olitische Rituale haben et- was für sich: sie lassen er- ahnen, wohin die Karawa- ne zieht. So kann es kein Zufall sein, daß verschiedene Politiker an verschiedenen Orten nahezu zeit- gleich denselben Gedanken nach- hängen. Den Anfang beim kollek- tiven Grübeln machte Bundesge- sundheitsminister Horst Seehofer, indem er auf dem traditionellen Jahresempfang des Gesundheits- politischen Arbeitskreises der CSU in München mal wieder
„laut“ nachdachte: Wie wäre es, wenn auf „gesundheitsschädliche Produkte“ Abgaben erhoben wür- den und diese Einnahmen der Prävention zugute kämen?
Wenige Tage später befaßte sich die gewichtige Konferenz der Gesundheitsminister der Länder in Saarbrücken exakt mit dersel- ben Frage. Die Minister und Sena- toren stimmten in der Auffassung überein, daß „von Alkohol eine er- hebliche Suchtgefahr ausgeht und Alkoholmißbrauch bei Jugendli-
chen und Kindern nicht selten der Einstieg in eine Drogenkarriere ist“. Also forderte die Konferenz die Bundesregierung auf, unver- züglich geeignete Maßnahmen zur Reduzierung des Alkoholkonsums zu ergreifen – unter anderem auch eine Überprüfung „produktbezo- gener Abgaben zum Zweck der Prävention“.
Dr. med. Dr. h. c. Karsten Vilmar, dem Präsidenten der Bun- desärztekammer, mögen dabei die Ohren geklungen haben. Vilmar fordert dies schon seit Jahren – nur wurde er in dieser Frage von den Politikern bislang geflissentlich überhört. Doch die Zeiten ändern sich, und aus dem einsamen Ru- fer in der Wüste wird mitunter über Nacht ein politischer Vor- reiter.
Bund und Länder sind nun da- bei, eine Abgabe auf gesundheits- schädliche Produkte salonfähig zu machen. Daß dies von einer späten medizinischen Einsicht herrührt, darf bezweifelt werden. Wenigstens bei Horst Seehofer ist der Zusam- menhang mit den leeren Sozialver- sicherungskassen unverkennbar.
Wie auch immer: Die Karawa- ne hat sich in Bewegung gesetzt und steuert ein gemeinsames Ziel an: mehr Einnahmen fürs Gesund- heitswesen. Daß zur Zeit nur von Abgaben auf Alkohol die Rede ist, mag verwundern. Vilmar jedenfalls ist nie müde geworden, auch auf den Tabak als gesundheitsschädli- ches Produkt hinzuweisen. Doch wer weiß schon, was sonst noch so alles auf dem Weg „eingesammelt“
werden wird. Josef Maus
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Seite eins
Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 49, 5. Dezember 1997 (1) ie Spitzenverbände der
Krankenkassen haben ge- gen niedergelassene Kar- diologen aus zehn Gemein- schaftspraxen Strafanzeige erstat- tet. Der Vorwurf: Abrechnungsbe- trug. Die Kardiologen haben den Kassen, heißt es, in großem Stil Sachmittel zu überhöhten Preisen in Rechnung gestellt. Auf „einige hundert Millionen DM“ schätzte Gernot Kiefer vom IKK-Bundes- verband den finanziellen Schaden (siehe auch unter „Nachrichten“ in diesem Heft).
Nach Redaktionsschluß ka- men erste Stellungnahmen der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung (KBV) und des Bundesver- bandes Niedergelassener Kardio- logen (BNK). „Bevor man eine ganze Zunft verdammt, soll man zunächst die Ergebnisse der Staatsanwaltschaft abwarten“, kommentierte der Erste Vorsit- zende der KBV, Dr. med. Winfried
Schorre, die pauschalen Vorverur- teilungen. Solche Anschuldigun- gen beeinträchtigten nicht zuletzt das Vertrauen des Patienten in seinen Arzt.
Um eventuellen Abrech- nungsmanipulationen vorzubeu- gen, hält es die KBV für sinnvoll, das Abrechnungssystem zu än- dern: In Zukunft sollte man die Kosten pauschal abgelten. Solche Überlegungen könnten jedoch nur gemeinsam mit den Krankenkas- sen angestellt werden.
Eine schnelle Änderung des derzeit insuffizienten Systems hät- ten die Krankenkassenverbände jedoch bislang verzögert, erklärte der Bundesverband Niedergelas- sener Kardiologen. Er zeigte sich
betroffen, daß die Krankenkassen in die Öffentlichkeit gegangen sind, ohne vorher die zuständigen Organe der Selbstverwaltung und den BNK einzuschalten. Die Art der Berichterstattung drohe eine ganze Berufsgruppe in Mißkredit zu bringen. Zum jetzigen Zeit- punkt sei eine rechtliche Beur- teilung der Sachverhalte nicht möglich.
Der vermeintliche Abrech- nungsskandal, befürchtet der BNK, könne eine weitere Konse- quenz haben: Patienten könnten nun „notwendige und zwingend in- dizierte Untersuchungen und Be- handlungen verweigern und damit ein nicht kalkulierbares Risiko eingehen“. Dr. Sabine Glöser