Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 97½½Heft 30½½28. Juli 2000 AA1997
S E I T E E I N S
Private Krankenversicherung
Missverhältnis Ü
berrascht und sich selbst lobendberichtet der Verband der priva- ten Krankenversicherung e.V., dass im vergangenen Jahr mit einem Plus von 2,6 Prozent je Versicherten der niedrigste Ausgaben-/Erstattungsan- stieg der Neunzigerjahre zu verzeich- nen war. Die Leistungen erhöhten sich um vier Prozent auf 24,4 Milliar- den DM. Die privaten Krankenversi- cherungsunternehmen prosperieren, auch dank der Zusage, dass an der „Friedensgrenze“ (der Versiche- rungspflichtgrenze) in dieser Legisla- turperiode nicht gedreht wird.
Auch sonst liegen die privaten Krankenversicherer im Soll: Mit 7,356 Millionen Personen an Vollko- stenversicherten ist ein neuer Re- kordstand erreicht worden (Nettozu- gang gegenüber dem Vorjahr: rund 150 000 Personen). Dennoch ist dies
für die PKV kein Grund zur Entwar- nung an der Ausgaben- und Kosten- front. Ganz im Gegenteil! Wegen der gestiegenen Lebenserwartung der Privatversicherten und der in Kraft gesetzten aktualisierten Sterbetafeln bleibt den Unternehmen nichts ande- res übrig, als das Kostenmanagement zu verschärfen. Mittlerweile kursiert eine Prüfsoftware, um Privatarzt- rechnungen stärker zu filzen. Allen- orten ist von Managed Care und Dis- ease Management zu hören, ein Ge- danke, der auch in einer Vertrags- GOÄ und bei Einkaufsmodellen sei- nen Niederschlag finden soll.
Ganz aus dem Ruder laufen dage- gen die exorbitant steigenden Ab- schluss- und Verwaltungskosten der PKV. Diese addieren sich auf stolze 4,85 Milliarden DM. Peanuts im Vergleich zu den Gesamtaufwen-
dungen der Branche? Keinesfalls!
Diese betrugen rund 35 Milliarden DM, darunter 25,3 Milliarden DM reine Versicherungsleistungen. Die erstatteten Kosten für die ambulan- te Arztbehandlung betrugen 5,8 Mil- liarden DM. Verwaltungs- und Ab- schlusskosten entsprechen mithin stolzen 83,7 Prozent der Kosten für die ambulante privatärztliche Be- handlung! Die Verwaltungs- und Abschlusskosten sind in 1999 um neun Prozent gestiegen, die Verwal- tungskosten allein gingen – im Ge- gensatz zu den Vorjahren – um weni- ger als ein Prozent zurück. Alles ein Indiz für den verschärften Wettbe- werb, das Marketing und die hohen Abschlussprämien („Kopfprämien“).
Die Branche sollte alles tun, um die schiefen Verhältnisse wieder ins Lot zu bringen. Dr. rer. pol. Harald Clade
K
ürzlich stellte sich die Charité in einer Glanzbroschüre dar. Doch in den letzten Tagen bestimmen nicht High Tech oder restaurierte Gebäude, sondern ein zorniger Ver- waltungsdirektor das Bild des Uni- versitätsklinikums in den Medien.Bernhard Motzkus wirft den Krankenkassen vor, die Kosten für die stationäre Behandlung nicht oder nur teilweise zu bezahlen. Im Visier hat er vor allem AOK und BKK Berlin. Am Wochenende for- derte er deshalb Gesundheitssena- torin Gabriele Schöttler (SPD) auf, die Zahlungsfähigkeit der klammen Kassen zu überprüfen. Deren Vor- standsvorsitzende konterten.
Rolf D. Müller von der AOK sag- te, viele Rechnungen seien nicht plausibel. Jochem Schulz von der BKK wies darauf hin, das Sozial- gericht habe mehrere begrenzte
Kostenübernahmeerklärungen für zulässig erklärt. Schon Anfang Juli kam es zu einem Eklat, als Motzkus Ärzte des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen der Charité ver- wies. Sie waren zu einer Fehlbele- gungsprüfung angereist, doch die Charité empfand ihre Methoden als unqualifiziert.
Manche Insider meinen freilich, an der Charité würde nicht nach- drücklich genug gespart. Andere glauben, Motzkus dramatisiere die Lage, weil er betriebsbedingte Kün- digungen durchsetzen wolle.
Dazu muss man wissen, dass der Senat von der Charité zwar deutli- che Sparmaßnahmen verlangt. Er hat sich aber mit den Gewerkschaf- ten verständigt, dass auch die Cha- rité in den nächsten Jahren keine Mitarbeiter des öffentlichen Dien- stes entlassen darf. All diese Streite-
reien sind nicht neu. Doch im Mo- ment eskalieren sie wohl, weil es zu viele Reibungspunkte gibt.
Die Gesundheitssenatorin will die neun städtischen Krankenhäu- ser zu einer GmbH zusammen- führen und ihnen so den Weg zu schwarzen Zahlen ebnen. Doch trotz eines Moderationsprozesses mit Vertretern der Betroffenen kri- tisieren viele diese Idee.
Seit Monaten wird zudem um das Krankenhaus Moabit gestritten.
Schöttler hat der Klinik inzwischen den Schließungsbeschluss zugestellt.
Dort wehrt man sich mit allen juristi- schen Mitteln. Die Krankenkassen scheren sich auch hier wenig um ge- wundene Rechtswege. Sie versuch- ten massiv, niedergelassene Ärzte von Einweisungen nach Moabit ab- zuhalten, und ließen sich erst vom Sozialgericht stoppen. Sabine Rieser