A2008 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 3926. September 2008
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DEMONSTRATION
Ärzte gegen reine Profitorientierung
Ärzte, Praxismitarbeiter und Patien- ten haben in Berlin gegen die Ge- sundheitspolitik der Bundesregie- rung protestiert. „Die flächende- ckende haus- und fachärztliche Ver- sorgung wird zerstört“, warnte der Präsident der „Freien Ärzteschaft“
und Mitinitiator der Veranstaltung, Martin Grauduszus, bei der Eröff- nungskundgebung vor dem Roten Rathaus. „Der vertraute ,Arzt um die Ecke‘ soll ausgehungert und da- mit eliminiert werden.“ Auch kriti- sierte der Allgemeinmediziner aus Erkrath die in seinen Augen fort- schreitende „Industrialisierung“ des Gesundheitswesens. Konzernen wür- de es ermöglicht, binnen weniger Jahre „die Gesundheitsversorgung aufzukaufen“.
Als „Mogelpackung“ bezeichne- te Hans-Peter Meuser, Vizepräsi- dent der Freien Ärzteschaft, die kürzlich beschlossene Honorarer- höhung für Vertragsärzte um 2,7 Milliarden Euro. So werde etwa bei Hausbesuchen nicht die Vergütung pro Leistung erhöht, sondern ledig- lich das Leistungsvolumen.
Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) hat im Bundestag die Honorarerhöhungen für Ver- tragsärzte begrüßt. „Wir brauchen ein verlässliches Versorgungssys- tem, in dem ausreichend Geld auch
in strukturschwachen Gebieten zur Verfügung steht“, sagte Schmidt bei den Haushaltsberatungen. Mit den zusätzlichen Mitteln könnten Anrei- ze für ärztliche Niederlassungen in unterversorgten Gegenden geschaf- fen werden.
Schmidt hob zudem hervor, dass die Regierung vom nächsten Jahr an rund vier Millionen Euro mehr für Prävention bereitstellen wird. Mit den dann insgesamt 40 Millionen Euro sollten Programme zur Aids- prävention, für gesunde Ernährung und Informationskampagnen zur Organspende finanziert werden.
Als „Aktionismus“ bezeichnete die FDP-Haushaltsexpertin Claudia Winterstein die Präventionsprogram- me der Regierung. Damit wolle sie nur von ihrer unzureichenden Ge-
sundheitspolitik ablenken. Die FDP plädierte dafür, die gesetzliche Kran- kenversicherung zu privatisieren.
Den geplanten Gesundheitsfonds lehnte die FDP ebenso wie Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion ab.
Der CSU-Gesundheitsexperte Wolfgang Zöller warnte davor, dass die Krankenkassen vor dem Start des Gesundheitsfonds Versorgungs- verträge – etwa Sozialpsychiatrie- vereinbarungen – kündigten: „Sie begründen ihren Rückzug allein mit der unsicheren Finanzsituation im nächsten Jahr. Das sind aber diesel- ben Kassen, die vorgeben, auf den Cent genau zu wissen, wie viel sie der Gesundheitsfonds kosten wird.“
Der Gesundheitsetat 2009 sieht einen Anstieg auf 4,45 Milliarden
Euro vor. SR
Zahl der Woche
Milliarden Euro werden die Krankenkassen 2009 für 31,7
Arzneimittel ausgeben – so eine Prognose des Berliner IGES-Instituts. Das wäre ein Zuwachs von 8,1 Prozent.
Bundesgesund- heitsministerin Schmidt bei der Haushaltsdebatte im Bundestag
BUNDESTAG
Schmidt verteidigt Honorarerhöhungen
Protest gegen die Gesundheitspolitik der Bundesregierung:
Die „Freie Ärzteschaft“ hatte zur Teilnahme aufgerufen.
Foto:dpa
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„Scheinheilig“ sei darüber hinaus die Behauptung, die Honorarer- höhung führe zu Beitragssatzsteige- rungen. „Ärzte werden fälschlicher- weise als Kostentreiber diffamiert“, kritisierte Meuser unter dem Ap- plaus der Demonstranten. Beispiels- weise habe die Streichung der Ta- baksteuerzuschüsse den Beitrags- satz deutlich stärker belastet als die Honorarerhöhung.
Sowohl die Mediziner als auch die Versicherten und Patienten könn- ten die anhaltende und sich immer weiter ausdehnende Rationierung nicht weiter akzeptieren, sagte Wolfram-Arnim Candidus, Präsi- dent der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten, die eben- falls zu der Protestveranstaltung
aufgerufen hatte. SR
Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 3926. September 2008 A2009
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Erstmals kommt wieder Bewegung in den festgefahrenen Streit zwi- schen Union und SPD um schärfere Regelungen für Spätabtreibungen.
Die SPD-Fraktion will nach mehre- ren gescheiterten Versuchen, sich auf einen Gesetzentwurf zur Ver- meidung von Abtreibungen nach der 22. Schwangerschaftswoche zu einigen, noch einmal über den Vor- schlag von CDU/CSU beraten. Eine Entscheidung soll Mitte Oktober
getroffen werden. Die Union stellt ihren nach Beratungen mit der Bun- desärztekammer erarbeiteten Grup- penantrag so lange zurück.
Unterstützung signalisiert auch die FDP der Union. „Spätabtreibun- gen sind ein ernstes Problem. Ich glaube, dass wir hier etwas tun müs- sen“, sagte deren Ethikexpertin, Ulrike Flach. SPD-Fraktionsvize Christel Humme forderte ebenfalls ein weiterführendes Beratungsange- bot. Notwendig seien nicht nur Be- denkzeit und Beratung nach einer vorgeburtlichen Untersuchung, son- dern bereits eine umfassende Bera- tung der betroffenen Frauen vor dem Befund. Die Grünen halten den Unionsantrag dagegen nach wie vor für „überflüssig“. Weder eine Geld- strafenandrohung für Ärzte noch
„wucherndes Formularwesen“ helfe den Schwangeren in ihrer schwieri- gen Lage. Sie forderten die Union auf, ihren Antrag zurückzuziehen. ER Der Bewertungsausschuss konnte
sich am 17. September nicht darauf einigen, die Ergebnisse der Ho- norarreform für die Vertragsärzte in den Kassenärztlichen Vereinigun- gen (KVen) Nordrhein und Schles- wig-Holstein nachzubessern. Die Krankenkassen lehnten in dem pa- ritätisch besetzten Gremium die For- derungen der Kassenärztlichen Bun- desvereinigung (KBV) nach einem Korrekturfaktor bei der Verteilung der Honorarzuwächse ab. Jetzt ver- handelt das Schlichtergremium, der Erweiterte Bewertungsausschuss, am 17. Oktober erneut über Verbes- serungen für die beiden KVen.
Die kommissarische Vorstands- vorsitzende der KV Schleswig-Hol- stein, Dr. med. Ingeborg Kreuz, und der Vorsitzende der KV Nordrhein, Dr. med. Leonhard Hansen, be- zeichneten es als „unerträgliche Hängepartie“, dass sich die Ent- scheidung über eine Honoraranpas- sung jetzt bis Mitte Oktober hinzie-
he. „Der Ausschuss zeigte einmal mehr seine Unfähigkeit, für Ho- norargerechtigkeit zu sorgen“, be- tonten die beiden Vorsitzenden. Die KVen Nordrhein und Schleswig- Holstein sollen im Zuge der Ho- norarreform 3,6 beziehungsweise 3,9 Prozent mehr Honorar erhalten. Ih- rer Ansicht nach ist das im Vergleich zu anderen Regionen der alten Bun- desländer zu wenig. Nur eine deutli- che Aufstockung der Mittel könne eine weitere Rationierung von ärzt- lichen Leistungen verhindern.
Der Vorstandsvorsitzende der KBV, Dr. med. Andreas Köhler, empfindet diese Vorwürfe als wenig hilfreich: „Wir haben uns für einen Korrekturfaktor bei der Verteilung der Honorarzuwächse unter ande- rem zugunsten der beiden KVen eingesetzt.“ Die Kassen hätten das abgelehnt. Deshalb sei es folgerich- tig, dass im Erweiterten Bewer- tungsausschuss erneut verhandelt
werde. HK
Mit dem Namensschild fing alles an.
Als Assistenzarzt Christian H. (27) an seinem ersten Arbeitstag voller Tatentdrang auf seine Station kam, da hätte ihm eigentlich sofort klar sein müssen, dass ihn das Studium nur unzureichend auf den Berufsall- tag vorbereitet hatte. Der junge Chirurg wollte Bäuche aufschneiden
und Platzwunden nähen. Doch recht schnell musste er feststellen, dass ganz andere Herausforderungen auf ihn warteten.
Bevor es richtig los ging, musste er erstmal seine Ausrüstung organi- sieren. Namensschild, Piepser, Kit- tel. Ja, und dann war da noch die Sache mit dem Schränkchen im Arztzimmer, in dem er seine Sachen unterbringen wollte. Sein Vorgänger war wohl nicht mehr dazu gekom- men, aufzuräumen. Also brachte Christian H. die Aktenstapel aus dem Spind einfach selbst ins Archiv.
„Ein bisschen Bewegung schadet nicht“, dachte er. „Im OP stehe ich noch genug rum.“ Allerdings wuchs die Zahl der „ärztlichen Aufgaben“, die ihn auf Trab hielten. Verscholle- ne Röntgenbilder mussten aufge- trieben, Untersuchungstermine or- ganisiert werden.„Dafür sind wir nicht zuständig“, hatte das Pflege- personal erklärt. Das Gleiche galt übrigens für das Abheften von La- borbefunden, sodass der Locher ein wichtiges Werkzeug des jungen Arz- tes wurde. Bei der Chefvisite wollte er schließlich nicht ohne die Unter- suchungsergebnisse dastehen.
Die Diskussion um die Übernah- me ärztlicher Tätigkeiten durch an- dere Berufsgruppen verfolgt Christi- an H. mit großem Interesse. Und wenn er seine Papierstapel locht, dann fragt er sich manchmal, wieso es dabei eigentlich nie um die „ärzt- lichen Aufgaben“ geht, die eher un- beliebt und langweilig sind.
RANDNOTIZ
Birgit Hibbeler
Locher statt Skalpell
VERGÜTUNGSREFORM
Kritik an Verteilung der Zuwächse erneuert
SPÄTABTREIBUNG
Positive Signale für den Unionsentwurf
Mindestens drei Tage sol- len nach Vor- stellung der Union künftig zwischen Be- fund und Spätabbruch vergehen.
Foto:dpa