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Archiv "PRÜFUNG VON ARZNEIMITTELN IN DER DISKUSSION (IV): Strafrechtswidrige Methoden der klinischen Prüfung" (26.10.1978)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Seit Inkrafttreten des neuen Arznei- mittelgesetzes (AMG), das vom Bun- desgesundheitsminister neue Richt- linien zur klinischen Prüfung ver- langt, haben Fälle Aufsehen erregt, in denen neuentdeckte Indikations- bereiche von Arzneimitteln (AM) vor- erst nicht genutzt werden können, weil deren kontrollierte Prüfung noch nicht beendet ist (1). Daß diese Methode jedoch strafrechtswidrig sein kann, hat der Verfasser mono- graphisch dargelegt (2). Unter dem Eindruck jüngst — unter anderen von Hasskarl in dieser Zeitschrift (3)

—erhobener Einwände wird diese These im folgenden Beitrag präzi- siert. Aus Raumgründen kann dabei nicht auf alle Begründungsmängel und unzutreffenden Unterstellungen des Ietzgenannten Beitrages (3) ein- gegangen werden.

Effektivität versus Rechtsmäßigkeit Unstreitig ist der (regelgerecht durchgeführte und ausgewertete!) kontrollierte Doppelblindversuch

die derzeit verläßlichste Methode zur Beurteilung der Wirksamkeit oder Überlegenheit eines AM.

Hasskarl (3) rennt daher offene Tü- ren ein, wenn er zur Begründung meiner angeblichen „Außenseiter- stellung" eine Zitatensammlung pu- bliziert, die diese unstreitige Er- kenntnis erneut belegt (vgl. schon Fn. 2, S. 19-23).

Ebenso unstreitig stößt diese Me- thode jedoch nicht nur auf faktische (unerreichbare Stichprobengröße und andere), sondern auch auf rechtliche Grenzen. Gerade ihre Be- fürworter betonen die Notwendig- keit einer Differenzierung nach dem Einzelfall (3, 4), so daß sich der kon- trollierte Versuch nicht als „die" Me- thode zum Wirksamkeits„nachweis"

vorschreiben läßt. Daß diese Gren- zen aber nicht nur „Ausnahme-", sondern selbst Prinzipiencharakter haben, wird sich alsbald erweisen.

Meine These befaßt sich mit derjeni- gen strafrechtlichen Schranke, die Gynäkologenkongreß

chungen einsetzte; hier gelte es vor allem, die Motivation der Schwange- ren noch zu verbessern.

Der nostalgische Ruf nach Rückkehr zur Hausgeburt, wie er in jüngster Zeit wieder von deutschen Femini- stinnen erhoben worden ist, könne aus ärztlicher Sicht keine Billigung erfahren, hieß es. Sie habe, wie Prof.

Zander vermerkte, „in unserem Lan- de keine ernsthafte Chance", weil sie in jedem Falle für Mutter und Kind mit höheren Risiken verbunden sei als die klinische Geburtshilfe.

Das Beispiel Hollands, auf das im- mer wieder in dem Zusammenhang verwiesen werde, könne nicht zur Nachahmung für die Bundesrepu- blik empfohlen werden. Zudem habe in den Niederlanden die perinatale Mortalität 1976 bei schon erreichten sehr niedrigen Werten einen gewis- sen Anstieg zu verzeichnen gehabt.

Es gehe heute darum, Möglichkeiten und Grenzen der Intensivgeburtshil- fe auszuloten und zu überlegen, wo vielleicht „des Machbaren zuviel"

getan werde. Prof. Zander stellte sich grundsätzlich hinter die Gedan- ken des französischen Geburtshel- fers Frederick Leboyer, der gefor-, dert habe, daß die Zu- und Hinwen- dung der helfenden Personen zur Gebärenden und zum Kind sehr viel intensiver sein müsse, als dies unter den Bedingungen der Intensivge- burtshilfe vielfach der Fall sei. Die klinische Geburtshilfe und das Wo- chenbett in der Klinik sollten, so Zander, wieder zu einem „humanen Familienereignis" gestaltet werden.

Erhöhte Risiken für Mutter und Kind dürften allerdings dafür nicht in Kauf genommen werden. Daher müßten auch „überspannte Vorstel- lungen", die seiner Ansicht nach die Mutter-Kind-Beziehungen auf lange Sicht keineswegs förderten, abge- wehrt werden, vermerkte der Präsi- dent der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. Ähn- lich hat sich auch der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- heilkunde anläßlich deren Jahresta- gung in Freiburg geäußert.

Wilhelm Girstenbrey, München

FORUM

PRÜFUNG VON ARZNEIMITTELN IN DER DISKUSSION (IV)

Strafrechtswidrige Methoden der klinischen Prüfung

Martin Fincke

Innerhalb der in loser Folge erscheinenden Artikelserie unter dem Generaltitel „Prüfung von Arzneimitteln in der Diskussion" sind bisher erschienen: Dr. jur. Horst Hasskarl: Rechtliche Zulässigkeit der klini- schen Prüfung (Hefte 18 und 19/1978); Udo Fiebig MdB: Anforderun- gen des Gesetzgebers an die Prüfrichtlinien (Heft 21/1978); Prof. Dr.

med. Karl-Friedrich Sewing: Vorsätzliche Irreführung (Heft 40/1978).

Als nächstes vorgesehen sind Beiträge von Hugo Hammans MdB:

„Wirksamkeitsnachweis nach dem neuen Arzneimittelgesetz — Zur Absicht des Gesetzgebers" sowie Prof. Dr. med. Walter Kreienberg:

„Wirksamkeitsnachweis nach dem neuen Arzneimittelgesetz — Inter- nationaler Standard". Die Redaktion beabsichtigt, die Veröffentli- chung von Diskussionsbeiträgen zum Thema Arzneimittelprüfung einstweilen fortzusetzen, spätestens jedoch zum Jahresende abzu- schließen.

DEUTSCHES ARZ ELBLATT Heft 43 vom 26. Oktober 1978 2519

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Spektrum der Woche Aufsätze -Notizen Arzneimittelprüfung

dem kontrollierten Versuch zum Schutz der bisher in der Diskussion vernachlässigten Kontrollpatienten gesetzt ist. Die These lautet: der kontrollierte Therapieversuch (im Unterschied zum Humanexperi- ment) zum Nachweis der Wirksam- keit oder Überlegenheit ist verboten, wenn Test- und Vergleichsmittel nicht gleich indiziert sind und die erwartbare Differenz von einer ge- wissen gesundheitlichen Erheblich- keit ist.

Am leichtesten läßt sich die These im Fall der vitalen Indikation plausi- bel machen, weil der Tatbestand der (ggf. versuchten) Tötung nicht das Problem der Erheblichkeit der Ver- letzung aufwirft, das im Fall der (sta- tistisch natürlich viel bedeutsame- ren) bloßen Körperverletzung zu be- wältigen ist. Dieses Problem ist in unserem Zusammenhang jedoch nicht prinzipiell, so daß man der Ein- fachheit halber ohne Realitätsver- lust auf den Tötungstatbestand ab- stellen kann.

Immerhin wird zuweilen auch bei vi- taler Indikation kontrolliert getestet;

aufschlußreich ist jedoch die ver- breitete Ablehnung, auf die dieses Vorgehen stößt: in diesem Fall, der sich von dem der nichtvitalen Indi- kation in der Methodenlehre nicht unterscheidet, sollen die sonst als nichtssagend abgewerteten Alterna- tivmethoden zur Begründung der Wirksamkeit auf einmal aussage- kräftig sein.

Objektiver Straftatbestand

In jedem Fall ist es für den kontrol- lierten Versuch typisch, daß im Test- plan straftatbestandlich erfaßte Schäden als erwartbar berücksich- tigt werden, die in der Testgruppe bekämpft, in der Kontrollgruppe da- gegen unbeeinflußt (oder standard- therapiert) registriert werden sollen.

Erweist sich das Testmittel nun als wirksam, indem in der Kontrollgrup- pe weniger Patienten geheilt werden als in der Testgruppe, so ist dieser Schaden dem Prüfarzt unstreitig (4) objektiv zuzurechnen, obgleich

nicht feststeht, welcher individuelle Kontrollpatient durch das Testmittel hätte geheilt werden können.

Selbstverständlich begründet dieses ex-post-Ergebnis für sich allein kei- ne Strafbarkeit, so daß ich die mir unterstellte Behauptung einer Er- folgshaftung (3, S. 1088, 1151) zu- rückweisen muß. Umgekehrt ist das positive Versuchsergebnis nicht ein- mal Strafvoraussetzung, da ande- renfalls (Bestätigung der Nullhypo- these) ein strafbarer Versuch in Be- tracht kommt.

Vorsatz

Am wenigsten begreiflich will dem Praktiker erscheinen, daß der Ver- suchsleiter Mitglieder der Kontroll- gruppe vorsätzlich schädigen „wol- le". Und doch sind nach der inso- weit fast einhelligen strafrechtlichen Lehre Zweifel am Vorsatz nicht da- mit begründbar, daß dem Versuch methodisch die Hypothese der Nichtüberlegenheit zugrunde liegt (Fn. 4, S. 1184). Für den ausreichen- den Eventualvorsatz genügt es, daß der Arzt — aufgrund welcher Vorer- fahrungen auch immer — das Prüf- präparat für indiziert, d. h. für über- legen hält; er nimmt dann in Kauf, daß dem Kontrollpatienten eine hö- here Heilungschance vorenthalten wird. Der Vorsatz fehlt also nur, wenn und solange der individuelle Prüfarzt die beiden Präparate bei der konkreten Erkrankung jedes ein- zelnen Patienten für völlig gleich- wertig hält. Erwartet er (zum Bei- spiel aufgrund von Zufallsfunden bei anderen Studien, Einzeltherapien usw.) die Überlegenheit des Prüfprä- parates, so exkulpiert ihn weder, daß er statistisch die Nullhypothese zu- grunde gelegt hat, noch kommt es darauf an, in welchem Maße sich seine Erwartung bestätigt oder nicht.

Daß der Praktiker andererseits sen- sibel gegenüber dem Vorsatzpro- blem ist, zeigt sich daran, welche Probleme die Beobachtung des Ver- laufs auch von Doppelblindversu- chen aufwirft. Verteidiger des kon- trollierten Versuchs pflegen zu beto- nen, daß die Individualtherapie stets

den Vorrang behalten, ein Patient also im Kollisionsfalle aus dem Ver- such herausgenommen werden müsse, selbst um den Preis des Ver- suchsabbruchs oder wenigstens der geringen Aussagekraft seines Er- gebnisses. Der Vorsatz wird also für jene Fälle zugegeben, in denen man den Versuch bis zum bitteren Ende, d. h. bis zum Signifikanzniveau, durchhält, nachdem sich in der Test- gruppe eine Überlegenheitstendenz gezeigt hat. Diese Situation im lau- fenden Versuch unterscheidet sich aber nicht prinzipiell, sondern nur graduell von der Situation vor Ver- suchsbeginn, da die Erwartungen in beiden Fällen gleichermaßen nicht

„wissenschaftlich" gesichert sind.

Handlungspflicht

Die vorsätzliche Vorenthaltung einer besseren Rettungschance ist nur strafrechtswidrig, wenn der Erfolg durch aktives Handeln herbeigeführt wurde (werden sollte) oder — bei blo- ßem Unterlassen — wenn den Arzt eine Rechtspflicht zur Gabe des aus- sichtsreichsten Mittels traf. In vielen Fällen wird aktives Handeln vorlie- gen (vgl. neuestens Samson, Fn. 4), so daß es einer besonderen „Garan- tenpflicht" nicht bedarf. Im übrigen

kann eine Garantenpflicht nicht da- mit geleugnet werden, daß das Prüf- mittel noch nicht zugelassen und daher außerhalb des Tests nicht ver- fügbar sei; denn dem Arzt ist es nicht verwehrt, das Mittel ad hoc in der Klinikapotheke anfertigen zu lassen. Die allerdings schwierige Problematik einer Pflicht zur Gabe des bisher nicht eingeführten Mittels liegt allein in der Voraussetzung sei- ner „objektiven" Indikation; denn rechtmäßig ist der Versuch, wenn beide Präparate objektiv gleich indi- ziert sind. Da aber die Allgemeinheit der Ärzte von dem Prüfmedikament noch nichts weiß, bedarf der „objek- tive" Maßstab eines individualisie- renden Einschlages dahin, daß das ex-ante-Urteil eines sorgfältigen Arztes zum Maßstab genommen werden muß, der die nur dem indivi- duellen Prüfarzt bekannten Umstän- de ebenfalls kennt. Aus diesem Grund wird die Handlungspflicht im

2520 Heft 43 vom 26. Oktober 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Arzneimittelprüfung

Regelfall gegeben sein, wenn der Vorsatz zu bejahen war. Ihr steht je- denfalls nicht entgegen, daß die Wirksamkeit des Prüfpräparates noch „keineswegs gesichert" (3) ist, weil für das „Gesichert-Sein" jeder Maßstab fehlt, wenn man nicht in einem Zirkelschluß darauf abstellen will, daß das Mittel noch nicht zuge- lassen ist. Kein Arzt darf sich bei begründeter Vermutung der Unter- legenheit auf den Fundus der kon- trolliert auf Wirksamkeit getesteten AM zurückziehen, falls nicht das Recht einen speziellen Rechtferti- gungsgrund hierfür vorsieht.

Als Rechtfertigungsgrund kommt Notstand nicht in Betracht. Insbe- sondere ist der Begriff des „medizi- nischen Fortschritts" zu komplex, um als greifbares Interesse der kon- kreten Heilungschance gegenüber- gestellt und höher bewertet werden zu können. Dies ist übrigens unstrei- tig (4). Darüber hinaus stellt sich die hier erläuterte rechtliche Schranke durchaus nicht als Hemmnis des Fortschritts dar; im Gegenteil: sie stimuliert die vorhandenen Bemü- hungen der medizinischen Statistik, die unbedenklichen Alternativen zum unethischen kontrollierten Ver- such weiterzuentwickeln und ver- hindert die durch das Etikett „wirk- sam" suggerierte Illusion, daß es sich hier um einen absoluten Begriff handele (was er unstreitig nicht ist).

Fortschrittshemmend (innovations- hemmend) wäre es umgekehrt, wenn der Staat — trotz der liberalen Haltung des AMG gegenüber dem Wissenschaftspluralismus — aus der vorhandenen Methodenvielfalt den kontrollierten Versuch herausgriffe und undifferenziert monopolisierte.

Fortschrittsfeindlich ist die normati- ve Annahme, man „müsse" von der Überlegenheit der Standardbehand- lung „ausgehen" (3) oder einen Nu- merus clausus der „verwertbaren"

Vorerkenntnisse des Arztes dekre- tieren. Rechtfertigende Kraft hat al- lerdings die Einwilligung des zurei- chend aufgeklärten Patienten, ob- wohl das AMG hinsichtlich der Kontrollpatienten hierüber leider schweigt. Die Einwilligung ist m. E.

sogar bei vitaler Indikation wirksam.

Hasskarl (3) unterstellt mir also zu Unrecht, ich sehe in der Einwilli- gung keinen Rechtfertigungsgrund oder — dem widersprechend — ich hätte den Beispielsfall mit vitaler In- dikation gewählt, um die Möglich- keit einer rechtfertigenden Einwilli- gung auszuschließen.

Willigt der Patient ein, nicht indivi- duell therapiert zu werden, sondern per Zufallszuteilung möglicherweise nur ein Mittel zu erhalten, das der Arzt für das zweitbeste hält, so liegt insoweit kein Behandlungs-, son- dern ein Experimentiervertrag vor, der seine Grenzen nur an den guten Sitten findet. Allerdings setzt dies volle Aufklärung voraus. Sollte die Behauptung, in praxi werde aufge- klärt (3), generell richtig sein, wenn das Recht verlangt, der Patient müs- se verstanden haben, daß der Arzt das Testmittel für überlegen hält?

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Häufig wird der kontrollierte Ver- such mit der Erwägung verteidigt, die Testperson komme zwar in den Genuß der möglichen Überlegenheit des neuen AM, habe dafür aber das Risiko von Nebenwirkungen zu tra- gen, während sich für die Kontroll- gruppe der Chancenverzicht durch Risikofreiheit „ausgleiche". Diese Chancen-Risiko-Abwägung ist ein wichtiges Kriterium für die individu- elle Entscheidung des Patienten für oder gegen seine Teilnahme am Ver- such: Es kann jedoch keine Räde davon sein, daß die abstrakte „Äqui- valenz" von Chance und Risiko den kontrollierten Versuch generell (un- abhängig von der Einwilligung) rechtfertigen könne; denn damit würde von einem generell-abstrak- ten (keineswegs empirisch ermittel- ten) Durchschnitt unzulässigerweise auf einen konkreten Fall geschlos- sen. In concreto können Chance und Risiko erheblich voneinander abweichen: Es gibt AM, deren Un- schädlichkeit von vornherein fest- steht und die nur noch auf Wirksam- keit geprüft werden sollen — wie auch umgekehrt.

Einen speziellen Rechtfertigungs- grund der Arzneimittelprüfung gibt es nicht. Wer behauptet, das AMG

verlange einen „Wirksamkeitsnach- weis", der grundsätzlich nur durch kontrollierten Versuch erbracht wer- den könne (3), vergewaltigt den an- erkanntermaßen nichtabsoluten Be- griff der „Wirksamkeit" durch das absolute Versuchsergebnis (Falsifi- zierung der Nullhypothese). In Wahrheit verlangt das AMG nicht, daß die Wirksamkeit bewiesen sei.

Entgegen Hasskarl (3) ergibt die te- leologische Auslegung des § 24 1 3 AMG keineswegs, daß „daß" ge- meint sei, wo „ob" steht: gerade weil eine klinische Prüfung die Nichtfalsifizierung der Nullhypothe- se ergeben kann, gleichwohl aber eine klinische Prüfung i. S. § 24 1 3 darstellt, war in § 25 zu regeln, was in diesem Fall zu geschehen habe.

Vielmehr läßt sich dem § 41 Nr. 1 AMG sogar (unabhängig vom Straf- recht) entnehmen, daß der kontrol- lierte Versuch bei Ungleichwertig- keit ex ante verboten sein soll.

Für mich bestand also kein Anlaß, zu prüfen, ob die Ermächtigungsnorm für die AM-Prüfrichtlinien (§ 26 AMG) im Hinblick auf Art. 80 GG verfassungsgemäß sei; die Verfas- sung kam in meiner Argumentation vielmehr nur deshalb ins Spiel, weil der AMG-Gesetzgeber selbst die Ge- fahr für naheliegend hielt, daß der kontrollierte Versuch mit Art. 1 GG (Unantastbarkeit der Menschenwür- de) kollidiere; zum Beleg hierfür zi- tierte ich Äußerungen Fiebigs als Abgeordneten und maßgeblich be- faßten Politikers (nicht als Fach- manns, wie Hasskarl [3] mich miß- versteht), die dokumentierter Teil der Gesetzesgeschichte sind.

Konsequenz für Kostenträger

Erweist sich ein bestimmter Typus des kontrollierten Versuchs als strafrechtswidrig, so ergibt sich als selbstverständliche Konsequenz, daß Krankenkassen zu strafbaren Handlungen auffordern, wenn sie die Durchführung kontrollierter Stu- dien zur Voraussetzung der Erstat- tungsfähigkeit machen.

Heft 43 vom 26. Oktober 1978 2521 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Arzneimittelprüfung

Diese zunächst einmal naheliegende Konsequenz läßt sich jedenfalls nicht mit der nackten Behauptung negieren, daß sie „absurd" sei (3).

„Interessenjurisprudenz"

Die rechtlichen Grenzen des kon- trollierten Versuchs haben eine weitreichende politische und wirt- schaftliche Bedeutung; die Frage

„cui bono?" ist daher legitim. Ich bekenne deshalb dem etwa interes- sierten Leser, daß ich einer betroffe- nen Interessenssphäre weder mate- riell noch ideell verbunden bin.

Diese Feststellung ist dadurch ver- anlaßt, daß Hasskarl (3) einen erheb- lichen Teil seiner Kritik darauf ver- wendet, meine Abhandlung als Kampfschrift unter dem „Deckman- tel" der Jurisprudenz zu „entlar- ven". Indessen kann es der Seriosi- tät einer juristischen Argumentation keinen Abbruch tun,wenn ihr Ergeb- nis politische und wirtschaftliche Auswirkungen hat. Eher dürfte der Kritiker selbst einer der betroffenen Interessenssphären angehören.

Legitim ist es auch, nach der Über- zeugungskraft meiner These im Kreise der Fachkollegen zu fragen, die innerhalb der Richtigkeitskrite- rien der Jurisprudenz eine wesentli- che Rolle spielt. Bisher ist es aller- dings nicht gelungen, meine „Aus- senseiterstellung" (3) zu begründen, weil sich Strafrechtler mit meiner These noch gar nicht beschäftigt hatten.

Jüngst hat allerdings Samson (4) die strafrechtliche Diskussion des kon- trollierten Versuchs in einer Weise aufgenommen, die nach Ansatz und Durchführung auf das lebhafteste zu begrüßen ist; freilich behandelt sein Beitrag nicht so sehr „meinen" Fall (Prüfung gegen Standardtherapie), sondern vornehmlich die ebenso be- deutsame und wesentlich schwieri- ger zu bewertende Prüfung, gegen Plazebo. Ich halte es für dringend wünschenswert, auf der Basis der von Samson (4) vorgeschlagenen Differenzierung je nach den prak- tisch relevanten Versuchstypen die

strafrechtlichen Grenzen des kon- trollierten Versuchs in stetigem in- terdisziplinärem Austausch zu kon- kretisieren und zu präzisieren.

Fußnoten

(1) Vgl. zum Dichlorazetat bei Zuckerkrankheit, Frankfurter Allgemeine vom 29. März 78, S. 29;

zum Sulfinpyrazon bei Herzinfarkt Frankfurter Allgemeine vom 22. 2. 78, S. 25 sowie Euromed Nr. 4/78, S. 237; — (2) Fincke, Arzneimittelprü- fung. Strafbare Versuchsmethoden, Karlsruhe 1977; — (3) Hasskarl, Rechtliche Zulässigkeit der klinischen Prüfung, DEUTSCHES ÄRZTE- BLATT 1978, 1087-1094, 1150-1155; — (4) Sam- son, Zur Strafbarkeit der klinischen Arzneimit- telprüfung, Neue Juristische Wochenschrift 1978, S. 1182 ff; — (5) Zum speziellen Aufklä- rungsproblem beim Test gegen Plazebo vgl.

Samson aaO.

Anschrift des Verfassers Professor Dr. jur. Martin Fincke Universität Passau

Postfach 2540 8390 Passau

ZITAT

Kassen-Mitbestimmung

„Durch das Krankenversi- cheru ngs-Weiterentwick- lungsgesetz und das Kosten- dämpfungsgesetz sind den Kassen und ihren Verbänden bei der Bedarfsplanung und den Steuerungsfunktionen unseres Versorgungssy- stems neue Mitwirkungs- rechte eingeräumt worden.

Die Kassen bestimmen künf- tig auch über Fragen von Be- darfsgrößen, Bedarfsniveau, von Quantität und Qualität des medizinischen Lei- stungsangebots, der regio- nalen Verteilung und der Verwendung der finanzi- ellen Ressourcen wirksam mit . . . "

Alfred Schmidt, alternieren- der Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes der Ortskrankenkassen (BdO), Düsseldorf, beim „1. Deut- schen Hausärztetag" am 9.

September 1978 in Dort- mund

BRIEFE AN DIE REDAKTION

TV HÖREN UND SEHEN

„TV Hören und Sehen", eine große Pro- grammzeitschrift, berichtete kürzlich über Hygiene am Krankenhaus unter dem kennzeichnenden Titel: „In jedem Jahr sterben 25 000 Patienten an Keimen in der Klinik." Zwei der dort zitierten

„Kronzeugen" haben erhebliche Ein- wände gegen die Art, wie die Zeitschrift das Thema behandelte.

Unglaublicher Skandal?

. . . Weder dient dieser Artikel der In- formation, denn sie ist zum Teil falsch, noch dürfte sie am ärztlichen Gewissen rütteln. Sie führt in dieser Pauschalierung in meinen Augen le- diglich zu einer Diffamierung des Gesundheitswesens in den Kranken- häusern und damit möglicherweise zur Panikmache. Es entsteht der Eindruck, daß der Artikel eher zur weiteren journalistisch schon viel geübten Abqualifizierung der Ärzte- schaft beitragen soll, obwohl gerade die Ärzte und das Pflegepersonal hart daran arbeiten, nach neuen We- gen in der Krankenhaus-Hygiene zu suchen, und hier kann man wohl sa- gen „in vielen Krankenhäusern" wie in den lichtvollen Ausführungen im Untertitel steht. Wie vorgegangen wurde, soll hier kurz für diejenigen Kollegen angedeutet werden, wenn sie auf diesen Artikel hin angespro- chen werden sollten: Von mir wurde ein Agenturbild (ohne mein Wissen) gebracht, darunter ein Zitat „80 bis 90 Prozent der Hospital-Infektionen gehen direkt vom Menschen aus.

Meist handelt es sich um Schmierin- fektionen." Offensichtlich sollte da- mit der Eindruck erweckt werden, daß die Zeitschrift mit Herrn Dasch- ner und mir direkt Kontakt aufge- nommen hat. Die einzige öffentliche Äußerung, die ich aber in diesem Zusammenhang gemacht habe, und zwar in der Zeitschrift „Arzt und Krankenhaus" 3/78 (Vortrag in Nürnberg Oktober 77) lautete fol- gendermaßen:

„Aufgrund derartiger systemati- scher Erfassungen in anderen Län- dern wissen wir bereits, daß 80-90 Prozent der Infektionen mittelbar oder unmittelbar vom Menschen

2522 Heft 43 vorn 26. Oktober 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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