Um die Folgewirkungen einer Min- destmengen-Einführung auf die Ver- sorgung abschätzen zu können, hat der G-BA das IQWiG zusätzlich mit der Erstellung eines Prognosemodells be- auftragt, durch welches die Umver- teilung von Knie-TEP-Behandlungs- fällen und die dadurch zunehmenden Entfernungen zwischen Patienten- wohnort und nächstverfügbarem Kran- kenhaus abgebildet werden sollen.
Auch die Ergebnisse dieses Prognose- modells zur vorab festgelegten Knie- TEP-Mindestmenge hat der G-BA bei seiner Beschlussfassung nicht abge- wartet; mögliche negative Auswirkun- gen werden daher unberücksichtigt bleiben. Andere patientenrelevante Pa- rameter, wie zum Beispiel potenzielle Veränderungen der Ergebnisqualität, zunehmende Wartezeiten oder mögli- che Zugangsverschlechterungen durch die Konzentrationsprozesse, lässt der G-BA erst gar nicht im Prognosemo- dell untersuchen.
Kapazitätenabbau vor Qualitätssicherung
Die willkürliche „politische“ Festlegung von Mindestmengen für Knie-TEP kann durch die aktuellen Ergebnisse aus dem Schwellenwertberechnungsmodell des IQWiG nicht gestützt werden. Das In-Kraft-Treten der Vereinbarung wider besseres Wissen und ohne Vorliegen ei- ner Folgenabschätzung sowie die drasti- sche Lockerung der Bewertungskriteri- en für den Nachweis einer Mengen- Qualitäts-Beziehung erschüttern die Glaubwürdigkeit des G-BA hinsichtlich einer evidenzbasierten Entscheidungs- findung und nähren den Verdacht, dass es der Majorität im G-BA-Gremium für Krankenhausbehandlung weniger um Qualitätssicherung und -förderung geht als vielmehr um Mengensteuerung und die gezielte Verknappung von Kranken- hauskapazitäten.
Dr. med. Regina Klakow-Franck, M.A.
Dr. med. Hermann Wetzel, M.Sc.
Bundesärztekammer
P O L I T I K
A
A378 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 7⏐⏐17. Februar 2006
IQWiG-Bericht zu Mindestmengen bei Knie-TEP im Inter- net: www.iqwig.de/de/auftraege/biometrie_/b05-01a/
b05-01a.html
M
an kann das auch schneller ma- chen – sechs Worte, die die Poli- tik in Deutschland ordentlich durcheinander wirbelten. Gesagt hat sie Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD), und gemeint hat er damit die Er- höhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre. Selbst der Kabinettsbeschluss, das Eintrittsalter schon bis 2029, statt wie im Koalitionsvertrag vorgesehen bis 2035, zu erhöhen, hat keine Ruhe ge- bracht. Innerhalb der SPD wird weiter gemurrt. Dachdeckern etwa sei eine Tätigkeit bis ins Alter von 67 Jahren nicht zuzumuten. Darum fordern Politi- ker wie der rheinland-pfälzische Mini- sterpräsident Kurt Beck (SPD) Ausnah- meregelungen für einzelne Berufsgrup- pen. Experten haben aber noch ganz andere Bedenken: Mit dem Vorhaben würde ein weiterer Verschiebebahnhof zulasten der Gesetzlichen Krankenver- sicherung (GKV) eröffnet, warnen sie.Was die Rentenkasse entlastet, müssten nämlich künftige Rentnergenerationen und die GKV bezahlen. Geht der Groß- teil der Arbeitnehmer weiterhin vorzei- tig in den Ruhestand, werden das Ren- tenniveau und damit auch die GKV- Beiträge der Rentner sinken.
Abzüge sind wahrscheinlich
Um die maroden Finanzen der gesetzli- chen Rentenversicherung (GRV) zu sta- bilisieren, soll das Renteneintrittsalter bis 2029 schrittweise von derzeit 65 auf 67 Jahre angehoben werden.Theoretisch muss jeder Einzelne dadurch länger in die Renten- und die anderen Sozialversi- cherungen einzahlen. Würde die Le- bensarbeitszeit tatsächlich steigen, wür- de das auch die Kassen finanziell entla- sten, so der Gesundheitsökonom Prof.
Jürgen Wasem gegenüber dem Deut- schen Ärzteblatt. Gehen die Arbeitneh- mer jedoch weiterhin vorzeitig in den Ruhestand, müssen sie mit Abzügen von 3,6 Prozent pro Jahr, das sie weniger ar- beiten, rechnen. Gegenwärtig liegt das Eintrittsalter in der GRV bei 65 Jahren, doch im Schnitt hängen die Arbeitneh- mer ihren Job bereits mit 63 Jahren an den Nagel. Bis zum 65. Lebensjahr im Beruf, das schaffen lediglich 43 Prozent der Neurentner. Genau dies ist von der Politik einkalkuliert, vermutet Wasem.
Der wesentliche Spareffekt resultiere aus den Rentenkürzungen – nicht aus länger gezahlten Beiträgen.
Folgen dürfte das auch für die GKV haben. Allein durch die Nullrunden bei den Renten mussten die Kassen auf wichtige Einnahmen verzichten, sagt Wasem. Dabei ist der Anteil, den die Rentner mit rund 30 Milliarden Euro jährlich in die GKV zahlen, beträchtlich – auch wenn damit die von ihnen verur- sachten Kosten nur teilweise zu decken sind. Derzeit, so Wasem, erziele die GKV rund 24 Prozent ihrer Einnahmen über die Rentenbeiträge. „Aufgrund der Bevölkerungsentwicklung ist aber damit zu rechnen, dass dieser Anteil bis 2040 auf mehr als 35 Prozent steigen wird.“
Experten sind skeptisch, ob ältere Arbeitnehmer künftig länger werden arbeiten können. Nicht aus gesundheit- lichen Gründen, wie Prof. Dr. med. Fritz Beske sagt. Die Leistungsfähigkeit im betagteren Alter werde in Zukunft wei- ter zunehmen, ist er überzeugt. Zudem würden schwere körperliche Arbeiten verstärkt durch technische und kauf- männische Tätigkeiten abgelöst. Sorge bereitet dem Gesundheitsforscher viel- mehr die Situation auf dem Arbeits- markt. Bereits heute hätten viele Be- triebe keine Angestellten über 50 Jahre.
Ein Blick in die Statistiken gibt Beske Recht. Nach Angaben des For- schungsinstituts zur Zukunft der Arbeit ist die Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-Jährigen im internationalen Ver- gleich mit knapp 40 Prozent nur durch- schnittlich. Im Gesundheitsministerium weist man die Bedenken dennoch als
„spekulative Hochrechnung“ zurück.
Ziel sei es, das reale Renteneintrittsal- ter mit dem gesetzlichen anzugleichen.
Zudem befinde sich ja noch die GKV- Finanzreform in der Pipeline. Timo Blöß