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Archiv "Prüfung von Arzneimitteln in der Diskussion (I): Rechtliche Zulässigkeit der klinischen Prüfung" (04.05.1978)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 18 vom 4. Mai 1978

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

PRÜFUNG VON ARZNEIMITTELN IN DER DISKUSSION (I)

Rechtliche Zulässigkeit der klinischen Prüfung

Horst Hasskarl

Jüngste Presseberichte über Arzneimittelprüfungen an Krankenhäu- sern in Bremen und Stuttgart sind nur äußerer Ausdruck einer späte- stens seit den Auseinandersetzungen über die Novelle des Arzneimit- telgesetzes anhaltenden Diskussion über die Prüfung, speziell die klinische Prüfung, von Arzneimitteln. Kennzeichnend für eine gewisse Kritik an den Versuchsmethoden ist eine im vorigen Jahr erschienene Arbeit des Strafrechtlers Martin Fincke. Mit dieser setzt sich der folgende Aufsatz kritisch auseinander.

Die Arzneimittelprüfung wird nach international anerkannten Methoden vorgenommen.

Überraschenderweise ist die Frage, ob die klinische Prüfung von Arznei- mitteln, die im neuen Arzneimittel- gesetz-AMG (1) erstmalig ihren ge- setzlichen Niederschlag gefunden hat (2), überhaupt rechtlich zulässig ist, nach Verkündung des neuen AMG, aber bereits vor seinem In- krafttreten Gegenstand einer weit- reichenden juristisch-medizinischen Kontroverse geworden. Der Straf- rechtler Fincke hat 1977 eine scheinbar nur juristische Abhand- lung veröffentlicht, die den Titel hat

„Arzneimittelprüfung — Strafbare Versuchsmethoden — ,Erlaubtes Ri- siko' bei eingeplantem fatalen Aus- gang (3)". Der gleiche Autor hat im Kern das gleiche Thema mit den gleichen Ergebnissen in einem Auf- satz veröffentlicht (4).

Die Thesen Finckes sind aus medizi- nischer und juristischer Sicht bisher überwiegend auf Kritik gestoßen (5).

In der Laienpresse wurden die The- sen Finckes unkritisch übernom- men (6).

Finckes Thesen

Der kontrollierte klinische Ver- such plant den fatalen (tödlichen) Ausgang fest ein.

49

Der kontrollierte klinische Ver- such schafft nicht das Gefahrenrisi- ko, verzichtet aber auf einen an sich möglichen rettenden Eingriff und ist damit strafbares Unrecht.

(f) Trotzdem wird der kontrollierte Versuch zunehmend angewendet, weil das Gefühl für das Verwerfliche dieses Versuchs noch von dem Glauben an die Unverzichtbarkeit großer Präzision verdeckt wird.

• Das Gewissen wird von der Über- zeugung beruhigt, daß Sozialethik vor Individualethik geht.

fp Der Begriff „wissenschaftlich- technischer Fortschritt" ist untaug- lich und verschafft lediglich die Illu- sion größerer Sicherheit.

1087

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Arzneimittel-Prüfung

0 Übersteigt bei einer klinischen Doppelblindstudie zur Prüfung ei- nes neuen Arzneimittels mit vitaler Indikation die Todesrate der Kon- trollgruppe die Todesrate der Test- gruppe, so ist der ärztliche Ver- suchsleiter für den berechenbaren Teil der Toten in der Kontrollgruppe strafrechtlich verantwortlich.

• Die Strafbarkeit der Tötung (§§ 211, 212 StGB) läßt sich jedoch nicht wegen vollendeter Tötung des einzelnen Patienten begründen, da es insoweit an einer Kausalität des Handelns bzw. an einer hypotheti- schen Kausalität des Unterlassens fehlt. Die bloße bewirkte Risikoerhö- hung kann die erforderliche Kausali- tät nicht ersetzen.

Der Versuch der Tötung liegt tat- bestandlich vor, weil der Versuchs- leiter subjektiv die Todesverursa- chung billigend in Kauf nimmt. Der Arzt wünscht in der Kontrollgruppe exakt die Zahl „unnötiger" Todesfäl- le, die dem Wirksamkeitsgrad des Testpräparates entspricht.

O Dieses Verhalten ist man- gels Rechtfertigungsgrundes auch rechtswidrig, zumal durch den ärzt- lichen Behandlungsvertrag eine Ga- rantenstellung und Garantenpflicht des Arztes begründet wird, die ihn verpflichtet, das optimale Arzneimit- tel, hier das Testpräparat, einzuset- zen. Die Einwilligung des Patienten ist kein Rechtfertigungsgrund.

• Der Versuchsleiter handelt heute noch in einem strafbefreienden Irr- tum über das Verbotensein der Tat.

Wenn sich jedoch die — vermeintlich richtige — Ansicht Finckes erst ein- mal durchgesetzt hat, ist der Ver- botsirrtum nicht mehr unvermeidbar und der Versuchsleiter daher zu be- strafen.

Der Versuchsleiter hat sich wegen vollendeter Tötung nicht individuali- sierbarer, aber immerhin zählbarer Opfer strafbar gemacht.

• Wenn das AMG den Wirksam- keitsnachweis zur Voraussetzung für den therapeutischen Einsatz ei- nes Arzneimittels verlangt, scheint

es sich zum Komplizen des Tot- schlägers gemacht zu haben. Dies gilt jedoch nur auf den ersten Blick.

Tatsächlich verbietet das AMG aber den kontrollierten klinischen Ver- such. Das AMG ermöglicht weniger riskante Methoden zum „Nachweis"

dessen, was unter „Wirksamkeit"

verstanden wird. Das AMG verbietet, den Wirksamkeitsnachweis zu ver- langen.

Dieses Verbot ist ausdrücklich als Ausfluß des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz zu sehen, wonach die Würde des Menschen unantastbar ist. Die gesetzlich eingeräumte Mög- lichkeit, kontrollierte klinische Stu- dien durchzuführen, würde gegen die Verfassung verstoßen und ist da- her unzulässig.

(1) Auch die Arzneimittelprüfrichtli- nie, die der Bundesgesundheitsmi- nister als Verwaltungsvorschrift er- läßt, darf den kontrollierten klini- schen Versuch nicht als Testmetho- de erlauben, weil das AMG selbst diese Methode verbietet.

(1) Wenn die Krankenkassen ihrer- seits zur Voraussetzung der Erstat- tungsfähigkeit den Nachweis der Wirksamkeit des Arzneimittels ver- langen, wird dem Prüfarzt ein krimi- nelles Verhalten angesonnen. Die Krankenkasse macht sich dadurch selbst strafbar, da sie gem. § 111 StGB öffentlich zur Begehung von Straftaten (§ 212 StGB) auffordert.

Auch die Krankenkassen dürfen da- her keine kontrollierten klinischen Studien verlangen.

Zielrichtung

der Finckeschen Thesen

Angesichts der für die Fachwelt ge- radezu sensationellen, teilweise emotional formulierten und pole- misch-radikal überspitzten Thesen Finckes ist ein Eingehen auf den po- litischen Hintergrund der Thesen notwendig. Dieser Hintergrund wird nur deutlich, wenn man sich die Auseinandersetzungen um den Wirksamkeitsnachweis im neuen Arzneimittelgesetz in Erinnerung ruft. Bekanntlich war die Bundesre-

publik Deutschland als Mitglieds- staat der Europäischen Gemein- schaften seit 1967 verpflichtet, die sogenannte Erste Richtlinie des Ra- tes zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arz- neispezialitäten (7) in deutsches Recht zu transponieren. Dazu ge- hört vor allem der Wirksamkeits- nachweis. Art. 5 der Ersten EG- Richtlinie schreibt dazu vor, im Rah- men des Zulassungsverfahrens wer- de die Zulassung der Arzneispeziali- tät unter anderem versagt, wenn sich nach Prüfung der eingereichten Angaben und Unterlagen ergibt,

„daß ihre therapeutische Wirksam- keit fehlt oder unzureichend be- gründet ist". Die Bundesregierung hat diesen Wirksamkeitsnachweis in der Form in den Gesetzentwurf übernommen, daß das Bundesge- sundheitsamt die Zulassung zu ver- sagen habe, wenn „das Arzneimittel bei den vom Antragsteller angege- benen Anwendungsgebieten nicht ausreichend wirksam ist" (8). Im Ge- setzentwurf hieß es ferner, daß unter anderem über die klinische Prüfung ein Sachverständigengutachten zu erstatten ist, aus dem sich unter an- derem ergeben müsse, „ob das Arzneimittel bei den angegebenen Anwendungsgebieten ausreichend wirksam ist" (9).

Gegen diese eindeutige Verpflich- tung zur Erbringung des Wirksam- keitsnachweises wurden von seiten der Naturheilmittelverfechter in ei- nem mit viel Öffentlichkeit geführten Kampf erhebliche Bedenken geäu- ßert: Sie fürchteten, daß durch das Wirksamkeitserfordernis den Natur- heilmitteln künftig der Zutritt zum Arzneimittelmarkt erschwert oder gar unmöglich gemacht werde, weil für die Naturheilmittel dieser Wirk- samkeitsnachweis häufig kaum oder gar nicht erbracht werden könne.

Dieses Engagement der Naturheil- mittelhersteller und ihrer Helfer ver- fehlte den Eindruck auf den Gesetz- geber nicht. Der Bundestagsaus- schuß für Jugend, Familie und Ge- sundheit ging deswegen bei seinen Beratungen über den Wirksamkeits- nachweis davon aus, „daß auf dem Gebiet der Arzneimitteltherapie mehrere Therapierichtungen neben-

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Arznei mittel-Prüfung

einander bestehen, die von unter- schiedlichen theoretischen Denkan- sätzen und wissenschaftlichen Me- thoden ausgehen" (10). Damit hatte er sich auseinanderzusetzen. Die Anhänger der genannten besonde- ren Therapierichtungen (Homöopa- thie, anthroposophische Medizin, Phytotherapie) bestritten dem Staat grundsätzlich das Recht, durch ein präventives Zulassungsverfahren den Marktzugang eines Arzneimit- tels zu kontrollieren. Sie forderten

„eine uneingeschränkte Delegation der Zulassungsentscheidung auf wissenschaftlich-ärztliche Gesell- schaften, da nur so die ärztliche Therapiefreiheit gewahrt bleibe"

(11). Unter diesem Eindruck ließ sich der Bundestagsausschuß hinsicht- lich der Ausgestaltung der Anforde- rungen an den Wirksamkeitsnach- weis davon leiten, „daß sich im Zu- lassungsbereich der in der Arznei- mitteltherapie vorhandene Wissen- schaftspluralismus deutlich wider- spiegeln muß". Gerade für eine be- achtliche Zahl bekannter Arzneimit- tel gelte, daß deren Wirksamkeit nur relativ schwer objektivierbar sei, weil die Wirkungen experimentell zum Teil überhaupt nicht nachweis- bar seien. Demzufolge war der Aus- schuß der Auffassung, daß die Wirk- samkeit kein absoluter Begriff sei, sondern ein Kontinuum, das von

„sehr schwach" bis „sehr deutlich"

gehe. Je nach Lage müsse für den erkenntnistheoretisch anzugehen- den, am konkreten Heilungsan- spruch zu messenden Wirksam- keitsnachweis auch das teilweise jahrhundertealte Erfahrungswissen der oben genannten besonderen Heilverfahren als ausreichend ange- sehen werden, und zwar gerade dann, wenn ein wissenschaftlicher Beweis im Sinne der exakten Natur- wissenschaften für die Wirksamkeit nicht erbracht werden kann. Der Ausschuß wollte also die Pluralität der wissenschaftlichen Lehrmeinun- gen in der Arzneimitteltherapie bei der Entscheidung über die Zulas- sung voll zum Ausdruck kommen lassen. Es dürfe keine Monopolisie- rung eines verbindlichen „Standes der wissenschaftlichen Erkenntnis- se" geben. Die besonderen Natur- heilverfahren, die eine Minderheit

darstellen, dürften von der Schulme- dizin nicht majorisiert werden. Infol- gedessen schlug der Ausschuß — als Ergebnis des Auftretens der Vertre- ter der Naturheilmittelverfahren — ei- ne Reihe bedeutsamer Änderungen für den Wirksamkeitsnachweis vor, die schließlich auch vom Bundestag verabschiedet wurden und heute geltendes Recht sind.

Hier muß vor allem daran erinnert werden, daß § 25 des neuen . Arznei- mittelgesetzes im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Zu- lassung diese Zulassung bezüglich der Wirksamkeit nur versagt, wenn

„dem Arzneimittel die vom Antrags- steller angegebene therapeutische Wirksamkeit fehlt oder diese nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse vom Antragssteller unzureichend begründet ist". Die Zulassung darf jedoch nicht deshalb versagt wer- den, „weil therapeutische Ergebnis- se nur in einer beschränkten Zahl von Fällen erzielt worden sind." Im übrigen fehlt die therapeutische Wirksamkeit erst dann, „wenn fest- steht, daß sich mit dem Arzneimittel keine therapeutischen Ergebnisse erzielen lassen" (§ 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Satz 2 und 3 AMG). Aus dem klinischen Gutachten muß sich im übrigen nicht mehr, wie noch im Re- gierungsentwurf, die ausreichende Wirksamkeit, sondern nur noch die angemessene Wirksamkeit des Arz- neimittels ergeben (§ 24 Abs. 1 Nr. 4 AMG). Damit sollte verdeutlicht wer- den, „daß die Anforderungen (an die Wirksamkeit) in einem der Bedeu- tung des Anwendungsgebietes indi- viduell angepaßten Verhältnis ste- hen müssen, damit unangemessen strenge, schematische oder dogma- tische Maßstäbe vermieden werden"

(12). Von dem Antragssteller darf nicht der zwingende Beweis der Wirksamkeit eines Arzneimittels im Sinne eines jederzeit reproduzierba- ren Ergebnisses eines nach einheit- lichen Methoden ausgerichteten na- turwissenschaftlichen Experiments verlangt werden (13).

Damit war also dem unter dem Stichwort „ärztliche Therapiefrei- heit" geführten Kampf der Natur-

heilmittelvertreter gegen den stren- gen Wirksamkeitsnachweis ein be- merkenswerter und tiefgreifender Erfolg gelungen (13a). Wie bedenk- lich diese vom Bundestag noch in letzter Minute eingefügte Änderung aus rechtlicher Sicht zu beurteilen ist, hat der Verfasser unter der Über- schrift „Der amputierte Wirksam- keitsnachweis" bereits an anderer Stelle eingehend verdeutlicht (14), so daß hier nicht näher darauf ein- gegangen zu werden braucht.

... gestützt auf Vertreter der Naturheilmittel

Der Kampf der Naturheilmittelbefür- worter geht jedoch anscheinend trotz des erreichten Erfolgs überra- schenderweise weiter. Unter dem Deckmantel einer strafrechtlichen Abhandlung wird der nächste Schlag gegen das geltende Arznei- mittelrecht vorbereitet, freilich nun- mehr mit einer scheinbar neuen Zielrichtung. Der Strafrechtler Fink- ke stützt sich in medizinischer Hin- sicht, zum Teil auch in rechtlicher Hinsicht, überwiegend auf Vertreter und Befürworter der Naturheilmittel- verfahren. Er beruft sich vor allen anderen auf G. Kienle und dessen Werk „Arzneimittelsicherheit und Gesellschaft" (15), aber auch auf Hensel (16), Dulce (17), Fiebig (18), Gallwas (19) und Kriele (20). Die Stoßrichtung der Finckeschen Ar- beit ist nicht mehr der Wirksamkeits- nachweis als Ganzes — nach der er- folgten Verwässerung im Arzneimit- telgesetz ist dies nicht mehr nötig.

Die durch die Arbeit von Fincke of- fensichtlich eingeleitete Strategie richtet sich nunmehr gegen die kon- krete Ausgestaltung des Wirksam- keitsnachweises, wie diese ihren Niederschlag in den Arzneimittel- prüfrichtlinien gern. § 26 AMG fin- den sollen. Finckes Thesen sind da- her nicht nur geeignet, sondern auch dazu bestimmt, die Prüfrichtli- nien in einer für die Naturheilmittel- verfechter günstigen Weise zu be- einflussen und damit auf den Bun- desminister für Jugend, Familie und Gesundheit, der diese Richtlinie er- lassen muß, einen Druck auszuüben mit dem Ziel, die klinische Prüfung als zentrales Stück des — verbliebe-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 18, vom 4. Mai 1978 1089

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Arzneimittel-Prüfung

nen — Wirksamkeitsnachweises auch noch ihrer für die Arzneimittel- sicherheit wichtigen Bedeutung zu entkleiden. Dies kommt an zahlrei- chen Stellen des Werkes zum Aus- druck. Damit kann die Arbeit Fink- kes als die Fortsetzung des Kampfes gegen den Wirksamkeitsnachweis mit anderen Mitteln aufgefaßt wer- den. Fincke meint zunächst, daß das AMG auf den Wirksamkeitsnachweis überhaupt verzichtet (S. 7), obwohl er — dazu im Widerspruch stehend — einräumt, daß nach der bisherigen deutschen Prüfrichtlinie (21) und nach der Europäischen Arzneimit- telprüfungsrichtlinie (22) die Wirk- samkeit durch den kontrollierten kli- nischen Versuch belegt sein müsse (S. 22). Fincke bezweifelt, daß der Gesetzgeber den therapeutischen Einsatz eines Arzneimittels von der behördlichen Wirksamkeitsbestäti- gung überhaupt abhängig machen könne (5. 108). Wörtlich führt er zu- sätzlich aus: „Der Erfolg des Wirk- samkeitstests als Zulassungsvoraus- setzung ist also kein Gewinn an Transparenz als Grundlage für eine rationale Entscheidung des mündi- gen Patienten, sondern Volksver- dummung" (S. 213 f.). Daß diese Terminologie für eine strafrechts- wissenschaftliche Arbeit erstaunlich ist, bedarf keiner weiteren Begrün- dung.

Die Hauptstoßrichtung richtet sich jetzt gegen den bereits erwähnten

§ 25 Abs. 2 Nr. 2 AMG, wonach das Arzneimittel nach dem jeweils gesi- cherten Stand der wissenschaftli- chen Erkenntnisse ausreichend ge- prüft sein muß. Der Begriff „wissen- schaftliche Erkenntnisse" sei jedoch so wenig faßbar, daß vor allem als Handhabe des Bundesgesundheits- amts „Arzneimittelprüfrichtlinien mediatisierend zwischengeschaltet werden müssen" (S. 129). Damit ver- lagert sich die Entscheidung über das, was unter „wissenschaftliche Erkenntnis" zu verstehen sei, vom Bundesgesundheitsamt auf den Richtliniengeber nach § 26 AMG, al- so zum Bundesgesundheitsminister.

Da aber die europäischen Prüfungs- vorschriften den kontrollierten klini- schen Versuch vorschreiben, beste- he — und jetzt wird das ganze politi-

sche Anliegen von Fincke deutlich —

„die Gefahr, daß auch die künftigen Arzneimittelprüfrichtlinien den kon- trollierten Blindversuch zur Grund- satzmethode erheben. Eine solche Vorschrift wäre indessen rechtswid- rig" (S. 129). Der Richtliniengeber darf den kontrollierten klinischen Versuch also nicht verlangen, täte er es dennoch, müßte er mit verfas- sungsrechtlichen und verwaltungs- rechtlichen Verfahren (sc. von sei- ten der Naturheilmittelbefürworter) rechnen (S. 130).

Nun reicht es nach Fincke aber kei- neswegs aus, dem Richtliniengeber nach § 26 AMG die genannte Schranke aufzuerlegen. Selbst wenn er den kontrollierten klinischen Ver- such nicht als „Stand der wissen- schaftlichen Erkenntnisse" vor- schriebe, bestünde die Gefahr, daß der kontrollierte Versuch auf andere Weise mittelbar doch verbindlich gemacht werde, wenn nämlich die Krankenkassen ihn verlangten.

Wenn sie nämlich die Erstattungsfä- higkeit verordneter Arzneimittel da- von abhängig machen, daß die Wirk- samkeit klinisch kontrolliert nachge- wiesen sei (23), bestünde die Gefahr, daß die Krankenkassen die — von Fincke unterstellte — Wertentschei- dung des Gesetzgebers oder „gar der Verfassung" (Sic!) unterlaufen würden. Es ist daher nur konse- quent, wenn Fincke auch ein sol- ches Vorgehen als rechtswidrig und damit verboten ansieht. Würden die Krankenkassen den kontrollierten klinischen Versuch verlangen, wür- den sie sich nach Fincke gar der öffentlichen Aufforderung zu Straf- taten nach § 111 StGB schuldig machen.

Auf den letzten Seiten des Fincke- schen Werkes wird dann deutlich, worum es letzten Endes in dieser — scheinbar nur strafrechtswissen- schaftlichen — Arbeit vermutlich wirklich geht: um erhebliche wirt- schaftliche Interessen, die für die Naturheilmittelhersteller im Spiele sind. Die Erstattungsbereitschaft der Krankenkassen bezüglich verordne- ter Arzneimittel ist nach seiner Auf- fassung „in der Masse der Fälle na- hezu ebenso entscheidend für die

Marktfähigkeit eines Arzneimittels wie die behördliche Zulassung. Die vermeintliche praktische Relevanz demonstriert Fincke an dem Fall (23a) eines pflanzlichen Krebsheil- mittels, das in Nordrhein-Westfalen einer Lehrerin das Leben gerettet habe und trotzdem vom Landesbe- soldungsamt als Erstattungsbehör- de nicht erstattet worden sei (S. 131). Damit wird es klar: Im Ge- wande einer streckenweise tatsäch- lich strafrechtlichen Untersuchung verbirgt sich zugleich eine eminent wirtschaftliche Interessenwahrneh- mung, die so weit geht, dem Bun- desminister für Jugend, Familie und Gesundheit und den Krankenkassen vorzuschreiben, was sie eigentlich nur verlangen dürften, nämlich auf gar keinen Fall eine kontrollierte kli- nische Studie: Ein erheblicher Teil der Naturheilmittel würde diesen Nachweis nämlich nicht erbringen können.

Finckes Außenseiterstellung Der Bundesgesundheitsminister, die deutsche Ärzteschaft in ihrer ganz überwiegenden Mehrheit — hier ist auch an die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft zu den- ken — und zuvorderst die Zulas- sungsbehörde, das Bundesgesund- heitsamt, aber auch der Großteil der pharmazeutischen Industrie, müs- sen durch das Ergebnis der Fincke- schen Arbeit geradezu schockiert bzw. verunsichert sein: Folgt man Fincke, darf die kontrollierte klini- sche Studie vom Bundesgesund- heitsamt demjenigen nicht mehr ab- verlangt werden, der die Zulassung eines Arzneimittels beantragt. Die Konsequenzen der Thesen Finckes wären gewaltig. Der Gesetzgeber könnte sein ausdrückliches Ziel, nämlich Arzneimittelsicherheit unter anderem durch eine ausreichende Wirksamkeit zu gewährleisten, nicht mehr erreichen. Die Bundesrepublik Deutschland könnte ihre europa- rechtlichen Gemeinschaftsverpflich- tungen zur Transponierung von Vor- schriften über die Arzneimittelprü- fung in deutsches Recht nicht erfül- len, das Bundesgesundheitsamt brauchte kaum noch Kapazität für

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Arznei mittel-Prüfung

die Wirksamkeitsprüfung einzuset- zen, da jedenfalls die mühevolle Prüfung der Ergebnisse der klini- schen Prüfung entfiele. Die sich um die klinische Prüfung herumranken- den Wissenschaften wie medizini- sche Statistik und Humanpharmako- logie wären wohl entbehrlich. Aus wirtschafts- und wissenschaftspoli- tischer Sicht aber müßte vor allem die Bundesregierung in Rechnung stellen, daß das internationale Anse- hen der Bundesrepublik Deutsch- land als Arzneimittelproduzent auf hohem Arzneimittelsicherheitsni- veau in absehbarer Zeit verlorengin- ge. Die Zulassung eines Arzneimit- tels in Deutschland würde interna- tional bald nicht einmal mehr als In- diz dafür gewertet werden können, daß diese Arzneimittel wirksam sind.

Diese gravierenden Befürchtungen sind erfreulicherweise als unbe- gründet zu erachten. Nachfolgend soll dargetan werden, warum die Finckeschen Thesen aus nationaler und internationaler Sicht eine extre- me Außenseiterrolle darstellen und im Ergebnis als nicht stichhaltig und als unhaltbar angesehen werden müssen. Fincke befindet sich in ei- ner nahezu vollständigen Isolation.

Klinische Prüfung in nationaler und internationaler Sicht

Die klinische Prüfung ist gesetzlich definiert als die klinische oder son- stige ärztliche, zahnärztliche oder tierärztliche Erprobung neuer Arz- neimittel (§ 22 Abs. 2 Nr. 3 AMG).

Aus dem klinischen Gutachten muß sich ergeben, ob das Arzneimittel bei den angegebenen Anwendungs- gebieten angemessen wirksam ist (§ 24 Abs. 1 Nr. 3 AMG). Hierzu meint Fincke nun (S. 127), daß dies kein Wirksamkeitsnachweis sei, denn sonst hätte der Gesetzgeber statt des Wortes „ob" das Wort „daß"

wählen müssen. Diese Auffassung offenbart eine höchst bedenkliche Formaljurisprudenz: Die bei der In- terpretation von Rechtsnormen in der Regel zur Anwendung kommen- de Auslegung nach Sinn und Zweck der Norm (teleologische Auslegung) gebietet doch geradezu festzustel-

len, daß selbstverständlich nur die Tatsache, daß das Arzneimittel an- gemessen wirksam ist, dem Zulas- sungsantrag zum Erfolg verhelfen kann. Andererseits kann der Sach- verständige seinerseits als unabhän- giger Gutachter zum Ergebnis kom- men, daß das Arzneimittel nicht wirksam ist. Das Wort „ob" ist also sinnvoll und bringt für Finckes The- sen nichts.

Der — wenn auch entschärfte — Wirk- samkeitsnachweis ist in § 25 Abs. 2 Nr. 4 AMG enthalten. Welche Anfor- derungen in concreto an die klini- sche Prüfung zu stellen sind, wird sich aus den künftigen Arzneimittel- richtlinien nach § 26 AMG ergeben.

Sie werden — entgegen Fincke — den kontrollierten klinischen Versuch vorsehen, weil regelmäßig nur diese Methode dem gesetzlichen Erfor- dernis des „jeweils gesicherten Standes der wissenschaftlichen Er- kenntnisse" auf dem Gebiet der Arz- neimittelprüfung in bezug auf den Wirksamkeitsnachweis genügt.

Die Deutsche Gesellschaft für In- nere Medizin hat bereits 1965 Richt- linien für die klinische Prüfung von Arzneimitteln aufgestellt (24). Nach Auffassung dieser Fachgesellschaft bedarf die Prüfung auf die therapeu- tische Hauptwirkung des gezielten Vergleichs mit einer Kontrollgruppe von Kranken. „Falls die Sachlage es erfordert, wenn etwa die Beeinflus- sung nicht objektivierbarer Störun- gen zur Beurteilung ansteht, kann zum weitgehenden Ausschluß sug- gestiv-induzierter Funktionsände- rungen die Prüfung mit unwissentli- cher Versuchsanordnung (Doppel- blindversuch) durchgeführt werden.

Die Anwendung des doppelten Blindversuchs ist nur dann sinnvoll, wenn die zur Beurteilung der Wir- kung der Substanz herangezogenen Kriterien nicht unmittelbar meßbar sind.

In den Fällen, in denen die Wirkung an der Veränderung von Meßgrößen abgelesen werden kann, ist der dop- pelte Blindversuch entbehrlich"

(25). Weiter heißt es in diesen Richt- linien, daß nur dann, „wenn alle Ein- zelheiten der klinischen Prüfung

streng nach wissenschaftlichen Grundsätzen ausgeführt wurden, die Anforderungen, die an eine solche Prüfung gestellt werden müssen, als erfüllt gelten können" (26).

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Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft hat aufgrund eigener Erfahrungen 1968 eigene Richtlinien für die Bewertung und Veröffentlichung von Gutachten und anderen Unterlagen über den thera- peutischen Wert von Arzneimitteln erarbeitet und veröffentlicht (27).

Danach muß der entsprechende Prüfungsbericht zur klinischen Ver- gleichsmethodik unter anderem die Angabe enthalten, ob ein kollektiver therapeutischer Vergleich durchge- führt wurde. Der einfache oder dop- pelte Blindversuch unter Einschal- tung von Standardpräparaten, oder Leerpräparaten (Placebos) diene der Ausschaltung suggestiver Beein- flussung bei Patient und Arzt inso- fern, als er die zahlenmäßige Größe oder Intensität der Beurteilungskri- terien an dem untersuchten Kran- kengut ermittelt. Bei Schlafmitteln betrage diese bis zu 70 Prozent, bei unerwünschten Nebenwirkungen bis zu 30 Prozent.

Der Beirat Arzneimittelsicherheit beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat 1971 ei- ne Richtlinie über die Prüfung von Arzneimitteln erarbeitet, die unter anderem auf der Richtlinie der Deut- schen Gesellschaft für Innere Medi- zin beruhend, amtlich bekanntge- macht wurde (28). Sie führt zur klini- schen Prüfung aus (Teil II A):

Die Untersuchungen sind grundsätzlich als „controlled clinical trials" durchzu- führen. Ihre Durchführung wird von Fall zu Fall verschieden sein und durch be- rufsethische Erwägungen mitbestimmt werden. So kann der Wirkungsvergleich eines neuen Arzneimittels mit einem be- reits bekannten einem Wirkungsver- gleich mit einem Leerpräparat (Placebo) vorzuziehen sein. Bei Untersuchungen, bei denen die Wirkung des Arzneimittels nicht objektiv meßbar ist, muß ein kon- trollierter Versuch nach der „double blind"-Methode durchgeführt werden, soweit das möglich ist.

Nach dieser Richtlinie reicht der Nachweis irgendeiner pharmakolo- gischen Wirkung an Menschen al-

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Arzneimittel-Prüfung

lein nicht aus, um die therapeuti- sche Wirksamkeit zu begründen.

Für die Prüfung von Arzneimitteln beim niedergelassenen Arzt gibt es besondere Hinweise. Aus ihnen er- gibt sich, daß, soweit möglich, der Wirkungsvergleich eines neuen Arz- neimittels mit einem bereits bekann- ten anzustreben ist. Unter geeigne- ten Umständen und erhöhten Si- cherheitsvorkehrungen komme auch der Einsatz von Placebos in Betracht, wobei die Ergebnisse ei- ner statistischen Beurteilung unter- worfen werden müssen (29). Aus- drücklich sehen die neugefaßten Richtlinien von 1978, die eine ge- meinsame Empfehlung des Hart- mann-Bundes und des Bundesver- bandes der Pharmazeutischen Indu- strie darstellen, vor, daß der nieder- gelassene Arzt, wenn es erforderlich ist, jederzeit einen Doppelblindver- such durch Entschlüsselung der Co- dierung abbrechen kann (30). Ent- gegen Fincke werden also nicht et- wa aus statistischen Gründen Men- schenleben „geopfert".

0

Die revidierte Deklaration von Helsinki (31), eine Empfehlung des Weltärztebundes für Ärzte, die in der biomedizinischen Forschung am Menschen tätig sind, sieht im Rah- men der klinischen Versuche (II. 3.

und 6.) den Wirksamkeitsvergleich vor. Danach sollen allen Patienten, auch denen der Kontrollgruppe, die beste erprobte therapeutische Be- handlung zuteil werden. Als Maß- stab gilt, daß die Gewinnung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, al- so z. B. über die Wirksamkeit neuer Arzneimittel, mit der ärztlichen Be- treuung insoweit verbunden werden kann, „als diese medizinische For- schung durch ihren möglichen the- rapeutischen Wert für den Patienten gerechtfertigt ist".

Die Richtlinie des Rates der Euro- päischen Gemeinschaft zur Anglei- chung der Rechts- und Verwal- tungsvorschriften der Mitgliedsstaa- ten über die analytischen, toxikolo- gisch-pharmakologischen und ärzt- lichen oder klinischen Vorschriften und Nachweise über Versuche mit Arzneispezialitäten vom 20. Mai

1975 (32) zwingt die EG-Staaten, die dortigen Regelungen inhaltlich in nationales Recht zu übernehmen (33). Es ist daher damit zu rechnen, daß der Bundesgesundheitsminister im Rahmen der nach § 26 AMG zu erlassenden Arzneimittelprüfrichtli- nien diese Richtlinie demnächst in deutsches Recht transponiert. Hin- sichtlich der klinischen Prüfung heißt es in der Richtlinie (3. Teil, Kap. I, Nr. 2):

„Die Klinischen Untersuchungen müs- sen als „controlled clinical trials" durch- geführt werden. Art und Weise ihrer Durchführung werden von Fall zu Fall verschieden sein und durch ethische Er- wägungen mitbestimmt werden. So kann der Wirkungsvergleich zwischen einem neuen Arzneimittel und einem bereits be- kannten bisweilen einem Wirkungsver- gleich mit einem Leerpräparat (Placebo) vorzuziehen sein."

Nr. 3:

„Soweit möglich müssen vor allem bei Untersuchungen, bei denen die Wirkung des Arzneimittels nicht objektiv meßbar ist, kontrollierte Versuche nach der

„double blind"-Methode durchgeführt werden."

Nr. 4:

„Wenn zur Ermittlung der therapeuti- schen Wirksamkeit statistische Metho- den verwendet werden müssen, ist grundsätzlich zu fordern, daß die Unter- suchung so angelegt ist, daß sie eine statistische Auswertung ermöglicht. Eine ordnungsgemäß durchgeführte Untersu- chung darf nicht durch einen Versuch mit einer großen Patientenzahl ersetzt werden."

In der Zusammenfassung über die Prüfung müssen bei kontrollierten Versuchen Angaben darüber vor- handen sein, ob die kontrollierte Versuchsgruppe keiner Therapie unterworfen wurde, ein Placebo oder ein Arzneimittel mit bekannter Wirksamkeit erhalten hat (3. Teil, Kap. II, 2. B 2.).

Entgegen der von Fincke geäußer- ten Ansicht, daß ärztliche Intuition bereits ausreicht, um ein Testpräpa- rat auch ohne Zulassung in die The- rapie einzuführen (S. 141), stellt die genannte EG-Richtlinie ausdrück- lich fest, daß Erklärungen von Klini- kern über die therapeutische Wirk- samkeit eines Arzneimittels, die nicht ausreichend wissenschaftlich untermauert sind, nicht als stichhal-

tige Beweise angesehen werden können (3. Teil, Kap. III, 2.).

Die Grundsätze der Weltgesund- heitsorganisation (WHO) über die klinische Prüfung von Arzneimitteln (34) führen aus:

„For the investigation of drugs, planned scientific studies in man are always necessary. lt is not always recognized that it is unethical to introduce to general use the drug that has been inadequately tested. The ethical problem is not solely one of human experimentation; it is also one of refraining from human ex- perimentation (35)."

Inzwischen sind verschiedene Ein- zelempfehlungen der WHO zu um- fassenden „Guidelines for Evalua- tion of Drugs for Use in Man"

zusammengefaßt worden (36). Diese bedeutsamen Richtlinien sind unter dem Titel „Richtlinien für die Beur- teilung von beim Menschen an- wendbaren Arzneimitteln" ins Deut- sche übersetzt worden (37). Die hier interessierenden Passagen lauten wie folgt:

„Die kontrollierte klinische Prüfung wur- de folgendermaßen definiert: . . eine sorgfältig und ethisch geplante Prüfung mit dem Ziel, eine bestimmte, genau for- mulierte Frage zu beantworten. In ihrer striktesten Form erfordert sie gleichwer- tige Patientengruppen, die gleichzeitig auf verschiedene Weise behandelt wer- den. Diese Gruppen werden durch will- kürliche Zuordnung von Patienten zu der einen oder anderen Behandlungsgruppe gebildet; eine solche Zuordnung läßt sich manchmal besser innerhalb von mehr, aber kleineren homogenen Unter- gruppen vornehmen, aus denen die Ge- samtgruppen bestehen ... "(38).

„Kontrolle durch Standardbehandlung oder durch Placebo

Zur quantitativen Bestimmung der thera- peutischen und toxischen Wirkung eines neuen Arzneimittels gibt es zwei übliche Referenzstandards. Ein Standard ist das Placebo und die andere Vergleichssub- stanz das Arzneimittel (oder die Arznei- mittel oder andere Therapieformen), das im allgemeinen als die beste bereits ver- fügbare Behandlung gilt. Die Entschei- dung darüber, ob nur das Placebo, nur das Standardmittel oder beide herange- zogen werden sollen, wird von der Natur der Krankheit abhängen sowie von den bereits für die Krankheit angewendeten Arzneimitteln, vom Stand der einschlägi- gen Versuchsmethodologie und von den Zielen der Studie. Placebos können von

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Arzneimittel-Prüfung

entscheidender Bedeutung für die Inter- pretation einer Untersuchung sein, bei der die Leistung eines neuen Arzneimit- tels der Standardmedikation gleichwer- tig oder unterlegen ist. Jedoch ist die Anwendung von Placebokontrollen selbst hier nicht obligatdrisch: Die Er- stellung von Dosiswirkungskurven für das neue Arzneimittel und die Standard- mittel kann das Placebo überflüssig ma- chen und wird in der Tat ein klareres Bild von den Eigenschaften eines neuen Arz- neimittels liefern als eine durch Placebo kontrollierte Prüfung mit Einzeldosisstu- fen neuer und alter Arzneimittel.

Das Placebo ist eine Kontrolle für zwei Typen von Phänomenen. Der eine - am besten bekannte und erklärbare - ist die Wirkung von Beeinflußbarkeit, Persön- lichkeit, Einstellung, Erwartungen und anderen Voreingenommenheiten seitens des Patienten, des Untersuchers oder des Beobachters. Diese Voreingenom- menheiten können darauf hinwirken, den Nutzen der Behandlung zu erhöhen oder zu verringern, Nebenwirkungen zu ver- schleiern oder nachteilige Wirkungen anzugeben oder aufzuweisen, die in kei- nem Zusammenhang mit der Behand- lung stehen.

Ferner bietet das Placebo eine überaus wichtige Kontrolle für spontane Verän- derungen im Krankheitsverlauf oder in den untersuchten Symptomen sowie für Vorgänge, die von den Behandlungen unabhängig sind. Das Placebo ist ein wichtiges Hilfsmittel für die Unterschei- dung zwischen einer echten therapeuti- schen oder nachteiligen Wirkung einer- seits und den psychologischen Wirkun- gen der Medikamenteneinnahme sowie den mit dem Zeitablauf zusammenhän- genden zufälligen Veränderungen ande- rerseits.

Das Placebo soll hinsichtlich seines Aus- sehens, Geschmacks usw. der wirksa- men Darreichungsform so ähnlich wie möglich sein" (39).

Im Zusammenhang mit der Be- handlung von Anträgen zur Erlan- gung der Zulassung (New drug ap- plication) schreibt das amerikani- sche Arzneimittelrecht vor, daß der Präsident der amerikanischen Arz- neimittelbehörde, der FDA-Commis- sioner, den Antrag unter anderem zurückweist, wenn die Wirksamkeit nicht hinreichend nachgewiesen ist („lack of substantial evidence) (40).

Dieser Nachweis kann nur mit Hilfe von „adequate and well controlled investigations including clinical in- vestigations" erbracht werden.

Wörtlich heißt es dann zu diesen kli- nischen Prüfungen (41):

„(ii) The following principles have been developed over a period of years and are recognized by the scientific community as the essentials of adequate and well- controlled clinical investigations. They provide the basis for the determination whether there is „substantial evidence"

to support the claims of effectiveness for

„new drugs" and antibiotic drugs.

(a) The plan or protocol for the study and the report of the results of the effective- ness study must include the following:

(1) A clear statement of the objectives of the study.

(2) A method of selection of the subjects that (i) Provides adequate assurance that they are suitable for the purposes of the study, diagnostic criteria of the condition to be treated or diagnosed, confirmatory laboratory tests where appropriate, and, in the case of prophylactic agents, evi- dence of susceptibility and exposure to the condition against which prophylaxis is desired.

(ii) Assigns the subjects to test groups in such a way as to minimize bias.

(iii) Assures comparability in test and control groups of pertinent variables, such as age, sex, severity, or duration of disease, and use of drugs other than the test drug.

(3) Explains the methods of observation and recording of results, including the variables measured, quantitation, as- sessment of any subjects response, and steps taken to minimize bias on the part of the subject and observer.

(4) Provides a comparison of the results of treatment or diagnosis with a control in such a fashion as to permit quantita- tive evaluation. The precise nature of the control must be stated and an explana- tion given of the methods used to minimize bias on the part of the obser- vers and the analysts of the data. Level and methods of „blinding", if used, are to be documented. Generally, four types of comparison are recognized:

(i) No treatment: Where objective meas- urements of effectiveness are available and placebo effect is negligible, com- parison of the objective results in com- parable groups of treated and untreated patients.

(ii) Placebo control: Comparison of the results of use of the new drug entity with an inactive preparation designed to resemble the test drug as far as possi- ble.

(iii) Active treatment control: An effective regimen of therapy may be used for com- parison, e. g. where the condition treated is such that no treatment or administra- tion of a placebo would be contrary to the interest of the patient.

(iv) Historical control: In certain cir- cumstances, such as those involving dis- eases with high and predictable mortality (acute leukemia of childhood), with signs and symptoms of predictable duration or severity (fever in certain infections), or in case of prophylaxis, where morbidity is predictable, the results of use of a new drug entity may be compared quantita- tively with prior experience historically derived from the adequately documented natural history of the disease or condi- tion in comparable patients of popula- tions with no treatment or with a regimen (therapeutic, diagnostic, prophylactic) the effectiveness of which is established.

(5) A summary of the methods of analysis and an evaluation of data derived from the study, including any appropriate statistical methods."

Auch hieraus folgt, daß der Doppel- blindversuch mit Placebo-Anwen- dung wissenschaftlich international anerkannt ist. Die selbstverständlich auch von deutschen oder europäi- schen Richtlinien zu machende Ein- schränkung lautet, daß gegen ein Standardpräparat geprüft werden muß, wenn die „administration of a placebo would be contrary to the interest of the patients".

Die FDA hat im übrigen durch kürz- lich veröffentlichte Vorschläge be- züglich „Obligations of sponsors and monitors of clinical investiga- tions" (42) die Rolle der klinischen Prüfung im Rahmen des Wirksam- keitsnachweises betont. Diese Vor- schläge, gelegentlich auch als Good clinical practice requirements (GCP) bezeichnet, laufen darauf hinaus, die korrekte Durchführung klinisch- kontrollierter Studien durch einen sogenannten monitor zu gewährlei- sten. Hierdurch soll eine größere Verläßlichkeit der ermittelten klini- schen Wirksamkeitsdaten erreicht werden. Damit laufen diese gesetz- geberischen Bestrebungen der Finckeschen These nach prakti- schem Verzicht auf den Wirksam- keitsnachweis genau entgegen.

Auch die DDR-Richtlinie für die Prüfung von Arzneimitteln zur An- wendung in der Humanmedizin vom 18. Mai 1976 (43) sieht zum Nach- weis der klinischen Wirksamkeit kontrollierte klinische Studien vor, wobei darunter verstanden wird ein Vergleich der Behandlungsgruppe mit einer Kontrollgruppe, die z. B.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 18 vom 4. Mai 1978 1093

(8)

Aufsätze -Notizen

FORUM

Die Lücken

einer „Dokumentation"

Prof. Beske, der Vorsitzende des Gesundheitspolitischen Fachaus- schusses der CDU, versucht nachzu- weisen, mit der Gesetzgebung in der Krankenversicherung habe die FDP ihre eigenen gesundheitspolitischen Grundsätze „verraten". Dieser Ver- such ist zum Scheitern verurteilt:

C) Krankenversicherung der Rent- ner (KVdR)

Die von der FDP entwickelten Grundsätze für eine umfassende Neuordnung der KVdR (individueller Krankenkassenbeitrag der Rentner) werden mit dem 21. Rentenanpas- sungsgesetz verabschiedet. Frühere Vorschläge der FDP, die sich auf die 1967 von der Großen Koalition be- schlossene Mischfinanzierung der KVdR bezogen, dürfen mit dieser Neuordnung nicht verwechselt werden.

j Wahltarife

Die FDP hat nicht Wahltarife, son- dern Modellversuche mit Wahltari- fen vorgeschlagen. In Kürze wird ein Forschungsauftrag vergeben, mit dem die Voraussetzungen für die Durchführung solcher Modellversu- che weiter geklärt werden.

® Bundesempfehlungen zu den Kassenarzthonoraren

Auszugehen ist von dem 1976 beschlossenen Gesundheitspoliti- schen Programm der FDP (und nicht von früheren Äußerungen einzelner Politiker). These 12 dieses Pro- gramms fordert, die Verhandlungs- position der Selbstverwaltung der

Krankenkassen durch Honoraremp- fehlungen auf Bundesebene zu stär- ken. Staatliche Regelungsbefugnis- se für den Fall, daß die Selbstverwal- tung von Kassenärzten und Kran- kenkassen sich nicht über eine Bun- desempfehlung verständigen kann, sind und bleiben ausgeschlossen.

® Arzneimittelversorgung

Das Gesundheitsprogramm der FDP fordert, auch die Ausgaben der Krankenkassen für Arzneimittel in das Vertragsrecht der Krankenversi- cherung einzubeziehen (These 12, 3.

Absatz und Erläuterung zu These 12, letzter Absatz). Die „Dokumenta- tion" verzichtet darauf, diese Forde- rung wiederzugeben. Das Kosten- dämpfungsgesetz verwirklicht diese Forderung. Die Therapiefreiheit wird nicht beeinträchtigt. Das auf Vor- schlag der FDP festgelegte Geneh- migungsverfahren für die Richtli- nien über Bagatell-Arzneimittel schließt aus, daß homöopathische, pflanzliche und antroposophische Arzneimittel benachteiligt werden.

® Ambulante und stationäre Ver- sorgung

Die FDP tritt für eine Auflockerung der starren Grenzen zwischen am- bulanter und stationärer Versorgung ein. Dementsprechend sieht das Ko- stendämpfungsgesetz vor: Förde- rung belegärztlicher Tätigkeit; Zu- lassung von Krankenhausfachärzten zur ambulanten Versorgung unter einschränkenden Voraussetzungen, die hinter den Forderungen des Deutschen Ärztetages 1974 zurück- bleiben; zeitlich begrenzte Möglich- keit der Krankenhäuser, den Patien- ten in Krankenhausfällen ambulant vorzuuntersuchen und nachzube- handeln, wenn der überweisende Arzneimittel-Prüfung

ein zum Vergleich herangezogenes Arzneimittel oder ein Placebo erhält, bei streng zufälliger Zuordnung der Probanden zu den Gruppen. Aus- drücklich ist „in begründeten Fällen

. . . die Prüfung im Vergleich zu Placebo durchzuführen" (44).

(1) Wie hoffnungslos isoliert Fincke mit seiner These von dem Verboten- sein klinischer Prüfungen interna- tional steht, wird schließlich aus ei- ner jüngsten Veröffentlichung der WHO deutlich. Unter dem Titel „The Selection of Essential Drugs" (45) befaßt sich die WHO mit dem Pro- blem der Auswahl von Arzneimitteln für Entwicklungsländer, die nur über begrenzte finanzielle Mittel verfü- gen. Derartige Arzneimittel müssen

„essential drugs" sein, das heißt sol- che „proven to be therapeutically ef- fective, to have acceptable safety and to satisfy the health needs of the populations" (46). Derartige „essen- tial drugs" sollen in einer Liste zu- sammengefaßt werden. Dabei soll die Auswahl auf den Ergebnissen der Wirksamkeits- und der Unbe- denklichkeitsprüfungen basieren, die man in „controlled clinical trials" erhalten hat (47). Bei thera- peutisch gleichwertigen Arzneimit- teln soll dem Arzneimittel der Vor- zug gegeben werden, das am gründ- lichsten geprüft wurde (48).

Die (in Klammern) eingefügten Zahlen beziehen sich auf die Anmerkungen, die am Schluß des Aufsatzes im nächsten Heft erscheinen.

• Wird fortgesetzt

Anschrift des Verfassers:

Rechtsanwalt

Dr. jur. Horst Hasskarl Knollstraße 50 6700 Ludwigshafen

„Kostendämpfungsgesetz" — Maßstab für

liberale Gesundheitspolitik?

Zu der Dokumentation von Staatssekretär Prof. Dr. med Fritz Beske in Heft 6/1978, Seite 321 ff.

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