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Archiv "Prädiktive Medizin – EG-Programm weckt Hoffnungen und Ängste" (19.01.1989)

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AKTUELLE POLITIK

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Internationale wissenschaft- liche Zusammenarbeit hat zu rasanten Fortschritten in der Gentechnologie geführt. Der Bundesrepublik Deutschland wird indes im Ausland oft vor- geworfen, sie hemme - wegen des schlechten Gewissens, das die Deutschen aus den Jahren nach 1933 davongetragen ha-

ben - diese Entwicklung eher;

die Intensivierung in der For- schung an menschlichen Em- bryonen sollte durch Bundes- tags-Beschluß gar wie ein Ver- brechen geahndet werden. So argumentierte das US-Wissen- schaftsmagazin „Science"

(Science, Vol. 242, p. 1117, 1988). Zu Recht?

Prädiktive Medizin

EG-Programm weckt Hoffnungen und Ängste

Ethische Bedenken hinderten den Bundesrat (Bundesratsdrucksa- che 407/88), einem am 1. Januar 1989 beginnenden europäischen Forschungsprogramm zuzustimmen, das die vollständige Analyse des menschlichen Genoms vorsieht (Ratsdok. 7929/88 d. Europ. Kom.).

Die Europäische Kommission hatte damit ein Äquivalent geschaffen zu dem aufwendigen amerikanischen Projekt „Mapping and Sequencing of the Human Genome" unter der Leitung von James D. Watson, ei- nem der Entdecker des mensch- lichen Genoms, sowie einem in Ja- pan geplanten wissenschaftlichen Programm „Human Frontiers Scien- ce Programme".

Mit Hilfe einer kompletten Genkartierung wollen diese Wissen- schaftler unter anderem versuchen, genaue Rückschlüsse auf die Funk- tionsweise des menschlichen Ge- noms zu erhalten und durch den Vergleich von Genomen verschiede- ner Spezies die evolutionäre Ent- wicklung weiter zu entschlüsseln (Nature, Vol. 331, p. 465, 1988).

Die vollständige Genomanalyse soll vor allem aber die wissenschaft- liche Grundlage für die „prädiktive Medizin" schaffen. Mit ihrer Hilfe ließe sich — so die Erwartungen, die auch hinter dem EG-Projekt stecken

— in Zukunft die genetische Disposi- tion von einzelnen und von Popula- tionen für verschiedene, erblich be- dingte Krankheiten (sowie aber

auch speziellen Charaktereigen- schaften oder abnormen Verhaltens- weisen) genau voraussagen. Die Brüsseler Kommission argumen- tiert, kurz gefaßt, so.

Durch „prädiktive Medizin`

der Ausbruch einer der heute etwa 4200 bekannten monofaktoriel- len Erbkrankheiten (wie der zysti- schen Fibrose , der Sichelzellenan- ämie , der Phenylketonurie oder der Duchenneschen Muskeldystrophie) bei frühzeitiger Diagnose verhindert oder durch therapeutische Maßnah- men rechtzeitig behandelt werden und damit einen günstigeren Krank- heitsverlauf ermöglichen.

Bessere Prophylaxe dank friiher Diagnose Auch multifaktorielle Erb- krankheiten (wie Magengeschwüre, die rheumatische Arthritis, Diabetes mellitus, ischämische Herzkrank- heiten, manisch-depressive Psycho- sen und Epilepsie) sowie Krank- heiten, die auf einer Anomalie der Chromosomenzahl oder -struktur (Down-Syndrom) beruhen, hätten, bei rechtzeitiger Diagnose eine we- sentlich günstigere Prognose, und da sie sich häufig erst unter bestimmten Umweltbedingungen manifestieren, könne die Prophylaxe manchmal ge- rade im Abbau von Umweltbela- stungen und Stressoren beginnen.

Schließlich wird die prädiktive Medizin durch die Genomanalyse aber nicht nur einzelne Personen vor Krankheiten schützen, für die sie ge- netisch determiniert sind, sondern auch die Weitergabe solcher Dispo- sitionen an nachfolgende Generatio- nen zu verhindern wissen.

Gesundheitspolitisch ist das Ziel

„Vorbeugen statt Heilen" im Be- reich der Genetik ebenfalls von gro- ßer Bedeutung, da heute in den west- lichen Ländern längst nicht mehr die Infektionskrankheiten, sondern ge- netische Defekte — und zwar meistens in Verbindung mit ökologischen Fak- toren — zu den häufigsten Krankheits- und Todesursachen zählten, so die Europäische Kommission. Die prä- diktive Medizin könnte daher langfri- stig mit einfacheren, schnelleren, zu- verlässigeren und preiswerteren Screening-Methoden den Ausbruch von Erbkrankheiten verhindern hel- fen, frühzeitiges Eingreifen ermög- lichen und damit einen alternativen Ansatz bieten, die Kosten im Ge- sundheitswesen einzudämmen.

Neben dem Wunsch, dem inter- nationalen Fortschritt in der Medi- zin standzuhalten, war dieser ge- sundheitspolitische Aspekt der Ko- stendämpfung durch Prophylaxe und rechtzeitige Diagnose aus- schlaggebend bei der Entwicklung des mit 15 Mill.

ECU (1 ECU = 2

DM) geförderten und zunächst auf drei Jahre befristeten Forschungs- programms der Europäischen Korn- Dt. Ärztebl. 86, Heft 3, 19. Januar 1989 (17) A-77

(2)

mission „Prädiktive Medizin/Analy- se des menschlichen Genoms" .

Da das Projekt der EG-Kom- mission die Identifizierung, die Iso- lierung und die Analyse von Genen von medizinischer Bedeutung zur frühestmöglichen Diagnose geneti- scher Dispositionen von Erbkrank- heiten anstrebt, wird das Vorhaben zunächst drei große Teilabschnitte umfassen:

(1) Eine möglichst lückenlose Sequenzierung des menschlichen Genoms soll die Auflösung der phy- sikalischen Genkarten auf etwa 1 bis 5 Centimorgans (1 Centimorgan = etwa 1 Mill. Basenpaare) verbes- sern, was eine einfachere und schnellere Lokalisation bestimmter Gene gewährleistet. Die bestehen- den technischen Möglichkeiten er- möglichen zur Zeit noch nicht, die gesamte DNA-Sequenz des mensch- lichen Genoms mit einer Gesamtse- quenz von 3 Mrd. Basenpaaren in ei-

Fülle ethischer und rechtlicher Probleme

Doch neben der medizinischen Nutzung der Kartierung des mensch- lichen Genoms zur Abwehr von Krankheiten wirft dieser neue For- schungszweig eine noch gar nicht überschaubare Anzahl ethischer und rechtlicher Probleme auf. Die Euro- päische Kommission selbst weist darauf hin, welche Gefahr ihrem Projekt durch die Offenlegung pri- vatester Informationen über die Per- sönlichkeitsstruktur des Menschen immanent ist. Der Katalog der Un- klarheiten sowohl die ethisch-recht- lichen Aspekte der Informa- tionsvermittlung persönlicher Daten an Dritte sowie ethische Probleme der Gen-Therapie betreffend wurde auch vom Deutschen Bundesrat kri- tisiert und zum Teil noch erweitert (vgl. dazu auch die Stellungnahme des Vorstands der Bundesärztekam- mer vom 11. November 1988 zu:

„Prädiktive Medizin: Analyse des menschlichen Genoms").

• Es ist nicht auszuschließen, daß auch Unbefugte Informationen aus der individuellen Genkartierung

nem angemessenen Zeitraum von wenigen Jahren zu analysieren. Zu- nächst sollen daher jene Bereiche des Genoms sequenziert werden, die klinisch oder wissenschaftlich von besonderer Bedeutung sind.

C) Zur Verwaltung und Zentra- lisierung von Informationen und Material aus einem in ständigem wissenschaftlichen Austausch ste- henden Netzwerk von Laboratorien ist die Erstellung geordneter Klonbi- bliotheken notwendig. Sie werden Sammlungen geordneter Gruppen von DNA-Fragmenten enthalten, die die DNA des gesamten Genoms, ausgewählter Gene oder von Teilen von Chromosomen vollständig re- präsentieren.

®

Die bestehenden gentechno- logischen Möglichkeiten sollen noch verbessert werden; spezielle Ausbil- dungsprogramme werden für den Technologietransfer in den Mitglied- staaten sorgen.

erhalten können, was mit der Würde des Menschen und seinem Persön- lichkeitsrecht nach § 1 GG der Bun- desrepublik unvereinbar ist.

• Auch die Industrie wird sich gentechnologischer Verfahren zur Genomanalyse bedienen wollen, zum Beispiel als Eignungstest zur psychischen Belastbarkeit bei der Einstellung von Arbeitnehmern in bestimmte Führungspositionen, oder zur Feststellung der gesund- heitlichen Konstitution bei speziel- len Umweltbelastungen am Arbeits- platz. Zum Nachteil des Betreffen- den können genetische Informatio- nen schließlich auch von Versiche- rungsgesellschaften zur Risikodiffe- renzierung genutzt werden.

• Eine Gefahr bestünde auch in der Verwendung von Informationen aus dem Genom eines Menschen zur Wahrheitsfindung in Strafverfahren.

• Das breitere Spektrum präna- taler Diagnostik durch Genomanaly- se birgt die Gefahr der Selektion durch Schwangerschaftsabbrüche bei unerwünschten Eigenschaften (Geschlecht) des Kindes.

• Noch schwerer aber wiegen die ethischen Probleme der Gen- Therapie, die anstrebt, ein defektes

Gen durch das Einbringen normaler DNA-Sequenzen in die Keimbahn- Zelle zu ersetzen. Hierzu müssen aber erst sichere Methoden zur Ein- schleusung der DNA in eine menschliche Zelle entwickelt wer- den, die ausschließlich den Defekt ohne unerwünschte Nebenwirkun- gen korrigiert, wenn es dem Men- schen überhaupt erlaubt sein sollte, Eingriffe am menschlichen Erbgut vorzunehmen. Die Diagnosemög- lichkeiten eilen zur Zeit jedoch den Behandlungsmöglichkeiten noch weit voraus.

Die Therapie von Genschäden wird sich heute also noch weitge- hend auf die Vermeidung der Krankheiten beschränken, was un- ter Umständen die Verhinderung des (kranken) Lebens überhaupt zur Folge hat. Die Gentechnologie wür- de damit Selektionsmöglichkeiten einer modernen Eugenik schaffen;

die Grenzen von Normalität würden wieder von Menschen gezogen.

Aus solchen Erwägungen hat der Bundesrat der Bundesregierung daher Ende letzten Jahres empfoh- len, das Projekt der Europäischen Kommission in dieser Form abzuleh- nen. Der Bundesrat fordert ein Be- gleitprogramm nach dem Vorbild ei- ner förmlich institutionalisierten Ethik-Kommission, in dem sich Sachverständige ständig interdiszi- plinär mit rechtlichen, ethischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Fragen auseinan- dersetzen, die Zwischen- und End- Resultate überwachen, bewerten und publizieren. Erst wenn einheit- liche rechtliche und ethische Gren- zen für die praktische Anwendung der Forschungsergebnisse in allen Mitgliedsstaaten gezogen sind, könnte die Bundesrepublik ihre Ent- scheidung ändern, meint der Bun- desrat. Die Entscheidung des Bun- destags steht noch aus. Sie wird in diesen Tagen fallen.

Erweist sich die Bundesrepublik also wieder einmal als Bremsklotz des internationalen Fortschritts?

Oder hat die „Erblast" der Vergan- genheit nicht vielleicht doch den Sinn gehabt, daß „die Deutschen" — und vielleicht nicht nur sie — aus Fehlern gelernt haben.

Ursula Friedrichs A-78 (18) Dt. Ärztebl. 86, Heft 3, 19. Januar 1989

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