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Archiv "Chronic Fatigue Syndrome — CFS: Chronisches Erschöpfungssyndrom: Beitrag weckt Hoffnungen" (01.12.1995)

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MEDIZIN

es sei wichtig, beim CFS die Sympto- me zu objektivieren und zu quantifi- zieren, zum Beispiel mit den Laborpa- rametern, die gehäuft beim CFS Auf- fälligkeiten aufweisen und Hinweise auf eine Funktionsstörung des Im- munsystems geben.

Worin bestehen aber die „meß- baren Veränderungen, die der Krank- heit zugrunde liegen"? Womit ist die Aussage belegt, daß bei einem Pro- zent der erwachsenen Bevölkerung ein CFS „unter der Voraussetzung ei- ner standardisierten Diagnostik mit reproduzierbaren Ergebnissen" auf- tritt? Es bleibt leider bei diesen leeren Worthülsen. Die völlige diagnostische Orientierungslosigkeit kommt auch in den Worten zum Ausdruck, „daß er- fahrungsgemäß serologische Befunde nicht selten fehlinterpretiert werden"

und daß „die Beurteilung der Werte in Hinsicht auf eventuelle Zusammen- hänge mit dem CFS nur in enger Zu- sammenarbeit zwischen Klinikern, Mikrobiologen und Immunologen empfehlenswert" sei. Alle Ansätze für eine Konkretisierung solcher Aussa- gen werden leider vermißt.

Die Autoren behaupten, daß

„Grundlage jeder effektiven Therapie die Kenntnis der Ätiologie und Patho- genese einer Erkrankung" sei. Dies ist nicht richtig. Es gibt viele empirisch gesicherte Therapieverfahren für Krankheiten, deren Ätiologie und Pa- thogenese noch unklar sind. Richtig ist allerdings, daß es für das CFS bis- her keine auch nur annähernd be- gründbaren oder empirisch gesicher- ten Therapieverfahren gibt. Dies wird zwar an verschiedenen Stellen der Ar- beit deutlich, wird aber von Formulie- rungen überdeckt, die in diesem Zu- sammenhang völlig unverständlich sind. Was soll die Aussage, daß „die Therapie des CFS entsprechend der Variabilität der der Krankheit zugrun- deliegenden meßbaren Veränderun- gen gestaltet werden muß"? Hier han- delt es sich wieder um leere Wort- hülsen.

Daß nachweisbare Mangelzu- stände an Vitaminen und Hormonen oder Spurenelementen ausgeglichen

werden sollten und daß eventuell

chronisch toxische Einflüsse vermie- den werden müssen, ist trivial, hat mit dem Problemen des CFS jedoch nichts zu tun.

DISKUSSION

Das gleiche gilt für die Feststel- lung, daß Patienten mit erheblichen psychischen Problemen häufig eine symptomatische Besserung unter der Therapie mit trizyklischen Antide- pressiva oder Benzodiazepinen zei- gen. Der Schlenker, daß hierdurch

„theoretisch auch ein zentraler im- munsuppressiver Effekt vermindert werden kann", gehört wieder in den Bereich bloßer Spekulation.

Die Autoren erwähnen eine Viel- zahl von Therapieversuchen mit diffe- renten und zum Teil sehr teuren Me- dikamenten (Gammaglobuline, Vi- rostatika, Interferon, unspezifische Immunstimulanzien) oder mit para- medizinischen Verfahren (Ozonthe- rapie, „ionischer Sauerstoff", Immun- stimulatorische Pflanzenextrakte), verheimlichen aber nicht, daß alle die- se Versuche ohne objektivierbare Er- folge geblieben sind. Es sollte deshalb nicht zu „kritischer Indikationsstel- lung" aufgerufen werden, sondern zu unbedingtem Vermeiden solcher nicht indizierter und risikobehafteter Therapieverfahren.

Zusammenfassend läßt sich aus der vorgelegten Publikation folgen- des extrahieren (wenngleich es nicht in dieser Form ausgedrückt wird):

Chronische Erschöpfungszustände oder chronische Müdigkeit kommen als Symptom bei einer Vielzahl von Erkrankungen vor, die je nach ihrer Art diagnostiziert und, soweit mög- lich, behandelt werden sollten. Ver- mutlich gibt es eine chronische Mü- digkeit auch ohne organische Grund- krankheit im Sinne von psychosoma- tischen Störungen oder von Befind- lichkeitsstörungen. Ob es daneben ein primäres chronisches Müdigkeitssyn- drom als eigenständige Erkrankung gibt, ist ungewiß. Einzelne epidemio- logische Beschreibungen scheinen für die Existenz einer oder verschiedener solcher Erkrankungen zu sprechen.

Bei Patienten, die die Definition eines primären CFS erfüllen, sind bis- her keine Gemeinsamkeiten bekannt, die auf eine bestimmte Ätiologie oder Pathogenese hindeuten. Spezifische Laborwerte zur Diagnostik sind unbe- kannt, und es gibt keinerlei nachvoll- ziehbare Ansätze für eine Therapie.

Damit sind diagnostische Untersu- chungen, die für wissenschaftliche Studien durchaus sinnvoll erscheinen,

im Einzelfall nicht sinnvoll, und unge- richtete Therapieversuche sind zu un- terlassen.

Angesichts der auch von den Au- toren beklagten verbreiteten unge- zielten Diagnostik einiger Ärzte wäre es begrüßenswert, die Situation in die- ser Form deutlich zu benennen und nicht mit unklaren Worten zu um- schreiben, weil diese leicht als Recht- fertigung für breit angelegte diagno- stische Maßnahmen oder unsinnige, zum Teil sogar gefährliche Therapie- versuche mißverstanden werden kön- nen.

Eine Müdigkeit oder Erschöpf- barkeit allein darf sicher nicht Anlaß für eine umfangreiche Diagnostik sein. Nach Angaben der Tabelle 3 aus der Standortbestimmung weisen näm- lich nicht nur 100 Prozent aller Patien- ten mit CFS das Symptom Erschöpf- barkeit auf, sondern auch 76 Prozent aller anderen Menschen.

Selbstverständlich sind bei Pati- enten mit chronischer Müdigkeit je nach klinischer Situation die bekann- ten Störungen, die hierfür verantwort- lich sein könnten, auszuschließen.

Hierbei kann auch ein gezielter Ein- satz von Laboruntersuchungen erfor- derlich sein. Die von einigen Kollegen empfohlene aufwendige Suche nach unbekannten Störungen, insbesonde- re nach den nicht definierbaren Störungen im „psychoneuro-endokri- nen-immunologischen Netzwerk" ist aber nicht nur medizinisch unsinnig, sie führt auch zu einer nicht zu vertre- tenden Belastung unseres Gesund- heitswesens.

Prof. Dr. med. J. Köbberling, für den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin Direktor der Medizinischen Klinik Ferdinand-S auerbruch-Klinikum Arrenberger Straße 20

42217 Wuppertal

Beitrag weckt Hoffnungen

Wir begrüßen ausdrücklich die Arbeit und Zielsetzung der Kommis- sion des BMG! Zu einigen Positionen des Artikels möchten wir die folgen- den Überlegungen beitragen:

Deutsches Ärzteblatt 92 , Heft 48, 1. Dezember 1995 (67) A-3409

(2)

MEDIZIN

1. Durch eine breitere „Klassifi- kation" könnte sicherlich die Zahl der nicht erfaßten Fälle erheblich redu- ziert werden. Die Abgrenzung zur chronischen Erschöpfung (CF), ei- nem unspezifischen Symptom vieler Krankheiten, wird allerdings deutlich erschwert. CFS nach Primärer Psych- iatrischer und nach Primärer Defi- nierter physischer Erkrankung (PP- CFS/PDCFS) sind zudem nur schwer mit den bisher als Standard verwende- ten Holmes-Kriterien vereinbar. Die Schaffung eines zweiten Diagnose- maßstabs birgt die Gefahr, sich in Zu- kunft mit einem „deutschen" und ei- nem „angloamerikanischen" CFS auseinandersetzen zu müssen!

2. Uns erscheint der Zeitpunkt zu früh, um CFS in primäre und se- kundäre Klassen einzuteilen. Das chronische Erschöpfungssyndrom wird von vielen Kollegen als Folgezu- stand einer wie auch immer entstan- denen Immundysfunktion (CFIDS) gewertet. Infektionen wären bei die- ser Sichtweise Sekundärereignisse.

3. Die Objektivierbarkeit lar- vierter Depressionen und hypochon- drischer Neurosen beziehungsweise ihre Abgrenzung ziem CFS bereitet in der Praxis größte Probleme. Mit psy- choneurologischen Untersuchungs- verfahren könnten auch subtile Lei- stungsdefizite nachgewiesen werden.

Unverständlicherweise wird diese Möglichkeit nur selten genutzt.

4. Toxische Ursachen eines CFS und Vergiftungen als Differentialdia- gnosen werden nicht diskutiert. Zu verschiedenen Noxen liegt aber eine große Zahl von Kasuistiken vor, die in wesentlichen Punkten ein hohes Maß an Übereinstimmung mit CFS-Fällen aufweisen. In Anbetracht einer ausge- sprochen kontrovers geführten De- batte zum Beispiel über die Wirkung von Schwermetallen im Niedrigdosis- bereich, Dioxinen, organischen Lö- sungsmitteln, Bioziden usw. halten wir die seriöse, wissenschaftlich fundierte Suche nach möglichen toxischen In- itiatoren oder Promotoren des CFS für dringend geboten.

5. Als betroffene Ärzte haben wir lernen müssen, daß unser norma- les medizinisches Denken bei Diagno- stik und Therapie des CFS oft wenig hilfreich ist. In vielen Fällen erwies es sich sogar als hinderlich oder führt in

DISKUSSION

der Konsequenz zu nachteiligen In- terventionen. Vor allem eine voreilige Psychologisierung der Symptomatik muß vermieden werden.

Hans-Michael S ob etzko

Arbeitskreis CFS-betroffener Ärzte (Kontaktadressen)

Am Hafen 3 25348 Glückstadt Günter Michael Metzen Haus-Purrmann-Straße 11 88085 Langenargen

Anmerkungen aus psychiatrischer Sicht

Der Artikel stellt differenziert den gegenwärtigen Stand der Kennt- nis über das CFS dar. Die Abgrenzung gegenüber psychiatrischen Erkran- kungen wirft jedoch verschiedene Probleme auf. In erstaunlich wenigen Studien wurden psychiatrisch erfahre- ne Untersucher miteinbezogen, und es existieren bislang nur wenige Un- tersuchungen mit psychiatrischen Ver- gleichsgruppen. Bezüglich der Präva- lenz psychiatrischer Störungen bei Pa- tienten mit CFS im Vergleich mit der Allgemeinbevölkerung und bezüglich des zeitlichen Zusammenhangs und der Art psychopathologischer und so- matischer Symptome kommen wis- senschaftliche Untersuchungen zu wi- dersprüchlichen Ergebnissen.

Im Vergleich mit der Allgemein- bevölkerung und einer Gruppe von Patienten mit chronischen somati- schen Erkrankungen zeigte sich eine höhere Rate psychiatrischer Störun- gen bei Patienten mit CFS, wobei die psychiatrischen Symptome häufiger vor den Symptomen des CFS auftraten (3). Eine andere Untersuchung zeigte keine höhere prämorbide Prävalenz für Patienten mit CFS, das Muster psy- chopathologischer Symptome unter- schied sich jedoch von dem depressiver Patienten und stimmte mit dem ande- rer somatischer Erkrankungen überein (2). Eine andere Studie fand eine Übereinstimmung in der Art der Er- schöpfung bei CFS und affektiven Störungen, aber nicht bei Patienten mit primär neuromuskulären Erkran- kungen (5). Es konnte gezeigt werden,

daß Patienten mit dem Müdigkeitssyn- drom weitaus schwerere kognitive De- fizite aufwiesen, als in den Kriterien der Centers of Disease Control, USA, beschrieben wird, daß die Muster der Ausfälle auf temporale und limbische Dysfunktionen hinweisen und daß sich diese signifikant von den Defiziten de- pressiver Patienten unterschieden (4).

Psychiatrische Störungen wie zum Bei- spiel Angsterkrankungen oder depres- sive Syndrome mit CFS könnten auch eine Untergruppe der jeweiligen Er- krankung darstellen. Bei der Bewer- tung psychischer und somatischer Fak- toren für die Pathogenese des CFS wurde sogar diskutiert, ob die Bevor- zugung einer organischen Genese auch ein wissenschaftliches Erklärungsmo- dell zur rationalen Bewältigung einer sich rasch ändernden und streßerfüll- ten Umwelt darstellen könnte (1).

Weder die Störungen immunolo- gischer Funktionen noch die psycho- pathologischen Phänomene sind spe- zifisch für das CFS. Es bleibt unklar, ob die beobachteten immunologi- schen Abnormitäten funktionell si- gnifikant sind oder Epiphänomene darstellen. Somatische und psychia- trische Symptome stellen wahr- scheinlich die Endstrecke eines dyna- mischen Krankheitsprozesses dar, wobei Ursache und Wirkung im Rah- men komplexer Regelkreise in nicht linearer Beziehung zueinander ste- hen.

Bei der differentialdiagnosti- schen Abklärung von Tagesmüdigkeit sollte in Ergänzung zu dem Artikel besonders die Evaluation von nächtli- chen Schlafstörungen durch eine dif- ferenzierte Schlafanamnese (Qua- lität, Dauer des Schlafs) berücksich- tigt werden, wobei diese Störungen unter Umständen mittels technischer Untersuchungen (Screening-Verfah- ren, Polysomnographie) ausgeschlos- sen werden müssen (zum Beispiel das Schlafapnoesyndrom).

Patienten mit CFS werden in der Regel nicht von psychiatrisch ausge- bildeten Fachärzten, sondern in der Primärversorgung oder Inneren Me- dizin behandelt. Ein integrierter, in- terdisziplinärer Ansatz bei der dia- gnostischen Evaluation und bei der Entwicklung therapeutischer Kon- zepte erscheint grundlegend für eine adäquate Versorgung dieser Klientel.

A-3410 (68) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 48, 1. Dezember 1995

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