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Archiv "Tierexperimentelle Prüfung von Arzneimitteln" (30.10.1980)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT Spektrum der Woche Aufsätze •Notizen

Heft 44 vom 30. Oktober 1980

Tierexperimentelle Prüfung von Arzneimitteln

Hans Herken

Aus dem Pharmakologischen Institut der Freien Universität Berlin

_Die Bedeutung von Tierversuchen für das Wohl kranker Menschen ist überwältigend. - Auf Anregung der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (Fachausschuß der Bundesärztekammer) hat Professor Dr. med. Hans Herken, Direktor des Pharmakologischen Institutes der Freien Universität Berlin, den Sinn und die Notwendig- keit tierexperimenteller Prüfung von Arzneimitteln in dem nachste- henden ebenso kritischen wie instruktiven Aufsatz dargestellt und mit wesentlichen Ergebnissen der Forschung belegt. .,Die Arzneimittel- kommission der deutschen Ärzteschaft und ebenso die deutsche Tierärzteschaft wenden sich mit großer Entschiedenheit gegen jeden Versuch einer Diskriminierung der mit Tierversuchen beschäftigten Ärzte und Tierärzte:'

In der letzten Zeit haben sich Spre- cher von Tierschutzverbänden wie- derholt mit recht aggressiven, stark gefühlsbetonten Reden und Aufsät- zen an die Öffentlichkeit gewandt, in denen sie auf die angebliche Wertlo- sigkeit von Tierversuchen für die medizinische Forschung aufmerk- sam zu machen suchten, weil die erhaltenen Befunde für den Men- schen nach ihrer Ansicht keine Gül- tigkeit hätten und Tiere sinnlos ge- opfert würden. Mit diesen Behaup- tungen, die den wahren Sachverhalt völlig verkennen oder ignorieren, verbanden die Sprecher leider maß- lose Angriffe gegen die Arzneimittel- prüfungen, wobei sie sogar vor einer Diffamierung der auf diesem Gebiet wissenschaftlich tätigen Ärzte nicht zurückschreckten. Dabei wurde oh- ne die notwendige Kritik auch mit der Schilderung grausamer Tierver- suche argumentiert, bei denen jeder

Sachverständige sofort erkennt, daß sie in der Anlage und Ausführung als abnorm bezeichnet werden müssen und nach dem geltenden Tierschutz- gesetz strafbar sind. Die sichtbar aufgestauten Emotionen haben eine Situation herbeigeführt, die eine sachliche Diskussion außerordent- lich erschwert. Die Maßlosigkeit, mit der die Angriffe gegen die tierexperi- mentelle Prüfung von Arzneimittel- wirkungen vorgetragen wurden, be- stätigt die alte Erfahrung, daß Liebe blind machen kann und Haß das Ur- teil trübt.

Offensichtlich wollen die Vertreter der Tierschutzvereinigungen nicht zur Kenntnis nehmen, daß die enor- me Vermehrung des Wissens auf dem gesamten Gebiet der Medizin, insbesondere auch der Pharmakolo- gie, die zur Entdeckung und Ent- wicklung zahlreicher neuer Arznei-

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mittel geführt hat, der Therapie gro- ße Erfolge bescherte, die Lebenser- wartung der Menschen eindeutig er- höhte und das Schicksal vieler Pa- tienten auch bei solchen Erkran- kungen erträglich gestaltete, denen die Medizin noch zu Beginn dieses Jahrhunderts hilflos gegenüber- stand.

Diese Erfolge wären ohne die Mit- wirkung von Tierversuchen nicht möglich gewesen. Dies bestätigt er- neut ein 1979 erschienener Aufsatz von W. D. M. Paton, Oxford, „Animal experiment and medical research: a study in evolution" in sehr überzeu- gender Weise.

Nur bei völliger Mißachtung wissen- schaftlich gesicherter Erkenntnisse konnten die folgenden Absätze einer

„Grundsatzerklärung" der Vereini- gung „Ärzte gegen Tierversuche"

zustande kommen. Sie lauten wört- lich: „Tierversuche sind kein geeig- neter Weg, die Krankheiten des Menschen zu erkennen, zu erfor- schen und zu heilen. Ergebnisse der Tierversuche haben für den Men- schen keine Gültigkeit. Zwischen Mensch und Tier bestehen derart gravierende organische und psychi- sche Unterschiede, daß Erkenntnis- se aus Tierversuchen im Hinblick auf den Menschen, zumal den Kranken, nicht nur wertlos, sondern oft sogar irreführend und gefährlich sind (Arz- neimittelschäden, Therapiefehler usw.)." — „Tierversuche werden kei- neswegs zum Wohle des Menschen gemacht, sie haben nur eine Alibi- funktion. Denn bis heute fehlt jeder wissenschaftliche statistische Be- weis für die Übertragbarkeit der Er- gebnisse auf den Menschen."

Selbst wenn sich hier mit großer Wahrscheinlichkeit nur eine kleine Minderheit so äußert, ist es unver- ständlich, daß sogar Ärzte, die es besser wissen sollten, sich nicht scheuen, solche Sätze zu Papier zu bringen. Ein Studium der umfangrei- chen Literatur auf diesem Gebiet hätte sie von der Haltlosigkeit dieser Behauptungen überzeugen können.

Sollte allerdings nur die Absicht be- standen haben, gutgläubige Laien,

denen die in wissenschaftlichen Zeitschriften publizierten Befunde schwer zugänglich sind, möglichst zahlreich auf ihre Seite zu ziehen, so ist dieses Verhalten sicher nicht vor- bildlich.

Nobelpreise für die Entdeckung der Wirkung oder für

die Analyse des MAbaus wichtiger Arzneimittel

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstver- schuldeten Unmündigkeit. Das klingt wie eine Erkenntnis moderner Soziologie, stammt aber von Imma- nuel Kant. Sie setzt voraus, daß Auf- nahmebereitschaft besteht. Zur Auf- klärung gehört in diesem Falle zu- erst die Feststellung, daß für die Ent- deckung der Wirkung oder für die Analyse des Aufbaues therapeutisch wichtiger Arzneimittel 21 Nobelprei- se durch das unabhängige wissen- schaftliche Komitee in Stockholm verliehen wurden, 14 davon für Phy- siologie und Medizin — die Pharma- kologie gehört dazu — und sieben für Chemie. Damit fanden entscheiden- de Stadien der Entwicklung neuer Arzneimittel weltweite Anerken- nung, wie die folgende Auswahl aus diesen Entscheidungen des Komi- tees beweist.

Den ersten Nobelpreis erhielt Emil Adolf von Behring im Jahre 1901 für die Entdeckung des Serums gegen die Diphtherie. Es folgten im Jahre 1908 Ehrlich und Metchnikov mit ih- ren grundlegenden Untersuchungen über immunologische Vorgänge, 1923 erhielten ihn Banting und Mac- Leod für die Entdeckung des Insu- lins. 1928 der berühmte Göttinger Chemiker Windaus für seine Ver- dienste bei der Erforschung des Auf- baus der Steroide und ihres Zusam- menhanges mit lebenswichtigen Vit- aminen, wobei die photochemische Umwandlung des Ergosterins in das Vitamin D wegen seiner Bedeutung für die Therapie der Rachitis hier besonders interessiert. 1934 wurden Whipple, Minot und Murphy für die Erkennung der Wirksamkeit der Le- bertherapie bei der Behandlung der perniziösen Anämie ausgezeichnet,

die später zur Isolierung des Vitamin B 12 geführt hat. 1939 erhielt ihn Do- magk für die Auffindung der anti- bakteriellen Wirkung der Sulfonami- de. Im gleichen Jahr wurde der Preis an Butenandt für die Aufklärung der Struktur der Sexualhormone verge- ben. 1945 wurden Flemming, Chain und Florey für die Entdeckung des Penicillins geehrt. 1950 erhielten Hench, Kendall und Reichstein den Preis für ihre Arbeiten auf dem Ge- biet der Nebennierenrindenhormo- ne. 1952 fiel er an Waksman für die Entdeckung des Streptomycins, das als erstes Antibiotikum eine wirksa- me Bekämpfung der Tuberkulose er- möglichte. 1958 erhielt ihn Sanger für seine Arbeiten über die Struktur der Eiweißkörper, insbesondere für die Klärung der Zusammensetzung von Insulin.

Erwähnt werden müssen auch noch die Nobelpreise für Medizin und Physiologie, die 1936 an Sir Henry Dale und Otto Loewi für die Entdek- kung des Acetylcholins als Transmit- terstoff der Nervenerregung, und 1970 an Katz, v. Euler und Axel- rod für die Mechanismen der Spei- cherung, Freisetzung und Inaktivie- rung von Noradrenalin verliehen wurden.

Diese zuletzt genannten Untersu- chungen haben zur Klärung des Wir- kungsmechanismus einer großen Reihe von Arzneimitteln beigetragen und der Arzneimittelforschung weit- reichende neue Impulse verliehen.

Wissenschaftliche Sorgfalt und Ver- antwortungsbewußtsein hätten vor allem die Ärzte in den Tierschutzver- bänden veranlassen sollen, sich dar- über zu informieren, welch enorme Bedeutung sinnvoll durchgeführte Tierversuche für das Zustandekom- men dieser weltweit anerkannten Entdeckungen hatten.

Von einer Alibifunktion kann keine Rede sein

Wenn sie sich nicht durch anschei- nend unüberwindbare Vorurteile ge- genüber jeder vernünftigen Einsicht verschlossen hätten, so wären die

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Tierversuche

von der Vereinigung „Ärzte gegen Tierversuche" in der „Grundsatz- erklärung" gemachten Aussagen hoffentlich unterblieben.

Die Bedeutung von Tierversuchen

für das Wohl kranker Menschen ist überwältigend

Warum verschweigen die Vertreter der Tierschutzverbände der Öffent- lichkeit, daß die meisten der lebens- wichtigen Medikamente im Tierver- such entdeckt wurden und sich the- rapeutisch am Menschen bewährt haben? Was berechtigt sie zu der Behauptung, daß Ergebnisse von Tierversuchen für den Menschen keine Gültigkeit haben? Als Ärzte sollten sie wissen, daß diese gene- relle Formulierung falsch ist. Ihre Bemerkung, daß Tierversuche kei- neswegs zum Wohle des Menschen gemacht werden, sondern nur eine Alibifunktion haben, ist eine durch nichts gerechtfertigte Unter- stellung und Irreführung der Öffent- lichkeit.

Sind ihnen wirklich nicht die von Ehrlich aufgestellten und im Prinzip noch heute gültigen Grundlagen zur Feststellung der therapeutischen Breite eines Arzneimittels bzw. des therapeutischen Index bekannt, der sich nach seiner Definition aus dem Verhältnis der Dosis curativa zur Do- sis tolerata ergab? Wissen sie nicht, daß Ehrlichs besonderes Verdienst auch darin bestand, daß er durch Standardisierung der Tierversuche eine Prüfung von neu hergestellten Verbindungen auf ihre chemothera- peutische Wirksamkeit möglich machte?

Die Entdeckung der Trypanosomen als Erreger menschlicher und tieri- scher Erkrankungen und ihre Über- tragbarkeit auf weiße Mäuse und an- dere Versuchstiere führte zur Ent- wicklung der ersten chemothera- peutisch wirksamen Pharmaka. Das später synthetisierte Salvarsan er- möglichte eine erfolgreiche Behand- lung der bis zu diesem Zeitpunkt un- heilbaren Syphilis und erwies sich auch bei der Bekämpfung anderer

durch Treponemen oder Protozoen erzeugter Erkrankungen als beson- ders wirksam.

Die Mittel gegen eine der am weite- sten verbreiteten Infektionskrank- heiten, der Malaria, wurden im Tier- versuch erkannt und haben vielen Millionen erkrankter Menschen das Leben gerettet, abgesehen davon, daß manche dieser Verbindungen die in den Tropen lebende Bevölke- rung durch ihre prophylaktische Wirkung vor solcher Erkrankung be- wahrten.

Domagk hat die chemotherapeuti- sche Wirksamkeit der Sulfonamide gegenüber bakteriellen Infektionen in einfachen Tierversuchen an Mäu- sen ermittelt. Das hätte den Vertre- tern der Tierschutzverbände hinrei- chend bekannt sein müssen. Die ärztliche Anwendung dieser Phar- maka heilte zahlreiche bakterielle In- fektionen des Menschen, gegen die es bis zum Jahre 1935 keine brauch- bare Therapie gab, vor allem auch die zu dieser Zeit recht verbreitete und gefährliche lobäre Pneumokok- ken-Pneumonie. Anderson veröf- fentlichte 1977 eine sehr eindrucks- volle epidemiologische Graphik der Todesfälle an lobärer Pneumonie, die über einen Zeitraum von mehre- ren Jahrzehnten registriert wurden.

Dabei war der Rückgang der Todes- fälle nach Einführung der Sulfon- amide ein eindeutiger Beweis für den Erfolg dieser Therapie. Noch eindrucksvoller waren später die Wirkungen des Penicillins bei den verschiedensten bakteriellen Infek- tionen.

Kein erfahrener Arzt wird heute noch behaupten, daß die im Tierver- such aufgefundenen, hochwirksa- men Chemotherapeutika Isonicotin- säurehydrazid, p-Aminosalicylsäure und das Antibiotikum Rifampicin für die Behandlung menschlicher Er- krankungen bedeutungslos sind.

Zahlreiche Fälle mit schwerer Tuber- kulose wurden geheilt, die sonst tödlich verlaufen wären. Sir William D. M. Paton informiert in der schon zitierten Stephen Paget Memorial Lecture in sehr anschaulichen Gra-

phiken über die Erfolge der Arznei- mitteltherapie auf weiteren Gebie- ten. Sie betreffen unter anderem .den enormen Rückgang der Diphtherie- Erkrankungen und der Kinderläh- mung nach Einführung der auch von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Immunisierungspro- gramme.

Eine Tabelle in der gleichen Arbeit enthält Angaben über zahlreiche

Medikamente, die erfolgreich bei Er- krankungen von Tieren angewandt wurden und damit auch ihrem Woh- le dienten.

Keine therapeutischen Fortschritte ohne einen maßvollen Einsatz von Tierversuchen

Fast alle modernen Arzneimittel wurden zuerst im Tierversuch als wirksam erkannt und durch genaue Analyse ihres pharmakologischen Wertes und der Bestimmung ihrer therapeutischen Breite für die klini- sche Anwendung vorbereitet. Oft ha- ben sie ältere Verbindungen mit hö- herer Toxizität und geringerer Wirk- samkeit abgelöst und dadurch die Arzneitherapie entscheidend ver- bessert. Aus der großen Zahl der neu entwickelten Pharmaka können hier nur einige als Beispiele angeführt werden.

Neue Diuretika vom Typ des Hy- drochlorothiazids und seiner Ab- kömmlinge haben die früher häufig gebrauchten quecksilberhaltigen Diuretika vollständig verdrängt, weil die Nebenwirkungen der neuen Prä- parate selbst bei Langzeitbehand- lung von Patienten auffallend gering waren, so daß sie auch zur Basisthe- rapie von Bluthochdruck-Erkran- kungen herangezogen wurden. Die Beteiligung des Nebennierenrinden- hormons Aldosteron an der Entste- hung generalisierter Ödeme hat zu der Entwicklung wirksamer spezifi- scher Aldosteron-Antagonisten ge- führt, die nicht nur eine vermehrte Ausscheidung von Kochsalz und Wasser verursachten, sondern auch die bei langanhaltender Anwendung der Diuretika unerwünschten Ka- liumverluste verhinderten.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 2620 Heft 44 vom 30. Oktober 1980

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Zahlreiche neue Antibiotika ver- schiedener Struktur und therapeuti- scher Wirkungsbreite wurden ent- deckt, unter denen sich oral wirk- same Abkömmlinge des Penicil- lins, Cephalosporine verschiedener Struktur, verschiedene hochwirksa- me Tetracycline, Aminoglykosid-hal- tige Verbindungen mit geringerer Toxizität und breiterem Wirkungs- spektrum als sie das Streptomycin besaß, befanden. Auch Makrolide aus der Erythromycin-Gruppe sind dazugekommen. Diese Entwicklung neuer Verbindungen hat sich bis in die jüngste Zeit fortgesetzt. Sie er- möglichte vor allem, erfolgreich auch gegen solche bakterielle In- fektionen vorzugehen, deren Erre- ger sich als resistent gegenüber den älteren Chemotherapeutika erwie- sen.

Die Entwicklung besser kontrollier- barer Muskelrelaxantien vom Typ des d-Tubocurarins und des Succi- nylbischolins sowie die Einführung neuer, gut steuerbarer Inhalations- narkotika haben zu einer entschei- denden Verbesserung der Narkose beigetragen, so daß heute auch län- ger dauernde chirurgische Eingriffe noch im hohen Lebensalter möglich sind.

Eindeutige Fortschritte sind auf dem Gebiet der Herz-Kreislauf-Störungen erreicht worden. Dies gilt besonders auch für die Behandlung des hyper- kinetischen Herzsyndroms und von Herzrhythmusstörungen, die durch die Entwicklung der verschiedenen Pharmaka mit einer ß-adrenerge Re- zeptoren blockierenden Wirkung wesentlich verbessert wurde.

Besonders intensive Arbeit wurde für die Suche nach neuen, hoch- wirksamen Analgetika aufgewandt.

Dabei bestand vor allem die Absicht, Verbindungen zu finden, die im Ge- gensatz zu den bekannten Opiaten keine oder wesentlich geringere suchterzeugende Wirkungen besa- ßen. Auch wenn sich diese Hoffnun- gen bisher nicht vollständig erfüllt haben, so haben doch die im Tier- versuch gewonnenen pharmakolo- gischen Kenntnisse über die Wir- kung von Morphin, von Levorphanol

und deren Antagonisten dazu ge- führt, daß neue Verbindungen synthetisiert werden konnten, de- ren suchterzeugendes Potential we- sentlich geringer ist als das der Opiate.

Forschungen der letzten Jahre, die sich mit dem Wirkungsmechanis- mus von Opiaten beschäftigten, ha- ben zum Nachweis analgetisch wirk- samer Neuropeptide im Gehirn von Tieren geführt, die aus einem hoch- molekularen ß-Lipotropin abgespal- ten werden. Sie reagieren mit den gleichen Rezeptoren der Gehirnzel- len wie die Opiate. Ihre Wirkung kann durch Morphin-Antagonisten aufgehoben werden.

Wenn man unterstellt, daß auch an- dere pharmakologische Wirkungen in ähnlicher Weise über körpereige- ne Stoffe ihre Wirkung entfalten, so ergeben sich hier ganz neue Wege für die Pharmakologie in der Zu- kunft.

Die Untersuchung des Wirkungsme- chanismus älterer analgetisch, anti- pyretisch und antiphlogistisch wirk- samer Verbindungen hat der For- schung auf diesem Gebiet neue We- ge erschlossen. Anlaß dazu gab die Hemmung der Prostaglandinsynthe- se durch Acetylsalicylsäure, die Ent- deckung der Prostacycline, die für die Behandlung von atheromatösen Veränderungen in den Gefäßen Be- deutung bekommen können, aber auch die Entwicklung neuer entzün- dungshemmender Verbindungen vom Typ des Indomethacins. Zur Be- kämpfung von Störungen des Kohle- hydratstoffwechsels hat die Auffin- dung der oral wirksamen Antidiabe- tika für Patienten mit einem Alters- diabetes außerordentliche Erleichte- rungen gebracht.

Die systematische Erforschung des Wirkungsmechanismus der Zytosta- tika, insbesondere der alkylierenden Verbindungen, hat zu beachtlichen Erfolgen in der Behandlung der malignen akuten Leukämien der Kinder geführt, wobei eine kombi- nierte Anwendung sehr verschiede- ner Mittel aus diesen Gruppen not- wendig war. Da diese Therapie mit

so extrem wirksamen Mitteln nicht ungefährlich ist, bedarf sie einer sorgfältigen Abwägung des Risikos.

In gleichem Maße gilt dies auch für die chemotherapeutische Behand- lung maligner epithelialer Tumoren, die nach wie vor die größten Schwie- rigkeiten bereitet, zumal erhebliche Unterschiede in der Empfindlichkeit der verschiedenen Tumoren gegen- über einer zystostatischen Therapie bestehen und lebenswichtige Zell- teilungsvorgänge in anderen Orga- nen, z. B. dem Knochenmark oder im Magen-Darm-Trakt, in gleicher Weise beeinträchtigt werden, wie das Wachstum der bösartigen Zel- len. Es kommt noch hinzu, daß die meisten dieser Zystostatika immu- nosuppressive Wirkungen besitzen, die wegen der allgemeinen Herab- setzung der Resistenz des Organis- mus natürlich unerwünscht sind. Er- folgreiche Ansätze zur Bewältigung dieser schwierigsten Aufgabe, vor der die Medizin auch heute noch steht, sind nach Anwendung von Verbindungen mit der Grundstruk- tur des Cyclophosphoamids zu er- kennen, doch liegt sicher noch eine enorme Arbeit vor uns, bei der keine Fortschritte ohne einen maßvollen Einsatz von Tierversuchen zu erzie- len sind.

Bei gutem Willen hätten sich die Mit- glieder der Tierschutzverbände leicht sachkundig machen können.

Vielleicht hätte dies dazu geführt, daß sie die Bedeutung des Tierver- suchs für die erfolgreiche arzneithe- rapeutische Bekämpfung menschli- cher und tierischer Erkrankungen nicht in so heftiger Form angegriffen hätten. Es ist schwer zu verstehen, warum die Mitglieder der Tier- schutzverbände nicht zur Kenntnis nehmen wollen, was im internatio- nalen Bereich längst anerkannt ist und von dem englischen Pharmako- logen Sir William Paton mit den Worten bestätigt wurde: „Here is another simple test of the import- ance of animal work: open the Brit- ish Pharmacopoeia at any point, and at the entry so found, ask„Could this have been developed without animal experiment?' Whenever I have tried it, the answer has always been ,No`."

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Tierversuche

Die wissenschaftlich tätigen Ärzte, die sich mit Arzneimittelprüfungen beschäftigen, haben nie verschwie- gen, daß der Aussagekraft des Tier- versuches bestimmte Grenzen ge- setzt sind. Wie überall im Bereich des Biologischen können wir bei dem derzeitigen Stand unserer Kenntnisse nicht erwarten, daß die Methoden zum Nachweis der thera- peutischen Wirksamkeit und Unbe- denklichkeit vollkommen sind. Es gibt Fälle, in denen sich Tier und Mensch dem Arzneimittel gegen- über verschieden verhalten, weil die Unterschiede in der Empfindlichkeit sehr groß sind oder die Symptome der Erkrankung bei der entspre- chenden Tierspezies nicht vorkom- men bzw. äquivalente Syndrome nicht zu erhalten sind. Die Beurtei- lung der Ergebnisse des Tierver- suchs und ihre Bedeutung für den Menschen erfordern große Erfah- rung.

Richtig angelegt, gibt der Tierver- such vor allem darüber Auskunft, ob eine Untersuchung am Menschen gewagt werden darf und das neue Arzneimittel den Patienten zu einem therapeutischen Vorteil verhelfen kann.

Die Mißachtung der Ergebnisse des Tierversuchs oder die generelle An- zweifelung des Wertes solcher Un- tersuchungen hat in einigen Fällen zu überaus gefährlichen Folgen ge- führt, die den Hersteller der Arznei- mittel mit dem Strafgesetz in Kon- flikt brachten.

Unverantwortlich würde derjenige handeln, der ein neues Pharmakon, gleich welcher Art, am Menschen anwendet, bevor nicht das gesamte Wirkungsprofil, die Pharmakokine- tik und die Toxizität im Tierversuch geprüft worden wären. Oft führten die Untersuchungen am Tier auch zu der Erkenntnis, daß sich die An- wendung der neuen Substanz am Menschen vollständig verbietet, weil sie mit einem zu hohen Risiko behaf- tet ist.

Es ist unverständlich, warum die Sprecher der Tierschutzvereinigun- gen auch den Einstellungsbeschluß

der Großen Strafkammer des Ge- richtes in Alsdorf zum Contergan- Prozeß ignorieren, der auf die Not- wendigkeit der Durchführung von Tierversuchen zwingend hinweist.

Der in dem Prozeß damals tätige Vertreter der Anklage, Oberstaatsan- walt Dr. Günter, hat darüber noch einmal in seinem Vortrag auf der 23.

Tagung der Deutschen Richteraka- demie berichtet und diese Forde- rung in folgenden Worten zusam- mengefaßt: „Die Möglichkeiten der Abklärung, die der Tierversuch in concreto zu liefern imstande ist, müssen ausgeschöpft werden. Das Wissen, das im Tierversuch für den Fachmann erreichbar ist, muß be- schafft sein, bevor eine neue chemi- sche Substanz dem Menschen ver- abfolgt wird. Es geht bei pharmako- logischen Prüfungen darum, mög- licherweise sehr vielfältige Schädi- gungen des Patienten, dem der neue Wirkstoff appliziert werden soll, zu erkennen." Und weiter heißt es: „Im Tierversuch sind die nach dem je- weiligen Stand der pharmakologi- schen Wissenschaft möglichen Un- tersuchungen, die einen Aufschluß erwarten lassen, durchzuführen und ihre Ergebnisse genau auszuwerten, um eine größtmögliche Kenntnis über Haupt- und Nebenwirkungen des neuen Stoffes zu erhalten."

Bei dieser Rechtslage ist es erstaun- lich, daß ein Vertreter eines Tier- schutzverbandes den Vorschlag machte, neue Arzneimittel nicht im Tierversuch, sondern direkt am Menschen auszutesten, wobei er die hier wissenschaftlich tätigen Ärzte, insbesondere die Pharmako- logen, als „Versuchstiere" empfahl.

Auch ein erfahrener Pharmakologe kann das Risiko einer neuen Sub- stanz nicht abschätzen, wenn keine Ergebnisse vorher durchgeführter Tierversuche vorliegen. Tierfreunde scheinen demnach nicht zwangs- läufig auch Menschenfreunde zu sein.

Solche Forderungen leisten auch den Tierfreunden, unter denen sich viele Ärzte befinden, einen schlech- ten Dienst. Erschreckend ist bei dieser Empfehlung, daß sie wahr-

scheinlich völlig gedankenlos oh- ne Berücksichtigung der strafba- ren Konsequenzen vorgetragen wurde.

Solche Vorschläge sind schon des- wegen unsinnig, weil die in den Prüfrichtlinien für Arzneimittel vorgesehenen umfangreichen Vor- schriften nicht erfüllt werden kön- nen. Auch wenn sich Wissenschaft- ler häufig freiwillig als Versuchsper- son für die Erprobung neuer Arznei- mittel zur Verfügung gestellt haben, so dürften die Grenzen dieses Prüf- verfahrens selbst für einen Laien er- kennbar sein. Die Entnahme von Ge- webeproben aus den verschiedenen Organen zur histologischen Unter- suchung, wie sie vor allem bei der Feststellung der chronischen Toxizi- tät eines neuen Arzneimittels gefor- dert wird, würde den Tatbestand der Körperverletzung erfüllen, was den Tierschützern wohl nicht bewußt war. Übrigens hat schon Paul Ehr- lich darauf aufmerksam gemacht, daß es nicht möglich ist, beim Men- schen die „Dosis maxima tolerata"

zu bestimmen.

Die Urheber der absurden Idee ha- ben offenbar nicht beachtet, daß die Große Strafkammer des Gerichtes in Alsdorf betont hat, daß körperliche

Integrität und das Leben des Men- schen die höchsten Rechtsgüter sind, die vom Gesetzgeber ge- schützt werden müssen. Daraus er- gibt sich, daß auch die Tierschützer, falls ihnen Mitleid mit den Menschen nicht völlig fremd ist, diese besonde- re Art von „Selbstverstümmelung"

verhindern müßten.

Notwendig: Beurteilung der Arzneimittelsicherheit

vor der Anwendung am Menschen Jeder vernünftige Mensch ist sicher geneigt, die Erfinder solcher Vor- schläge nicht allzu ernst zu nehmen, zumal sie nicht beachtet haben, daß eine wesentliche Aufgabe bei der Arzneimittelprüfung am Tier darin besteht, die gesamte Pharmakokine- tik und Pharmakodynamik, wenn möglich, bis in den molekularen Be- reich aufzuklären.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 2624 Heft 44 vom 30. Oktober 1980

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Solche Kenntnisse sind natürlich auch für die Beurteilung der Arznei- mittelsicherheit vor der Anwendung am Menschen dringend notwendig, da intermediär Metaboliten auftre- ten können, die möglicherweise ge- fährlicher sind als die Ausgangssub- stanz. Der sinnvoll und kritisch durchgeführte Tierversuch hat, wie die Ergebnisse der Vergangenheit beweisen, in vielen Fällen völlig neue Richtungen der Arzneitherapie erschlossen.

Der Paragraph 9 des Tierschutzge- setzes vom 24. Juli 1972 fordert im Absatz 1: „Die Versuche sind auf das unerläßliche Maß zu beschränken."

Es ist aber schon wiederholt die Fra- ge aufgeworfen worden, ob diese Vorschrift von den staatlichen Insti- tutionen, die für die Zulassung von Arzneimitteln verantwortlich sind, in gebührendem Maße beachtet wird.

Die in einer Entschließung des Deut- schen Tierärztetages 1980 geforder- te internationale Angleichung ent- sprechender Vorschriften und ge- genseitige Anerkennung der Ergeb- nisse von Tierversuchen im Rahmen der Prüfung von Arzneimitteln, von Zusatz- und von Fremdstoffen sollte im Interesse des Tierschutzes so schnell wie eben möglich verwirk- licht werden.

Klage ist auch darüber geführt wor- den, daß die Forderungen überzo- gen und manche Versuche nicht un- bedingt notwendig sind. Als Beispiel wurde angeführt, ob die Versuche an Hunden über die Dauer von fünf, zehn und mehr Jahren mit verschie- denen Dosen der Arzneimittel zur Ermittlung der Kanzerogenität einer neuen Substanz notwendig und sinnvoll sind. Unter Berücksichti- gung der verschieden hohen Le- benserwartung von Mensch und Hund sind Zweifel aufgetreten, ob eine so lange Behandlung bei einem kranken Menschen überhaupt mög- lich ist. Abgesehen davon sind bei chronischen Versuchen dieser Art auch Ergebnisse gewonnen worden, die wegen der Unterschiede im Stoffwechsel von Mensch und Tier nicht auf den Menschen übertragen werden konnten.

Hoffentlich werden diese Angaben, die lediglich dazu auffordern sollen, den Umfang von Tierversuchen auf das dringend notwendige Maß ein- zuschränken, die Vertreter der Tier- schutzverbände nicht dazu verlei- ten, die Bedeutung des Tierversuchs völlig in Frage zu stellen. Dies wäre ein schlechter Stil.

Folgendes Beispiel sollte eine ernste Warnung sein. Bei der Erforschung kanzerogener Wirkungen haben Ivankovic und Druckrey 1968 einen aufsehenerregenden und besonders schwerwiegenden Befund erhoben.

Sie stellten fest, daß eine transpla- zentare Erzeugung maligner Tu- moren des Nervensystems durch einmalige Gabe einer kanzerogenen Verbindung möglich ist. Sie fanden nach Injektion von Äthylnitrosoharn- stoff in trächtige Ratten am 15. Tag der Schwangerschaft bei 63 Prozent der Nachkommen bösartige Tu- moren im Gehirn, den Gehirnnerven, im Rückenmark und peripheren Ner- vensystem. Die Tumoren traten post- natal nach einer Latenzzeit von 150 bis 250 Tagen auf. Da Äthylnitroso- harnstoff im Organismus der Tiere in wenigen Stunden zerstört wird, se- hen die Autoren die Primärwirkung in einer irreversiblen Änderung des genetischen Materials. Äthylnitroso- harnstoff wirkt auch teratogen, doch sind die dazu notwendigen Dosen etwa 14mal höher als die zur trans- plazentaren Erzeugung kanzeroge- ner Effekte.

Diese Versuchsergebnisse wurden von vielen zunächst als aufsehener- regende, aber doch wohl nur auf den Tierversuch beschränkte Son- derfälle kanzerogener Wirkungen angesehen. Inzwischen liegen je- doch Befunde vor, die das Prinzip der von Druckrey und Mitarbeitern nachgewiesenen Karzinogenese nach transplazentarer Einwirkung chemischer Substanzen auch für den menschlichen Embryo bestäti- gen.

Vor einiger Zeit wurde nämlich in den Vereinigten Staaten ein gehäuf- tes Auftreten von Klarzell-Karzino- men der Vagina und der Cervix uteri

bei jugendlichen Patientinnen im Al- ter zwischen acht und 25 Jahren be- obachtet. 91 Fälle wurden regi- striert, das Durchschnittsalter der Frauen betrug 17 Jahre. Da solche Karzinome bei jungen Menschen äu- ßerst selten vorkommen, wurde nach der Mitwirkung eines exoge- nen Faktors gefahndet. Die Auswer- tung der Krankengeschichten der Mütter von 65 dieser karzinomkran- ken Patientinnen ergab, daß 49 Di- äthylstilböstrol oder chemisch ver- wandte Mittel (Dienöstrol, Hexöstrol oder Kombinationen) erhalten hat- ten. Diese Behandlung wurde in den USA zur Verhinderung drohender Fehlgeburten empfohlen.

Die signifikante Häufung der Fälle nach dieser höchst bedenklichen Therapie spricht dafür, daß die Ga- be von Stilböstrol während der Schwangerschaft als Ursache dieser Karzinogenese angesehen werden kann. Da die Latenzzeit bis zum Auf- treten der bösartigen Tumoren viele Jahre betrug, ist mit großer Sicher- heit anzunehmen, daß zu diesem Zeitpunkt das auslösende Agens aus dem Organismus der Betroffenen längst ausgeschieden war.

Die Nachhaltigkeit der Wirkungen und die Ausprägung der Schädigun- gen nach einem so langen Zeitraum, die für kanzerogene Stoffe charakte- ristisch ist, kann auch hier nur durch einen Eingriff in Funktionen der Erbsubstanz befriedigend erklärt werden.

Grundsatz

der Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck

Im Verlauf der Diskussion über die tierexperimentelle Prüfung von Arz- neimittelwirkungen ist auch die Fra- ge nach der ethisch vertretbaren Zu- lässigkeit gestellt worden. In einem Vortrag „Ethische Aspekte der Arz- neimittelprüfung" hat sich F. Böck- le, Professor der Moraltheologie an der Universität Bonn, dazu mit fol- genden Worten geäußert: „Eine na- turwissenschaftlich orientierte Me- dizin kann auf das Experiment nicht verzichten. Solange der Mensch für

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Tierversuche

sein Experimentieren nur leblose oder pflanzliche Stoffe gebraucht, ergibt sich vom "Material" her kein sittliches Problem. Auch das Tierex- periment ist als solches grundsätz- lich ethisch unbedenklich." "Das Tier ist natürlich keine bloße Ware.

Gerade der naturwissenschaftlich gebildete Experimentator weiß, daß er es beim Tier mit einem differen- zierten Sinnenwesen zu tun hat. Er hat dies sowohl bei der Wahl der Tierart für ein bestimmtes Experi- ment als auch bei der Durchführung (Verhütung jeder vermeidbaren Qual) zu berücksichtigen und stets den Grundsatz der Verhältnismäßig- keit von Mittel und Zweck zu be- achten."

Auf die Praxis übertragen muß dies so ausgelegt werden, daß höher or- ganisierte Tiere, wie Katzen, Hunde und Affen, soweit wie irgend mög- lich geschont werden sollen. Das entspricht durchaus dem Absatz 2 im § 9 des Tierschutzgesetzes. Die Tierfreunde unter den Ärzten haben diese Maxime stets sehr ernst ge- nommen.

Humanmediziner und Tierärzte stim- men darin überein, daß die deutsche Tierschutzgesetzgebung als vorbild- lich angesehen werden kann, auch wenn Vertreter der Tierschutzver- bände anderer Ansicht sind. Das Ge- setz fordert ein hohes Maß an Quali- fikation der Personen, die zur Durchführung von Tierversuchen berechtigt sind.

Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und ebenso die deutsche Tierärzteschaft (Ent- schließung des Deutschen Tierärzte- tages 1980) wenden sich mit großer Entschiedenheit gegen jeden Ver- such der Diskriminierung der mit Tierversuchen beschäftigten Ärzte und Tierärzte.

~ Tierversuche sind für die medizi- nische Forschung unentbehrlich. Es gibt zur Zeit keine alternativen Me- thoden mit analogem Aussagewert. Die Behauptungen, daß die in den Tierversuchen erzielten Ergebnisse für die Beurteilung der Wirkungen

von Pharmaka am Menschen wert- los sind, sind nachweislich falsch.

Ein Verbot von Tierversuchen würde die Entwicklung neuer Arzneimittel unmöglich machen und Patienten mit bisher unheilbaren Krankheiten jede Hoffnung auf eine Erleichte- rung ihres Schicksals durch die Ent- deckung neuer wirksamer Pharma- ka nehmen.

Kritische Bewertung der in den Prüfrichtlinien für Arzneimittel geforderten Tierversuche

Für den Staat erwächst daraus die Verpflichtung, die Arzneimittelfor- schung und die Entwicklung neuer Methoden zur Arzneimittelprüfung mit allem Nachdruck zu fördern.

Dem Bundesministerium für Ju- gend, Familie und Gesundheit wird empfohlen, eine Gruppe von Ärzten mit langjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der Arzneimittelprüfung zu- sammenzurufen, die eine kritische Bewertung der in den Prüfrichtlinien für Arzneimittel geforderten Tierver- suche vornehmen. Diese Anpassung der Vorschriften an den jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Er- kenntnisse war auch bei der Aufstel- lung der Richtlinien über die Prü- fung von Arzneimitteln vorgesehen worden, die am 25. 6. 1971 im Bun- desanzeiger Nr. 113 veröffentlicht wurden.

Auch nach lnkrafttreten des neuen Arzneimittelgesetzes am 1. Januar 1978 haben sie ihre Gültigkeit behal- ten, weil die nach § 26 geforderte Aufstellung neuer Arzneimittelprüf- richtlinien bisher nicht zustande kam.

Forschungen, die sich mit der Ent- wicklung von äquivalenten Alterna- tivmethoden beschäftigen, die den Tierversuch in bestimmten Fällen er- setzen können und dadurch die Ver- wendung von Versuchstieren ein- schränken, sollten mehr als bisher durch Bereitstellung von Personal- und Sachmitteln unterstützt werden.

Dies entspricht auch im Prinzip ei- nem Vorschlag, der von der deut-

2628 Heft 44 vom 30. Oktober 1980

DEUI'SCHES ARZTEBLATT

sehen Tierärzteschaft auf dem Tier- ärztetag 1980 gemacht wurde.

Im Pharmakologischen Institut der Freien Universität werden seit länge- rer Zeit Prüfungen von Arzneimittel- wirkungen an klonalen Nervenzelli- nien in der Kultur vorgenommen mit dem Ziel, Alternativen zum Tierver- such zu finden, die zu einer Ein- schränkung der Verwendung von Versuchstieren im Bereich der neu- ropharmakologischen Grundlagen- forschung führen.

Literaturhinwelse

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Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. med. Hans Herken Pharmakologisches Institut der Freien Universität Berlin Thielallee 69-73, 1000 Berlin 33

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