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Archiv "Verantwortungsbewußte Elternschaft" (18.04.1974)

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Verantwortungsbewußte Elternschaft

Ergebnisse einer Fragebogenaktion*)

Hans-Joachim Staemmler, Gustav Wagner und Elfriede V. Welker

Aus der Städtischen Frauenklinik Ludwigshafen/Rhein (Direktor: Professor Dr. med. Hans-Joachim Staemmler) und dem Institut für Dokumentation, Information und Statistik des Krebsforschungszentrums Heidelberg

(Direktor: Professor Dr. med. Gustav Wagner)

Kinder sollen für ihre Eltern Glück bedeuten. Sie haben ein Recht auf elterliche Lie- be, individuelle Erziehung, angepaßte Bildung und einen sicheren Start in die eigene Verantwortung. Aus diesem Grund ist .für eine kritische Elternschaft Familienplanung unerläßlich. Sie umfaßt indi- viduelle, national- wie auch global-bevölkerungspolitische Aspekte. Mit einer Studie, bei der 3151 Fragebögen ausge- wertet wurden, sollte festge- stellt werden, welche indivi- duellen Vorstellungen bei der Familienplanung bestehen und wie sie verwirklicht wer- den.

Verantwortungsbewußte Eltern- schaft heißt Familienplanung. Ihre Bedeutung und Konsequenzen las- sen sich unter drei Aspekten be- trachten:

0 Individueller Aspekt: Familien- planung bedeutet gewollte Eltern- schaft unter Berücksichtigung der beruflichen Entwicklung, der so- zioökonomischen Bedingungen, der eigenen körperlichen und gei- stigen Leistungsfähigkeit sowie der Stabilität der Ehe. Die individuellen Vorstellungen werden realisiert so- wohl durch die Kontrazeption als auch durch die Behebung der ehe- lichen Sterilität. Beide Maßnah- men greifen regulierend in primär schicksalhafte Gegebenheiten ein und sind im Hinblick auf die verant- wortungsbewußte Freiheit des Indi- viduums gleichwertig.

0 Nationaler bevölkerungspoliti- scher Aspekt: Zur Bestanderhal- tung einer Bevölkerungsgruppe sind 2,3 Kinder je Elternpaar er- forderlich. In der Bundesrepublik Deutschland wird dieser Wert seit dem Jahre 1971 unterschritten. Die Zahl der Lebendgeborenen betrug 1972 rund 701 000 und lag 1973 mit etwa 630 000 um zehn Prozent niedriger als im Vorjahr. 13 Pro- zent dieser Kinder haben Eltern nichtdeutscher Staatsangehörig-

keit. Das Geburtendefizit betrug 1971 etwa 24 000, im folgenden Jahr 110 000 und in 1973 etwa 160 000. 60 Prozent der Gebur- tenverminderung werden der Emp- fängnisregelung, das heißt der Vermeidung ungewollter Konzep- tionen zugeschrieben. Die Sterbe- rate übersteigt die Geburtenrate zunehmend. 1973 betrug die Ge- burtenfrequenz rund 10/1000. Für die Zukunft kann man aus die- ser Entwicklung bei Bewahrung des gegenwärtigen Fortpflanzungs- verhaltens folgern, daß die Kinder- zahlen nicht mehr ausreichen, um den Bestand der Bevölkerung ohne Zuwanderung zu erhalten.

Globaler bevölkerungspoliti- scher Aspekt: Die Völker der soge- nannten Dritten Welt befinden sich im Zustand der „Bevölkerungsex- plosion". Folgende Fakten spre- chen für sich:

a) Die Weltzuwachsrate beträgt jährlich durchschnittlich 1,8 Pro- zent. Sie liegt für die westlichen In- dustrienationen bei 1,0 Prozent, für Mittel- und Südamerika bei 2,7 Pro- zent und für Indien sowie Fernost (außer China) bei mehr als drei Prozent.

b) Die Geburtenfrequenz beträgt für die europäischen und nordame-

rikanischen Völker 10 bis 18/1000, für die Entwicklungsländer 45 bis 51/1000 Einwohner und Jahr.

c) Verdopplungszeit: Bei unverän- derter Zunahme verdoppelt sich die Bevölkerung von Westeuropa in 100 bis 350 Jahren, von den USA in 70, von China in 41, von Lateiname- rika in 30, von Indien in 28 und von Pakistan, Thailand und den Philip- pinen in 21 Jahren.

Für die Entwicklungsländer bedeu- tet „Familienplanung" in erster Linie Empfängnisverhütung. Alle Bemü- hungen in dieser Richtung sind bis- her an Analphabetentum, tradier- ten Normen und nationalistischen Ideologien gescheitert, ungeachtet der Tatsache, daß jährlich etwa 30 Millionen Menschen den Hungertod sterben.

Das eigene Projekt Material und Methodik

Unsere Umfrage betraf die indivi- duellen Aspekte der Familienpla- nung. Mit ihr sollten die Zielvorstel-

*) Mit Unterstützung der Deutschen For- schungsgemeinschaft

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 16 vom 18. April 1974 1153

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Familienplanung

lungen und deren Realisation bei den befragten Frauen unter Berück- sichtigung von Personenstand, Konfession, Herkunft, Bildung, Ein- kommen und beruflicher Belastung untersucht werden.

Für die Umfrage wurde nach Durchführung einer Pilotstudie an 400 Probandinnen ein anonym ge- haltener vierseitiger Fragebogen entwickelt. Bei der Formulierung der Fragen wurde besonderer Wert auf Eindeutigkeit und gegenseiti- gen Ausschluß der vorgegebenen Antwortmöglichkeiten gelegt, um Mißverständnisse und Doppelan- kreuzungen von vornherein so weit wie möglich auszuschalten. Die Verteilung der Bögen erfolgte von 1968 bis 1970 über Frauenkliniken, Frauenverbände, konfessionelle Or- ganisationen und Industriebetriebe, im wesentlichen im Raum Ludwigs- hafen/Rh., Mannheim, Heidelberg, zu einem geringeren Prozentsatz auch in Düsseldorf und Bremerha- ven.

Wir erhielten von den rund 9000 ausgegebenen Bögen 3497 ausge- füllt zurück, von denen 3151 (90 Prozent) verwertbar waren.

Nach Verschlüsselung der Bögen erfolgte die Ablochung der Daten auf jeweils zwei Lochkarten. Die Karten wurden zunächst einem elektronischen Fehlerprüfverfahren unterzogen, gegebenenfalls korri- giert, ihr Inhalt auf Magnetplatten gespeichert und im Institut für Do- kumentation, Information und Sta- tistik des Deutschen Krebsfor- schungszentrums in Heidelberg in mehr als 200 Tabellen ausgewertet.

Alle Ergebnisse wurden einem Chi-Quadrat-Test unterzogen (Si- gnifikanzschranke a = 0,05).

In der vorliegenden Veröffentli- chung können nur einige der wich- tigsten Ergebnisse mitgeteilt wer- den.

Eine detallierte Darlegung der Me- thodik, aller Einzelresultate, ihrer Interpretationen und Konsequenzen erfolgt an anderer Stelle (Staemm- ler, 1974).

Ergebnisse

I. Charakteristika des befragten Kollektivs

Altersverteilung: 25 Prozent der be- fragten Frauen befanden sich im Al- ter zwischen 20 und 24 Jahren, 22 Prozent zwischen 25 und 29, 16 Prozent zwischen 30 und 34 Jah- ren. Die niedrigeren und höheren Altersklassen waren mit jeweils etwa sechs bis sieben Prozent be- setzt.

Familienstand: 83,6 Prozent der Frauen waren verheiratet, 16,4 Pro- zent ledig.

Alter bei Eheschließung: Rund 53 Prozent der verheirateten Frauen hatten zwischen dem 20. und 24. Le- bensjahr geheiratet, 22 Prozent vor dem 20., 19 Prozent zwischen dem 25. und 29. Lebensjahr, knapp sechs Prozent mit 30 Jahren oder später.

Geburten: Von den Verheirateten hatten 67,8 Prozent ein Kind oder mehrere Kinder, von den Ledigen 3,7 Prozent.

Bildungsgang: 63 Prozent der Probandinnen hatten die Grund- schule, 18 Prozent die Realschule und 19 Prozent das Gymnasium ab- solviert.

II. Der Wunsch nach Familienpla- nung („Planungswunsch") und sei- ne Realisierung („Planungsdiszi- plin")

Eine von Ehebeginn an geplante Elternschaft hatten sich 64 Prozent der befragten Frauen vorgenom- men; eingehalten werden konnte diese Planung aber nur von 39 Pro- zent. Insgesamt befürworten primär oder rückblickend 84 Prozent der Frauen die Familienplanung; eine präzise Vorstellung von der definiti- ven Größe der eigenen Familie ha- ben jedoch nur 40 Prozent.

Es besteht eine eindeutige Abhän- gigkeit zwischen Familienstand und Alter einerseits und Planungs-

wunsch sowie -disziplin anderer- seits: Ledige äußern sich verständ- licherweise viel eindeutiger für eine Planung (92 Prozent) als Ver- heiratete (72 Prozent). Planungs- wünsche werden am häufigsten ge- äußert von Frauen zwischen dem 20. und 34. Lebensjahr, am häufig- sten eingehalten von Frauen zwi- schen dem 25. und 29. Lebensjahr.

Die Konfessionszugehörigkeit hat keinerlei Einfluß auf die Einstellung zur Familienplanung.

Einen statistisch gesicherten Ein- fluß hat dagegen die Zahl der Ge- schwister, das heißt die Größe der Familie, in der die Frau aufgewach- sen ist. Sie beeinflußt die Familien- planung eindeutig. Einzelkinder planen und realisieren ihre Vorstel- lungen viel häufiger als Frauen mit mehreren Geschwistern.

Erwartungsgemäß besteht eine Ab- hängigkeit vom Nettoeinkommen der Familie. Frauen mit weniger als 600 DM Monatseinkommen plädie- ren am häufigsten für eine Fami- lienplanung. Dafür dürften das in der Regel jüngere Alter, die relativ hohe Frequenz an Ledigen und (bei Verheirateten) die ungesicherte wirtschaftliche Lage verantwortlich sein. Diese niedrigste Einkom- mensgruppe weist aber zugleich auch die schlechteste Planungsdis- ziplin auf, die sich in der Häufung vorehelicher Konzeptionen und Jungehen äußert. In der Intensität der Planungsdisziplin folgen die Einkommenstufe „1500 bis 2000 DM pro Monat" (junge Familien in der Aufbauphase beziehungsweise jun- ge Paare in der Entwicklungsperi- ode) und die Stufe „2000 bis 3000 DM pro Monat". Letztere repräsen- tiert die „etablierte" Familie, die den erreichten Lebensstandard zu erhalten wünscht.

Der Planungswunsch und seine Einhaltung stehen nicht zuletzt in deutlicher Abhängigkeit vom Bil- dungsgrad und von der Berufsposi- tion der Frau. Volksschulabsolven- tinnen planen nur zu 68 Prozent und realisieren zu 36 Prozent;

Frauen mit Oberschulabschluß pla-

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nen dagegen zu 93 Prozent und verwirklichen ihre Planung zu 46 Prozent. Gleiche Verhältnisse erge- ben sich für die Berufsposition der Frau: Je differenzierter und verant- wortungsvoller diese ist, um so in- tensiver ist auch der Planungs- wunsch.

III. Kinderwunsch und Geburtenabstand

In der Umfrage wurde weiterhin ge- fragt, wieviel Kinder gewünscht wa- ren beziehungsweise werden, wel- che der vorhandenen Kinder ge- plant waren und welcher Geburten- abstand für optimal erachtet wird.

Der Wunsch nach zwei Kindern do- miniert (55 Prozent aller Antwor- ten). Drei Kinder wünschen sich 19 Prozent, nur eins zehn Prozent, kein Kind wollen 1,5 Prozent der Frauen. Bei der weiteren eingehen- deren Untersuchung der Einflüsse auf die Kinderzahl dominiert in al- len Gruppen der Wunsch nach zwei Kindern. Es ergaben sich jedoch gewisse Abstufungen:

Frauen, die bei Eheschließung min- destens 30 Jahre alt waren, wünschten sich häufiger als jünge- re Frauen keine Kinder oder nur ein Kind. Je größer die Zahl der ei- genen Geschwister ist, desto mehr Kinder werden in der Regel ge- wünscht. Das Verlangen nach drei bis vier Kindern äußern am häufig- sten Frauen, die nicht berufstätig waren oder sind. In dieser Gruppe sind gehobener Sozialstatus und höhrere Bildung stärker repräsen- tiert als in den anderen Kollektiven.

Die Beziehung zwischen höherer Bildung und dem Wunsch nach mehr als zwei Kindern ergibt sich auch aus folgender Aufgliederung:

Für null bis zwei Kinder plädieren 80 Prozent der Frauen mit Volks- schulbildung, 69 Prozent mit Mittel- schulabschluß und 52 Prozent der Oberschulabsolventinnen. Für drei und mehr Kinder sprechen sich 20 Prozent der Volksschulabgängerin- nen, 31 Prozent der Frauen mit Mit- telschulbildung und 49 Prozent der Frauen mit Oberschulabschluß aus.

Die Auswertungen bezüglich der Realisation des Kinderwunsches ergaben, daß 54 Prozent der ersten und 55 Prozent der zweiten Kinder nicht geplant worden waren! Die Häufigkeit der Abweichung von der Planung steht in Abhängigkeit vom Alter: Das erste Kind war nicht ge- plant bei 64 Prozent der Frauen un- ter 20 Jahren, bei 52 Prozent der Frauen zwischen 20 und 24 Jahren und bei 47 Prozent der Frauen im Alter von 25 bis 29 Jahren. Für das zweite Kind betragen die entspre- chenden Prozentwerte 73, 56 und 49 Prozent. Für das dritte Kind er- rechnen sich sogar 76, 70 bezie- hungsweise 71 Prozent. Mit zuneh- mender Bildung steigt der Prozent- satz geplanter Kinder eindeutig an.

49 Prozent aller Frauen sprechen sich für einen Geburtenabstand von zwei Jahren aus, 29 Prozent halten einen Dreijahresabstand für optimal. Abstände von drei und mehr Jahren werden erwartungs- gemäß von der jüngsten Alters- gruppe bevorzugt. Mit zunehmen- der Bildungsqualität wird der Wunsch nach dem Zweijahresab- stand markanter (Volksschule = 44 Prozent, Mittelschule = 55 Prozent, Oberschule = 61 Prozent).

Die Konfession übt auf den Kinder- wunsch, seine Realisierung und den Geburtenabstand keinen Ein- fluß aus.

IV. Methoden der Kontrazeption Schließlich wurde in dem Fragebo- gen nach Kenntnis und Anwendung der kontrazeptiven Methoden und

nach den Bedenken gegen sie ge- fragt. Die Auswertungsergebnisse für die wichtigsten Methoden gibt Tabelle 1 wieder.

Auch diese Angaben wurden noch näher analysiert. Von den konven- tionellen Methoden (1. bis 3.) wird mit zunehmendem Alter häufiger Gebrauch gemacht, während die modernen Verfahren (4. bis 6.) von den jüngeren Altersgruppen (20.

bis 34. Lebensjahr) eindeutig be- vorzugt werden. Auch hierbei läßt sich kein Einfluß der Konfession erkennen. Dagegen ließ sich klar feststellen, daß mit zunehmender Bildung der Bekanntheitsgrad der verschiedenen Methoden zunimmt und zugleich die hormonale Kon- trazeption bevorzugt wird. Hormo- nale Kontrazeptiva (sogenannte Anti-Baby-Pillen) werden im Ge- samtdurchschnitt von 23 Prozent aller Befragten angewandt, von Ab- solventinnen der Volksschule aber nur zu 18 Prozent, von solchen der Mittelschule zu 27 Prozent und von solchen der Oberschule zu 35 Pro- zent. Analoge Beziehungen erge-- ben sich auch hier bezüglich der Berufsposition der Frau.

Aus Tabelle 1 geht hervor, daß be- stehende Bedenken die Anwen- dung einzelner Methoden nicht ausschließen. Eine detaillierte Auf- schlüsselung nach der Art der Be- denken ergab, daß diese weitge- hend ästhetischer Natur sind ge- genüber den Methoden 1. bis 3.;

überwiegend gesundheitliche Be- denken bestehen dagegen gegen- über der hormonalen Kontrazep- tion. Bedenken bezüglich der Si- Tabelle 1: Methoden der Kontrazeption

Lfd. Nr. Methode Kenntnis Anwendung Bedenken 1. Coitus interruptus 950/0 60°/o 530/0 2. Coitus condomatus 92°/o 470/o 390/o

3. Vaginalspülung 81% 17°/o 430/o

4. Zeitwahl (Knaus-Ogino) 86°/o 40°/o 44°/o 5. Temperatur-Methode 67°/o 100/0 330/o 6. Hormonale Kontrazeption 91°/o 23°/o 28°/o

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 16 vom 18. April 1974 1155

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Familienplanung

Sozialmedizinische Anmerkungen

zum Beitrag „Verantwortungsbewußte Elternschaft"

von Staemmler, Wagner und Welker

Ärztlicherseits muß man, auch im Zusammenhang mit der poli- tischen Diskussion um die Än- derung der Bestimmungen des

§ 218, dem Problem „verantwor- tungsbewußte Elternschaft und Familienplanung" mit Recht ho- hen Stellenwert zuordnen. Die Untersuchungen von Staemmler, Wagner und Welker dürfen da- mit einer interessierten Aufnah- me in der Ärzteschaft sicher sein.

Nicht unproblematisch scheinen einige der Folgerungen zu sein, die die Autoren bei der Ausdeu- tung ihrer Untersuchungsergeb- nisse vorgebracht haben; das gilt sowohl für das in der Einlei- tung ihrer Darstellung Gesagte als auch für Ausführungen zu einzelnen Punkten.

Geburtendefizit

Nach kürzlich veröffentlichten Pressemeldungen hat das Stati- stische Bundesamt für 1973 das Geburtendefizit in der Bundes- republik gegenüber der Sterbe- zahl mit etwa 90 000 angegeben;

im Jahre 1972 betrug das Ge- burtendefizit nur rund 30 000.

Um Entwicklung und Trends in unserer Bevölkerung richtig be- urteilen zu können, sollte man wissen, daß noch vor wenigen Jahren ein Geburtenüberschuß von mehr als 100 000 Geburten pro anno registriert wurde.

Beratungsstellen für Familienplanung

In der sozialpolitischen und der sozialmedizinischen Diskussion wird die Einrichtung kostenloser

besonderer Beratungsstellen für Sexual-, Ehe- und Erziehungs- probleme nicht selten als we- sentliches Mittel zur Förderung der Familienplanung genannt.

Innerhalb der praktizierenden Ärzteschaft ist die Meinung hier- zu allerdings keineswegs son- derlich positiv. Das ergaben die Erfahrungen, die beispielsweise schon vor Jahren bei entspre- chenden Experimenten in Ham- burg gesammelt worden sind.

An Stelle der verstärkten Ein- schaltung von Beratungsstellen wird empfohlen, die breite, in der ambulanten ärztlichen Ver- sorgung der Bevölkerung ste- hende Ärzteschaft, insbesonde- re Allgemeinärzte und Frau- enärzte, stärker beratend in die individuelle Familienplanung ein- zuschalten und diese somit zu fördern.

Sterilitätsbehandlung

In der Studie wird eine „Verbes- serung der Sterilitätsbehand- lung durch entsprechende In- tensivierung der ärztlichen Fort- bildung" gefordert. Der Schluß der Autoren, daß die Ursache für die bisherige mangelhafte Sterilitätsbehandlung im Be- reich der ärztlichen Fortbildung zu suchen sei, dürfte auf Vermu- tungen beruhen. Viel wahr- scheinlicher ist, daß die Ursa- che in erster Linie in Mängeln und Lücken im Bereich der ärzt- lichen Ausbildung zu suchen ist.

Kostenerstattung

Ebenfalls durchaus nicht unum- stritten ist die Kostenerstattung durch die Krankenkassen bei der hormonalen Kontrazeption.

Während zum Beispiel die Re- gierungskoalition in Bonn bei den jüngsten politischen Bera- tungen zur Änderung des Straf- rechts, § 218 StGB, gegenüber der kostenlosen Abgabe von Kontrazeptiva nicht unerhebli- che Bedenken gegen eine sol- che Regelung erkennen ließ, wurde sie nach Presseberichten in jüngerer Zeit dagegen aus Kreisen der CDU vorgeschlagen beziehungsweise empfohlen.

„Kinderfreundlichkeit"

Wesentlich unterbewertet dürfte auch das unter Punkt 8 der „Fol- gerungen" Gesagte sein. Mit

„ein wenig mehr Kinderfreund- lichkeit in der Steuergesetzge- bung" und bei sonstigen Maß- nahmen von Staat und Kommu- nen wird man gerade diesem Problem kaum gerecht werden.

Die Autoren der Arbeit weisen selbst darauf hin, daß Familien- planung beziehungsweise Kin- derwunsch nicht unwesentlich von den wirtschaftlichen und so- zialen Verhältnissen abhängig sei. Aber nicht nur die derzeitige Steuergesetzgebung ist kinder- unfreundlich, sondern auch die Pläne zur Änderung der be- stehenden Kindergeldregelung werden, sollten sie rechtskräftig werden, für wesentliche Teile der Bevölkerung zusätzliche Nachteile bringen. Statt der sanften Empfehlung für „mehr Kinderfreundlichkeit" von Staats wegen sind gerade in diesem Zusammenhang wesentlich poin- tiertere Forderungen ange- zeigt. Diese Auffassung wird von breiten Ärztekreisen sowie von den freien Berufen insgesamt vertreten. Redaktion

1158 Heft 16 vom 18. April 1974 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Therapie

Nucleus-pulposus-Hernien, die Pa- resen, Reflexausfälle, Sensibilitäts- störungen oder sogar Sphinkterläh- mungen auslösen, stellen eine ab- solute Indikation zur Operation dar.

Wird nicht chirurgisch vorgegan- gen, ist mit einem nicht mehr zu re- ponierenden Austritt von Band- scheibengewebe zu rechnen. Bei einer lumbalen Hernie, die am häu- figsten zu beobachten ist, operiert man durch einen Zugang von dorsal. Auf der Seite der Ausfälle legt man die Wirbelbögen frei und

Falsche

Dosierungsangabe

Berichtigung zum Werk „Kil- lian, Lokalanästhesie und Lo- kalanästhetika", 2. Auflage:

Bedauerlicherweise ist in diesem Buch des Georg- Thieme-Verlages die Dosie- rung eines Anästhetikums falsch angegeben. Es muß richtig heißen: Seite 280, Ta- belle 3.12: unter Xylocain die Maximaldosis = 0,5 g. Die Besitzer des Werkes können eine berichtigte Tabelle beim Georg Thieme Verlag, Stutt- gart 1, Postfach 732, anfor- dern. DÄ

entfernt das Ligamentum flavum.

Dann erfolgt eine interlaminäre Fensterung. So gelingt die Darstel- lung der Wurzeln und die Entfer- nung der Diskushernie. Daß weite- res Gewebe nachrutscht, kann nur verhindert werden, wenn man den gesamten Nucleus pulposus aus- räumt. Ausfüllung und Fusion des Zwischenwirbelraums sind nicht nötig. cb (Busch, G.: Med. Klin. 69 [1974], 49-56)

cherheit (oder Unsicherheit) der Methode bestehen gegenüber dem Coitus interruptus (32 Prozent) und der Zeitwahl (43 Prozent).

Diese Bedenken finden ihre Be- rechtigung in der Rate ungewollter Konzeptionen. Mit der höchsten Versagerquote ist die Zeitwahlme- thode (28 Prozent), mit der nächst- höchsten der Coitus interruptus (21 Prozent) belastet. Dagegen ergibt sich für die hormonalen Kontrazep- tiva eine Versagerquote von nur 1,1 Prozent. Diese Versagerraten nä- hern sich übrigens überraschender- weise dem sogenannten Pearl-In- dex, der die Versager einer Metho- de bezogen auf 1200 untersuchte Zyklen angibt. Die Versagerfre- quenz steht erwartungsgemäß in eindeutiger Abhängigkeit vom Bil- dungsniveau.

Folgerungen

Familienplanung hängt nicht allein vom rein wirtschaftlichen Kalkül ab, wenn es diesen natürlich auch mit impliziert. Diese „Planung" ent- spricht nicht der Planung der Wirtschaft, wie ja Kinder auch kei- ne Produkte im ökonomischen Sin- ne sind. Frauen und Männer wün- schen sich Kinder, weil sie in ihnen eine Glückserfüllung sehen. Eine solche ist aber auch an reale Vor- aussetzungen gebunden. Kinder haben ein Recht auf elterliche Lie- be, individuelle Erziehung, ange- paßte Bildung und einen sicheren Start in die eigene Verantwortung.

Deswegen bedeutet Familienpla- nung liebevolle, bewußte und kriti- sche Elternschaft. Sie bedeutet Kontrazeption soweit wie nötig, Er- füllung des Kinderwunsches soweit wie möglich. Ziel der Familienpla- nung sind gewünschte Kinder. Die Erreichung des Zieles setzt voraus:

O Intensive, wissensgerechte, der Reife und dem Bildungsgrad ange- paßte Aufklärung über die Physio- logie der Fortpflanzung.

O Schaffung kostenloser Bera- tungsstellen für Sexual-, Ehe-, Fa- milien- und Erziehungsprobleme.

• Verbesserung der Sterilitätsbe- handlung durch entsprechende In- tensivierung der ärztlichen Fortbil- dung.

O Umfassende öffentliche, ideolo- giefreie Information über sichere Methoden der Kontrazeption.

O Kostenerstattung der hormona- len Kontrazeption und der operati- ven Sterilisation durch die Versi- cherungsträger.

O Schaffung preiswerter größerer Wohnungen, von Kinderspielplät- zen, sicheren Spielstraßen und ausreichenden, frei zugänglichen Grünflächen.

O Großzügige Schaffung und För- derung von Kindergärten und Kin- dertagesstätten in den Wohngebie- ten und Arbeitsstätten.

O Mehr „Kinderfreundlichkeit" in der Steuergesetzgebung, bei den öffentlichen Transportmitteln und bei den Betrieben der öffentlichen Hand.

O Bezahlter Mutterschaftsurlaub zwei Monate vor dem Entbindungs- termin und drei Monate nach der Geburt.

O Förderung und Begünstigung der Halbtagsarbeit für Mütter.

Literatur

Gesenius, H.: Empfängnisverhütung, 3. Auf- lage, Urban & Schwarzenberg, München 1970 - Kepp, R., Staemmler, H.-J.: Lehr- buch der Gynäkologie, 11. Auflage, Thieme, Stuttgart 1974 - Meadows, D.: Grenzen des Wachstums, Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, Deutsche Ver- lagsanstalt, Stuttgart 1972 - Schwarz, K.:

Persönliche Mitteilung (eigene Berechnun- gen nach den Unterlagen des Statistischen Bundesamtes) — Staemmler, H.-J. (Hrsg.):

Familienplanung. Thieme, Stuttgart 1974.

Anschriften der Verfasser:

Professor Dr. med. H.-J. Staemmler Dr. med. Elfriede V. Welker

67 Ludwigshafen am Rhein Bremserstraße 79

Professor Dr. med. G. Wagner 69 Heidelberg

Kirschnerstraße 6

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