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Archiv "Arzneiverordnung bei Kindern und Alten" (08.10.1987)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Arzneiverordnung

bei Kindern und Alten

Karl H. Kimbel

llgemeinärzte und praktische Ärzte sowie Internisten verord- nen knapp 80 Prozent aller Arz- neimittel im Rahmen der ge- setzlichen Krankenversiche- rung. Kinderärzte bleiben seit Jahren unter 6 Prozent, obwohl sie der Zahl nach ein Zehntel der beiden genannten Arztgruppen ausmachen. Auch in den kürzlich veröffent- lichten Zahlen zum Arzneiverbrauch in der gesetzlichen Krankenversicherung nach Al- tersgruppen 1985*) liegen nur Kinder bis fünf Jahre über zehn Verordnungen pro Jahr. Die sechs- bis 30jährigen kommen da- gegen mit vier bis sechs Verordnungen pro Jahr aus. Das bestätigt die Vermutung, daß in diesem Altersbereich im großen und gan- zen rational verordnet wird.

Zu viele Psychopharmaka an Kinder und Jugendliche?

Wie steht es dann mit der immer wieder behaupteten Übermedikation mit Psycho- pharmaka bei Kindern? Die Statistik weist für neugeborene bis 20jährige Versicherte nur eine Tagesdosis pro Jahr aus. Das heißt, daß 1985 im Durchschnitt jedes Kind und je- der Jugendliche bis 20 Jahre eine einzige Dosis eines Psychopharmakons pro Jahr er- hielt. Selbst wenn nur jedem hundertsten Kind ein Psychopharmakon verordnet wor- den wäre, machte das auch nur eine Tablet- te an jedem dritten Tag aus. Doch was sind Psychopharmaka? Keineswegs nur Tran- quillanzien, sondern, wie die zugrundelie-

*) GKV-Arzneimittelindex, Arzneiverbrauch nach Altersgrup- pen 1985, Wissenschaftliches Institut der Ortskrankenkassen, Bonn, Juni 1987. Wir danken Herrn Dr. Paffrath, Leiter des Instituts, für die frdl. Überlassung der zugrundeliegenden Da- ten.

gende „Rote Liste" ausweist, auch Anti- depressiva , Neuroleptika, Psychoanalepti- ka, sogenannte „Psychoenergetika" und

„Neurotropika" sowie Lithiumpräparate.

Sieht man sich in der Altersgruppe von null bis fünf Jahren die marktführenden Arzneimittel an, findet man das erste Psy- chopharmakon an 65. Stelle, das Phenothia- zin-Derivat Promethazin. Atosil® wird bei Unruhezuständen, aber auch als Antihista- minikum und als Antienietikum, zum Bei- spiel bei Kinetosen, eingesetzt. Dieses eine Präparat macht schon ein Sechstel der insge- samt zwischen null und fünf Jahren verord- neten 3,6 Millionen definierten Tagesdosen (DTD) für Psychopharmaka aus. In der Al- tersgruppe von sechs bis vierzehn Jahren ist wieder Atosil® das einzige Psychopharma- kon unter den 300 meistverordneten Arznei- mitteln; hier sogar erst an 259. Stelle mit

100 200 DTD.

In der Altersgruppe von 15 bis 20 Jahren findet sich unter den 500 meistverordneten Arzneimitteln an 224. Stelle das Präparat Si- lentan®, das gegen Kopfschmerzen bei Ver- spannung der Muskulatur von Kopf, Nak- ken sowie der Halswirbelsäule ausgeboten wird. Wohl den meisten Kollegen unbe- kannt, enthält es neben Acetylsalicylsäure auch 2 mg Diazepam. Kinder und Jugendli- che unter 17 Jahren werden als Gegenanzei- ge genannt. An 281. Stelle mit 216 900 defi- nierten Tagesdosen folgt das Neuroleptikum Levomepromazin (Neurocil®).

Mit Ausnahme der genannten, als Kopf- schmerzmittel deklarierten irrationalen Kombination mit Diazepam findet sich un- ter den 500 führenden der Altersgruppe von 15 bis 20 Jahren verordneten Arzneimitteln (die über 70 Prozent der Verordnungen aus- machen) kein einziges Benzodiazepin. Das

Dt. Ärztebl. 84, Heft 41, 8. Oktober 1987 (51) A-2695

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gleiche gilt uneingeschränkt für die 300 am häufigsten an Kinder von null bis 15 Jahren verordneten Arzneimittel. Von einer Über- verordnung abhängigkeitsfördernder Psy- chopharmaka an Kinder und Jugendliche kann also nicht die Rede sein.

Nachdenklich sollte vielmehr stimmen, daß man unter den zehn meistverordneten Arzneimitteln bei null- bis fünfjährigen nicht weniger als 50 Millionen Tagesdosen dreier verschiedener Nasentropfen findet.

Auch muß man an der Zweckmäßigkeit der Verordnung von zweieinhalb Millionen Ta- gesdosen eines „Umstimmungsmittels"

zweifeln. Die überwiegende Mehrzahl der in den ersten zwei Lebensdekaden verordne- ten Arzneimittel entspricht jedoch weitge- hend den spezifischen Erkrankungen und Bedürfnissen dieser jungen Patienten.

Maximum der Verordnungen bei den über Siebzigjährigen

Von den entsprechenden Altersgruppen am Ende des Lebens, den 71- bis 80- und über 81jährigen kann man das nicht unein- geschränkt sagen. 71 bis 80 Jahre alten Män- nern wurden 1985 833 und den Frauen die- ser Altersgruppe 1136 DTD pro Jahr ver- ordnet. Bei den über 80jährigen waren es bei den Männern 1056 und bei den Frauen 1349 DTD. Das heißt, daß im Durchschnitt jeder unserer alten Patienten drei bis vier Medikamente täglich einnimmt. Zunächst scheint das angesichts der Multimorbidität im Alter nicht zu überraschen.

Wenn man aber sieht, daß auf 100 Frau- en im Alter zwischen 71 und 80 Jahren 228 Verordnungen für Psychopharmaka, über- wiegend Benzodiazepine, entfallen, für über 80jährige sogar 282, stellt sich die Frage, ob hier nicht des Guten zuviel getan wird.

Auch für Aldosteronantagonisten, Antihy- pertonika wie Antihypotonika, Antitussiva und Expektorantien, Cholagoga und Gal- lenwegstherapeutika, aber auch für Korti- kosteroide, Diuretika, Hypnotika und Seda- tiva, Lebertherapeutika, Muskelrelaxantien und Venenmittel liegen die rechnerischen Tagesdosen je Versicherten bei über 70jäh- rigen an der Spitze aller Altersklassen.

Größere Diskrepanzen bezüglich der de- finierten Tagesdosen bestehen zum Beispiel für alte Kranke und jüngere Patienten bei Antihypertonika. Hier wurden Frauen über 70 Jahre durchschnittlich 100 DTD verord- net. Das heißt, daß etwa jede dritte Frau in dieser Altersgruppe noch antihypertensiv behandelt wird, während Männer in der gleichen Altersgruppe mit 50 DTD auskom- men. Noch höhere Zahlen finden sich bei den „durchblutungsfördernden" Mitteln, die durchschnittlich jeder zweiten Frau über 80 Jahre verschrieben wurden. An der Spit- ze stehen — trotz erheblichen Rückgangs der Verordnungen in den letzten Jahren — Kar- diaka, die nahezu jedem zweiten Versicher- ten über 70 Jahre verordnet wurden.

In erfreulichem Gegensatz dazu mach- ten Laxantien bei den 71- bis 80jährigen nur etwa fünf Tagesdosen pro Versicherten und Jahr aus, was nicht durch Selbstmedikation kompensiert wurde. Auch der Anteil der Li- pidsenker an den Verordnungen für alte Kranke ist gegenüber den Vorjahren zu- rückgegangen. Das Maximum der Verord- nungen lag bei Frauen und Männern jedoch nach wie vor zwischen 61 und 70 Jahren. Die Verordnungen für Urologika spiegeln bei Männern den vergeblichen Versuch wider, die fortschreitende Prostatahyperplasie zu kurieren. Fast zehn Prozent aller Männer über 70 Jahre werden Urologika verordnet.

Insbesondere der alte Kranke sollte für die weise Beschränkung auf einige wenige Medikamente, die er wirklich braucht, be- sonderes Verständnis haben. Das bewahrt ihn vor unnötigen Neben- und Wechselwir- kungen, die seine „Lebensqualität" nicht unbeträchtlich schmälern können.

Herrn Professor Dr. med. Rudolf Gross zum 70. Geburtstag in Verehrung gewidmet

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Karl H. Kimbel Geschäftsführer

der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft Postfach 41 01 25

5000 Köln 41 A-2696 (52) Dt. Ärztebl. 84, Heft 41, 8. Oktober 1987

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