A 490 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 12|
21. März 2014N
ach 23 Jahren war Schluss.In den Achtzigerjahren hatte sich Dr. med. Volker Heinecke (61) in Bad Urach, Baden-Württemberg, als Gynäkologe niedergelassen.
Seitdem war er auch in dem örtli- chen Krankenhaus geburtshilflich als Belegarzt tätig – zuletzt gemein- sam mit zwei Kollegen. Auf 400 Geburten jährlich kamen die drei Ärzte in der Kleinstadt mit etwa 12 000 Einwohnern.
Mehr als 40 000 Euro Prämie
Doch die Arbeit lohnte sich immer weniger. Der Grund: die steigenden Kosten für die Haftpflichtversiche- rung. Als es 2010 zu einem Sprung bei den Prämien kam, warfen Hein- ecke und seine Kollegen das Hand- tuch. „Da haben wir gesagt: Jetzt ist das Maß voll“, erinnert er sich. Je- der der drei Belegärzte hätte einen geburtshilflichen Anteil von 12 000 Euro in seiner Haftpflicht zahlen müssen. Der Krankenhausträger wollte nur einen Teil übernehmen.Die Geburtshilfe in Bad Urach wur- de daraufhin geschlossen. Die Pa- tientinnen müssen nun ins 20 Kilo- meter entfernte Reutlingen fahren.
Heinecke ist kein Einzelfall. Vie- le belegärztlich tätige Geburtshelfer haben bereits aufgegeben. Darauf hat der Berufsverband der Frauen- ärzte (BVF) hingewiesen. Der BVF spricht von Haftpflichtprämien in Höhe von 40 000 Euro und mehr.
Genau wie für freiberufliche Heb- ammen ist es für Belegärzte außer- dem schwierig, überhaupt noch ei- nen Versicherer zu finden. Das ge- fährde die gesamte Geburtshilfe.
„Wir müssen leider erkennen, dass in der heutigen Situation eine wohnortnahe Versorgung in der Ge- burtshilfe vielfach nicht mehr mög- lich ist“, sagt BVF-Präsident Dr.
med. Christian Albring.
Genaue Zahlen über geburtshilf- liche Belegärzte gibt es nicht. Aller- dings hat der BVF mit der R+V Versicherung und der Assekuranz AG einen Rahmenvertrag geschlos- sen. Im Jahr 2009 waren darüber 389 belegärztlich tätige Geburtshel- fer haftpflichtversichert. Anfang 2014 waren es nur noch 90.
Dass die Prämien in den vergan- genen Jahren explodiert sind, liegt nicht etwa daran, dass die Scha- densfälle zugenommen haben. Viel-
mehr sind die Schadenssummen, die gezahlt werden müssen, enorm gestiegen. Nicht nur für Hebammen und Belegärzte, sondern auch für kleinere Krankenhäuser mit eigener geburtshilflicher Abteilung werden Entbindungen immer mehr zu ei- nem Verlustgeschäft. Albring for- dert deshalb eine staatliche Über- nahme der Versicherungskosten.
Den Hebammen hat Bundesge- sundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) bereits Hilfe zugesagt. Doch was ist mit den Ärzten? „Das Be- legarztsystem in der Geburtshilfe wird im Moment vor die Wand ge- fahren“, kritisiert der Gynäkologe Heinecke. Dabei handle es sich um eine kostengünstige, wohnortnahe und patientenorientierte Lösung.
„Wir kennen die Frauen, behandeln sie während der Schwangerschaft und auch nach der Geburt“, sagt er.
Kritik an EBM-Vergütung
Ein weiterer Grund für die Ent- wicklung sei der Einheitliche Be- wertungsmaßstab (EBM). Am Ende seiner Tätigkeit habe er für eine Spontanentbindung 149 Euro be- kommen, berichtet Heinecke, der auch stellvertretender Vorsitzender des BVF in Baden-Württemberg ist. Jetzt, mit dem neuen EBM, wä- ren es 205 Euro. „Das ist für den Aufwand in der Geburtshilfe und in Anbetracht der Haftpflichtprämien nicht angemessen.“Wie so oft im Gesundheitswesen gibt es in der Geburtshilfe eine Konkurrenzsituation – auch wegen sinkender Geburtenzahlen. Die Hebammen pochen auf die Wahl- freiheit bei der Geburt. Viele Frau- enärzte hingegen machen keinen Hehl daraus, dass sie zwar die Ar- beit von Beleghebammen schätzen, aber nicht viel von Entbindungen zu Hause oder im Geburtshaus hal- ten. Unter Gynäkologen gibt es in- des auch Stimmen, die eine Reduk- tion geburtshilflicher Klinikstand- orte durchaus befürworten.
Die jetzigen Rahmenbedingun- gen setzen klare Anreize. Der Trend geht hin zur Klinikgeburt – mit an- gestellten Ärzten und Hebammen.
Die Entbindungen konzentrieren sich auf größere Abteilungen.
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Dr. med. Birgit Hibbeler
HAFTPFLICHTPRÄMIEN
Geburtshilfe in Gefahr
Rasant steigende Beiträge zur Berufshaftpflicht gefährden die Existenz freiberuflicher Hebammen. Doch auch für Gynäkologen, die als Belegärzte in Krankenhäusern geburtshilflich tätig sind, entwickeln sich die Prämien zum Problem.
Belegärztinnen und -ärzte in der Geburtshilfe wer- den in Deutschland immer mehr zur Rarität.
Foto: Your Photo Today