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Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 7, 13. Februar 1998 (1)
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pätestens seit Heiner Geiß- lers Wortschöpfung von der„Kostenexplosion im Ge- sundheitswesen“ sehen sich Kran- kenhäuser und niedergelassene Ärzte mit dem permanenten Vor- wurf konfrontiert, ihre Leistungen seien zu teuer. Das geht nun schon gut zwei Jahrzehnte so. Doch in- zwischen mehren sich die Stim- men, die auf den „Wirtschaftsfak- tor“ und Arbeitsmarkt Gesund- heitswesen hinweisen.
Die Kostendämpfungsgesetze der 70er Jahre, diverse Gesund- heitsreformen und die anhaltenden Diskussionen um die Lohnneben- kosten haben den Druck auf die stationäre und ambulante Versor- gung derart verstärkt, daß nun die unausweichlichen Folgen zutage treten: Abbau von Arbeitsplätzen.
Daß es beispielsweise den Berliner Kassenärzten wirtschaftlich nicht besonders gut geht, war bisher schon kein Geheimnis. Eine Um- frage der Kassenärztlichen Vereini- gung Berlin brachte nun jedoch er- schreckende Ergebnisse. Danach sind in den letzten fünf Jahren al- lein in der Stadt Berlin 2 886 Arzt- helferinnen-Stellen in den rund 6 000 Arztpraxen entfallen. „Wenn ein Konzern wie Siemens so viele Stellen abbauen würde, ginge ein Aufschrei durch die Stadt“, kom- mentiert der Berliner KV-Vorsit- zende, Dr. med. Manfred Richter- Reichhelm, das „düstere Bild“.
Die 2 886 fehlenden Arbeits- plätze sind der Saldo von 1 381 neuen und 4 267 gestrichenen Stel- len. Mehr als die Hälfte davon wa- ren Vollzeitarbeitskräfte. Wenn-
gleich die Berliner Verhältnisse nicht als repräsentativ für das Bun- desgebiet gelten können, so lassen sie dennoch eine Tendenz erken- nen, die sich mit den Feststellungen des Berufsverbandes der Arzt-, Zahnarzt- und Tierarzthelferinnen (BDA) deckt. Nach Angaben des Verbandes sank die Zahl der voll- zeitbeschäftigten Arzt- und Zahn- arzthelferinnen im vergangenen Jahr um zwölf Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der BDA führt dies nicht zuletzt auf die finanziellen Einbußen der Arztpraxen infolge der Gesundheitsreformen zurück.
Richter-Reichhelm wertet die Berliner Zahlen als Alarmsignal.
Anderenorts sollte man dies auch so sehen. Denn das Gesundheits- wesen ist nun einmal ein wesentli- cher Wirtschaftsfaktor. Josef Maus
Alarmsignal
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as sogenannte Psychothe- rapeutengesetz dürfte in Kürze verabschiedet wer- den und 1999 in Kraft treten. Der Vermittlungsausschuß von Bun- destag und Bundesrat hat sich nämlich auf einen Kompromiß ge- einigt. Der betrifft einmal das ei- gentliche Psychotherapeutenge- setz, also Schutz der Berufsbe- zeichnung Psychotherapeut und Qualifikationsvoraussetzungen, zum anderen die Einbeziehung in die vertragsärztliche Versorgung.Die Verabschiedung dieser Geset- zesteile gilt als problemlos. Strittig ist lediglich die von der Koalition betriebene Zuzahlung von 10 DM pro Sitzung. Hier könnte sich der Bundestag mit „Kanzlermehrheit“
gegen das Votum des Bundesrates durchsetzen, so daß voraussicht- lich auch die Zuzahlung Gesetz werden dürfte.
Psychotherapeuten dürfen sich demnächst nur solche Psycho-
logen nennen, die ein abgeschlos- senes einschlägiges Studium sowie eine dreijährige zusätzliche beruf- liche Ausbildung, abzuschließen mit einer staatlichen Prüfung, nachweisen. Die erhalten alsdann eine Approbation.
Approbierte Psychotherapeu- ten können für die vertragsärztli- che Versorgung zugelassen wer- den. Kassenpatienten dürfen sie direkt aufsuchen; es bedarf keiner Genehmigung durch die Kranken- kasse und keiner vorhergehenden Konsultation eines Arztes mehr.
Allerdings ist nach den probatori- schen Sitzungen eine somatische Abklärung herbeizuführen.
Die für die Kassenbehandlung zugelassenen Psychotherapeuten werden Mitglieder der Kassenärzt- lichen Vereinigungen, und zwar mit gleichen Rechten und Pflich- ten. Zusätzlich werden bei den KVen und bei der KBV beratende Fachausschüsse für Psychothera-
pie etabliert, die paritätisch mit Psychologischen Psychotherapeu- ten und Ärzten zu besetzen sind.
Mit der Aufnahme in die KVen wird das sogenannte Inte- grationsmodell realisiert. Für diese Lösung hatte sich ursprünglich die Vertreterversammlung der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung (mit knapper Mehrheit) ausge- sprochen. Im Verlauf des Gesetz- gebungsverfahrens hatte die Ver- treterversammlung allerdings ihre Meinung geändert. Bundesregie- rung und gesetzgebende Organe haben dieses gegenteilige Votum offenbar nicht mehr berücksichti- gen wollen.
Für 1999 werden die Leistun- gen seitens der zugelassenen Psy- chotherapeuten mit 1,2 Milliarden DM veranschlagt. Die genaue Zahl der abrechnenden Psycho- therapeuten ist noch nicht be- kannt, die Rede ist von derzeit et- wa 11 000. Norbert Jachertz