DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
S
echzehn Medizinhistoriker haben an das Deutsche Ärzteblatt geschrieben und zu jenem Interview mit Dr. Kar- sten Vilmar in Heft 18/1987, in dem das Verhältnis der Ärzte zum Nationalsozialismus behan- delt wurde, Stellung genom- men. Sie kritisieren darin vor al- lem die Auffassung, nur ein Kreis von einigen hundert Ärz- ten habe verbrecherisch gehan- delt; sie erklären vielmehr, die große Mehrheit der Ärzteschaft sei zum freiwilligen aber auch ungewollten Verbündeten der Nationalsozialisten geworden.Der Leserbrief jener Medi- zinhistoriker traf etwa vier Mo- nate nach Veröffentlichung des Interviews ein; zwei Wochen zu- vor hatte die Redaktion mit der Veröffentlichung einiger cha- rakteristischer, bis dahin einge- gangener Zuschriften und einem Schlußwort von Vilmar die Dis- kussion zu seinem Interview ab- geschlossen — von den Aktivitä- ten unter den Medizinhistori- kern nichts wissend.
Der Leserbrief der Histori- ker wurde somit, den Spielre- geln in der wissenschaftlichen Publizistik entsprechend, nicht
D
ie Kassenärztliche Bun- desvereinigung hat am 12. November folgende Presseerklärung abgegeben:„Der Vorstand der Kassen- ärztlichen Bundesvereinigung befaßte sich am gestrigen Tag mit dem Beschluß des Vorstan- des der Kassenärztlichen Verei- nigung Bayerns, nur dann einen Kandidaten für die Nachwahl in den KBV-Vorstand zu benen- nen, wenn damit die Übernah- me der Position des Ersten Vor- sitzenden möglich wird. Für den Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ist es unver- ständlich, daß die Kassenärzt- liche Vereinigung Bayerns die Rückkehr eines Vertreters in den KBV-Vorstand von der Übernahme der Position des Er- sten Vorsitzenden abhängig ma- chen will. Der Vorstand bedau- ert insbesondere den Zeitpunkt
NS-Zeit
Vom Umgang mit der Wahrheit
mehr aufgenommen Die Re- daktion hätte indes eine Aus- nahme gemacht, hätte es sich bei der Zuschrift um einen her- ausragenden wissenschaftlichen Beitrag oder auch nur um eine Äußerung gehandelt, die bisher Ungesagtes gesagt hätte. Das aber war nicht der Fall. Jene zentrale Aussage der Medizin- historiker, nicht nur ein kleiner Kreis, sondern die Mehrheit der Ärzteschaft habe sich schuldig gemacht, hatte bereits — in den Worten anderer — im Blatt ge- standen.
Ein Teil der Medizinhistori- ker hat die Ablehnung ihres Le- serbriefes nicht verwinden kön- nen und ihn der „Zeit" zuge- schoben. Diese hat ihn am 6.
November veröffentlicht und zugleich in einem Begleitarti- kel dem Ärzteblatt — wie schon bei früherer Gelegenheit — eins auszuwischen versucht. Bei
Nach Redaktionsschluß
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Erklärung des KBV-Vorstandes
und die Art und Weise der Ver- breitung der Beschlußfassung des Vorstandes der Kassenärzt- lichen Vereinigung Bayerns.
Der Vorstand der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung sieht für einen Rücktritt von Prof.
Dr. Siegfried Häußler als Er- stem Vorsitzenden keinen Grund. Der Vorstand der Kas- senärztlichen Bundesvereini- gung ist entschlossen, seine Ar- beit konsequent bis zum Ende seiner Wahlperiode fortzuset- zen." (Zum Hintergrund vgl.
Bericht: „Dr. Thier und die Nachfolgefrage" in diesem Heft.) EB
„Zeit"-Lesern wird der Ein- druck entstanden sein, als sper- re sich die Redaktion generell gegen eine weitere Auseinan- dersetzung mit dem Nationalso- zialismus. Das aber war in den letzten Jahren wahrhaftig nicht der Fall. Und das wird auch in Zukunft nicht der Fall sein.
Die Redaktion hat den sechzehn Medizinhistorikern ei- ne goldene Brücke bauen wol- len und ihnen ein großzügiges Angebot gemacht: Der verant- wortliche Redakteur bekundete gegenüber jenen Historikern ausdrücklich das „Interesse an wissenschaftlich fundierten, all- gemein interessierenden Beiträ- gen zur Thematik Ärzte und NS-Zeit". Und weiter:
• „Ich weiß nicht, weshalb Sie oder Ihre Kollegen den Ein- druck hatten, wir seien an sol- chen medizinhistorischen Arti- keln nicht interessiert. Als ich seinerzeit meine kleine Serie über die Gleichschaltung schrieb (Hefte 26/1983 ff; die Red.), habe ich das unter ande- rem deshalb getan, weil wir aus dem Leserkreis, eingeschlossen den Kreis der Medizinhistoriker noch nie — geschweige denn zeit- gerecht zum Gedenken der Gleichschaltung — einen fundier- ten Beitrag angeboten bekom- men hatten. Auch die Arbeiten auf dem Buchmarkt waren da- mals sehr dünn gesät; ich erin- nere mich an Wuttke-Gronen- berg und Tennstadt/Leibfried.
Inzwischen hat sich einiges ge- tan. Ich denke an das verdienst- volle Buch, das Herr Professor Kudlien herausgegeben hat. Es sollte mich freuen, wenn es zu weiteren Veröffentlichungen käme Bedauerlich wäre es, wenn Sie es lediglich bei der Stellungnahme zu dem Vilmar- Interview belassen wollten und aus der aus formalen Gründen abgelehnten Veröffentlichung auf unser Desinteresse schließen sollten. Das träfe gewiß nicht zu."
Von diesem Angebot war in der „Zeit", die den kompletten Briefwechsel kannte, nichts zu lesen. Norbert Jachertz
Dt. Ärztebl. 84, Heft 47, 19. November 1987 (1) A-3185