Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 108|
Heft 34–35|
29. August 2011 A 1765D
arüber, ob bestimmte Sachverhalte überhaupt justiziabel sind, ist im Zusammenhang mit Ent- scheidungen des Bundesverfassungsgerichts schon häufiger räsoniert worden. Genauso könnte man ins Grübeln darüber geraten, ob ein Sozialgericht die ge- eignete Instanz ist, um mit einem Urteil zur Mindest- menge bei Kniegelenk-Totalendoprothesen (Knie-TEP) in eine gesundheitspolitisch überaus bedeutsame An- gelegenheit einzugreifen, so wie es der 7. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg soeben mit bundesweiter Wirkung getan hat – auch wenn bei der vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) ange- strebten Revision das Bundessozialgericht noch ein Wörtchen mitzureden haben wird. Derselbe Senat des Landessozialgerichts hatte bereits mit einer Entschei- dung im Januar dafür gesorgt, dass der Mindestmen- genbeschluss des G-BA zur Versorgung von Früh- und Neugeborenen bis zu einer endgültigen Entscheidung ausgesetzt bleibt.In seinem Urteil vom 17. August (Aktenzeichen:
L 7 KA 77/08 KL) erklärte das Gericht die Mindest- menge von 50 Operationen bei Kniegelenk-Totalendo- prothesen für unwirksam. Eine Brandenburger Klinik hatte im September 2008 gegen diese vom G-BA mit Wirkung vom 1. Januar 2006 vorgeschriebene Rege- lung geklagt. Die Klinik hatte ihre Klage damit begrün- det, dass sie sich durchaus in der Lage sehe, diese Leis- tung durch qualifizierte Spezialisten zu erbringen, und es rechtlich nicht zulässig sei, sie an der Durchführung dieses Eingriffs zu hindern.
Die Begründung des Gerichts im aktuellen Verfah- ren ist verständlich und nachvollziehbar; sie entspricht im Wesentlichen den Vorbehalten, die von der Bundes- ärztekammer (BÄK) bereits beim Inkraftsetzen der Regelung vorgebracht worden waren. Die im Gesetz (§ 137 Absatz 1 Satz 3 SGB V) vorgeschriebene Ab- hängigkeit der Leistungsqualität von der Leistungs- menge sehen die Richter als nicht hinreichend belegt an. Vorliegende Untersuchungen deuteten sogar darauf hin, dass etwa beim wichtigen Qualitätsindikator „post-
operative Beweglichkeit“ das Behandlungsergebnis ab einer bestimmten Schwelle umso schlechter werde, je mehr Eingriffe erbracht würden. In anderen Bereichen sei die Risikoreduktion bei höheren Behandlungszah- len so gering, dass von keinem besonderen Zusammen- hang zwischen Leistungsmenge und Qualität die Rede sein könne. Kritik übte das Gericht auch konkret am Verfahren bei der Inkraftsetzung der Mindestmengen- regelung bei Knie-TEP: Der G-BA habe einen Wert verbindlich festgelegt, bevor überhaupt das von ihm dazu in Auftrag gegebene Gutachten vorgelegen habe.
Sollte das Bundessozialgericht das Urteil bestätigen, ist das Thema Mindestmengen bei der Qualitätssiche- rung erledigt. Und Mindestmengen für bestimmte Leis- tungen vorzuschreiben, ohne dabei gleichzeitig den Nachweis besserer Behandlungsergebnisse zu fordern, bedeutete nichts anderes als die Exekution eines von der Politik vorgegebenen Spardiktats. So weit sind wir hierzulande glücklicherweise noch nicht. Die Anstren- gungen der Krankenhäuser müssten nun darauf gerich- tet sein, das bestehende System der Qualitätsdarlegung weiter auszubauen. Nur diejenigen Einrichtungen, die nachweisbar gute Behandlungsqualität abliefern, soll- ten weiter an der medizinischen Versorgung teilnehmen dürfen – es gilt nun, diese BÄK-Forderung konkret um- zusetzen.
QUALITÄTSSICHERUNG
Mindestmengen vor dem Aus
Thomas Gerst
Thomas Gerst Redakteur für Gesundheits- und Sozialpolitik