativer Daten Erkennt- nisse zu gewinnen, welche direkt für die Behandlung des Patienten ein- setzbar wären; nicht um endlich ei- nen größeren Computer rationeller einsetzen zu können.

Im letzten Absatz seines Aufsatzes hat es sich der Verfasser etwas zu leicht gemacht und ist ein wenig ei- ner Problematik verfallen. Wenn es möglich wäre, aufgrund einer logi- schen Analyse alle Äußerungen und alle Lebensäußerungen des kranken Menschen und des helfenden Arztes darzustellen und meßbar zu erfas- sen, dann wäre es gleichgültig, ob die resultierenden Erkenntnisse in einem dekadischen oder binären Sy- stem dargestellt würden. Ich halte dies aber nicht für möglich. Auch der Mensch arbeitet nach einem bi- nären System. Im Physiologieunter- richt erfährt man, daß das „Alles- oder-Nichts-Gesetz" für viele biolo- gische Lebensäußerungen bestim- mend ist, ganz gewiß aber für die Signalübermittlung in Nerven und somit letzten Endes für die Elemente des Denkprozesses. Deswegen den Menschen als ein stupides Plus-Mi- nus-Schema bezeichnen zu wollen, läge uns allen fern. Nicht Maschinen sind stupide oder intelligent, son- dern menschliche Lebensäußerun- gen bzw. Programme, die von Men- schen für Menschen geschrieben werden. Daß hierbei Grenzen der Er- kenntnis gesetzt sind, ist unbestrit- ten. Medizinische Informatik sollte niemals versuchen, dem handeln- den Arzt die Entscheidung abzuneh- men, sondern danach trachten, den Entscheidungsprozeß an möglichst vielen Stufen optimal zu unterstüt- zen. Der Weg hierzu ist noch weit und bedarf vieler theäretischer, praktischer und gemeinsamer An- sätze aus der theoretischen Medizi- nischen Informatik und der klini- schen Erfahrung.

Ich bin aber der Meinung, daß dieser Weg, den ich aufgezeichnet habe und der mir eigentlich als zwangs- läufig erscheint, wenn wir einen

2634 Heft 44 vom 30. Oktober 1980

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(4)

Computer in der Medizin

kontrollierten Fortschritt haben wol- len, besser aus den Grundgedanken des medizinischen Handelns heraus aus der Medizin entwickelt wird, als daß er uns von einer noch so effekti- ven Technik von außen aufgezwun- gen wird. Deshalb meine ich, daß die Medizinische Informatik eine klini- sche und medizinische Disziplin werden muß.

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med. Peter Reichertz Lehrstuhl für

Medizinische Informatik

Medizinische Hochschule Hannover Karl-Wiechert-Allee 9

3000 Hannover 61

ZITAT

Paradoxon

„Ein Paradoxon unserer Zeit ist es, daß die rationale The- rapie stellenweise wieder vom Obskurantismus einge- holt und sogar überholt wird. Ich sehe darin den traurigen Beweis, daß wir unsere Studenten nicht ge- nügend wissenschaftskri- tisch erzogen und geprüft haben. Die Anfertigung einer Doktorarbeit ist jene Anker- kette, die den Arzt an die Wissenschaft bindet. Die An- forderungen an ihre Qualität müssen gesteigert werden.

Jedenfalls sollte selbst eine rein kasuistische Arbeit ein wichtiger Baustein der medi- zinischen Wissenschaft sein, bei dessen Bearbeitung der Doktorand die Notwendig- keit sorgfältiger Beobach- tung und Dokumentation,

verantwortungsbewußten Quellen- und Literaturstu- diums erlernen, aber auch menschliche Begrenztheit erfahren kann ..."

Prof. Dr. med. Dr. h. c. H. E.

Bock, Tübingen, beim 3.

Deutschen Hausärztetag in Freiburg

GESUNDHEITSDIENST

Zu der Meldung in Heft 30/1980 „Kontro- versen um den öffentlichen Gesundheits- dienst", Seite 1840:

Ärztliche Aufgaben

... Der Fachmann liest mit Staunen und der Laie wundert sich über die CDU-Fraktion im niedersächsischen Landtag und den Gesundheitsmini- ster Herrn Hermann Schnipkoweit, die einen Entwurf der SPD-Fraktion zu einem „Gesetz über den öffentli- chen Gesundheitsdienst (ÖGD)" ab- geschmettert haben. Dem Bericht nach sind „als neue Tätigkeitsfel- der" der Gesundheitsämter (GA)

„Mütterfürsorge, genetische (insbe- sondere Familien-) Beratung, ju- gendärztliche, sportärztliche und sozialpsychiatrische Dienste" ge- nannt, darüber hinaus soll von den GA „auch die Betreuung von Lun- gen- und Geschlechtskranken"

übernommen und „die Beratung seelisch und geistig gefährdeter Mitbürger" durchgeführt werden.

Der Landesgesundheitsminister be- fürchtet damit „ein Mehr an Büro- kratie und ein höheres Maß an Un- durchschaubarkeit", und die CDU- Fraktion sieht eine „sozialisierte Me- dizin" kommen, wobei der ÖGD zu einer „Super-Sozialstation" ge- macht werden soll. Wenn in dem Be- richt dies richtig wiedergegeben ist, kann den so Verschreckten nur drin- gend die Lektüre des Gesetzes über die Vereinheitlichung des Gesund- heitswesens vom 3. 7. 1934 (RGBI. I.

Seite 531) und der dazu erlassenen III. DVO, der Dienstordnung für GA vom 30. 3. 1935 (RMBI. I Seite 327) empfohlen werden. Seit damals sind diese Aufgaben den GA zugewiesen (allerdings sind die GA in diesen Be- reichen seit eh und je nicht gegen und nicht ohne, sondern mit ihren ärztlichen Kollegen in Klinik und Praxis gemeinsam tätig geworden!).

Wem aber der Text des Vereinheit- lichungsgesetzes antiquiert er- scheint, den kann ich auf modernere Lektüre verweisen, nämlich auf das Bundessozialhilfegesetz in der Neu- fassung vom 13. 2. 1976 (BGBl. I.

Seite 289), in dem wieder die GA mit ärztlichen Aufgaben in der Behin- dertenhilfe und der Tuberkulosen-

BRIEFE AN DIE REDAKTION

hilfe bedacht worden sind. Die ärztli- chen Aufgaben der GA in der Geschlechtskrankenfürsorge regeln sich .nach dem Gesetz zur Bekämp- fung der Geschlechtskrankheiten vom 23. 7. 1953. Im übrigen verweise ich auf das Niedersächs. Ges. über Hilfen für psych. Kranke und Schutz- maßnahmen vom 30. 5. 1978 (Nds.

GVBI. 32/1978), wonach bei den GA sozialpsychiatrische Dienste einzu- richten sind.

„Ein leistungsfähiger öffentlicher Gesundheitsdienst ist Vorausset- zung für das Funktionieren des ge- samten Gesundheitswesens" – das stammt nun nicht von mir, sondern ist nachzulesen im „Blauen Papier", das heißt in den „gesundheits- und sozialpolitischen Vorstellungen der Deutschen Ärzteschaft" – beschlos- sen vom 83. Deutschen Ärztetag 1980 in Berlin. Ich war als Delegier- ter dabei und kann mich sehr gut erinnern, daß es dazu keine Diskus- sion und nur wenige Gegenstimmen gegeben hat. Wenn man aber einen

„leistungsfähigen ÖGD" will, dann muß man auch zur Kenntnis neh- men, daß jeder ÖGD wann und wo auch immer nur so gut sein kann, wie es die Qualität der Ärzte ist, die darin ihre Lebensaufgabe finden, weil sie sich in diesem ÖGD ärztlich verwirklichen können. Das heißt aber, es muß Schluß sein mit dem Abzug ärztlicher Aufgaben aus dem ÖGD, und das heißt weiter, daß die ärztlichen Aufgaben, die heute noch im ÖGD wahrgenommen werden, dort verbleiben müssen, denn sonst ist qualifizierter ärztlicher Nach- wuchs für den ÖGD auch dann nicht zu gewinnen und nicht zu behal- ten, wenn die viel berufene Ärzte- schwemme auf uns zurollt. Die Ze- che für einen insuffizienten ÖGD zahlen nicht nur die von uns ge- meinsam betreuten Patienten, es zahlt sie unser Gemeinwesen und es zahlt sie letztendlich auch die ge- samte Ärzteschaft, womit ich wieder bei dem aus dem „Blauen Papier"

zitierten Satz bin!

Dr. Eberhard Pfau 2. Vorsitzender

Bundesverband der Ärzte des ÖGD Seminarstr. 11, 5960 Olpe

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 44 vom 30. Oktober 1980 2635

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

„Dem Landesverband Sachsen der Ärzte und Zahnärzte des Öffentli- chen Gesundheitsdienstes ist es eine besondere Freude, Herrn Prof.. Jan Schulze für sein unermüdliches Wirken

„Dem Landesverband Sachsen der Ärzte und Zahnärzte des Öffentli- chen Gesundheitsdienstes ist es eine besondere Freude, Herrn Prof.. Jan Schulze für sein unermüdliches Wirken

Die Ärzte im Öffentlichen Ge sund- heitsdienst (ÖGD) unterliegen den Regelungen des TVöD beziehungsweise des TV-L und sind dadurch gegenüber Ärzten an kommunalen Krankenhäu-

Bei entsprechender Nachfrage wird für das Jahr 2019 die Durchführung eines zweiten Kurses „Curriculum Peer Review Öffentlicher Gesund- heitsdienst“ in Zusammenarbeit mit

Der Landesverband Sachsen der Ärzte und Zahnärzte des Öffentli- chen Gesundheitsdienstes (LVÖGD) ist seit 1990 die Interessenvertretung für Ärzte, Zahnärzte sowie Angehö-

Schweitzer: Die Aufgaben- und Tätigkei- tenvielfalt des ÖGD, seine enorm wichtige Be- deutung für die öffentliche Gesundheit und die Vorzüge weitestgehend geregelter,

nimmt; [2] sind inszenierte Formen der Gottesdienstübertragung abzulehnen, weil sie der Gemeinde keine konstitutive Bedeutung mehr beimessen; [3] gerät der Rezipient durch

Einige Eltern, deren Kinder unvollständig geimpft waren, hatten auf dem Rückantwortbogen vermerkt, dass sie jetzt die Impfung beim Hausarzt vervollständigen lassen wollten.. Im