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Archiv "Chronic Fatigue Syndrome — CFS: Chronisches Erschöpfungssyndrom: Anmerkungen aus psychiatrischer Sicht" (01.12.1995)

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Academic year: 2022

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MEDIZIN

1. Durch eine breitere „Klassifi- kation" könnte sicherlich die Zahl der nicht erfaßten Fälle erheblich redu- ziert werden. Die Abgrenzung zur chronischen Erschöpfung (CF), ei- nem unspezifischen Symptom vieler Krankheiten, wird allerdings deutlich erschwert. CFS nach Primärer Psych- iatrischer und nach Primärer Defi- nierter physischer Erkrankung (PP- CFS/PDCFS) sind zudem nur schwer mit den bisher als Standard verwende- ten Holmes-Kriterien vereinbar. Die Schaffung eines zweiten Diagnose- maßstabs birgt die Gefahr, sich in Zu- kunft mit einem „deutschen" und ei- nem „angloamerikanischen" CFS auseinandersetzen zu müssen!

2. Uns erscheint der Zeitpunkt zu früh, um CFS in primäre und se- kundäre Klassen einzuteilen. Das chronische Erschöpfungssyndrom wird von vielen Kollegen als Folgezu- stand einer wie auch immer entstan- denen Immundysfunktion (CFIDS) gewertet. Infektionen wären bei die- ser Sichtweise Sekundärereignisse.

3. Die Objektivierbarkeit lar- vierter Depressionen und hypochon- drischer Neurosen beziehungsweise ihre Abgrenzung ziem CFS bereitet in der Praxis größte Probleme. Mit psy- choneurologischen Untersuchungs- verfahren könnten auch subtile Lei- stungsdefizite nachgewiesen werden.

Unverständlicherweise wird diese Möglichkeit nur selten genutzt.

4. Toxische Ursachen eines CFS und Vergiftungen als Differentialdia- gnosen werden nicht diskutiert. Zu verschiedenen Noxen liegt aber eine große Zahl von Kasuistiken vor, die in wesentlichen Punkten ein hohes Maß an Übereinstimmung mit CFS-Fällen aufweisen. In Anbetracht einer ausge- sprochen kontrovers geführten De- batte zum Beispiel über die Wirkung von Schwermetallen im Niedrigdosis- bereich, Dioxinen, organischen Lö- sungsmitteln, Bioziden usw. halten wir die seriöse, wissenschaftlich fundierte Suche nach möglichen toxischen In- itiatoren oder Promotoren des CFS für dringend geboten.

5. Als betroffene Ärzte haben wir lernen müssen, daß unser norma- les medizinisches Denken bei Diagno- stik und Therapie des CFS oft wenig hilfreich ist. In vielen Fällen erwies es sich sogar als hinderlich oder führt in

DISKUSSION

der Konsequenz zu nachteiligen In- terventionen. Vor allem eine voreilige Psychologisierung der Symptomatik muß vermieden werden.

Hans-Michael S ob etzko

Arbeitskreis CFS-betroffener Ärzte (Kontaktadressen)

Am Hafen 3 25348 Glückstadt Günter Michael Metzen Haus-Purrmann-Straße 11 88085 Langenargen

Anmerkungen aus psychiatrischer Sicht

Der Artikel stellt differenziert den gegenwärtigen Stand der Kennt- nis über das CFS dar. Die Abgrenzung gegenüber psychiatrischen Erkran- kungen wirft jedoch verschiedene Probleme auf. In erstaunlich wenigen Studien wurden psychiatrisch erfahre- ne Untersucher miteinbezogen, und es existieren bislang nur wenige Un- tersuchungen mit psychiatrischen Ver- gleichsgruppen. Bezüglich der Präva- lenz psychiatrischer Störungen bei Pa- tienten mit CFS im Vergleich mit der Allgemeinbevölkerung und bezüglich des zeitlichen Zusammenhangs und der Art psychopathologischer und so- matischer Symptome kommen wis- senschaftliche Untersuchungen zu wi- dersprüchlichen Ergebnissen.

Im Vergleich mit der Allgemein- bevölkerung und einer Gruppe von Patienten mit chronischen somati- schen Erkrankungen zeigte sich eine höhere Rate psychiatrischer Störun- gen bei Patienten mit CFS, wobei die psychiatrischen Symptome häufiger vor den Symptomen des CFS auftraten (3). Eine andere Untersuchung zeigte keine höhere prämorbide Prävalenz für Patienten mit CFS, das Muster psy- chopathologischer Symptome unter- schied sich jedoch von dem depressiver Patienten und stimmte mit dem ande- rer somatischer Erkrankungen überein (2). Eine andere Studie fand eine Übereinstimmung in der Art der Er- schöpfung bei CFS und affektiven Störungen, aber nicht bei Patienten mit primär neuromuskulären Erkran- kungen (5). Es konnte gezeigt werden,

daß Patienten mit dem Müdigkeitssyn- drom weitaus schwerere kognitive De- fizite aufwiesen, als in den Kriterien der Centers of Disease Control, USA, beschrieben wird, daß die Muster der Ausfälle auf temporale und limbische Dysfunktionen hinweisen und daß sich diese signifikant von den Defiziten de- pressiver Patienten unterschieden (4).

Psychiatrische Störungen wie zum Bei- spiel Angsterkrankungen oder depres- sive Syndrome mit CFS könnten auch eine Untergruppe der jeweiligen Er- krankung darstellen. Bei der Bewer- tung psychischer und somatischer Fak- toren für die Pathogenese des CFS wurde sogar diskutiert, ob die Bevor- zugung einer organischen Genese auch ein wissenschaftliches Erklärungsmo- dell zur rationalen Bewältigung einer sich rasch ändernden und streßerfüll- ten Umwelt darstellen könnte (1).

Weder die Störungen immunolo- gischer Funktionen noch die psycho- pathologischen Phänomene sind spe- zifisch für das CFS. Es bleibt unklar, ob die beobachteten immunologi- schen Abnormitäten funktionell si- gnifikant sind oder Epiphänomene darstellen. Somatische und psychia- trische Symptome stellen wahr- scheinlich die Endstrecke eines dyna- mischen Krankheitsprozesses dar, wobei Ursache und Wirkung im Rah- men komplexer Regelkreise in nicht linearer Beziehung zueinander ste- hen.

Bei der differentialdiagnosti- schen Abklärung von Tagesmüdigkeit sollte in Ergänzung zu dem Artikel besonders die Evaluation von nächtli- chen Schlafstörungen durch eine dif- ferenzierte Schlafanamnese (Qua- lität, Dauer des Schlafs) berücksich- tigt werden, wobei diese Störungen unter Umständen mittels technischer Untersuchungen (Screening-Verfah- ren, Polysomnographie) ausgeschlos- sen werden müssen (zum Beispiel das Schlafapnoesyndrom).

Patienten mit CFS werden in der Regel nicht von psychiatrisch ausge- bildeten Fachärzten, sondern in der Primärversorgung oder Inneren Me- dizin behandelt. Ein integrierter, in- terdisziplinärer Ansatz bei der dia- gnostischen Evaluation und bei der Entwicklung therapeutischer Kon- zepte erscheint grundlegend für eine adäquate Versorgung dieser Klientel.

A-3410 (68) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 48, 1. Dezember 1995

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MEDIZIN

Literatur

1. Abbey SE, Garfinkel PE: Neurasthenia and chronic fatigue syndrome: the role of cultu- re in the making of a diagnosis. Am J Psy- chiatry 1991; 148: 1638-1646

2. Hickie I, Lloyd A, Wakefield D, Parker G:

The psychiatric status of patients with the chronic fatigue syndrome. Brit J Psychiatry 1990; 156: 534-540

3. Kruesi MJP, Dale J, Straus SE: Psychiatric diagnoses in patients who have chronic fati- gue syndrome. J Clin Psychiatry 1989; 50:

53-56

4. Sandman CA, Barron JL, Nackoul K, Gold- stein J, Fidler F: Memory deficits associated with chronic fatigue immune dysfunction syndrome. Biol Psychiatry 1993; 33:

618-623

5. Wessely S, Powell R: Fatigue syndromes: a comparison of chronic „postviral" fatigue with neuromuscular and affective disorders.

Neurol Neurosurg Psychiatry 1989; 52:

1305-1307

Dr. med. Matthias R. Lemke Leitender Arzt des Bereichs Akutpsychiatrie

und Suchtkrankenbehandlung Psychiatrische Klinik

Klinikum Ingolstadt Krumenauerstraße 25 85049 Ingolstadt

Beitrag

aufbessern

Als Leser einer so gewichtigen offiziellen Standortbestimmung zum chronischen Erschöpfungs/Fatigue (CFS)-Syndrom hätte man sich von acht Autoren etwas mehr — auch be- griffliche — Prägnanz und weniger sprachliche „Stolpersteine" ge- wünscht. Man vergleiche einmal die informative und hervorragend lesbare Übersicht eines Einzelautors zum Thema (1).

Wenn das CFS ein vielschichtiges polyätiologisches Syndrom darstellt, müßten die vorrangig subjektiven Symptome nicht nur gelistet (vorhan- den/nicht vorhanden), sondern auch nach ihrem Schweregrad charakteri- siert werden, was auch eine Score-Be- rechnung zuläßt. Das ist nicht mit ei- ner standardisierten Anamnese und mittels eines strukturierten psychoso- matischen Interviews möglich, das

„soziale und persönliche Lebensum- stände" erfassen soll. Hierzu sind möglichst klare Selbstbeurteilungs- Fragebögen auf einfachstem sprachli- chem Niveau mit breiter Skalenabstu- fung (zum Beispiel gar nicht = 0 bis sehr stark = 6) für jede(s), auch selte-

DISKUSSION

ne(s) Beschwerde (Symptom) hilf- reich (vergleiche auch bei 2). Solche Merkmals(Status)-Erhebungen, wie- derholt eingesetzt, machen die große interindividuelle Variabilität besser deutlich und sind für die Beurteilung des Spontanverlaufs wie auch thera- peutischer Interventionen sehr geeig- net. Ob die Erfassung des Schwere- grads der Symptome, ihre Persistenz, des weiteren die Symptomen-Kon- stellation nicht auch bei der Klassifi- zierung von Untergruppen des CFS zu weiteren Einsichten verhilft, wäre von Interesse. Dem Psychiater und klini- schen Psychologen sind derartige psy- chometrische Instrumente gut be- kannt, dem Arzt in der Praxis würden sie im Vorfeld der umfänglichen Be- funderhebungen aus dem Laborbe- reich (vergleiche Tabelle 5) eine wich- tige Entscheidungshilfe bedeuten.

Mehrdimensionale Selbstbeurtei- lungs-Fragebögen zu Beschwerden und Befinden bei unklaren Krank- heitsbildern haben nach eigenen Erhe- bungen (3) bei Patienten eine hohe Akzeptanz, sind zudem noch kosten- neutral. Bei der Bearbeitung wissen- schaftlicher Probleme sind sie heute unverzichtbar, wie auch die Diskussion des CFS in den USA (2) gezeigt hat.

Literatur

1. Ewig S: Das chronische Müdigkeitssyn- drom. DMW 1993; 118: 1373-1380 2. Schluederberg A et al: Chronic Fatigue syn-

drome research. Ann Int Med 1992; 117:

325-331

3. Wernze H: Neue Ansätze bei der Kranken- befragung: Selbstbeurteilungs-Fragebögen zu Befinden und Beschwerden. Med Welt 1995 (im Druck).

Prof. Dr. med. Heinrich Wernze Pilziggrundstraße 54

97076 Würzburg

Schlußwort

Die Zahl der Leserbriefe und das Engagement der Schreiber zeigt er- freulicherweise die Aktualität des Themas CFS; eine erste Mitteilung in dieser Zeitschrift vor sechs Jahren blieb noch ohne jede Reaktion (Krue- ger GRF: Das Lake-Tahoe-Virus.

Dt Ärztebl 1988; 85: A-1459-1466 [Heft 20]). Der überwiegende Teil der Leserbriefe befaßt sich mit psych- iatrisch-psychosomatischen Fragen,

was darauf hinweist, welche Fachkol- legen bevorzugt CFS-Patienten se- hen. Dies deckt sich mit unseren Er- fahrungen und unterstreicht die Not- wendigkeit einer genauen Abgren- zung des CFS von endogenen Psycho- sen einerseits sowie einer wissen- schaftlichen Definition und eines Nachweises psychosomatischer Vor- gänge. Die Stellungnahme des Vertre- ters des Vorstandes der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin stellt ein ernstzunehmendes und histori- sches Dokument dar, das sich mit Nachdruck in Gegensatz zu dem In- halt von etwa 2 000 wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu diesem Thema einschließlich von so renommierten InstitUtionen wie der Harvard Uni- versity, den Centers for Disease Con- trol und den National Institutes of Al- lergy and Infectious Diseases in den USA setzt. Wir wollten mit unserer Arbeit nur einen Überblick über das Problem CFS geben — und der mag schlecht sein in den Augen mancher Wissenschaftler mit einschlägiger Er- fahrung. Art und Ort der Publikation ließen jedoch keine breitere Darstel- lung des Themas zu. Im folgenden soll kurz auf einzelne Leserbriefe einge- gangen werden:

Herr L. Albers macht völlig zu Recht auf Ähnlichkeiten der Sympto- me des CFS zu Konversionsprozessen der psychosomatischen Medizin auf- merksam. Es gibt hinreichend Unter- suchungen darüber, daß psychosozia- len Streßsituationen eine auslösende oder bahnende Bedeutung bei der Entwicklung eines CFS zukommen kann. Dies wurde und wird auch in unseren Untersuchungen berücksich- tigt mittels entsprechender Befunder- hebungsbögen, wie sie zum Beispiel von Herrn PD Dr. Egle (Mainz) ur- sprünglich für die Schmerzdiagnostik konzipiert wurden (UT Egle: SBAS IV, Strukturierte Biographische Ana- mnese für Schmerzpatienten. PPmP Disk J 3,4; 1992). Wir empfehlen bei der Diagnostik des CFS jedoch gewis- se laborchemische und immunologi- sche Untersuchungen, um Zusam- menhänge zwischen systematisch er- faßten psychischen Störungen und Störungen des Endokrinium oder des Immunsystems zu dokumentieren, und folgen damit der Tradition wis- senschaftlicher Studien in der Psycho- A-3412 (70) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 48, 1. Dezember 1995

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