Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 13⏐⏐28. März 2008 A653
S E I T E E I N S
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ir haben das 21. Jahrhundert, und ich dachte, Tuberkulose sei ausgerottet. Ich konnte nicht glauben, dass ich TB haben soll“, berichtet eine junge Frau in dem eindruckvollen Film „You, me & TB“ von Carl Cordonnier, einem Künstler, dessen Ausstellung anlässlich des Welttuberkulosetags (24. März) in Berlin zu sehen ist. Ähnlich überrascht reagieren manchmal auch Ärztinnen und Ärzte, wenn sie in Klinik oder Pra- xis auf Tuberkulosepatienten treffen. Das passiert nicht allzu häufig, doch wirklich selten ist diese beinahe ver- gessene Erkrankung nicht. In den Städten Hamburg, Berlin und Bremen müssen sich Ärzte auf eine Inzidenz von neun bis zehn Erkrankungen je 100 000 Einwohner einstellen (Bundesdurchschnitt: 6,6 Neuerkrankungen je 100 000 Einwohner). Die Inzidenz der offenen und damit potenziell ansteckenden Tuberkulose liegt dort zwischen fünf und sechs je 100 000 Einwohner.Ausgerottet ist die Tuberkulose (TB) noch lange nicht. Zwar ist es das Ziel der Weltgesundheitsorganisa- tion (WHO), die TB bis 2050 zu eliminieren. Doch der- zeit ist sie noch die weltweit am häufigsten zum Tode führende bakterielle Infektionskrankheit. Ein Drittel der Weltbevölkerung gilt als infiziert. Nach Berechnun- gen der WHO sterben jedes Jahr fast zwei Millionen Menschen daran, acht bis neun Millionen erkranken neu. Besonders betroffen ist neben Afrika, Zentral- und Südostasien sowie Lateinamerika auch Osteuropa, vor allem die Länder der früheren Sowjetunion.
Deutschland gilt mit 5 400 registrierten Tuberkulose- fällen im Jahr 2006 als Niedrig-Inzidenz-Land. 201 Menschen verstarben 2006 an den Folgen der Infekti- onskrankheit. Den aktuellen Zahlen des Robert-Koch- Instituts (RKI) zur Epidemiologie der Tuberkulose zu- folge setzt sich damit in Deutschland der rückläufige Trend der Vorjahre fort. „Angesichts der internationalen Situation muss die Tuberkulose jedoch weiterhin einen hohen Stellenwert in Medizin und Gesundheitsdienst haben“, betonte Dr. med. Walter Haas, RKI, im Vorfeld des Tuberkulosesymposiums des Koch-Metschnikow- Forums am 24. und 25. März in Berlin. Unbefriedigend sei auch noch das Behandlungsergebnis der Tuberkulose in Deutschland. Lediglich bei 78 Prozent der im Jahr 2005 an TB Erkrankten konnte die Therapie erfolgreich beendet werden. Die WHO sieht als Zielvorgabe jedoch einen Behandlungserfolg von 85 Prozent vor. Multiresis-
tente Erreger diagnostizierten die Ärzte im Jahr 2006 bei 78 Patienten (2,2 Prozent) in Deutschland.
Die weitverbreitete Ansicht, Tuberkulose sei hierzu- lande lediglich ein Problem von Migranten, ist nicht rich- tig. Mehr als die Hälfte der Tuberkulosepatienten sind in Deutschland geboren; 43 Prozent sind Ausländer und stammen überwiegend aus osteuropäischen Ländern.
Unerlässlich ist bei der Tuberkulose ein globales Den- ken. Der „Global Plan to Stop TB : 2006–2015“ der WHO sieht eine Investition von 56 Milliarden US-Dollar vor, um Tuberkuloseerkrankungen erfolgreich zu behandeln.
Nötig sind verbesserte diagnostische Verfahren und Arz- neimittel sowie effizientere Impfstoffe. In vielen Ländern mangelt es an Medikamenten, die den Erkrankten nicht nur kurzfristig, sondern über den notwendigen Zeitraum von etwa sechs Monaten gegeben werden können. Die Bundesregierung stellt zur Bekämpfung der Tuberku- lose jährlich etwa 300 Millionen Euro zur Verfügung.
Engagiert sind aber auch verschiedene Nichtregierungs- organisationen, wie die Deutsche Lepra- und Tuberkulose- hilfe e.V., das Deutsche Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose oder das Nationale Referenzzentrum für Mykobakterien. Osteuropa ist Schwerpunkt des Koch- Metschnikow-Forums, einer 2006 von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem damaligen russischen Präsiden- ten Wladimir Putin gegründeten deutsch-russischen Initiative des Petersburger Dialogs.
An welcher Stelle des Gesundheitswesens auch im- mer: Gefragt ist bei der Tuberkulosebekämpfung jeder.
Darauf weist das Motto des Welttuberkulosetages 2008 hin: „Stoppt TB – Jeder trägt Verantwortung.“
TUBERKULOSE
Immer noch eine Gefahr
Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann
Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann Redakteurin für Gesundheits- und Sozialpolitik in Berlin