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Archiv "Chronic Fatigue Syndrome — CFS: Chronisches Erschöpfungssyndrom: Krank-Sein und Verlegenheitsdiagnosen" (01.12.1995)

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MEDIZIN

Krank-Sein und

Verlegenheitsdiagnosen

Es ist ein Phänomen unserer Me- dizinkultur, Krank-Sein nur nach Be- stätigung des medizinischen Speziali- sten („Krankschreibung") anzuer- kennen.

Die bisher zur Verfügung stehen- den Diagnosen reichen aber offenbar nicht aus, um alle Zustände des Krank-Seins bei Patienten abzu- decken. So ist es allgemein bekannt, daß viele Hausärzte zu Verlegenheits- diagnosen greifen, weil sie zwar das Krank-Sein ihres Patienten erfassen, hierfür aber keine adäquaten diagno- stischen Begriffe und Benennungen zur Verfügung stehen.

Gerade Hausärzte können im- mer wieder entscheidende Hinweise geben, auf welche Weise Lebensge- schichte, Persönlichkeit, Leistungsan- sprüche des einzelnen und der Kultur bei entsprechender psychischer Dis- position ineinandergreifen und zu persistierender Müdigkeit und Er- schöpfung führen.

Es ist deshalb bemerkenswert, daß die Tabelle der Symptome für das CFS Beschwerden enthält, die sämt- lich im Rahmen von Konversionspro- zessen (1) vorkommen können. Lei- der hat sich dieser psychosomatische Grundbegriff noch nicht herumge- sprochen. Er meint im erweiterten Sinne (2) etwa das, was beim Weinen geschieht: Ein Affekt wie Traurigkeit, Verzweiflung oder Wut führt ab ei- nem bestimmten Punkt der Unerträg- lichkeit zum Umschlag ins Körperli- che. Das subjektive, nicht sichtbare und nicht beweisbare Gefühl wird plötzlich in der Gestalt körperlicher Erscheinungen wahrnehmbar: Tränen fließen, die Konjunktiven erröten, es treten Gesichtsschwellungen auf, und Schluchzbewegungen sowie Schluchz- geräusche setzen ein.

DISKUSSION

Wenn „der Beginn der Sympto- matik an diejenige eines akuten (grip- palen) Infektes" erinnert, so sei an die psychosomatische Erfahrung erin- nert, daß Konversionsprozesse die Gelegenheit organischer Vorschädi- gungen geradezu „benutzen", um die zunächst organisch verursachte Sym- ptomatik bei deren Abklingen durch eine ähnliche, aber jetzt psychogene Symptomatik zu ersetzen. Wenn also beispielsweise ein grippaler Infekt mit Kopfschmerzen zeitlich mit einer be-

Zu dem Beitrag von

Prof. med. Rüdiger R. E. Fock und Prof. Dr. med.

Gerhard R. F. Krueger et al.

in Heft 43/1994

ruflichen Kränkung zusammenfällt, so kann sich die aus der Kränkung re- sultierende aggressive Triebenergie (Kränkungswut) auf den organischen Kopfschmerz „aufsatteln" und zu ei- ner langdauernden Fortsetzung der Kopfschmerzen führen. Symbolisch wird nun in der Körpersprache bei- spielsweise ausgedrückt: „Es macht mir großes Kopfzerbrechen, wenn ich daran denke, wie weh es getan hat, von meinem Kollegen derart behan- delt worden zu sein und es ihm nicht sagen zu können". (Nicht nur für den Kopfschmerz, sondern für sämtliche Beschwerden der Tabelle 3 lassen sich bei vielen Patienten mit angeblichem CFS-Syndrom derartige Zusammen- hänge herstellen).

Es könnte also sein, daß derartige Kombinationen organischer mit psy- chischen Faktoren dazu führen, daß

„die Symptome der Infektion den CFS- Patienten zunächst schwerwiegender beeinträchtigen und die Beschwerden anschließend über einen deutlich län- geren Zeitraum persistieren".

Nur frage ich mich: Wo werden derartige biographische Zusammen- hänge in dieser „Standortbestim- mung" sichtbar? Verhindern nicht die einseitig pathogenetische Kon- zeption und das einseitige Denken auf der nosologischen Ebene ein wirkliches Verständnis der Be- schwerden aus der Perspektive des Krank-Seins? Können wir dem Pa- tienten überhaupt helfen, wenn wir sein Krank-Sein ausklammern? Kön- nen wir es uns weiter leisten, nur pa- thogenetisch und nicht auch saluto- genetisch zu denken (3)?

Wenn „das CFS nur als Aus- schlußdiagnose diagnostiziert werden soll": Warum werden nicht biogra- phisch belastende Faktoren wie schwere Kränkungen ebenfalls in die Liste der auszuschließenden Faktoren (Tabelle 4) aufgenommen? Statt des- sen wird hier nur von „primär psych- iatrischen Krankheitsbildern (Psy- chose, Schizophrenie)" gesprochen (offenbar meinen die Autoren Resi- dualsyndrome, die mit einer chroni- schen Erschöpfung einhergehen kön- nen).

Warum heißt es nicht statt des- sen — weil im Alltag viel relevanter —

„Konversionsstörungen oder Somati- sierungen bei Kränkung, biographi- schen Traumata, depressiver/narzißti- scher/hypochondrischer. . . Erlebnis- verarbeitung"?

Ich frage mich auch, warum nie- mand auf die Idee kam, die Be- schwerden einmal mit dem Konzept der funktionellen Syndrome (4) zu vergleichen: Auch hier finden sich vielgestaltige Beschwerden, die sich nicht in ein einzelnes pathogeneti- sches Konzept pressen lassen und ei- nen stark wechselhaften Charakter besitzen. Wie beim CFS wird man auch bei funktionellen Beschwerden verführt zur „Breitendiagnostik", die letztlich nicht zur Aufklärung beiträgt, weil „viele Symptome des CFS subjektive Einschätzungen dar- stellen".

Die Autoren schlagen vor, die

„Symptome zu objektivieren und zu quantifizieren". Aber das Gefühl der Traurigkeit vor dem Weinen kann nicht objektiviert, das heißt einer di- rekten Messung zugänglich gemacht werden. Wir können es nur indirekt erschließen, indem wir beispielswei-

Chronic Fatigue Syncrome — CFS

Chronisches

Erschöpfungssyndrom

Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 48, 1. Dezember 1995 (61) A-3405

(2)

MEDIZIN

se mit dem Betroffenen über seine Gefühle sprechen, die mit inne- ren oder äußeren Konflikten zu tun haben.

Literatur

1. Adler R: Konversion; in: von Uexküll et al.:

Psychosomatische Medizin München 1988:

482 ff.

2. Rangell L: Die Konversion. Psyche XXIII 1969: 121-146

3. Antonovsky A: Gesundheitsforschung versus Krankheitsforschung; in: Franke/

Brode: Psychosomatische Gesundheit.

Versuch einer Abkehr vom Pathoge- nese-Konzept. DGVT-Verlag, Tübingen 1993

4. von Uexküll T, und Köhle K: Funktionelle Syndrome in der Inneren Medizin; in: von Uexküll et al.: Psychosomatische Medizin München 1988: 489 ff.

Dr. med. Ludger Albers Arzt für Psychiatrie Psychotherapie Aukammallee 33 65191 Wiesbaden

Serologie fehlt

Dem Autorenkollektiv um Prof.

Dr. W. A. Nix ist es zu danken, daß es versucht hat, das schwierige Thema des CFS darzustellen. Selbstverständ- lich müssen bei einem so vielschichti- gen Syndrom die differentialdiagno- stischen Erwägungen unvollständig bleiben.

Dennoch vermißt man bei den

„Vorschlägen zum diagnostischen Vorgehen" (Tabelle 5) die Bestim- mung von Retikulin-, Gliadin- und Endomysium-Antikörpern, die im po- sitiven Falle auf eine stumme oder oli- gosymptomatische glutensensitive Enteropathie hinweisen können, die dann durch eine Dünndarmbiopsie bestätigt wird.

Bei einer silenten Zöliakie oder Sprue besteht eine Schädigung der Zottenarchitektur im Dünndarm, oh- ne daß die Patienten wesentliche kli- nische Symptome aufweisen müssen, allerdings nicht selten an einem

„chronic fatigue syndrome" leiden.

PD Dr. med. Henker Klinik und Poliklinik für Kinderheilkunde

Universitätsklinikum der TU Fetscherstraße 74

01307 Dresden

DISKUSSION

Aktuelle Ergebnisse ausgelassen

Fock und Krüger bemerken zu- treffend, daß keineswegs davon aus- gegangen werden kann, daß das CFS ein einheitliches Krankheitsbild ist.

Um so mehr befremdet, wenn die Au- toren versuchen, eine genaue Klassifi- kation des Krankheitsbildes zu geben, wenn die (fragliche) Signifikanz und Spezifität von Symptomen in schein- bar exakten Zahlen angegeben wird und wenn verbindliche Vorschläge zur Diagnostik gegeben werden. Hier wird unserer Ansicht nach versucht, eine Objektivität zu vermitteln, von der bei dem gegenwärtigen For- schungsstand noch keine Rede sein kann. Das gleiche trifft für die von Fock und Krüger berichteten Thera- pieempfehlungen zu.

Sie beziehen psychiatrische Er- krankungen in differentialdiagnosti- sche und ätiologische Überlegungen ein, neurotische Störungen oder psy- chosomatische Erkrankungen werden jedoch nicht erwähnt. Es liegen mitt- lerweile eine Vielzahl empirischer Studien vor, die von einer Komorbi- dität krankheitsrelevanter psychi- scher Symptome (keine Psychosen) von bis zu 80 Prozent (Depressionen, Ängste, Suchterkrankungen) berich- ten (zum Beispiel 1, 2, 3). Vor diesem Hintergrund erscheint es unserer An- sicht nach notwendig und sinnvoll, vor einer ausführlichen und teueren La- bordiagnostik, die zudem die Patien- ten auf eine mögliche organische Ge- nese fixiert, eine psychosomatisch- psychotherapeutische Diagnostik bei einem hierzu spezialisierten Arzt oder Facharzt durchzuführen. Die Anwen- dung eines Anamneseschemas zur Erhebung einer möglichen biogra- phisch-psychosozialen Belastung ist keineswegs ausreichend, um eine psy- chische Mitverursachung des Be- schwerdebildes auszuschließen.

Das unter der Bezeichnung CFS zusammengefaßte Beschwerdesyn- drom zeigt eine große Verwandtschaft und teilweise erhebliche Symptom- überschneidungen mit den Krank- heitsbildern Fibromyalgie und Colon irritabile (4). Es wäre sehr interessant, der Frage nachzugehen, ob die in die- sen Krankheitsbildern zusammenge-

faßten klinischen Erscheinungen, die sich nicht auf primär psychische Ursa- chen zurückführen lassen, Ausdruck einer Störung der neuroendokrinolo- gischen/neuroimmunologischen Ach- se im Sinne einer neuroimmunologi- schen und neuroendokrinologischen Psychosomatose sind. Hier besteht ein großer Bedarf an weiterer For- schung unter Einbeziehung psychoso- matischer Modelle und Diagnosever- fahren.

Literatur

1. Kroenke K; Wood DR; Mangelsdorff DA;

Meier NJ; Powell JB: Chronic fatigue in pri- mary care. Prevalence, patient characteris- tics, and outcome. JAMA 1988; 260:

929-934

2. Manu P; Matthews DA; Lane TJ: The men- tal health of Patients with a chief complaint of chronic fatigue. Arch Intern Med 1988;

148:2213-2217

3. Wessely S; Powell R: Fatigue syndromes: a comparison of chronic „postviral" fatigue with neuromuscular and affective disorders.

Journal of Neurology, Neurosurgery, and Psychiatry 1989; 52: 940-948

4. Nix WA: Das Chronic-fatigue-Syndrom — Ein neues Krankheitsbild? Nervenarzt 1990; 61: 390-396

Martin Sack

Abteilung für Psychosomatik und Psychotherapie

Medizinische Hochschule 30623 Hannover

Schlafmedizin nicht berücksichtigt

Wie Herr Fock et al. in ihrem Bei- trag feststellen, ist das chronische Er- schöpfungssyndrom eine Ausschluß- diagnose. Erstaunlicherweise wurde aber in der ausführlichen Liste der dif- ferentialdiagnostisch auszuschließen- den Erkrankungen ein Teilbereich der Medizin vollständig ausgelassen, obwohl er unzweifelhaft erhebliche Überschneidungen hinsichtlich der Symptomatik aufweist: Die Schlafme- dizin.

Störungen des Schlafes sind häu- fig und führen infolge der gestörten Schlafqualität zu chronischer Müdig- keit am Tag, verbunden mit Konzen- trationsstörungen und geistiger Lei- stungsschwäche. Neben den Ein- und Durchschlafstörungen müssen die schlafbezogenen Atmungsstörungen, speziell das obstruktive Schlafapnoe- Syndrom (SAS), berücksichtigt wer- A-3406 (62) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 48, 1. Dezember 1995

Referenzen

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