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Archiv "Frauen in der klinischen Prüfung von Arzneimitteln" (05.05.1995)

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MEDIZIN

D

as Interesse an Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit von Arzneimitteln bei spezifi- schen Patientenpopulationen ist deutlich gewachsen. Bislang waren Frauen in klinischen Studien häufig unterrepräsentiert. In den frühen Sta- dien der Arzneimittelentwicklung (Phase I und Ha) waren Frauen we- gen ethischer und rechtlicher Beden- ken ganz ausgeschlossen. Die US Food and Drug Administration (FDA) und andere Zulassungsbehör- den haben ihre diesbezügliche Nut- zen-Risiko-Bewertung ausdrücklich revidiert. Diese Neuorientierung war das Thema der Herbsttagung der Ar- beitsgemeinschaft für angewandte Humanpharmakologie e. V. (in Zu- sammenarbeit mit der Sektion Klini- sche Pharmakologie der Deutschen Gesellschaft für experimentelle und klinische Pharmakologie und Toxiko- logie) am 30. September 1994 im Kli- nikum der Universität Göttingen, un- ter Leitung von Priv.-Doz. Dr. C. H.

Gleiter, Göttingen. Schwerpunktthe- men waren der Inhalt der neuen Richtlinien und die Bewertung von geschlechtsspezifischen Unterschie- den in der präklinischen Entwicklung, der Pharmakologie und Klinischen Pharmakologie sowie Fragen im Zu- sammenhang von Schwangerschaft, Schwangerschaftsabbruch und Kon- zeptionsschutz während einer klini- schen Prüfung.

Inhalt der Richtlinien

Die Richtlinien der FDA von 1977 legten fest, daß in den frühen Phasen der Arzneimittelprüfung neu- er Stoffe Frauen im gebärfähigen Al- ter oder während Schwangerschaft und Stillzeit als Studienteilnehmer ausgeschlossen wurden. Dies geschah in der Hauptsache, zum Schutz vor Schwangerschaft während der Prü- fung und der eventuell daraus er- wachsenden Abbruchproblematik.

Die Reduktion der Variabilität der er- hobenen Daten, wie zum Beispiel

KONGRESSBERICHT

durch den physiologisch schwanken- den Hormonstatus, war ein weiterer Grund. Seit 1993 fordert die FDA in ihrer „Guideline for the study of and evaluation of gender differences in the clinical evaluation of drugs" die stärkere Berücksichtigung von Frau- en als Studienpopulation bei der Arz- neimittelprüfung. Diese Änderung folgt der Erkenntnis, daß Daten über geschlechtsspezifische Unterschiede aus der späten Phase II und III zu spät vorliegen, um in die Planung von De- sign und Dosisauswahl der „pivotal studies" zum Nachweis der Wirksam- keit einzugehen. Deshalb sollen jetzt Frauen in allen Altersgruppen auch in den frühen Phasen der Arzneimittel- entwicklung eingeschlossen werden.

Die FDA fordert jedoch keine sepa- raten klinischen oder pharmakodyna- mischen Studien an Frauen. Vielmehr sollen bei der Prüfung eines Stoffes beide Geschlechter bezüglich Sicher- heit und Wirksamkeit in ausreichen- dem Maß repräsentiert werden, so daß eine Auswertung getrennt nach Geschlechtern möglich ist. Besonde- res Gewicht wird auf einige spezielle Untersuchungen gelegt: den Einfluß des Menstruationszyklus, des Me- nopausenstatus sowie von Östrogen- substitution oder oraler Kontrazepti- on auf die Kinetik und die Auswir- kung oraler Kontrazeption auf die Wirksamkeit der zu untersuchenden Substanz. Das Ziel ist, die Individu- alisierung der Therapie durch den behandelnden Arzt zu erleichtern (Mahler, Berlin).

Bewertung von

geschlechtsspezifischen Unterschieden

Eine der wichtigsten Fragen der Arzneimittelentwicklung ist die Übertragbarkeit von Daten aus Tier- versuchen auf die Situation am Men- schen. Neubert (Berlin) zeigte, daß to- xikologische Untersuchungen bezüg- lich geschlechtsspezifisch unter- schiedlicher Ergebnisse in der Regel

nicht auf den Menschen übertragbar sind. Ratten, die am häufigsten ver- wendeten Versuchstiere, zeigen bei- spielsweise ausgeprägte metabolische Unterschiede zwischen den Ge- schlechtern, im Gegensatz zu den meisten anderen Spezies, einschließ- lich des Menschen. Meist wird die Be- deutung von vorhandenen ge- schlechtsspezifischen Unterschieden überschätzt, in der Regel haben ande- re Variablen einen größeren Einfluß.

Für die Risikoabschätzung in der To- xikologie spielen deshalb geschlechts- spezifische Unterschiede eine unter- geordnete Rolle. Daher ist auch die Forderung, grundsätzlich toxikologi- sehe Untersuchungen an mindestens zwei Spezies und beiden Geschlech- tern durchzuführen, in Frage zu stel- len. Solche Untersuchungen können nur qualitative Unterschiede auf- decken. Werden Unterschiede aufge- deckt, spricht dies für die Empfind- lichkeit des Tests. Sofern ein Unter- schied entdeckt wird, kann dies auch für die Dosisfindung bei weiteren to- xikologischen Untersuchungen ge- nutzt werden. Generell muß beachtet werden, daß die gängigen toxikologi- schen Versuchsprotokolle in der Re- gel nicht dazu angelegt sind, ge- schlechtsspezifische Unterschiede zu entdecken. Für alle toxikologischen Untersuchungen gilt, daß nur ausge- prägte Wirkungen erkennbar sind.

Schwache Effekte sind nur schwierig zu erkennen und zu differenzieren.

Der Tierversuch kann also nur einen Marker für ein mögliches Problem darstellen. Für die Phasen I und II der klinischen Arzneimittelprüfung spielt demnach die präklinische Informati- on über Geschlechtsunterschiede nur in Ausnahmefällen eine Rolle.

Eckert (München) und Seibert- Grafe (Frankfurt) behandelten phy- siologische und klinisch-pharmakolo- gische geschlechtsspezifische Unter- schiede. Hier zeigte sich, daß sehr vie- le geschlechtsspezifische Unterschie- de bekannt sind. Nur wenige haben jedoch eine therapeutische Relevanz, so wie die dosisbezogen höhere Toxi- zität von Salizylaten bei Frauen. The- rapiestudien sind häufig nur auf ein Geschlecht zugeschnitten. Die Ergeb- nisse werden dann linear auf das an- dere extrapoliert, ein Vorgehen, das den therapeutischen Erfordernissen

Frauen in der klinischen Prüfung von Arzneimitteln

A-1322 (62) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 18, 5. Mai 1995

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MEDIZIN

in vielen Fällen nicht gerecht wird.

Bei der koronaren Herzkrankheit beispielsweise, wurden in die wesent- lichen Therapiestudien vorwiegend Männer eingeschlossen, da diese Er- krankung in diesem Kollektiv schon in jüngeren Jahren auftritt und von seiten der Prävention ein großes Pro- blem darstellt. Bei Frauen tritt diese Erkrankung erst nach der Menopause oder im Senium auf. Bislang werden aber die koronartherapeutischen Strategien für Frauen aus den Thera- piestudien für Männer abgeleitet.

Das Eintreten der Menopause erstreckt sich über eine sehr breite Spanne von Jahren. Deshalb sollte der Konzeptionsschutz während der klinischen Prüfung vom individuellen Status abhängig gemacht werden und nicht schematisch nur bis zu einer be- stimmten Altersgrenze durchgeführt werden (Gresser, München). Weiter muß beachtet werden, daß eventuell die Symptomatik eines Menopausen- syndroms nur schlecht gegen uner- wünschte Ereignisse der Prüfsubstanz abgegrenzt werden kann

Schwangerschaft und Konzeptionsschutz während einer Arzneimittelprüfung

Würmeling (Erlangen) referierte über rechtliche und ethische Fragen bei Eintreten einer Schwangerschaft während einer klinischen Prüfung.

Die Risiken können beim klinischen Versuch nicht durch Abtreibung kom- pensiert werden. Eine Probandin kann in keinem Fall zur Abtreibung gezwungen werden. Ein Kind aus ei- ner unerwarteten Schwangerschaft, wie durch Versagen einer lege artis durchgeführten Kontrazeption wäh- rend einer Studie, wird juristisch nicht als Schaden aufgefaßt, und es kann auch keine Unterhaltspflicht gegen- über dem Untersucher begründet werden. Entsprechend muß die Pro- bandin aufgeklärt werden.

Die medizinisch-toxikologische Risikoabwägung bei Auftreten einer Schwangerschaft während der Arz- neimittelprüfung erhält in diesem Zu- sammenhang eine große Bedeutung (Sourgens, Neuss). Während der Bla-

KONGRESSBERICHT

sten- oder Implantationszeit gilt in der Regel das „Alles- oder-Nichts- Gesetz", das heißt, es kommt zu völli- gem Ausgleich der Schädigung oder Spontanabort. In der Embryonalzeit (Tag 15 bis 60 der Schwangerschaft) können Störungen der Organogenese durch Teratogene auftreten, in der an- schließenden Fetalperiode Organent- wicklung und Wachstum gestört wer- den. Nur bestimmte Arzneimittel sind Teratogene, für diese gelten dann klare Dosis-Wirkungsbeziehungen.

Wichtig ist in diesem Fall die Pharma- kokinetik der Substanz, insbesondere auch ihre diaplazentare Passage.

Letztere ist ausgeprägt bei Substan- zen mit hoher Fettlöslichkeit, gerin- gem Ionisierungsgrad, geringer Pro- teinbindung und einem Molekularge- wicht von weniger als 600. Auch bei bekannter Teratogenität ist jedoch nicht mit einem hundertprozentigen Auftreten des Effekts zu rechnen.

Man kann generell davon ausgehen, daß das Risiko einer Mißbildung zwei- bis dreifach erhöht ist. Schäden durch Arzneimittel sind vor dem Hin- tergrund einer spontanen Mißbil- dungsrate von 2 bis 3 Prozent zu wer- ten. Insgesamt gibt es nur relativ we- nige Arzneimittel, bei denen eine te- ratogene Wirkung eindeutig gesichert ist. Basierend auf den derzeitigen Er- kenntnissen dürfte eine medizinische Indikation zum Abbruch nur in weni- gen Fällen gegeben sein.

Bei den meisten Untersuchungen in Phase I wurden vorwiegend Män- ner als Probanden eingesetzt. Kliesch (Münster) ging auf den bisher wenig beachteten Aspekt der Auswirkun- gen von Medikamenten auf die Ferti- lität des Mannes ein. Auch hier kön- nen Tierexperimente oder In-vitro- Untersuchungen nur begrenzte Infor- mationen geben. Um eindeutige Aus- sagen zu erhalten, sind nur klinische Untersuchungen zur Erfassung einer Fertilitätsminderung bei Männern ge- eignet. Bekanntestes Beispiel für eine solche Schädigung ist das Sulfasalazo- pyridin, dessen fertilitätsmindernder Effekt erst 30 Jahre nach erstem klini- schen Einsatz erkannt wurde. Um sol- che Fragestellungen zu klären, steht ein differenziertes Spektrum von Me- thoden zur Verfügung, denn die Be- einträchtigung der Fertilität durch Medikamente kann auf verschiede-

nen Ebenen (Hypothalamus, Hypo- physe oder Testes) erfolgen.

Der Konzeptionsschutz wäh- rend einer Arzneimittelprüfung muß bei Einschluß von Frauen im gebär- fähigen Alter verstärkt beachtet wer- den (Breithaupt, Heger-Mahn, Klip- ping, Mainz, Berlin, Nijmegen). Dies erfordert eine eingehende gynäkolo- gische Anamnese. Die Aufklärung muß ausführlich zum Konzeptions- schutz, zum Risiko einer eventuellen Schädigung der Frucht sowie einer In- terzeption oder Interruptio Stellung nehmen. Schwangerschaftstests sind bei der Voruntersuchung sowie vor je- der Einmalgabe oder alle zwei bis vier Wochen bei Langzeitbehandlung durchzuführen. Das Einhalten der Antikonzeption während der Prüfung ist regelmäßig abzufragen und im Prüfbogen festzuhalten. Frauen mit aktuellem Kinderwunsch sollten von der Teilnahme ausgeschlossen wer- den. Die Applikation einer Prüfsub- stanz in der ersten Phase des Zyklus würde in vielen Fällen die Möglich- keit einer Fruchtschädigung vermin- dern, ist aber in Anbetracht des ho- hen Aufwandes nicht regelmäßig durchführbar.

Die Neuorientierung der Zulas- sungsbehörden stellt erhöhte Anfor- derungen an die Entwicklung von Medikamenten. Zukünftig wird bei der Erstellung von Entwicklungsplä- nen die Einbeziehung von Frauen in einzelne Studien genau zu überprüfen sein. In vielen Fällen kann sicher von einem Geschlecht auf das andere ge- schlossen werden, wenn keine physio- logischen oder pathophysiologischen Fakten dagegensprechen. Therapeu- tisch relevante Unterschiede müssen jedoch mit Daten belegt werden. Die neuen Richtlinien werden auch die Ethikkommissionen vor neue Anfor- derungen stellen. Gleichzeitig ist zu erwarten, daß bisheriges therapeuti- sches Vorgehen neu überdacht wird und dort, wo notwendig, geschlechts- spezifisch differenziert wird.

PD Dr. med. Christoph H. Gleiter Abteilung Klinische Pharmakologie Zentrum für Toxikologie und Pharmakologie der Universität Robert-Koch-Straße 40 37075 Göttingen

Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 18, 5. Mai 1995 (63) A-1323

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