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Archiv "1947/1997 – Bundesärztekammer im Wandel (XIV): Alterssicherung in eigener Verantwortung: Ärztliche Versorgungswerke" (10.10.1997)

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D

ie Idee der gemeinschaftlichen Absicherung gegen die Risi- ken Invalidität, Alter und die Sorge für die Hinterbliebenen, wie sie im ärztlichen Berufsstand durch die ärztlichen Versorgungswer- ke verkörpert werden, entstand nicht erst in der für Ärzte schwieriger ge- wordenen Zeit dieses Jahrhunderts, sondern sie geht auf eine jahrtausen- dealte ärztliche Tradition zurück.

Schon im hippokratischen Eid findet sich die Formulierung: „Mein Lehrer soll teil haben an meinem Hab und Gut und im Falle der Not werde ich ihm geben, dessen er bedarf.“ (1) An- fang des 19. Jahrhunderts hat sich das Gefühl für kooperative Verantwor- tung füreinander und die Absicht, not- leidenden Berufsstandsangehörigen und insbesondere den Hinterbliebe-

nen Hilfe zu gewährleisten, schon sehr stark gefestigt. Als älteste Einrichtung kooperativer Selbsthilfe unter Ärzten wird in der Literatur allgemein die so- genannte „Stralsunder Witwenkasse für Ärzte und Apotheker in Neu-Vor- pommern und Rügen“ aus dem Jahre 1828 bezeichnet. Aber auch in ande- ren Städten gab es Hinterbliebenen- kassen für Ärzte. Eine Pflichtversor- gung, die auf dem Berufseinkommen des Standes aufbaute, wurde durch Verordnung des Kurfürsten von Hes- sen aus dem Jahre 1827 geschaffen, wonach eine Versorgungsanstalt für Anwälte, Ärzte und Lehrer begründet wurde, deren jährlicher Bedarf von Mitgliedern nach Maßgabe ihres Ein- kommens eingezogen wurde.

Die weitere Entwicklung des ärztlichen Versorgungswerkes wurde maßgeblich beeinflußt und ange- stoßen aus Bayern, dort kam es be- reits 1852 durch königliche Verord- nung zur Gründung des Pensionsver-

eins für Witwen und Waisen Bayeri- scher Ärzte.

Der 23. Deutsche Ärztetag be- schäftigte sich 1895 mit der Frage der Gründung einer zentralen Unterstüt- zungskasse; die Diskussion zur Frage ärztlicher Alters- und Hinterbliebe- nenversorgung zieht sich über die Ge- schichte zahlreicher Ärztetage (2), die sich immer wieder mit der Frage der sozialen Sicherung befaßt haben.

Das erste berufsständische Versorgungswerk

Die Geburtsstunde der berufs- ständischen Versorgungswerke heuti- ger Prägung schlug nach dem 1. Welt- krieg. Dies deshalb, weil in dessen Gefolge in der Inflation alle Rückla- gen und Vermögen, die bis dahin zur Sicherung des Alters bestimmt waren, buchstäblich zusammenschmolzen wie „Schnee in der Sonne“ und viele

1947/1997: Bundesärztekammer im Wandel (XIV)

Alterssicherung in eigener Verantwortung:

Ärztliche Versorgungswerke

ligen Spenders sichergestellt. Die Or- ganentnahme erfolge entweder im Krankenhaus oder auch teilweise di- rekt am Hinrichtungsort in dafür be- reitgestellten Fahrzeugen.

Die Angehörigen werden von der Organentnahme nur in den seltensten Fällen unterrichtet. Meistens wird ih- nen später lediglich die Asche der ver- brannten Leiche übergeben. Wünscht die Familie die Aushändigung des Leichnams, werde dies von den Behörden zurückgewiesen oder wür- de nur bei der Bezahlung der Kosten für das Verfahren und die Inhaftie- rung getan, was aufgrund der hohen Summen sich aber keiner der Hin- terbliebenen leisten könne.

Bis vor ein paar Jahren bestritt die chinesische Regierung jegliche Organentnahme bei zum Tode Verur- teilten. Mittlerweile ist seitens der chi- nesischen Botschaft in Bonn zu ver- nehmen, daß in Einzelfällen Todge- weihte als Organspender gedient ha- ben, allerdings nur nach einer Einver- ständniserklärung des Verurteilten oder dessen Angehörigen.

Organe als Exportartikel

Die Aussage von ai, daß 90 Pro- zent des Nierenbedarfs auf diese Wei- se gedeckt werden, weist die Botschaft entschieden zurück, gebe es doch ein den europäischen Staaten ähnliches System für Transplantationen und Or-

ganspender. Genauere Informationen über dessen Organisation bleiben aber sowohl die Botschaft als auch das Ge- sundheitsministerium in Peking schul- dig. Laut Human Rights Watch und amnesty international werden die Organe nicht nur für Transplantatio- nen an Chinesen genutzt, sondern zum Teil auch an Ausländer veräußert. Vor allem Reiche aus benachbarten asiati- schen Staaten gehörten zu den „Or- gan-Kunden“ Chinas. Diese müssen für die „Dienstleistung“ deutlich tiefer in die Tasche greifen als die Einheimi- schen: Während ein Chinese zwischen 5 000 und 30 000 Yuan für die Operati- on bezahlen muß (etwa 875 bis 5 300 DM), wird für einen ausländischen Pa- tienten rund 30 000 US-Dollar veran-

schlagt. Marc Seidel

!

Rolf Bialas Michael Jung

Fortsetzung „Organspender wider Willen“

(2)

Berufsständler und Witwen nach 1923 vor dem Nichts standen.

Es war damals die ärztliche Stan- desführung in Bayern, die aus der Not der Zeit heraus aus eigener Kraft oh- ne staatliche Hilfe die Idee einer sol- chen solidarischen Selbsthilfeeinrich- tung verwirklichte. Eine Idee, der zwei Gedanken zugrunde lagen: Zu- nächst die Hilfe für den einzelnen, dann aber auch das Verantwortungs- bewußtsein für die Allgemeinheit.

Daß dies keine leeren Worte sind, be- weisen einige wörtliche Zitate aus der Gründungsgeschichte der Bayeri- schen Ärzteversorgung.

Der damalige Präsident der Bayerischen Ärztekammer, San.- Rat. Dr. Alfons Stauder, schreibt in den Jahren 1921 und 1922: „Die Standesvertretung sieht es mit Schmerz und Trauer, daß immer mehr Ärzte in höherem Alter vor der Notwendigkeit stehen, mit sinkender Kraft weiterzuarbeiten in einem Be- ruf, der volle Zuverlässigkeit der körperlichen und geistigen Eigen- schaften erfordert“ (3). Aus diesem Grund erwächst der Standesvertre- tung die Pflicht, Mittel und Wege zu erfinden, eine allgemeine Versiche- rung für Alter und Dienstunfähigkeit und für Hinterbliebene zu schaffen.

. . . „bleibt den Ärzten gar nichts an- deres übrig, trotz aller Bedenken . . . durch Selbsthilfe soweit als mög- lich die dringendste Not zu mildern und das zu tun, was der

Staat verabsäumt . . .“ (4).

Im Ergebnis ist es also so, daß der Archetypus des- sen, was wir heute ein ärztli- ches Versorgungswerk nen- nen, von den Ärzten als Selbsthilfeeinrichtung in ei- ner versorgungslosen Zeit geschaffen worden ist, in der es kein staatliches oder sonstiges solidarisches An- gebot gab, um diesem Man- gel abzuhelfen (5). Er war schließlich die Bewährung des Subsidiaritätsgedan- kens, der auch heute noch gilt und möglicherweise wieder an Bedeutung ge- winnt, wenn man die Ge- samtverfassung der staatli- chen Finanzen in Betracht zieht.

Ihre Bewährungsprobe bestand die 1923 gegründete Bayerische Ärz- teversorgung, als es im Gefolge des Zusammenbruchs nach dem 2. Welt- krieg zur Währungsreform kam. Ent- gegen dem Beispiel der privaten Kapi- tal-Lebensversicherung, deren Lei- stungen im Verhältnis eine DM für je 10 RM umgestellt wurden, stellte die Bayerische Ärzteversorgung – ver- gleichbar dem Beispiel der gesetzli- chen Rentenversicherung – die von ihr gezahlten Renten nach einer Übergangszeit rückwirkend zum 1.

Januar 1950 im Verhältnis 1 DM : 1 RM um. In der Zwischenzeit, also vom 1. 9. 1948 bis zum 31. 12. 1949, zahlte die Bayerische Ärzteversor- gung Renten im Verhältnis 1 RM : 0,85 DM (6).

Es nimmt denn auch nicht wun- der, daß der Versorgungsausschuß der inzwischen gegründeten Arbeitsge- meinschaft der westdeutschen Ärzte- kammern sich darum bemühte, den Anschluß der anderen Landesärzte- kammern an die Bayerische Ärzte- versorgung zu befördern. Der 52.

Deutsche Ärztetag am 2. 9. 1949 in Hannover regte indessen an, der Ar- beitsausschuß möge baldigst bei der Bundesregierung die Ausarbeitung eines Gesetzes beantragen, das alle berufstätigen Ärzte und deren Hin- terbliebene vor wirtschaftlicher Not bei Invalidität und Tod schützen wür- de. Zugleich sollte der Arbeitsaus-

schuß die Ärztekammern der einzel- nen Länder veranlassen, ihre Länder- regierungen zu bitten, den Erlaß eines solchen Bundesgesetzes zu befürwor- ten oder gegebenenfalls ein Landes- gesetz im gleichen Rahmen zu erlas- sen. Bereits seit Mitte 1949 bemühte sich der Fürsorge- und Versorgungs- ausschuß der Arbeitsgemeinschaft der westdeutschen Ärztekammern in Bad Nauheim, eine bundesweit ein- heitliche Ärzteversorgung zu beför- dern (7). Die Entwicklung verlief al- lerdings aus den unterschiedlichsten Gründen anders. Bereits 1951 war in Württemberg-Hohenzollern eine eigenständige ärztliche Versorgungs- anstalt gegründet worden, ebenso vom saarländischen Ärztesyndikat. In der Folgezeit gründeten auch die übrigen Landesärztekammern eigen- ständige Versorgungswerke (8) (Ta- belle 1).

Die Adenauersche Renten- reform des Jahres 1957

Wesentlicher Anstoß für die Gründung von Versorgungswerken der Ärztekammern ergab sich aus der sogenannten Adenauerschen Ren- tenreform des Jahres 1957. Mit dieser Rentenreform wurde das Nachkriegs- recht der gesetzlichen Rentenversi- cherung neu geordnet und die dyna- mische Rente eingeführt. Im Zuge der Beratungen der Ren- tenreform wurde aber auch das Recht der Selbstversi- cherung für Selbständige und Freiberufler ersatzlos gestrichen und damit den Angehörigen der Freien Berufe ein Zutrittsrecht zur Rentenversicherung ver- wehrt.

Die Motive des Renten- reformgesetzgebers von 1957 erhellen sich, schaut man in das Protokoll über die 184. Sitzung des Deut- schen Bundestages vom 16. 1. 1957. Der Abordnete Schüttler (CDU) führte da- mals unter anderem aus:

„. . . wir möchten eine Ver- sicherung haben, die sich auf die wirklich unselbstän- digen Arbeitnehmer – An- Tabelle 1

Ärztliche Versorgungswerke bestehen seit:

Baden-Württembergische Versorgungsanstalt

für Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte 1951

Bayerische Ärzteversorgung 1923

Berliner Ärzteversorgung 1966

Ärzteversorgung Land Brandenburg 1992 Versorgungswerk der Ärztekammer Bremen 1967 Versorgungswerk der Ärztekammer Hamburg 1971 Versorgungswerke der Landesärztekammer Hessen 1968 Versorgungseinrichtung der Bezirksärztekammer

Koblenz 1953

Ärzteversorgung Mecklenburg-Vorpommern 1992

Ärzteversorgung Niedersachsen 1964

Nordrheinische Ärzteversorgung 1959

Versorgungswerk der Ärztekammer des Saarlandes 1951

Ärzteversorgung Sachsen-Anhalt 1991

Sächsische Ärzteversorgung 1992

Versorgungseinrichtung der Ärztekammer

Schleswig-Holstein 1964

Ärzteversorgung Thüringen 1992

Versorgungseinrichtung der Bezirksärztekammer

Trier 1956

Ärzteversorgung Westfalen-Lippe 1960

(3)

gestellte und Arbeiter – bezieht und es dabei auch beläßt. Was später mit den Freien Berufen geschehen soll und was diese aus ihrer Initiative her- aus tun möchten, bleibt der Zeit überlassen“! (9)

Man kann also mit Fug und Recht sagen, daß 1957 ein freier und ungebundener Gesetzgeber die Frei- berufler durch ersatzlose Streichung der Selbstversicherung und Beschrän- kung des Rechts der Weiterversiche- rung aus der gesetzlichen Rentenver- sicherung ausschloß und erneut auf

„Hilfe zur Selbsthilfe“ verwies. Der Gesetzgeber unterstrich diese Ver- weisung auf die Hilfe zur Selbsthilfe noch dadurch, daß er den angestellt Tätigen als Pflichtmitgliedern eines ärztlichen Versorgungswerkes ein Be- freiungsrecht von der Versicherungs- pflicht der gesetzlichen Rentenversi- cherung (damals § 7 Abs. 2 Angestell- tenversicherungsgesetz [AVG]) ein- räumte. Dieses Befreiungsrecht war aus der Ärzteschaft gefordert wor- den, es ist untrennbar mit den Namen von Prof. Dr. med. Hans-Joachim Se- wering und Dr. med. Klaus Dehler verbunden. Gefordert worden war das Befreiungsrecht insbesondere deshalb, weil im Rentenreformgesetz, anders als heute, eine Versicherungs- pflichtgrenze bestimmt worden war.

Wer mit seinem Einkommen die- se Versicherungspflichtgrenze, die 1957/58 750,– DM monatlich betrug und die bis Mitte der 60er Jahre auf 1 200,– DM (1965) anstieg, über- schritt, konnte sich in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht freiwillig weiterversichern, wenn er nicht im Zeitpunkt des Überschreitens dieser Einkommensgrenze bereits fünf Jah- re versichert war. Dies bedeutete, daß gerade jüngere Ärzte unter Umstän- den vor einem versorgungspolitischen Nichts gestanden hätten, wenn ihnen nicht über die Befreiungsmöglichkeit des damaligen § 7 Abs. 2 AVG ein frühzeitiges Zutrittsrecht zu den sich gründenden ärztlichen Versorgungs- werken eröffnet worden wäre.

Der damalige Streit zwischen den bürgerlich/liberalen Kräften und den Sozialdemokraten wirkt leider bis heute fort. Schon anläßlich der Ren- tenreform 1957 wollte die SPD eine allgemeine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung

für alle Erwerbstätigen erreichen. Die Sozialdemokratie hat deshalb bis in die jüngste Vergangenheit hinein im- mer wieder die Abschaffung des 1957 den Ärzten und den anderen ange- stellt tätigen Angehörigen der klassi- schen verkammerten Freien Berufe mit umfassender Pflichtmitglied- schaft in ihrer berufsständischen Kammer gewährten Befreiungsrechts gefordert (10).

Versorgungswerke und ihre Arbeitsgemeinschaft

Die Notwendigkeit der Verteidi- gung des versorgungspolitisch unver- zichtbaren Befreiungsrechts war ne- ben anderen Gründen ein wesentli- cher Aspekt dafür, daß von den ärzt- lichen Versorgungswerken 1978 die Initiative zur Gründung der Arbeits- gemeinschaft berufsständischer Ver- sorgungseinrichtungen e.V. (ABV) ausging, des Dachverbandes, dem heute alle 68 in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Versor- gungswerke der klassischen Freien Berufe angehören.

Neben den ärztlichen Versor- gungswerken bestehen Versorgungs- werke für Apotheker, Architekten, Notare, Rechtsanwälte, Steuerbera- ter beziehungsweise Steuerbevoll- mächtigte, Tierärzte, Wirtschafts-

prüfer und vereidigte Buchprüfer so- wie Zahnärzte. Alle diese Versor- gungswerke sind wie die ärztlichen Versorgungswerke öffentlich-rechtli- che Pflichtversorgungseinrichtungen eigener Art. Sie sind nicht Teil der staatlichen Sozialversicherung, son- dern beruhen auf landesgesetzlicher Rechtsgrundlage im Rahmen der aus- schließlichen Gesetzgebungskompe- tenz der Bundesländer aus Art. 70 GG.

Die damals gegründete Arbeits- gemeinschaft hat in den fast 20 Jahren ihres Bestehens ihre Bewährungspro- be mehrfach bestanden. Erster über- zeugender Beweis für das gemeinsa- me Handeln aller freiberuflichen Ver- sorgungswerke war das Ergebnis der von der sozialliberalen Bundesregie- rung eingesetzten Sachverständigen- kommission Alterssicherungssyste- me. Diese Kommission bestätigte in ihren Empfehlungen ausdrücklich die eigenständige Existenz der Versor- gungswerke. Auch hat die Kommissi- on die zwischen den Versorgungswer- ken bestehenden Unterschiede als Ausdruck der gegebenen Möglichkeit zur freien Gestaltung der Alterssiche- rung ausdrücklich anerkannt. Aller- dings äußerte eine – sozialdemokra- tisch-gewerkschaftliche – Minderheit der Kommissionsmitglieder auch in diesem Zusammenhang Bedenken hinsichtlich des den angestellt tätigen Grafik

Vermögen der 18 ärztlichen Versorgungseinrichtungen nach Anlagearten

Aktien, Wertpapier-, Renten- und Immobilienfonds-

anteile 17,2%

festverzinsliche Wertpapiere 14,3%

Immobilien 10,2%

Hypotheken, Grundbuchforderungen (Grundpfandrechte) 10,8%

Fest- und Termingelder 1,2%

Schuldscheindarlehen und Namensschuldverschreibungen

46,3%

(4)

Mitgliedern der Versorgungswerke gewährten Befreiungsrechts von der Versicherungspflicht in der gesetzli- chen Rentenversicherung (11).

Die Versorgungswerke im deutschen Wieder- vereinigungsprozeß

Eine weitere Sternstunde des ge- meinsamen Handelns der Versor- gungswerke in ihrer Arbeitsgemein- schaft ergab sich, als es im Zusam- menhang mit dem durch die Wende in der früheren DDR eingeleiteten Wie- dervereinigungsprozeß Kräfte gab, die den Angehörigen der Freien Be- rufe in den neuen Ländern die Chan- ce auf eine eigenverantwortliche Ge- staltung ihrer Altersversorgung vor- enthalten wollten. So wandten sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und der Sprecherrat der Ge- werkschaft der DDR gegen die den Angehörigen der Freien Berufe mit Art. 18 Abs. 3 des Staatsvertrages zwi- schen der damaligen Deutschen De- mokratischen Republik und der Bun- desrepublik Deutschland eingeräum-

ten Möglichkeit zum Aufbau eigen- ständiger Versorgungswerke (12).

Früchte konnten die Bemühun- gen der sich in den neuen Ländern konstituierenden ärztlichen Körper- schaften tragen, als es gelang, im Eini- gungsvertrag eine Bestimmung zu ver- ankern, die das Befreiungsrecht von der Versicherungspflicht in der gesetz- lichen Rentenversicherung mit dem 3. Oktober 1990 auch in den neuen Ländern in Kraft setzte. Jetzt konnten die in Vorbereitung befindlichen Ver- sorgungswerke der Ärztekammern in den neuen Ländern ihre Tätigkeit auf- nehmen. Das erste Versorgungswerk war das Versorgungswerk der Ärzte- kammer des Landes Sachsen-Anhalt, das zum 1. 7. 1991 seine Tätigkeit auf- nahm; alle anderen Versorgungswer- ke der Ärztekammern in den neuen Ländern folgten zum 1. 1. 1992.

Ausblick

Die bestehenden 16 Versor- gungswerke der Ärztekammern bie- ten ihren Mitgliedern eine sichere, weil nach exakter versicherungsma-

thematischer Methodik berechnete Alters-, Invaliditäts- und Hinterblie- benenversorgung. Die Versorgungs- werke finanzieren ihre Leistungen nicht nach dem Umlageverfahren der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern sie verwenden kapitalbilden- de Verfahren, meist das offene Deckungsplanverfahren. Das Vermö- gen der ärztlichen Versorgungswerke wird nach den gleichen Regeln ange- legt und verwaltet wie diejenigen, die für die private Lebensversicherung gelten (Grafik). Die erwirtschafteten Zinserträge werden über jährliche Er- höhungen der Rentenanwartschaften und Renten ausschließlich den Mit- gliedern gutgebracht. Die Verwal- tungskosten sind niedrig, sie betragen 1 bis 2 Prozent der jährlichen Bei- tragseinnahme, oft liegen sie unter diesem Wert.

Freilich können auch die ärztli- chen Versorgungswerke nicht dar- über hinweggehen, daß sich die Le- benserwartung – auch – ihrer Mitglie- der kontinuierlich verlängert. Dieser seit längerem zu beobachtende Trend wird durch eine Untersuchung, die die Versorgungswerke bei dem nam- haften Kölner Versicherungsmathe- matiker Prof. Dr. Klaus Heubeck in Auftrag gegeben haben, bestätigt. Im Ergebnis wird dies dazu führen, daß die Versorgungswerke in der Zukunft größere Teile ihres jährlichen Zins- überschusses dazu verwenden müs- sen, für die längere Lebenserwartung ihrer Mitglieder und die damit zu lei- stende längere Rentenzahldauer Vor- sorge zu treffen. Nicht auszuschließen ist deshalb, daß in der Zukunft die jährlichen Dynamisierungsraten für Renten und Anwartschaften niedri- ger als in der Vergangenheit ausfallen müssen.

Rechtzeitig haben die Versor- gungswerke auch Vorsorge getroffen, um in der immer wieder aufflammen- den Diskussion um das Befreiungs- recht für ihre angestellt tätigen Mit- glieder gewappnet zu sein. In einem Gutachten, das der namhafte Rechts- lehrer Prof. Dr. Jürgen Salzwedel (Köln/Bonn) für die Versorgungswer- ke angefertigt hat (13), vertritt er die Auffassung, daß der direkte Eingriff des Bundesgesetzgebers in bestehen- de ärztliche Versorgungswerke durch Übernahme der Versichertenbestän- Bisher sind in dieser Serie erschienen:

Thomas Gerst: Föderal oder zentral? – Der kurze Traum von einer bundeseinheitlichen ärztlichen Selbstverwaltung (Heft 38/1996)

Gerhard Vogt: Arzt im Krankenhaus (Heft 45/1996)

Hedda Heuser-Schreiber: Ärztinnen in Deutschland – Fakten, Beobachtungen, Perspektiven (Heft 1–2/1997)

J. F. Volrad Deneke: Körperschaften und Verbände – streitbare Verwandte (Heft 4/1997)

Klaus-Ditmar Bachmann, Brigitte Heerklotz: Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer (Heft 10/1997)

Marilene Schleicher: Die ärztliche Ausbildung in der Bundesrepublik Deutschland (Heft 14/1997) Jürgen W. Bösche: Die Reichsärztekammer im Lichte von Gesetzgebung und Rechtsprechung der Bun- desrepublik Deutschland (Heft 21/1997)

Horst Dieter Schirmer: Ärzte und Sozialversicherung (I) – Der Weg zum Kassenarztrecht (Heft 26/1997)

Horst Dieter Schirmer: Ärzte und Sozialversicherung (II) – Der Weg zum Kassenarztrecht (Heft 27/1997)

Franz Carl Loch, P. Erwin Odenbach: Fortbildung in Freiheit – Gestern und heute: Eine Hauptaufgabe der ärztlichen Selbstverwaltung (Heft 33/1997)

Franz Carl Loch, Wolfgang Loris: Der saarländische Sonderweg (Heft 38/1997)

Jörg-Dietrich Hoppe: Die Weiterbildungsordnung – Von der Schilderordnung zum integralen Bestand- teil der Bildung im Arztberuf (Heft 39/1997)

Bruno Müller-Oerlinghausen, Karl-Heinz Munter: Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzte- schaft – Qualitätssicherung in der Arzneitherapie (Heft 40/1997)

(5)

de in die Rentenversicherung bei gleichzeitiger Übertragung des Ver- mögens vor dem Grundgesetz als of- fenbar unzulässig zu betrachten ist.

Prof. Salzwedel führt darüber hinaus aus: „Schon die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers im Rahmen der Materie Sozialversicherung (Art.

74 Nr. 12 GG) wird glaubhaft nur dann als Maßnahme ,sozialversiche- rungsrechtlicher‘ Natur vorstellbar, wenn sich die größeren Sozialversi- cherungsträger in einer extremen Notlage befinden und gerade der Zugriff auf die berufsständischen Versorgungs-

werke Rettung verspräche. Der Rückgang der Beitragszahler bei den größeren So- zialversicherungs- trägern und mög- liche Finanzie- rungsengpässe lassen sich aber gerade nicht als solche Notlage in- terpretieren. An- gesichts der Zah- lenverhältnisse, knapp 500 000 Mitglieder berufs- ständischer Ver- sorgungswerke, über 30 Millionen Sozialversicherte – ist es kaum vor- stellbar, daß dem Bundesgesetzge- ber jemals der

Nachweis gelänge, daß übergeordne- te Gründe des Gemeinwohls eine Einbeziehung der Versichertenbe- stände der Versorgungswerke in die allgemeine Versicherung rechtferti- gen könnten. Gleiches gilt für die von den Versorgungswerken ange- sammelten Vermögensanlagen (per Ende 1995 rund 74 Mrd. DM); diese sind nämlich kaum geeignet, die Fi- nanzlage der gesetzlichen Renten- versicherung (Ausgaben per Ende 1995 rund 300 Mrd. DM jährlich) zu stabilisieren.“

Auch der mittelbare Eingriff in die Versorgungswerke durch Beseiti- gung oder Beschränkung der Befrei- ungsklauseln für angestellt tätige Ärz- tinnen und Ärzte (§ 6 Abs. 1 Satz 1

Nr. 1 SGB VI) ist nach Auffassung von Prof. Salzwedel nicht zu rechtfer- tigen. Zum eigentlichen Zulässig- keitsmaßstab wird nämlich immer mehr der Eigentumsschutz nach Art.

14 Abs. 1 GG. Mit der inzwischen um- fassend vollzogenen Anerkennung des Renteneigentums sind auch die Versorgungsansprüche und Anwart- schaften gegenüber den Versorgungs- werken in den Schutzbereich der Ei- gentumsgarantie des Grundgesetzes versetzt worden.

Die Ärzteschaft und andere klassische Freie Berufe in der Bun-

desrepublik Deutschland können deshalb auch mit Stolz auf die jetzt über 70jährige Tradition ihrer Versorgungswerke zurückblicken.

Durch den Aufbau der ärztlichen Versorgungswerke haben sich die deutschen Ärztinnen und Ärzte ei- nen Schutz für Berufsunfähigkeit, Alter und für Hinterbliebene aus ei- gener Kraft ohne staatliche Zuschüs- se geschaffen (Tabelle 2). Über ihre Steuern tragen sie einen Teil der Al- terssicherung der übrigen Bevölke- rung mit. Sie entlasten den Staat von Hilfen für Mitglieder ihres Berufs- standes und stehen damit bewußt in der Solidargemeinschaft aller Bürger des Landes. Die ärztlichen Versor- gungswerke stellen an Politik und

Gesellschaft keinerlei Ansprüche und erheben keinerlei Forderungen außer der, auch weiterhin ihre se- gensreiche Tätigkeit im Interesse der Mitglieder und der gegliederten Al- terssicherung frei von staatlichen Eingriffen erfüllen zu können.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1997; 94: A-2636–2641 [Heft 41]

Literatur

1. Herrmann, Gerd: 10 Jahre Ärztliches Ver- sorgungswerk in Bremen – Reminiszen- zen an das Versorgungswesen in alter und neuer Zeit. Bremer Ärzteblatt, 30. Jg., Heft 8/1977, Seite 7 ff.

2. Schmitt-Lehrmann, Hans: 100 Jahre Bayerische Versicherungskammer. Mün- chen 1975, Seite 285 ff.

3. Bayerisches ärztliches Correspondenz- blatt vom 7. 5. 1921.

4. Zitiert nach Dehler, Klaus: Festvortrag 10 Jahre Arbeitsgemeinschaft berufsständi- scher Versorgungseinrichtungen. ABV- Materialien, Köln 1988, Seite 29.

5. Albrecht, Walter: Selbstdefinition „Be- rufsständische Versorgung“. ABV-Presse- seminar am 27. 9. 1982.

6. Schmitt-Lehrmann, Hans: a. a. O., Seite 375 ff., S. 395.

7. Herrmann, Gert: a. a. O. S. 16.

8. Kater, Hermann: Die ärztlichen Versor- gungswerke in der Bundesrepublik Deutschland. Niedersächsisches Ärzte- blatt, 9/1966, Seite 262 ff.

9. Reusch, Hans-Hermann: Versorgungs- werke – Für angestellte Freiberufler kein Privileg! Die Rentenversicherung Nr. 9/87, Seite 168 ff.

10. Dreßler, Rudolf: Grußwort anläßlich 10 Jahre Arbeitsgemeinschaft berufsständi- scher Versorgungseinrichtungen. ABV- Materialien 10 Jahre Arbeitsgemeinschaft berufsständischer Versorgungseinrichtun- gen, Köln, 1988, Seite 7; vgl. Bundestags- Drucksache 13/8032 vom 24. 6. 1997.

11. Die berufsständischen Versorgungswerke im Gutachten der Sachverständigenkom- mission Alterssicherungssysteme. ABV- Materialien, Köln, 1991, Seite 56 ff.

12. Staatsvertrag sozial unzureichend – Ge- meinsame Stellungnahme von DGB-Bun- desvorstand und Sprecherrat der Gewerk- schaften der DDR. Soziale Sicherheit, 1990, Nr. 6, Seite 181.

13. Salzwedel, Jürgen: Die Sozialversiche- rungsgesetzgebung des Bundes und die auf Landeshoheit gegründeten berufs- ständischen Versorgungswerke – zwei Kreise, die sich berühren, aber niemals schneiden, ABV-Materialien, Köln, 1995.

Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. med. Rolf Bialas Dipl.-Kfm. Michael Jung Arbeitsgemeinschaft

berufsständischer Versorgungs- einrichtungen e. V. (ABV) Postfach 51 05 11

50941 Köln Tabelle 2

Mengengerüst 1994/95 der 18 ärztlichen ABV-Mitgliedseinrichtungen

1994 1995

Anwartschaftsberechtigte Mitglieder 277 724 288 105 davon beitragsleistende Mitglieder 267 645 276 979

Beiträge in Mrd. DM 3,863 4,088

monatlicher Durchschnittsbeitrag in DM 1 202,77 1 229,99 Vermögensanlagen in Mrd. DM 43,937 48,774 Vermögenserträge in Mrd. DM 3,163 3,570

Zahl der Rentenempfänger 56 082 56 999

Jahresbetrag der Renten in Mrd. DM

(inkl. Kinderzuschuß) 1,938 2,324

Zuschüsse zu Reha-Maßnahmen

in Mrd. DM 0,007 445 0,007 467

durchschnittliche mtl. Berufsunfähig-

keitsrente (ohne Kinderzuschuß) in DM 4 089,40 4 135,00 durchschn. mtl. Kinderzuschuß in DM 478,62 490,00 durchschn. mtl. Witwen-/Witwer-

rente in DM 1 880,75 1 960,12

durchschn. mtl. Waisenrente in DM 589,51 600,06 durchschn. mtl. Altersrente in DM

(ohne Kinderzuschuß) 3 799,27 3 973,23

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