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Archiv "Stationäre Behandlung: Der alte Patient wird zum Normalfall" (24.05.2013)

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A 1036 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 21

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24. Mai 2013 60−69 70−79 80 und älter

17,3 % 16,9 % 10,2 %

14,5 % 20,3 % 14,9 %

GRAFIK

Altersverteilung bei vollstationärer Behandlung (alle Diagnosen)

30 %

20 %

10 %

0 %

Alter

2000 2011

Quelle: Statistisches Bundesamt

STATIONÄRE BEHANDLUNG

Der alte Patient wird zum Normalfall

Der Anteil alter Patienten im Krankenhaus steigt. Doch die Kliniken

sind nicht angemessen auf ihre speziellen Bedürfnisse eingestellt. Im Gegenteil:

Ein stationärer Aufenthalt kann diesen Patienten sogar schaden.

M

anchmal beginnt es mit ei- ner vermeintlichen Banali- tät – zum Beispiel einem Sturz ohne Fraktur. Trotzdem gerät alles aus den Fugen. Stationäre Aufnahme zum Frakturausschluss: Natürlich wird ein Blasenkatheter gelegt, dann folgen der Harnwegsinfekt, die Anti- biose, schließlich der Durchfall und im schlimmsten Fall der Dekubitus.

Hinzu kommt die ungewohnte Um- gebung im Krankenhaus: Die Ko- gnition verschlechtert sich. Dass Oma vorher angeblich noch allein zurechtkam, glaubt den Angehöri- gen auf der Station niemand. Am Ende steht die Pflegebedürftigkeit.

Alte Menschen sind vulnerabler als junge. Eine Kleinigkeit kann ihr bisher funktionierendes System aus

dem Lot bringen. Während eines Klinikaufenthaltes haben sie des- halb spezielle Bedürfnisse. Die Langsamkeit alter Menschen kolli- diere aber mit dem knappen Zeit- budget im Krankenhaus, sagte Dr.

med. Dipl.-Theol. Henriette Krug, Klinik für Neurologie, Charité Ber- lin, auf der Veranstaltung „Der alte Patient im Krankenhaus“ der Evan- gelischen Akademie zu Berlin.

„Der Patient braucht einfach mehr Zeit“, erläuterte Krug. Der Arzt-Pa- tienten-Kontakt habe eine viel hö- here Bedeutung. Umso größer sei dann mitunter die Enttäuschung über die Realität im Krankenhaus.

Ein weiteres Problem ist die Po- lypharmazie. „Das potenziert sich in einer zunehmend spezialisierten Me- dizin“, sagte Krug. Etwa 38 Prozent der über 70-Jährigen nähmen min- destens fünf Medikamente ein. Da- bei sei das Ansprechen auf die Me- dikamente im Alter anders, ebenso das Nutzen-Risiko-Profil. „Wenn jemand viele Präparate gleichzeitig bekommt, wissen wir überhaupt nicht mehr, wie sie interagieren“, gab Dr. med. Johannes Bruns, Ab- teilung Akutgeriatrie und Frühreha- bilitation, Evangelisches Kranken- haus Hubertus, Berlin, zu bedenken.

Er fordert: „Geriatrische Kompetenz

muss zwingend in Aus- und Weiter- bildung implementiert werden.“

Wo ist es legitim, alle Therapie- optionen auszuschöpfen? Wo be- ginnt die Unangemessenheit? Für Krug ist das eine Gratwanderung.

Gleichzeitig beobachtet sie ein ge- gensätzliches Phänomen, nämlich das der Altersdiskriminierung – et- wa nach dem Motto „Das lohnt sich doch eh nicht mehr“. Sie plädiert dafür, das biologische und nicht das kalendarische Alter in den Vorder- grund zu stellen.

Alte Menschen sind mit dem Klinikaufenthalt überfordert

Besonders die kognitive Situation von älteren Patienten wird nicht ausreichend beachtet. Studien zu- folge erleiden 44 bis 61 Prozent der Patienten über 65 Jahre nach der Operation einer hüftgelenksnahen Fraktur ein perioperatives Delir.

Alte Menschen sind mit einer Not- fallsituation häufig ohnehin schon überfordert. Narkose, Operation und die fremde Umgebung tun ihr Übriges. Wenn dann die Patienten auch noch ohne Brille und Hörge- rät eingewiesen werden, trägt das ebenfalls zur Desorientierung bei.

Im St.-Franziskus-Hospital in Münster ist es durch ein Bündel von

Foto: mauritius images

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24. Mai 2013 A 1037 Maßnahmen gelungen, die Delir -

rate deutlich zu senken. Dr. med.

Simone Gurlit ist Anästhesistin und leitet das „perioperative Geriatrie- Team“. Sie erinnert sich noch gut, wie sie als Ärztin im Praktikum erstmals die Erfahrung machen musste, dass alte Patienten nach einer völlig unkomplizierten chirur- gischen Versorgung zu Langzeitpa- tienten auf der Intensivstation wur- den. „Ich habe damals überhaupt nicht verstanden, was mit diesen Patienten los ist“, sagt Gurlit. Auf Nachfrage bei erfahrenen Kollegen hieß es dann: „Das gibt es ganz oft bei alten Patienten nach einer OP.“

„Durchgangssyndrom“ – dieser früher häufig verwendete Begriff suggeriert einen vorübergehenden Zustand. Heute weiß man aber: Ein Delir ist mit einem erhöhten Risiko verbunden, dauerhaft pflegebedürf- tig zu werden. Auch die Mortalität ist erhöht. „Ein Delir ist ein akutes Organversagen“, sagt Oberärztin Gurlit. Doch während man die Nie- renwerte der Patienten selbstver- ständlich kontrolliere, gebe es häu- fig keinen routinemäßigen Blick auf die Kognition. Aus ihrer Sicht wird ein Delir oft nicht diagnosti- ziert. Gerade hochbetagte Patienten hätten häufig ein hypoaktives Delir.

Anders als hyperaktive Delirpatien- ten fielen sie nicht weiter auf. So werde die Diagnose nicht gestellt – auch weil häufig nicht bekannt sei, wie der kognitive Status vor dem Krankenhausaufenthalt war. „Es ist unser Job, die Patienten herauszu - fischen, die ein erhöhtes Delirrisiko haben“, sagt Gurlit.

Diesen Auftrag nimmt man im St.-Franziskus-Hospital ernst. Das

„perioperative Geriatrie-Team“ be- steht neben Gurlit als ärztlicher Lei- terin aus fünf Altenpflegerinnen.

Kommt ein chirurgischer Notfall - patient über 65 Jahre in die Ambu- lanz, werden sie informiert. Eben- so, wenn Patienten für eine größere elektive OP kommen, zum Beispiel bestimmte gefäßchirurgische Ein- griffe oder einen TEP-Wechsel. Ei- ne der Altenpflegerinnen erhebt den kognitiven Status – mittels Mini- Mental-Test und Uhrentest. Ergeben sich Auffälligkeiten, dann begleitet sie den Patienten während des Auf-

enthalts. „Das bedeutet nicht, dass sie den ganzen Tag danebensitzen“, stellt Gurlit klar. Das würde perso- nell den Rahmen sprengen. Aber sie kommen mit zu den Untersuchun- gen, werden zu einem bekannten Gesicht, einem kontinuierlichen Begleiter. Das nimmt Stress.

Kognitive Einschränkungen sind oft nicht vorbeschrieben

Perioperative Delirien lassen sich häufig vermeiden. Dazu muss man aber die Risiken identifizieren. Ein Delir ist immer multifaktoriell. Ei- ne Prädisposition sind das hohe Le- bensalter, eine Demenz, die Multi- morbidität. Problematisch seien ge- rade die Patienten, bei denen es eine

leichte kognitive Einschränkung gebe, ein „Mild cognitive impair- ment“, berichtet Gurlit. Diese Ein- schränkungen seien oft nicht vor - beschrieben. Auf die Prädisposition treffe nun eine Noxe. Da könne schon ein banaler Infekt, wie ein Harnwegsinfekt, ausreichen. „Alte Patienten sind viel vulnerabler“, weiß Gurlit. Das Trauma, die OP- Dauer, die Narkoseführung – all das spiele bei chirurgischen Patienten eine Rolle.

Gurlit bevorzugt, wenn möglich, Regionalanästhesien. Der Vorteil:

Die Altenpflegerin kann dabei sein und mit den Patienten sprechen.

„Das ist das beste Neuromonito- ring“, sagt sie. Durch die Anwesen-

heit eines bekannten Gesichts wer- de außerdem viel Stress von den Pa- tienten genommen. Außerdem soll- te man auf bestimmte Medikamente verzichten. „Benzodiazepine sind sehr ungünstig für die Kognition“, sagt Gurlit. Grundsätzlich könne man aber kein Narkoseverfahren per se favorisieren. So sei eine gute Vollnarkose mit stabilem Druck und Temperatur häufig besser als eine Teilnarkose mit Benzodiazepinen.

Die Initiative im St.-Franzis - kus-Hospital in Münster war zu- nächst ein Modellprojekt, gefördert vom Bundesgesundheitsministeri- um. Heute ist es die Regelversor- gung in dem Haus, denn es rechnet sich. Die postoperativen Verläufe

sind unproblematischer, die Pati - enten werden schneller entlassen.

Die Erfahrungen in Münster sind in der Broschüre „Der alte Mensch im OP“ zusammengefasst, die vom Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter in Nordrhein-Westfalen finanziert wurde. Das Konzept soll Vorbild sein. „Der Apparat Krankenhaus er- wartet einen kooperativen, kognitiv guten Patienten“, sagt Gurlit. Doch es sei die Aufgabe aller Mitarbeiter, sich auf die Bedürfnisse dieser Pa- tienten einzustellen.

Dr. med. Birgit Hibbeler Welche Risikofaktoren für ein

perioperatives Delir gibt es?

Gurlit: Ein Delir ist ein multifak- torielles Geschehen. Konkret kann man aber sagen: Es ent- steht, wenn ein Patient mit Prä- disposition einer Noxe ausge- setzt ist. Dabei kann die Prädis- position auch eine kognitive Einschränkung sein, die vorher nie aufgefallen ist. Trauma, Ent- zündung, Stress – das sind ty- pische Noxen. Manchmal reicht allein der Klinikaufenthalt.

Was kann man tun, um ein Delir zu verhindern?

Gurlit: Wir machen bei der Auf- nahme ein Screening der Ge- dächtnisleistung. Liegt eine Ein- schränkung vor, begleitet eine Altenpflegerin den Patienten während seines Aufenthaltes.

Auch bei der OP ist sie dabei.

Denn meist verzichten wir auf eine Vollnarkose und machen etwa bei Hüften eine Spinalan- ästhesie. Dabei können wir in der Regel sogar auf Benzodia-

zepine verzichten. Das bekannte Gesicht und die Ansprache: Das ist eine personifizierte Anxiolyse.

Wie sind die Erfolge?

Gurlit: Sehr gut. Bei Hüft-OPs haben wir eine Delirrate von sieben Prozent. In der Literatur werden mehr als 40 Prozent beschrieben. Und das Ganze rechnet sich, weil die Liegezei- ten gesunken sind. Zunächst war es ein Modellprojekt, jetzt ist es unsere Regelversorgung.

3 FRAGEN AN . . .

Dr. med. Simone Gurlit, Leiterin des perioperativen Geriatrie-Teams, St.-Franziskus-Hospital Münster

@

Broschüre „Der alte Mensch im OP“

und weitere Links im Internet unter:

www.aerzteblatt.de/131036

T H E M E N D E R Z E I T

Referenzen

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