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Archiv "Kompetenznetzwerke: Eine Struktur gewinnt allmählich Inhalte" (07.01.2002)

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ie Zahl der chronisch-entzündli- chen Darmerkrankungen hat sich in den letzten 20 Jahren ver- zehnfacht: In Deutschland leben etwa 300 000 Patienten – meist im Alter zwi- schen 20 und 30 Jahren – mit diesen schubweise auftretenden Erkrankun- gen, deren Ursache und Pathogenese in vielen Punkten noch nicht geklärt sind. Nur „gebündeltes“ Know-how von Grundlagenforschung, klinischer Forschung und behandelnden Ärzten ist in der Lage, diese Lücken zügig zu schließen. „Mit der Einrichtung des Kompetenznetzes ,Chronisch- entzündliche Darmerkrankun- gen‘ ist es gelungen, dieses Wissen zu vernetzen und ge- meinsam an Lösungen zu ar- beiten“, sagte Prof. Ulrich R.

Fölsch (Universität Kiel) anläss- lich des ersten Treffens der Kompetenznetze in der Medi- zin in Darmstadt.

Ein erster Erfolg aus dieser Forschungsvernetzung ist die Identifizierung eines Risiko- gens für den Morbus Crohn.

Dieses „NOD2“-Gen auf Chro- mosom 16 ist an der Aktivie-

rung von Entzündungsreaktionen als Antwort auf Bakterien im Darm betei- ligt. Die Entdeckung des Gens basiert auf den Daten einer Patientenkohorte von mehr als 500 Familien und über 1 000 Patienten mit chronisch-entzünd- lichen Darmerkrankungen. „Durch den Aufbau eines so genannten molekula- ren Kernzentrums in Kiel konnte diese große Patientengruppe mit molekular- genetischen Methoden untersucht wer- den“, sagte Fölsch.

Eine der wichtigsten genetischen Krankheitsvarianten in diesem Gen ist

eine Mutation, die zu einer verkürzten Eiweißkette – und daher zu einem un- vollständigen Regulator – führt. Men- schen mit einer defekten Kopie dieses Regulatorgens (heterozygote Träger dieser Mutation) haben ein etwa 2,5fa- ches Risiko, an Morbus Crohn zu er- kranken. Für homozygote Träger mit zwei mutierten Kopien ist das Risiko etwa 100fach höher als in der Allge- meinbevölkerung.

„Wahrscheinlich kann durch dieses Gen etwa ein Viertel der gesamten ge- netischen Veranlagung für den Morbus

Crohn erklärt werden“, sagte Fölsch.

„Außerdem scheinen Mutationsträger deutlich häufiger spezifische Komplika- tionen wie beispielsweise Fisteln zu ent- wickeln.“ Im Gegensatz dazu habe man diese Mutation bei keinem Patienten mit Colitis ulcerosa finden können, so- dass diese Erkenntnis in Zukunft auch zur Unterscheidung dieser Krankheits- bilder beitrage – mit erheblicher Rele- vanz für das therapeutische Vorgehen.

Auch im Kompetenznetz „Parkin- son“ zeichnen sich erste konkrete Er- folge der gemeinsamen Arbeit ab, wie

Prof. Wolfgang H. Oertel (Universität Marburg) berichtete. So wurde ein Fra- gebogen für Allgemeinmediziner und Fachärzte entwickelt, mit dem das Phä- nomen medikamenteninduzierter psy- chotischer Zustände bei Parkinson-Pa- tienten erfasst werden soll. Solche Ne- benwirkungen, zu denen Albträume, Halluzinationen oder psychische Ver- änderungen gehören, stellen eines der größten Probleme in der Therapie von Parkinson-Patienten dar. „Außerdem gehören arzneimittelinduzierte Psycho- sen zu den häufigsten Ursachen für die stationäre Einweisung der Patienten“, sagte Oertel.

Das Kompetenznetz „Parkinson“ er- arbeitet darüber hinaus einen – nur aus zehn Fragen bestehenden – Fragebogen zur Identifizierung von Parkinson-Pati- enten in Hausarztpraxen. Ein solcher Test, der trotz seiner Einfachheit eine hohe Trefferquote bieten soll, ist nach Angaben von Oertel wünschenswert, da sich die Krankheit meistens schlei- chend entwickelt und die Diagnose da- her schwierig sein kann.

Während die Diskussion um die em- bryonalen Stammzellen hierzulande mit Eifer geführt wird, stellte Prof. Dr.

rer. nat. Andreas Radbruch (Deutsches Rheuma-Forschungszentrum, Berlin) eine Rheumatherapie mit autologen, adulten Stammzellen als Beispiel ei- ner gelungenen Kooperation zwischen Grundlagenforschung und Klinik im Kompetenznetz „Rheuma“ vor. Hier- bei werden die Stammzellen mithilfe von Wachstumsfaktoren aus dem Kno- chenmark der therapieresistenten Pati- enten mobilisiert und aus dem periphe- ren Blut herausgelesen. Diese „Stamm- zellernte“ erfolgt mit einem neuartigen Zellsortiergerät (CliniMACs®: Magne- tische Hochgradienten-Zellsortierung), das die Selektion einzelner Zellpopula- tionen in bisher noch nicht erreichter Reinheit ermöglicht.

Dann unterziehen sich die Patienten einer Hochdosis-Chemotherapie. Da- hinter steckt die Idee, das fehlgeleitete Immunsystem zu zerstören und an- schließend mit patienteneigenen Stamm- zellen wieder ein „neues“ aufzubauen, das möglicherweise die Krankheit „ver- gessen“ hat. Seit 1998 sind an der Berliner Charité neun Patienten mit lebensbedrohlichen Autoimmunerkran- P O L I T I K

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A24 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 1–2½½½½7. Januar 2002

Kompetenznetzwerke

Eine Struktur gewinnt allmählich Inhalte

Die Teilnehmer der zwölf Großprojekte, die vom Bundes- forschungsministerium gefördert werden, haben erstmals konkrete Ergebnisse ihrer Arbeit vorgestellt.

Medizinreport

Fehlreaktionen von verschiedenen Zellen des Immunsy- stems sind wahrscheinlich die Ursache rheumatischer Er- krankungen. Foto: Prof. Andreas Radbruch

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kungen auf diese Weise behandelt wor- den. Fünf litten an systemischem Lupus erythematodes (SLE), drei an Sklero- dermie und eine an Polychondritis, ei- ner seltenen entzündlichen Knorpeler- krankung. Vier Patienten sind heute immer noch frei von Krankheitszei- chen. „Die typischen Autoantikörper im Blut sind verschwunden, die Ent- zündungsparameter und das T-Zell-Re- zeptor-Muster haben sich normali- siert“, berichtete Radbruch, der aller- dings noch nicht von einer Heilung sprechen möchte. „Dies wäre erst nach einem krankheitsfreien Verlauf von mindestens fünf Jahren gerechtfertigt.“

Bei den Sklerodermien sei die Stamm- zell-Therapie nicht erfolgreich.

Radbruch betonte, dass die Stamm- zelltransplantation wegen nicht uner- heblicher Risiken nur lebensbedrohli- chen rheumatischen Erkrankungen vorbehalten bleibe. Denn bis das

„neue“ Immunsystem aufgebaut sei, vergehen Monate. „Auch ein Jahr nach der Behandlung fehlen den Patienten noch die Gedächtniszellen, sodass die Abwehr gegen Alltagskeime erst wie- der erworben werden muss.

Dass man sich in den Kompetenz- netzen nicht nur um Therapieformen kümmert, sondern auch um Präven- tion, zeigt eine Pilotstudie zur Suizid- prävention des Kompetenznetzes „De- pression, Suizidalität“ in Nürnberg. Das

Aktionsprogramm wendet sich mit viel- fältigen Informationen (Plakate, Vi- deos, Kinospots) und Fortbildungsan- geboten an die Nürnberger Bürger.

Hierbei werden nicht nur Hausärzte geschult, sondern auch „Multiplika- toren“ wie Pfarrer, Altenpflegekräfte, Lehrer und Polizeibeamte. „Die Zahl der Suizide verringerte sich in Nürn- berg in diesem Jahr um über 40 Pro- zent, die der Suizidversuche um 29 Pro- zent“, fasste Prof. Ulrich Hegerl (Uni- versität München) das Ergebnis dieses erfolgreichen Aktionsprogramms zu- sammen.

Anschubfinanzierung

Zu den dreißig Projekten, die im Kom- petenznetz „Schizophrenie“ organisiert sind, gehört auch die Beteiligung an ei- nem internationalen Programm gegen die Diskriminierung von schizophren erkrankten Menschen. Denn nach einer Umfrage der Forschungsgruppe „Anti- stigma“ des Kompetenznetzes wissen fast drei Viertel der Befragten nichts über die Ursachen der Schizophrenie, und 79 Prozent glauben, dass Schizo- phrene unter gespaltener Persönlich- keit leiden. „Mit der Realität haben sol- che Klischees nichts zu tun, denn die Krankheit zeichnet sich durch gestörte Denk-, Wahrnehmungs- und Kommu-

nikationsfähigkeit aus“, erklärte Prof.

Wolfgang Gaebel (Universität Düssel- dorf).

Seit Mitte 1999 wurden im Rah- men des Kompetenznetzes „Akute und chronische Leukämien“ mehr als 1 000 Patienten mit dem hochaktiven Wirk- stoff Imatinib behandelt, womit in der fortgeschrittenen Phase der Erkran- kung bislang nicht annähernd erreichte Ansprechraten erzielt werden konnten.

Für Dr. Ute Berger (Klinikum Mann- heim) steht fest, dass es ohne die „ein- zigartige Struktur“ des Kompetenznet- zes nicht möglich gewesen wäre, in so kurzer Zeit so viele Patienten in die Studien einzubinden. Die positiven Er- gebnisse der Studie hätten unmittelba- ren Einfluss auf die künftige Leukämie- behandlung.

Eben diese Beschleunigung des Wis- senstransfers sieht Dr. Peter Lange vom Bundesforschungsministerium als Kernaufgabe der Kompetenznetze an:

„Es darf nicht mehr sein, dass die Ergebnisse der Grundlagenforschung mit einer Verzögerung von bis zu fünf- zehn Jahren in die Praxis oder ans Krankenbett gelangen.“ Lange möchte die Finanzierung der Netze durch das Ministerium nur als „Anschub“ ver- standen wissen. Pro Netz werden jähr- lich maximal 2,5 Millionen A für zunächst drei Jahre zur Verfügung gestellt. Abhängig vom Ergebnis ei- ner Zwischenbeurteilung besteht die Möglichkeit der Anschlussförderung für weitere zwei oder drei Jahre. „Da- nach sollten die Netze auch finan- ziell auf eigenen Beinen stehen“, so Lange. Neben den oben beschriebenen Kompetenznetzen werden außerdem gefördert:

❃ Maligne Lymphome

❃ Pädiatrische Onkologie und Hä- matologie

❃ Schlaganfall

❃ Brain-Net

❃ Ambulant erworbene Pneumonien

❃ Hepatitis (HEP-NET).

Vom Ministerium bewilligt und im Aufbau begriffen sind ferner die Netze:

❃ HIV

❃ Demenz und

❃ Herz-Kreislauf.

Dr. med. Vera Zylka-Menhorn

www.kompetenznetze-medizin.de P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 1–2½½½½7. Januar 2002 AA25

Wie ein Kompetenznetzwerk funktioniert

Die Struktur der Kompetenznetze lässt sich am Beispiel „Parkinson“ erken- nen: Es besteht aus einem horizontalen und einem vertikalen Forschungs- und Versorgungsnetz. Das Netzwerk bearbeitet zahlreiche Forschungsschwer- punkte – wie Genbank, Tiefenhirnstimulation, Früh- und Differenzialdiagno- se, Bildgebung, Multicenter-Studien, psychiatrische Symptome, Pharmako- ökonomie und Epidemiologie.

Die Website gilt als Zugangspforte zur Patientendateneingabe durch den Arzt. Das Kompetenznetz Parkinson hat ein elektronisches Dateneingabe-Sy- stem auf Internet-Browser-Technologie etabliert. Damit kann die Krankenge- schichte eines Patienten auf höchster Sicherheitsstufe – anerkannt von 13 Da- tenschützern der Bundesländer – von jedem Ort der Erde nach standardisierten Vorgaben dokumentiert werden. Die Website dient auch als Informationspor- tal, genügt didaktischen Ansprüchen, verfügt über ein Ärzteforum und erlaubt, fachspezifische Vorlesungen mit interaktiver Qualität zu präsentieren, Tutori- als, Datenbanken, Journal-Artikel einzuspeisen. Videoprogramme ermögli- chen Fallvorstellungen im Netz. Alle diese Teile definieren den Inhalt einer in- teraktiven CME-Fortbildung entsprechend dem unterschiedlichen Ausgangs- niveau des Benutzers und angepasst an das individuelle Lernziel des Arztes.

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