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Archiv "PRÜFUNG VON ARZNEIMITTELN IN DER DISKUSSION (V): Wirksamkeitsnachweis nach dem neuen Arzneimittelgesetz: Zur Absicht des Gesetzgebers" (02.11.1978)

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Hugo Hammans MdB:

Zur Absicht

des Gesetzgebers

Einer der umstrittenen Punkte bei der Diskussion des inzwischen in Kraft getretenen neuen Arzneimittel- gesetzes war der Wirksamkeitsnach- weis für Arzneimittel. Während nach

§ 1 des Regierungsentwurfs die Wirksamkeit und sogar Unbedenk- lichkeit der Medikamente gewährlei- stet werden sollte, wurden in der Diskussion ernst zu nehmende Zweifel hinsichtlich der Realisier- barkeit dieses Anspruchs angemel- det. Daraus entstand eine Grund- satzdiskussion der medizinisch-me- thodischen Fragen, die von uns Abgeordneten bewußt gefördert wurde.

Wir haben versucht, aus dem Ergeb- nis dieser Diskussion, die für den Gesetzgeber relevanten Konsequen- zen zu ziehen, und eine Reihe von

unseres Erachtens wichtigen Ände- rungen des Regierungsentwurfes durchgesetzt. Sie sind in dem seit dem 1. Januar dieses Jahres gelten- den Recht enthalten. Nunmehr ist es Zweck des Gesetzes, siehe § 1, die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit

der Arzneimittel nach Maßgabe der verschiedenen Paragraphen sicher- zustellen.

Was ist ein Wirksamkeitsnachweis?

Diese Frage hatten wir zunächst zu klären. Dabei wurde die Behauptung aufgestellt, die Wirksamkeit solle mit Hilfe der kontrollierten klinischen Versuche bewiesen werden, die er- rechnete Erfolgswahrscheinlichkeit sei die Grundlage einer rationalen Therapie und ohne den Versuch be- stünde die Gefahr der Schäden durch Anwendung unwirksamer Arzneimittel. Bei der Analyse dieser Behauptung stellte sich schnell her- aus, daß sie unhaltbar ist, weil sie wie folgt widerlegt werden kann:

• Statistische Verfahren erlauben nur Wahrscheinlichkeitsaussagen;

sie können vom Grundsatz her we- der etwas beweisen noch widerle- gen.

• Auch im kontrollierten klinischen Versuch wird praktisch mit Irrtums- wahrscheinlichkeit gearbeitet. We- der das Bundesministerium für Ju- gend, Familie und Gesundheit noch sonst irgend jemand konnte nach- weisen, wann jemals Erfolgswahr- scheinlichkeiten auf Grundlage der Stichprobentheorie errechnet wor- den seien.

„Studienvermassung"

— Gefahr für die freie Praxis

Die Hauptgefahr sah Rheindorf dar- in, daß als Auswirkung der „Studien- vermassung" ein Konkurrenzkampf unter den Ärzten entsteht, der zum Ende der freien Praxis und damit zu einer grundlegenden Änderung un- seres Systems der Gesundheitssi- cherung führen muß. Es sei schon heute feststellbar, daß junge Ärzte ohne genügende Vorbereitung zur Niederlassung drängen, weil sie ei- nen Stopp fürchten. Andere bleiben lieber gleich von vornherein in ei- nem Angestelltenverhältnis.

Die Entwicklung könnte letzten En- des darauf hinauslaufen, daß Polikli- niken oder Ambulatorien schon des- wegen eingeführt werden müssen, weil die jungen Ärzte für die selb- ständige Arbeit in freier Praxis gar nicht genügend ausgebildet sind.

Um dem zu begegnen, forderte Rheindorf, ein Unterlaufen des Si- cherstellungsauftrages für die Kas- senärztlichen Vereinigungen durch Öffnung der Krankenhäuser auf je- den Fall zu verhindern, das Beleg- arztsystem in Krankenhäusern der Grund- und Regelversorgung auf je- den Fall zu erhalten und mit allen verfügbaren Mitteln darauf hinzu- streben, daß bei den niedergelasse- nen Ärzten wieder ein Zahlenver- hältnis von 60 zu 40 zwischen Allge- meinmedizinern und Fachärzten entsteht.

Die Diskussion wandte sich zeitwei- lig auch der Öffentlichkeitsarbeit der Ärzteschaft zu, wobei wohl ebenfalls

— wie bei der Frage einer im weite- sten Sinne politischen Betätigung — die meisten Teilnehmer verstanden, daß der einzelne Arzt jeweils sein eigener bester PR-Mann ist. Hier war es insbesondere Dr. Löwenstein, der darauf aufmerksam machte, daß Ärzte eben keine Machtpolitik be- treiben können, sondern daß Ver- handlungen, worüber und mit wem auch immer, wohl mit politischem Geschick, vor allem aber auf der Ba- sis der Unterstützung durch eine weitgehend in sich einige Ärzte- schaft geführt werden müssen. gb

PRÜFUNG VON ARZNEIMITTELN IN DER DISKUSSION (V)

Wirksamkeitsnachweis

nach dem neuen Arzneimittelgesetz

Innerhalb der in loser Folge erscheinenden Artikelserie unter dem Generaltitel „Prüfung von Arzneimitteln in der Diskussion" sind bisher erschienen: Dr. jur. Horst Hasskarl: Rechtliche Zulässigkeit der klini- schen Prüfung (Hefte 18 und 19/1978); Udo Fiebig MdB: Anforderun- gen des Gesetzgebers an die Prüfrichtlinien (Heft 21 /1978); Prof. Dr.

med. Karl-Friedrich Sewing: Vorsätzliche Irreführung (Heft 40/1978).

Prof. Dr. jur. Martin Fincke: Strafrechtswidrige Methoden der klini- schen Prüfung (Heft 43/1978). Die Redaktion beabsichtigt, die Diskus- sion einstweilen fortzusetzen, spätestens jedoch zum Jahresende abzuschließen.

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Es konnte niemand erläutern, was die Testtheorie mit rationaler Therapie zu tun hat.

Entgegen allen lautstarken Be- hauptungen konnte niemand bele- gen, wo und wann Schäden durch Anwendung „unwirksamer" Arznei- mittel tatsächlich eingetreten sein sollen.

Die Regelungen, die abweichend vom Regierungsentwurf im einzel- nen gesetzlich verankert wurden, sind nach meiner Beobachtung noch nicht voll verstanden und da- her auch nicht gebührend gewürdigt worden. Erneute Beispiele dafür aus jüngster Zeit sind die Rede von Pro- fessor Dr. Kreienberg auf dem Deut- schen Ärztetag und die Veröffentli- chung von Rechtsanwalt Dr. Horst Hasskarl (1). Ich möchte daher, aus- gehend von den konkreten Mißver- ständnissen, wie sie bei Hasskarl und Kreienberg auftreten, noch ein- mal die Bedeutung des Wirksam- keitsnachweises im neuen Arznei- mittelgesetz so erläutern, wie sie von den Mitgliedern des Unteraus- schusses Arzneimittelrecht beab- sichtigt war.

Hasskarl setzt sich in seiner Arbeit mit einer juristischen Untersuchung des Strafrechtlers Fincke (2) ausein- ander, die nach der Verabschiedung des Arzneimittelgesetzes, aber vor dessen Inkrafttreten erschienen ist.

Fincke behauptet darin eine weitge- hende Strafbarkeit des sog. kontrol- lierten klinischen Versuches. In die juristische Diskussion dieser Frage kann und soll hier nicht eingegriffen werden. Als Abgeordneter des Deut- schen Bundestages und Angehöri- ger des Ausschusses für Jugend, Fa- milie und Gesundheit, der sich mit der Arzneimittelfrage intensiv befaßt hat, sehe ich es als besonders be- deutsam an, daß Hasskarl ganz selbstverständlich den im Gesetz geforderten Wirksamkeitsnachweis und den im Gesetz nicht verlangten kontrollierten Versuch gleichsetzt.

Kreienberg behauptet, die Gesetz- geber haben auf den „objektiven"

Wirksamkeitsnachweis verzichtet.

Ich möchte mich daher in diesem Beitrag mit der Frage befassen, was

sich der Gesetzgeber unter dem Wirksamkeitsnachweis vorgestellt hat und welche Rolle in diesem Zu- sammenhang der kontrollierte klini- sche Versuch spielt.

Um die Identität von Wirksamkeits- nachweis und kontrolliertem klini- schen Versuch glaubhaft zu ma- chen, bemüht Hasskarl eine stattli- che Zahl von nationalen und inter- nationalen Richtlinien und Empfeh- lungen — insbesondere aus der Deutschen Demokratischen Repu- blik (1) —, denen zufolge ein Wirk- samkeitsnachweis nur in der Form kontrollierter Versuche erbracht werden kann. Diese Töne sind uns Abgeordneten bestens vertraut;

schließlich sind sie zur Begründung des Regierungsentwurfes bis zum Überdruß vorgetragen worden. Die schönsten Verlautbarungen und Forderungen indessen sind un- brauchbar, wenn sie nicht mit der Realität übereinstimmen. Es mag sein, daß die kontrollierte klinische Prüfung weltweit üblich ist. Ob sie jedoch Wirksamkeitsnachweise lie- fert, auf denen eine vernünftige ge- setzliche Regelung basieren kann, ist eine ganz andere Frage. Nach dem Bericht des Sachverständigen Kienle (3) waren weder das Bundes- ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit noch das Bundesge- sundheitsamt, noch prominente Lehrstuhlinhaber der medizinischen beziehungsweise medizinisch-stati- stischen Wissenschaften und schließlich auch nicht die Industrie in der Lage, einen einzigen korrek- ten und ethisch unbedenklichen Wirksamkeitsnachweis vorzulegen.

Den Gegenbeweis sind die Verfech- ter des kontrollierten Versuches wie Kreienberg bisher schuldig geblie- ben. Obwohl sie dazu in der öffentli- chen Anhörung aufgerufen wurden, ist von diesen Stellen nicht einmal der Versuch gemacht worden, die Kienlesche Feststellung zu widerle- gen. Dabei ging, beziehungsweise geht es doch um wichtige gesund- heitspolitische Entscheidungen;

nachdem die Chance für das Gesetz vertan war, hätte man erwartet, daß auf diese Weise wenigstens versucht werden würde, auf die Ausgestal- tung der Prüfrichtlinien durch Vorla-

gen „gesicherter Erkenntnisse" Ein- fluß zu nehmen. Aber nichts derglei- chen ist geschehen. Statt dessen wird immer wieder die alte Litanei vorgetragen, wie es eben jetzt wie- der durch Hasskarl und Kreienberg geschehen ist.

Als Abgeordneter warte ich also nach wie vor auf die Begründung, inwieweit der kontrollierte Versuch vielleicht doch als Wirksamkeits- nachweis anzusehen ist. Vermutlich werde ich vergeblich warten. Schon aus diesem Grunde kann ich den Optimismus von Hasskarl, der sich von der Prüfrichtlinie die Einführung des kontrollierten Versuches erhofft, weder verstehen noch teilen. Wenn Hasskarl den Ausschußbericht (4) ernster genommen hätte, wäre er vermutlich zu einer gegenteiligen Ansicht gekommen.

Wir haben im Verlaufe der Aus- schußarbeit entwickelt, wie wir uns eine vernünftige Arzneimittelzulas- sung vorstellen. Die Quintessenz ist im Ausschußbericht niedergelegt.

Wenn es keinen Wirksamkeitsnach- weis im Sinne verläßlicher, allge- meingültiger und ethisch einwand- freier Versuchsergebnisse gibt, die nicht nur einzelne Wirkungen zum Gegenstand haben, dann scheidet der kontrollierte Versuch als alleini- ge Urteilsbasis aus. Dies um so mehr, als die Versuchsergebnisse bestenfalls Hinweise auf eine Wirk- samkeit liefern, die sich im übrigen auf die Urteilskraft des Fachmannes, also zunächst des Arztes stützt, wenn weiter solche Hinweise auch im Rahmen der normalen ärztlichen Tätigkeit gewonnen werden können und schließlich mit kontrollierten Versuchen fast immer ethische, neu- erdings sogar juristische Bedenken verbunden sind. Damit entfällt die Möglichkeit, daß das Bundesge- sundheitsamt als urteilende Instanz aufgrund formaler Kriterien auftritt.

Dann muß eine Regelung gefunden werden, die es ermöglicht, den tat- sächlich kompetenten Sachverstand für die Entscheidungsfindung nutz- bar zu machen. Dies ist gemäß § 25 Arzneimittelgesetz durch die Einfüh- rung von Arzneimittelzulassungs- kommissionen geschehen, die dem

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Bundesgesundheitsamt vorgeschal- tet sind und über die sich Hasskarl und Kreienberg beharrlich aus- schweigen. Die Einführung dieser Kommissionen, die sich gegenwär- tig konstituieren, wurde im Aus- schußbericht — abgesehen von dem Schutz der unterschiedlichen wis- senschaftlichen Lehrmeinungen der verschiedenen Therapierichtungen, die in der Bundesrepublik ein wich- tiges Faktum darstellen — mit der Einsicht begründet, daß jede Ent- scheidung über die Zulassung eines Arzneimittels eine Ermessensent- scheidung ist. Diese Tatsache wurde vielfach übersehen oder verschwie- gen.

Nun entstand natürlich sofort die Frage, wer für solche Ermessensent- scheidungen zuständig ist. Das kön- nen nach Ansicht des Ausschusses nur diejenigen sein, die im Rahmen der jeweiligen Therapierichtung über die größten Sachkenntnisse verfügen. Durch die Schaffung der Zulassungskommissionen wurde versucht, diesen Sachverhalt bei den Entscheidungen über Arznei- mittel maßgeblich zu beteiligen.

Es scheint möglich, daß eine negati- ve Entscheidung wegen Interessen- kollisionen vom Verwaltungsgericht aufgehoben wird. Es ist sachgemäß, wenn über anstehende Neuzulas- sungen in den verschiedenen wis- senschaftlichen ärztlichen Gesell- schaften gesprochen und den Kom- missionen entsprechende Stellung- nahmen zugänglich gemacht wer- den, so daß bei der Entscheidungs- findung in den Kommissionen mög- lichst alle relevanten Gesichtspunk- te berücksichtigt werden können. Im Grunde kann eine Entscheidung über ein Arzneimittel nur eine ärztli- che Entscheidung sein. Es hängt jetzt ganz von den Kommissionen und wissenschaftlichen ärztlichen Gesellschaften ab, ob diese Mög- lichkeit ergriffen wird. Es ist mir un- erfindlich, daß ausgerechnet ein of- fizieller Vertreter der Ärzteschaft wie Professor Kreienberg dagegen Sturm läuft.

Nun wurde in letzter Zeit wiederholt die Ansicht vertreten, daß kontrol-

lierte klinische Versuche selbstver- ständlich keine Wirksamkeitsnach- weise darstellen, daß sie aber den- noch als die Basis jeder rationalen Therapie betrachtet werden müssen.

Der Ermessenscharakter von Zulas- sungsentscheidungen wird nicht mehr bestritten; aber die Basis dafür müßte gleichwohl der kontrollierte Versuch sein. Demzufolge wären al- so doch für jedes neue Medikament kontrollierte Versuche vorzulegen, und der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hätte dies in der von ihm zu erlassenden Prüf- richtlinie zwingend vorzuschreiben.

Diese Argumentation verkennt Inhalt und Sinn des Gesetzes. Der Aus- schuß ist nach Anhörung von Sach- verständigen zu einer Ansicht ge- kommen, die im Ausschußbericht folgendermaßen formuliert wurde:

„Die Wirksamkeit ist nicht als abso- luter Begriff anzusehen, sondern muß an dem konkreten Heilungsan- spruch gemessen werden. Sie stellt sich außerdem als ein Kontinuum dar, das von „sehr schwach" bis

„sehr deutlich" reicht. Daher wer- den in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle nur — mehr oder minder deutliche — Indizien für die Wirksamkeit eines Arzneimittels sprechen. Ungeachtet eines fehlen- den wissenschaftlichen Beweises müssen gleichwohl schon diese Er- fahrungen je nach Lage des Einzel- falles die Basis für eine Zulassung bilden. Der Wirksamkeitsnachweis ist demnach entscheidungstheore- tisch anzugehen."

Es ist ein Unding, durch Gesetz oder Verwaltungsvorschrift etwas vor- schreiben zu wollen, das in der Pra- xis nicht durchführbar ist, sei es aus sachlichen, sei es aus ethischen Gründen. Von Sachverständigen ha- ben wir erfahren, daß ein Wirksam- keits„nachweis" den Vergleich ge- gen Placebo voraussetzt; wird ge- gen eine Standardbehandlung ver- glichen, handelt es sich nur um einen Oberiegenheits„nachweis".

Dieser erlaubt keine Aussage über die Wirksamkeit; die Vergleichsbe- handlung kann ja auch schlechter als Nichtbehandlung sein, außerdem kann man nicht auf Gleichheit te-

sten. Der kontrollierte Versuch als Wirksamkeits„nachweis" verlangt unabdingbar den Vergleich mit Nichtbehandlung beziehungsweise Placebo.

Nun wurde von verschiedenen Ver- bänden beanstandet, der § 41 Nr. 1 Arzneimittelgesetz „Die klinische Prüfung darf nur durchgeführt wer- den, wenn die Anwendung des zu prüfenden Arzneimittels nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft angezeigt ist, um das Leben des Kranken zu retten, seine Gesundheit wiederherzustellen oder sein Leiden zu erleichtern" mache die Prüfung gegen Placebo und da- mit den Wirksamkeits„nachweis"

unmöglich. Dies haben wir im Inter- esse der Patienten bewußt in Kauf genommen. Vor allem aber haben wir in § 25 den Zusatz eingefügt:

„Die Zulassung darf nach . . . nicht deshalb versagt werden, weil thera- peutische Ergebnisse nur in einer beschränkten Zahl von Fällen erzielt worden sind." Dazu erläutert der Ausschußbericht: „Der Wirksam- keitsnachweis ist bereits dann nach ... als erbracht anzusehen, wenn anhand der nach . . . vorge- legten Unterlagen nachgewiesen wird, daß bestimmte Indizien für die im Zulassungsantrag behauptete Wirksamkeit sprechen. Vom Antrag- steller darf jedoch nicht der zwin- gende Beweis der Wirksamkeit eines Arzneimittels im Sinne eines jeder- zeit reproduzierbaren Ergebnisses eines nach einheitlichen Methoden ausgerichteten naturwissenschaftli- chen Experimentes verlangt wer- den." Das Gesetz verzichtet also ex- plizit auf den kontrollierten Versuch;

mithin darf er auf dem Umweg über die Prüfrichtlinie nicht wieder er- scheinen, da dies im Widerspruch zum Gesetz stünde.

Auch in einer anderen Veröffentli- chung hat Hasskarl irreführende Darstellungen über die Frage der kli- nischen Prüfung gebracht (5). Er be- hauptet dort: „Im Ergebnis ist jeden- falls festzuhalten, im Gegensatz zu jüngst erschienenen anderslauten- den Ansichten, daß Doppelblindstu- dien in einem gewissen Ausmaß auch bei Prüfung gegen Placebos

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rechtlich zulässig sind." Doppel- blindstudien sind nach § 41 Arznei- mittelgesetz deshalb nicht zulässig, weil ein neues Präparat nur geprüft werden darf, wenn ein Erfolg zu er- warten ist und die Kontrollpersonen zur Versuchsgruppe gehören. Das Placebo ist Bestandteil des Versu- ches und dient nicht der Heilung, Besserung oder Linderung von Krankheiten, seine Anwendung ist deshalb nicht zulässig.

In ähnlicher Weise hat sich merk- würdigerweise der Justitiar des Bun- desgesundheitsamtes, Dr. G. Le- wandowski, in einem Vortrag bei der Hauptversammlung des Bundes- verbandes der Pharmazeutischen Industrie geäußert. Er behauptet, dort folgendes: „Die Vorschriften über die klinische Prüfung drücken die Überzeugungen der Gesetzge- bungsorgane unserer Republik dar- über aus, daß die kontrollierte klini- sche Prüfung unter den gesetzlich vorgeschriebenen Kautelen dem un- kontrollierten Experiment jedweden Therapeuten auf nicht nachprüfba- rer Grundlage der Vorzug gebührt."

Das Gegenteil ist der Fall. Dies kann im Ausschußbericht jederzeit nach- gelesen werden (4).

Professor Kreienberg behauptet nun: „Danach war zu erwarten, daß im 2. Arzneimittelgesetz nun endlich der Wirksamkeitsnachweis für alle Arzneimittel gefordert werden wür- de. Leider fehlte dem Gesetzgeber auch jetzt wieder der Mut. Auf die Überprüfung vieler Tausender ohne Nachweis der Wirksamkeit bereits registrierter Fertigarzneimittel wur- de bezüglich ihrer Indikation vorläu- fig verzichtet."

Was hätte die Forderung von Kreien- berg denn bedeutet? Es hätten Tau- sende von Menschen um des „ein- deutigen Wirksamkeitsnachweises"

willen sterben müssen. Für Antibio- tika, Antimykotika, Tuberkulostatika, Spasmolytika, Antitussiva, Antiepi- leptika usw. gibt es keine kontrol- lierten Versuche zum Nachweis der Wirksamkeit. Wie will denn Profes- sor Kreienberg im Doppelblindver- such Insulin beim Coma diabeticum,

Narkosemittel, Antidote usw. auf Wirksamkeit prüfen? Was würde ge- schehen, wenn er diese Arzneimittel im Rahmen der „Marktbereinigung"

wegen nichterbrachten Wirksam- keitsnachweises nicht mehr bekom- men könnte? Oder meint Professor Kreienberg, daß für die von ihm ver- wendeten Arzneimittel kein Wirk- samkeitsnachweis notwendig sei, sondern nur für die anderen zum Beispiel Phytotherapeutika, Homöo- pathika usw.? Dazu fehlte allerdings dem Gesetzgeber der Mut, entweder Tause'snde von Menschen sterben zu lassen oder eine Zweiklassenmedi- zin einzuführen, eine Herrn Profes- sor Kreienberg genehme ohne Wirk- samkeitsnachweis und eine ihm nicht genehme mit Wirksamkeits- nachweis.

Was ist jedoch positiv gemeint? Der kontrollierte Versuch ist weder zwin- gend vorgeschrieben noch definitiv abgeschafft, er steht vielmehr zur Disposition der an der Arzneimittel- entwicklung beziehungsweise am Entscheidungsprozeß Beteiligten.

Man wird zu begründen haben, wes- halb man ihn eingesetzt hat, nicht zuletzt unter Berücksichtigung der ethischen beziehungsweise juristi- schen Problematik, und man wird ebenso begründen müssen, warum man ihn nicht eingesetzt hat. Die Prüfrichtlinien, die ohnehin gemäß

§ 26 Arzneimittelgesetz nur auf dem gesicherten Stand der wissenschaft- lichen Erkenntnisse beruhen dürfen, haben im wesentlichen dafür zu sor- gen, daß der Entscheidungsvorgang transparent wird. Entscheidungen über die Zulassung von Arzneimit- teln sind notwendigerweise Ent- scheidungen unter Risiko. In der Entscheidungstheorie wird mit sub- jektiven Bewertungen von Größen gearbeitet, wie sie zum Beispiel Wirksamkeit und Unbedenklichkeit darstellen. Es müßte aus dem Ent- scheidungsvorgang erkennbar wer- den, wie die Bewertungen vorge- nommen wurden, so daß die subjek- tiven Prämissen unter denen die Entscheidung gefällt wurde, klar er- kennbar werden. Damit wären dann auch die für das Bundesgesund- heitsamt relevanten Informationen gegeben.

Hasskarl malt in seiner Veröffentli- chung ein düsteres Bild als Folge einer möglichen Strafbarkeit kon- trollierter Versuche: „Folgt man Fincke, dann darf die kontrollierte klinische Studie vom Bundesge- sundheitsamt demjenigen nicht ab- verlangt werden, der die Zulassung eines Arzneimittels verlangt. Die Konsequenzen ... wären gewaltig.

Der Gesetzgeber könnte sein aus- drückliches Ziel, nämlich Arzneimit- telsicherheit unter anderem durch eine ausreichende Wirksamkeit zu gewährleisten, nicht mehr errei- chen. Die Bundesrepublik Deutsch- land könnte ihre europarechtlichen Gemeinschaftsverpflichtungen zur Transponierung von Vorschriften über die Arzneimittelprüfung in deutsches Recht nicht erfüllen, das Bundesgesundheitsamt brauchte kaum noch Kapazität für die Wirk- samkeitsprüfung einzusetzen, da je- denfalls die mühevolle Prüfung der Ergebnisse der klinischen Prüfung entfiele. Die sich um die klinische Prüfung herumrankenden Diszipli- nen wie medizinische Statistik und Humanpharmakologie wären wohl entbehrlich. Aus wirtschafts- und wissenschaftspolitischer Sicht aber müßte vor allem die Bundesregie- rung in Rechnung stellen, daß das internationale Ansehen der Bundes- republik Deutschland als Arzneimit- telproduzent auf hohem Arzneimit- telsicherheitsniveau in absehbarer Zeit verlorenginge. Die Zulassung eines Arzneimittels in Deutschland würde international bald nicht ein- mal mehr als Indiz dafür gewertet werden können, daß diese Arznei- mittel wirksam sind."

Man braucht gar keinen Strafrecht- ler zu bemühen, um eine Erklärung für die Voraussetzung zu erhalten, von der Hasskarl ausgeht: das Bun- desgesundheitsamt darf auf Grund des neuen Arzneimittelgesetzes kei- ne kontrollierten Versuche mehr verlangen. Gleichwohl kann ich die Befürchtungen von Hasskarl nicht teilen. Wie der SPD-Kollege Fiebig kürzlich schrieb (6), handelt es sich bei dem Gesetz um den Versuch, eine Selbstverwaltungslösung der Arzneimittelzulassung auf wissen-

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schaftlicher Basis zu installieren.

Die Zeit der Klagen über unsinnige Anforderungen von Zulassungsbe-

hörden dürfte damit in Deutschland vorbei sein. Wenn die durch das Ge- setz bereitgestellte Form wirklich er- griffen wird, wird darüber hinaus viel mehr kompetenter Sachverstand mit der Zulassungsfrage beschäftigt sein, als jemals bei einer Behörden- lösung zu erwarten ist. Dadurch müßte sich die Qualität der Ent- scheidungen verbessern, nicht ver- schlechtern. Gerade um das Ziel ei- ner ausreichenden Wirksamkeit zu erreichen, ist die gesetzliche Rege- lung so und nicht anders getroffen worden. Was die europarechtlichen Verpflichtungen angeht, so wird die Übereinstimmung der gesetzlichen Regelung mit dem Europarecht im Ausschußbericht ausdrücklich fest- gestellt. Ich persönlich würde es begrüßen, wenn das Bundesge- sundheitsamt aufgrund der neuen Regelung Personal einsparen wür- de; die Kommissionen übernehmen schließlich einen wesentlichen Teil der Arbeit.

Ob medizinische Statistik und Hu- manpharmakologie entbehrlich wer- den, hängt letztlich davon ab, was sie wirklich leisten. Was nun das in- ternationale Ansehen der Bundesre- publik angeht, so meine ich, daß wir mit dem neuen Gesetz im internatio- nalen Vergleich einevernünftige, weil sachgemäße Lösung haben. Im übri- gen hat Deutschland schon einmal mit Menschenversuchen ein frag- würdiges Ansehen bekommen.

Es kann nicht die Aufgabe des Staa- tes sein, die Wirksamkeit der Arznei- mittel zu gewährleisten. Er kann dies nicht, solange der Wirksamkeits- nachweis nicht formalisierbar ist.

Der Gesetzgeber hat eine Form für die Arzneimittelzulassung bereitge- stellt, die ein weitgehend selbständi- ges Handeln der tatsächlich Betrof- fenen ermöglicht, weil er der Ansicht ist, daß so am besten für die Arznei- mittelsicherheit gesorgt ist.

Die nächsten Jahre werden zeigen, inwieweit die Chance tatsächlich er- griffen wird. Wird sie nicht ergriffen,

so wird das immer wieder ausge- drückte Interesse an mehr Arznei- mittelsicherheit unglaubwürdig.

Literatur

(1) Horst Hasskarl, Rechtliche Zulässigkeit der klinischen Prüfung, DEUTSCHES ÄRZTE- BLATT 18/1978, 1087-1094, 19, 1978, 1150-1155 — (2) Martin Fincke, Arzneimittel- prüfung — Strafbare Versuchsmethoden, C. F.

Müller Juristischer Verlag, Heidelberg, Karlsru- he, 1977 — (3) Gerhard Kienle, Kritische Über- prüfung der Voraussetzungen für ein neues Arzneimittelrecht, Ausarbeitung für den Aus- schuß für Jugend, Familie und Gesundheit des Deutschen Bundestages, 1975 — (4) Deutscher Bundestag, 7. Wahlperiode, Bericht des Aus- schusses für Jugend, Familie und Gesundheit, Drucksache 7/5091 vom 28. April 1976 — (5) Horst Hasskarl, Arzneimittelgesetz (AMG) und klinische Prüfung aus juristischer Sicht, Klinik- arzt 7, 1978, 532-534 —(6) Udo Fiebig, Anforde- rungen des Gesetzgebers an die neuen Prüf- richtlinien, DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 21/

1978, Seite 1965.

Dr. Hugo Hammans MdB Bundeshaus

5300 Bonn 1

Walter Kreienberg:

Internationaler Standard

Der Bundestagsabgeordnete Hugo Hammans interpretiert Ausführun- gen meines Referates „Transparenz auf dem Arzneimittelmarkt" vor dem Deutschen Ärztetag 1978 in Mann- heim zum Teil nicht richtig, zum Teil kritisiert er sie gerade dort, wo sie die Meinung der maßgeblichen Arz- neimittelexperten des In- und Aus- landes wiedergeben. Da deren aller Meinung im Gegensatz zu dem Be- richt eines Sachverständigen, auf den sich der vorstehende Artikel stützt, falsch sein könnte, erschei- nen mir die folgenden Feststellun- gen angebracht und notwendig:

Nach der Richtlinie des EWG-Ra- tes, die sich mit der Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschrif- ten über Arzneispezialitäten befaßt, muß die therapeutische Wirksamkeit

und Unschädlichkeit eines neuen Arzneimittels einwandfrei nachge- wiesen werden. Diese Richtlinien, die Empfehlungen der WHO für die Bewertung von Humanarzneimitteln entsprechen, sind von der Bundes- regierung im EWG-Ministerrat ange- nommen worden (WHO, Techn. Re- port, Ser. No. 563, 1975).

fp

In Argentinien, Australien, Bel- gien, Benelux, Kanada, Dänemark, Equador, Finnland, Israel, Italien, Japan, Mexiko, Neuseeland, Nie- derlande, Norwegen, Schweden, Schweiz, Südafrika, USA, Venezuela wird der Wirksamkeitsnachweis ge- fordert, in Brasilien, Chile, Großbri- tannien, Frankreich, Indien, Iran, Ir- land, Pakistan, Portugal, Spanien, Türkei ist dessen Forderung vorge- sehen, und nur in Bolivien, Kolum- bien, Hongkong, Zentralamerika, Paraguay, Peru und Uruguay wird er nicht gefordert.

• Der von Fachreferenten erarbei- tete Regierungsentwurf des neuen AM-Gesetzes enthielt die uneinge- schränkte Forderung des Wirksam- keitsnachweises für alle neuen Arz- neimittel. Bei der öffentlichen Anhö- rung zu diesem Gesetz hat sich in der 51. Sitzung des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit des Deutschen Bundestages am 23.

April 1975 die überwiegende Mehr- heit der Sachverständigen aus dem Bereich der Wissenschaft für die Forderung des Wirksamkeitsnach- weises für alle neuen Arzneimittel ausgesprochen. Außerdem waren sich die wissenschaftlichen Sach- verständigen darüber einig, daß bei der Nachzulassung bereits regi- strierter Arzneimittel ein flexibler Prüfungsmaßstab angelegt werden könne.

O Gegen das Votum der Arzneimit- telexperten und obwohl die Arznei- mittelgesetze fast aller vergleichba- ren Länder der Welt die Forderung des Wirksamkeitsnachweises ent- halten oder vorsehen, wurden im Verlauf der parlamentarischen Be- ratungen fachlich unbegründete Schwachstellen bezüglich des Wirk- samkeitsnachweises in das Gesetz aufgenommen:

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Referenzen

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