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Archiv "„Ärzteschwemme“: Dilemma ohne Ende?" (27.04.1984)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

DER KOMMENTAR

V

on 1968 bis 1983, in 15 Jah- ren also, wuchs die Zahl der Medizinstudenten von 31 801 auf 77 128. Dem entsprach eine Zunahme der jährlichen staatlichen Approbationen von 4353 auf rund 9000. Aufgrund der Studentenzahl muß von 1984 bis 1989 Jahr für Jahr mit etwa 11 000 Studienabschlüssen in der Medi- zin und somit auch Approbatio- nen gerechnet werden. Die jähr- lich in den Arztberuf neu eintre- tenden 11 000 jungen Menschen könnten einen Bestand an rund 300 000 Ärzten (!) sichern, wenn man bei 35 Berufsjahren einen Er- satzbedarf von drei Prozent pro Jahr zugrunde legt.

Am 31. Dezember 1983 wurden bereits in der offiziellen Statistik der Bundesärztekammer 184 228 Ärzte gezählt, davon 32 070 nicht berufstätige Ärzte und Ärztinnen.

Der Bedarf an begründeter (!) ärztlicher Hilfeleistung ist damit voll ausreichend zu befriedigen.

1965 betrug die Zahl der berufstä- tigen Ärztinnen und Ärzte: 85 801, am Jahresende 1983 aber 152 158.

In 18 Jahren ist somit ein Anstieg um etwa 66 000 zu verzeichnen.

Diese letztere Arztzahl reichte 1947/48 noch zur ambulanten und stationären Versorgung der ge- samten Bevölkerung im Gebiet der späteren Bundesrepublik Deutschland aus.

Da die Zahl der heute Studieren- den den Ersatzbedarf (rund 4500 pro Jahr) weit übersteigt, muß mit einem jährlichen Überhang von 5500 bis 6500 jungen Ärzten ge- rechnet werden, denen bei der heutigen Struktur des Gesund- heitssystems unseres Landes ein sinnvoller Arbeitsplatz nicht gebo- ten werden kann. Schon jetzt läßt sich hochrechnen, daß die Zahl arbeitsloser Ärzte (abgesehen von den „nicht-berufstätigen") bis zum Jahre 1990 auf 30 000 bis 40 000 anwachsen wird, sofern nicht grundlegende Änderungen im gesamten Versorgungssystem eintreten.

Dies alles ist die Folge einer fal- schen und unaufrichtigen Bil- dungspolitik, wobei die Universi- täten zu Verwahranstalten für Jugendliche degradiert wurden (- um sie von der Straße zu bringen).

Sinn und Zielsetzung eines ver- nünftigen Medizinstudiums sind der übergroßen Studentenzahl geopfert worden. Viele Jahrgänge junger Studenten wurden um ein in Wissenschaft und Praxis glei- chermaßen inhaltsreiches und auf

„Ärzte-

schwemme":

Dilemma ohne Ende?

den Arztberuf in angemessener Zeit vorbereitendes Studium be- trogen.

Die jetzt durch Rechtsverordnung im Rahmen der Zulassung zur Kassenpraxis den jungen Ärzten auferlegte Pflichtzeit von 18 Mo- naten ab 1. Juli 1984, wovon min- destes zwölf Monate in Kranken- häusern abgeleistet werden müs- sen, ist ein Ergebnis der staat- lichen Planungs- und Gestal- tungsunfähigkeit. Die ab 1988 ge- plante Änderung der Bundesärz- teordnung, womit der „Arzt im Praktikum" mit einer zweijährigen Pflichtzeit nach Abschluß des EG- verbindlichen sechsjährigen Me- dizinstudiums eingeführt wird, ist ebenfalls eine Folge des bedauer- lichen Unvermögens, das Medi- zinstudium so zu gestalten, daß am Ende als sogenanntes „pro- duit final" der approbierte Arzt mit der Befähigung zur selbständigen

und verantwortlichen Tätigkeit herauskommt.

Dabei sollte es außer Diskussion stehen, daß die Ausbildung zum Arzt die Aufgabe der medizini- schen Fakulteten ist. Sie muß mit einer vom Staat zu verantworten- den Approbation enden. Zur Zeit wird versucht, die daraus dem Staat erwachsenden Pflichten auf andere abzuwälzen, wie die re- gierungsamtlichen Überlegungen zur Durchführung sowohl der Vor- bereitungszeit auf kassenärzt- liche Tätigkeiten ab Mitte 1984 wie auch der ab 1988 vorgesehe- nen zweijährigen Ausbildungs- phase als „Arzt im Praktikum" er- kennen lassen.

Alle zwangsläufig damit aufge- worfenen Fragen nach den not- wendigen Stellen in Krankenhäu- sern und in Praxen niedergelasse- ner Kassenärzte werden ver- drängt und als der Regelungs- kompetenz des Bundesgesetzge- bers nicht zugänglich erklärt, wo- mit dann zugleich die Verantwor- tung für vielfältige Kosten im Zu- sammenhang mit der Ausbil- dungsänderung weggewischt wird! Und es werden hohe Kosten sein. Mit einem solchen unred- lichen Vorgehen werden Proble- me nicht gelöst, sondern allenfalls verschleiert, um alsbald noch be- drückender wieder aufzutauchen.

Die Krankenhäuser, schon jetzt ständige Zielscheibe zumeist we- nig durchdachter Vorwürfe, sollen das Auffangbecken für die über- große Zahl abschließend auszubil- dender angehender Ärzte sein.

Dabei wird nicht zur Kenntnis ge- nommen, daß die Krankenhäuser neben vielen anderen, zumeist aus chronischem Geldmangel entstandenen Leistungsschwä- chen seit Jahren ganz besonders unter der starken Fluktuation ih- res Ärztestabes zu leiden haben.

Sinnvolle, zielstrebige und spar- same Krankenbetreuung setzt be- sonders in den Krankenhäusern erhebliche Fachkenntnisse und Erfahrungen voraus, die nur lang- Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 17 vom 27. April 1984 (37) 1345

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

"Ärzteschwemme''

fristig erworben und dann am gleichbleibenden Arbeitsplatz sinnvoll eingesetzt werden kön- nen.

Da in Krankenhäusern keine Leichtkranken betreut werden sollen, werden berufserfahrene, zum Teil hochspezialisierte Ärzte benötigt. Diesen Anforderungen kann nicht mit einer ständig wech- selnden Mannschaft junger Ärz- tinnen und Ärzte entsprochen werden, die nach wenigen Jahren aus dem Krankenhaus wieder aus- scheiden.

Der Deutsche Ärztetag hat wieder- holt bekräftigt, daß hier durch neue und zeitgemäße Personal- strukturen Abhilfe geschaffen werden muß. Dies wird immer dringlicher, wenn die Kranken- häuser bei vernünftigerweise er- heblich reduzierter Bettenzahl, bei kurzer Liegedauer mit einem Höchstmaß an ärztlicher und medizinisch-wissenschaftlich be- gründeter Zuwendung den ihnen im Konzert der gesundheitlichen Betreuung der Bevölkerung zuge- wiesenen Teil mit einer vertretba- ren Kosten-Nutzen-Relation über- nehmen sollen. Zwangsläufig kön- nen und werden dann nicht mehr so viele Assistentenstellen zur im- mer neuen Besetzung zur Verfü- gung stehen wie bisher.

Wenn also in den nächsten Jahren mehrere tausend zwar approbier- te, aber zur kassenärztlichen Tä- tigkeit nicht zugelassene Ärzte in den Krankenhäusern eine Vorbe- reitungszeit absolvieren sollen und ab 1988 der Ausbildungsab- schnitt "Arzt im Praktikum"

("AiP") zwingend wird, dann muß vorausgesetzt werden, daß:

..,.. dadurch die Patientenversor- gung nicht weiter verschlechtert werden darf. Dies aber wird ge- schehen, wenn die wenigen erfah- renen Krankenhausärzte zusätz- liche Ausbildungsaufgaben über- nehmen müssen. Schon jetzt lei- det die Ausbildung der PJ-Studen- ten unter dem Mangel an qualifi- zierten ärztlichen Ausbildern in

den Kliniken und Krankenhäu- sern.

..,.. für die "Ärzte im Praktikum"

zusätzliche Stellen eingerichtet werden. Sie sind als Ausbildungs- stellen vom Staat zu finanzieren, wie die Referendarstellen anderer Fakultäten. Eine Verwendung von Teilen der jetzt schon knappen Assistenzarztstellen, um in den Krankenhäusern dann auf einer solchen Stelle zwei oder gar drei

"Ärzte im Praktikum" unterzu- bringen, läßt sich mit den Versor- gungspflichten der stationären Einrichtungen im Rahmen der Krankenbetreuung nicht in Ein- klang bringen und würde darüber hinaus die Krankenversicherun- gen mit Kosten belasten, die ih- nen nicht aufgebürdet werden dürfen. Auf keinen Fall darf den Krankenhäusern erlaubt werden, zukünftig die ärztliche Versor- gung durch mehr oder weniger viele Ärzte im Praktikum vorneh- men zu lassen, um Gehälter für planmäßige Assistenten zu spa- ren. Zum Schutz der Patienten und um junge Ärztinnen und Ärzte vor unzumutbarer Verantwortung und Ausbeutung zu bewahren, muß auf ganz eindeutige und nicht verfälschbare arbeitsrecht- liche und gesetzliche Regelungen gedrungen werden.

Natürlich sind die Ausbildungsfra- gen nur ein Teil der Probleme im Gefolge der großen Studenten- zahl. Man mag es wenden, wie man will, die Ärzteschaft muß er- kennen, welche tiefgreifenden Folgen die nun nicht mehr aufzu- haltende Flut junger Ärztinnen und Ärzte haben wird. Viele tra- dierte Vorstellungen über die For- men ärztlicher Berufsausübung werden in Frage gestellt werden.

Dazu gehören auch die ökonomi- schen Rahmenbedingungen. Die Krankenhausärzte haben kürzlich bei der Neuregelung der Gehälter und bei der Umstellung der Ver- gütung für Überstunden, Nacht-, Wochenend- und Feiertagsdien- ste bereits Erfahrungen gesam- melt, die bitter, aber nicht meht 1346 (38) Heft 17 vom 27. Apri I 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

wegzudiskutieren sind. Den lei- tenden Ärzten im Krankenhaus ist (leider) zur rechten Zeit die Ein- sicht verwehrt geblieben, daß die ökonomische Abstützung im Li- quidationsrecht auf Sand gebaut war und man beizeiten andere Re- gelungen hätte anstreben sollen. Überall wird der Verteilungskampf an Ausmaß und Härte zunehmen. Dabei werden sich die am stärk- sten vom überkommenen Be- rufsethos geprägten Ärzte am schlechtesten behaupten können. Dies ist- so muß man erkennen- das eigentlich Bedrohliche für Be- völkerung und Ärzteschaft Arbeitslosigkeit wie auch ein all- gemeines Absinken der wirt- schaftlichen Bedingungen inner- halb des Berufes können im Kran- kenhaus und möglicherweise mehr noch in der ambulanten ärztlichen Versorgung Folgen ha-

ben, deren Ausmaß zur Zeit kaum

bedacht wird. Der Drang zu einer

ethisch enthemmten technischen

Medizin wie auch zu sogenannten alternativen oder betont nicht- schulmedizinischen Verfahren, zum Außenseitertum, zum medizi- nischen Mystizismus bis zur Scharlatanerie, haben neben vie- len anderen auch ökonomische Wurzeln. Es wäre allzu blauäugig, wollte man dies leugnen!

Ein Irrtum ist es zu glauben, die Volksgesundheit wachse mit stän- dig steigenden Arztzahlen. Hier gibt es eine Grenze, von der ab die Beziehung gegenläufig sein wird, wo also nur schwer kontrol- lierbare Gefahren für den einzel- nen und die Gemeinschaft dro- hen. Ob diese Grenze noch vor uns oder schon hinter uns liegt, mag strittig sein. Die eigenen Be- obachtungen stützen die Vermu- tung, daß wir die Grenzzone be- reits durchwandern. Deshalb muß es für politisch einfältig, ja ver- werflich gelten, wenn man die Dinge weiter treiben läßt.

Professor Dr. med. Ulrich Kanzow Rheinstraße 50

5650 Solingen 11

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