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Archiv "1947/1997 – Bundesärztekammer im Wandel (XVII): Die ärztliche Selbstverwaltung und ihr Beitrag zur Gestaltung des Gesundheitswesens Von der Arbeitsgemeinschaft der Westdeutschen Ärztekammern zur Bundesärztekammer" (31.10.1997)

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Mitwirkung bei der Gestaltung des Gesundheitswesens sowie das Recht zur Regelung der eigenen An- gelegenheiten sind alte Forderungen der Ärzteschaft. Sie wurden nach der Reichsgründung 1871 und seit dem 1. Deutschen Ärztetag 1873 verstärkt erhoben. Doch erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen Gewaltherr- schaft, nach der bedingungslosen Ka- pitulation im Mai 1945 und dem Zu- sammenbruch nahezu aller staatlicher Strukturen in Deutschland konnte in zäher, zielstrebiger Arbeit eine ärztli- che Selbstverwaltung heutiger Prä- gung aufgebaut werden.

Die Ärztekammern und in ihrem Rahmen die Kassenärztlichen Verei- nigungen arbeiteten 1945 in den west- lichen Besatzungszonen zunächst auf regionaler Ebene weiter, um eine ärztliche Versorgung der Bevölke- rung überhaupt aufrechtzuerhalten.

In der sowjetisch besetzten Zone da- gegen wurde die Arbeit der Ärzte- kammern nach einer kurzen Unter- brechung verboten. In der britischen Zone erfolgte ein erster Zusammen- schluß über neu gezogene Grenzen hinweg im Jahr 1946; im selben Jahr wurde in Bayern bereits eine Lan- desärztekammer auf gesetzlicher Grundlage errichtet. 1947 erfolgte der Zusammenschluß der Ärztekammern der drei Westzonen.

Im Juni 1947 verständigten sich die Vertreter der westdeutschen Ärz- tekammern in Bad Nauheim über die Gründung der Arbeitsgemeinschaft der Westdeutschen Ärztekammern

und bildeten einen über die Zonen- grenzen hinweg wirkenden „Bera- tungsausschuß“. Die Konstituierung der „Arbeitsgemeinschaft der West- deutschen Ärztekammern“ (AGd- WÄK) mit Annahme einer Geschäfts- ordnung (später Satzung) erfolgte schließlich am 18. und 19. Oktober 1947 in Bad Nauheim. Sie entsprach weitgehend der Satzung des früheren

„Deutschen Ärztevereinsbundes“. Bei der Umwandlung dieser Geschäfts- ordnung in eine Satzung der AGd- WÄK 1949 wurde ein Deutscher Ärz- tetag als deren Hauptversammlung be- schrieben. Gleichzeitig wurde ein Prä- sidium des Deutschen Ärztetages ge- bildet, dem die Repräsentanten aller bedeutenden Ärzteverbände angehör- ten und dessen Hauptzweck die Unter-

stützung der Arbeitsgemeinschaft bei der Vorbereitung und Durchführung der Deutschen Ärztetage war. Dieses Präsidium existierte bis zu seiner Auf- lösung durch den 92. Deutschen Ärzte- tag in Berlin 1989.

Verkehrsprobleme und Reisebe- schränkungen in den vier Besatzungs- zonen waren zunächst nahezu un- überwindbare Hürden. Hunger, Kälte und Elend, Wohnungsnot und viele Krankheiten, vor allem Diphtherie, Tuberkulose und Geschlechtskrank- heiten oder aber Krätze, verursachten heute nahezu unbekannte Probleme.

Hinzu kamen gut 12 Millionen Ver- triebene und andere aus dem Krieg zurückkehrende Menschen sowie noch 1947 die Sorge um rund 2 Millio- nen Kriegsgefangene, die teilweise noch bis 1955 in Gefangenschaft ge- halten wurden, darunter zahlreiche Ärzte. Sie alle waren mittellos wie viele andere, zu denen auch die im Luftkrieg Ausgebombten zählten, und auf Hilfe und Unterstützung an- gewiesen. Heute oft unvorstellbare Schwierigkeiten unterschiedlichster Art mußten überwunden werden.

Oelemann:

„In schwerster Zeit . . . “

Eine eindrucksvolle Darstellung der damaligen Verhältnisse findet sich in den Ausführungen des Vorsitzen- den der Arbeitsgemeinschaft der Westdeutschen Ärztekammern, Dr.

Carl Oelemann, auf dem 51. Deut- schen Ärztetag am 16. und 17. Okto- ber 1948 in Stuttgart, wo er unter an-

1947/1997: Bundesärztekammer im Wandel (XVII)

Die ärztliche Selbstverwaltung und ihr Beitrag zur Gestaltung des Gesundheitswesens

Von der Arbeitsgemeinschaft der Westdeutschen Ärztekammern zur Bundesärztekammer

Karsten Vilmar

Dr. med. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages, bei seinem hier in der Langfassung wiedergegebenen Referat auf der Festveranstaltung zum 50jährigen Bestehen der Bundesärztekammer im Gürzenich, Köln, am 17. Oktober 1997 Foto: Bernhard Eifrig, Bonn

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derem sagte: „In dieser schwersten Zeit haben die Ärzte tatkräftig einge- griffen, die Versorgung der Kranken gesichert und durch Wiederaufbau ih- rer Organisationen eine Arbeit gelei- stet, die erst später einmal voll aner- kannt werden wird. . . . Als eine der ersten großen und vordringlichen Ar- beiten wurde zur Klärung der Schuld- frage deutscher Ärzte unter dem natio- nalsozialistischen Regime eine Kom- mission der Ärztekammern nach Nürnberg zu dem Prozeß gegen 20 SS- Ärzte und Wissenschaftler und drei hohe Staatsbeamte entsandt, die während des ganzen Prozesses anwe- send war und Einsicht in alle Akten nehmen konnte. Es ergab sich durch die Beobachtung dieses und anderer Prozesse, daß von den 90 000 Ärzten nur eine verschwindend kleine Anzahl im Sinne der Anklage für schuldig be- funden wurde. . . . Nach der Bildung der Arbeitsgemeinschaft der Westdeut- schen Ärztekammern im Juni 1947 in Bad Nauheim und der Schaffung eines Beratungsausschusses fand im Okto- ber 1947 die erste größere öffentliche

Tagung in Bad Nauheim statt, in der die Ärzteschaft der Westzonen für eine Behebung der katastrophalen Ernäh- rungslage und die Bekämpfung der sich ausbreitenden Tuberkulose sowie für die Gesunderhaltung der deutschen Jugend eintrat.

Eine Fülle von Problemen ist seit dem Ende des Krieges auf uns einge- stürzt und beschäftigt uns bis zu dieser Stunde. Die Vorgänge in der Ostzone auf gesundheits- und sozialpoliti- schem Gebiete werfen ihre Schatten auch nach dem Westen. Jungarzt- fragen, Not der Flüchtlingsärzte, Stu- dienreform, Beschränkung des Studi- ums, ärztliche Fortbildung, Niederlas- sungsfragen, Zulassungsfragen, Fra- gen der berufsständischen Organisa- tionen, Stellung der angestellten und der Chefärzte im Krankenhaus, die Versorgung unserer Arztwitwen und -waisen sowie der alten, nicht mehr arbeitsfähigen Kollegen, namentlich nach der Währungsreform, sind nur einige dieser Themen. Wichtiger aber noch als die Sorgen und Nöte unseres eigenen Standes erscheint uns die

Erörterung der Probleme der Gesund- heit unseres Volkes. Die Mitwirkung der freiberuflich tätigen Ärzte an der Lösung dieser Aufgaben kann nur in zweckmäßig organisierter Form erfol- gen. Sollen die Ärzte in den Organis- mus der Volksgesundheitspflege und namentlich der Gesundheitsfürsorge sinnvoll eingegliedert werden, so be- dürfen sie dazu eines organisatori- schen Zusammenschlusses, der sie in die Lage versetzt, alle ihre Kräfte unter Einhaltung ihrer Berufsfreiheit in den Dienst der gesundheitlichen Versor- gung unseres Volkes zu stellen.“

Neuffer: Hohes Ethos und soziale Verpflichtung

Dr. Hans Neuffer, Präsident der Ärztekammer Nordwürttemberg und später Präsident der Bundesärztekam- mer und des Deutschen Ärztetages, führte zur Not der Ärzte, zur Berufsor- ganisation und zur Sozialversicherung 1948 unter anderem aus: „Wenn wir Ärzte aber von unseren Berufsgenos- sen ein hohes Ethos verlangen, dann müssen wir in der Berufsorganisation selbst auch unsere sozialen Verpflich- tungen gegen arbeitsunfähige und un- verschuldet in Not geratene Ärzte und ihre Angehörigen erfüllen. Es ist schon etwas Besonderes, daß die Ärzte wohl als einziger Berufsstand die Last der Fürsorge für die alten und arbeitsun- fähigen Berufsgenossen und ihre Fami- lien schon immer auf sich genommen haben. Was für ein Segen ist von den Versorgungs- und Unterstützungskas- sen der Ärztekammern schon ausge- gangen . . .“

Wie leicht wird heute die große soziale Bedeutung der ärztlichen Ver- sorgungswerke vergessen, die sich ge- wissermaßen als „Selbsthilfegrup- pen“ entwickelt haben, zu einem Zeitpunkt, als niemand anders zu hel- fen bereit und in der Lage war.

Zur Gestaltung des Gesundheits- systems, die nach Einführung des staatlichen Gesundheitswesens in Großbritannien am 5. Juli 1948 auf der Grundlage der 1942 von Sir Wil- liam Beveridge entwickelten Pläne auch in Deutschland heiß diskutiert wurde, sagte Neuffer: „Wie die neue Form der deutschen Sozialversiche- rung aber auch ausfallen mag, eines A-2894 (42) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 44, 31. Oktober 1997

Bisher sind in dieser Serie erschienen:

Thomas Gerst: Föderal oder zentral? – Der kurze Traum von einer bundeseinheitlichen ärztlichen Selbst- verwaltung (Heft 38/1996)

Gerhard Vogt: Arzt im Krankenhaus (Heft 45/1996)

Hedda Heuser-Schreiber: Ärztinnen in Deutschland – Fakten, Beobachtungen, Perspektiven (Heft 1–2/1997) J. F. Volrad Deneke: Körperschaften und Verbände – streitbare Verwandte (Heft 4/1997)

Klaus-Ditmar Bachmann, Brigitte Heerklotz: Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer (Heft 10/1997)

Marilene Schleicher: Die ärztliche Ausbildung in der Bundesrepublik Deutschland (Heft 14/1997) Jürgen W. Bösche: Die Reichsärztekammer im Lichte von Gesetzgebung und Rechtsprechung der Bundes- republik Deutschland (Heft 21/1997)

Horst Dieter Schirmer: Ärzte und Sozialversicherung (I) – Der Weg zum Kassenarztrecht (Heft 26/1997) Horst Dieter Schirmer: Ärzte und Sozialversicherung (II) – Der Weg zum Kassenarztrecht (Heft 27/1997) Franz Carl Loch, P. Erwin Odenbach: Fortbildung in Freiheit – Gestern und heute: Eine Hauptaufgabe der ärztlichen Selbstverwaltung (Heft 33/1997)

Franz Carl Loch, Wolfgang Loris: Der saarländische Sonderweg (Heft 38/1997)

Jörg-Dietrich Hoppe: Die Weiterbildungsordnung – Von der Schilderordnung zum integralen Bestandteil der Bildung im Arztberuf (Heft 39/1997)

Bruno Müller-Oerlinghausen, Karl-Heinz Munter: Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft – Qualitätssicherung in der Arzneitherapie (Heft 40/1997)

Rolf Bialas, Michael Jung: Alterssicherung in eigener Verantwortung – Ärztliche Versorgungswerke (Heft 41/1997)

Walter Burkart: Die Auslandsbeziehungen der Bundesärztekammer (Heft 42/1997)

Christoph Fuchs, Thomas Gerst: Medizinethik in der Berufsordnung – Entwicklungen der Muster-Berufs- ordnung (Heft 43/1997)

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fordern die Ärzte jedenfalls mit vollem Recht: daß berufene Vertreter der Ärz- te von Anfang an bei der Neugestal- tung in der gleichen Weise teilnehmen wie die Versicherungsträger. Eine neue Sozialversicherung, vor allem Kran- kenversicherung, Unfallversicherung, Invaliden- und Rentenversicherung ohne die tätige Mitwirkung der Ärzte- schaft, die ja bei der Durchführung die wichtigste Rolle spielt, wäre ein tot ge- borenes Kind.“

In der vom Deutschen Ärztetag 1948 verabschiedeten Entschließung heißt es dazu: „Der 51. Deutsche Ärz- tetag bittet die Besatzungsmächte dringend, von einem Eingreifen in die organisatorischen Verhältnisse der Ärzteschaft Abstand zu nehmen, die sich mit überwältigender Mehrheit für die Erhaltung der Ärztekammern und der Kassenärztlichen Vereinigungen in ihrer bisherigen Form ausgesprochen hat. Der Beruf des Arztes ist nach deutscher Tradition und Gesetzge- bung kein Gewerbe; der Arzt erfüllt vielmehr eine öffentliche Aufgabe, sei- ne Berufsverhältnisse bedürfen daher einer gesetzlichen Regelung, die den Beruf sinnvoll in den Organismus des Gesundheitswesens eingliedert, ohne die Berufsfreiheit des einzelnen Arztes aufzuheben und ohne ihn zum Beam- ten oder Angestellten des Staates oder zum Arbeitnehmer der Versicherungs- träger zu machen. Wenn der 51. Deut- sche Ärztetag diese Forderungen den Besatzungsmächten und den deut- schen Behörden gegenüber erhebt, so bekennt er sich damit zu den auf den Deutschen Ärztetagen der Jahre 1924, 1926 und 1931 gefaßten Beschlüssen, die dem einmütigen Willen der freien deutschen Ärzteschaft entsprachen und auch heute noch entsprechen.“ So die Stellungnahme des Ärztetags.

Auftrag an die

„Ärztekommission“

Nach dem Bericht über den Nürnberger Prozeß gegen 20 SS- Ärzte und Wissenschaftler von Fred Mielke, Heidelberg, wurde auf An- trag von Dr. Neuffer folgender Be- schluß angenommen: „Der 51. Deut- sche Ärztetag beschließt, die deut- sche Ärztekommission beim 1. Ame- rikanischen Militärgerichtshof in

Nürnberg mit der baldigen Druckle- gung des abschließenden Berichtes ,Wissenschaft ohne Menschlichkeit, medizinische und eugenische Irrwege unter Diktatur, Bürokratie und Krieg‘

zu beauftragen, wobei die Ärztekam- mern sich zur anteiligen Abnahme der erforderlichen Anzahl von Exem- plaren der Druckschrift verpflichten.

Danach ist die Tätigkeit der Kommis- sion als beendet anzusehen.“

Im September 1949 wird auf dem 52. Deutschen Ärztetag in Hannover die Forderung nach einem Gesund- heitsministerium erhoben. Es wird wiederum auf die „Not der Flücht- lingsärzte und der Jungärzte sowie die

dadurch hervorgerufenen starken so- zialen Spannungen innerhalb des Be- rufes hingewiesen“ und zur Kranken- versicherung festgestellt: „Das Maß des Notwendigen wird heute nicht er- reicht.“ Unverändert aktuell heißt es dazu: „Wenn die Reichsversiche- rungsordnung der ärztlichen Heil- tätigkeit Schranken setzen will, indem sie dem Arzt verbietet, das ,Maß des Notwendigen‘ zu überschreiten, so verstrickt sie ihn in einen ständigen Konflikt zwischen den Forderungen seines ärztlichen Gewissens und sei- ner Verantwortlichkeit gegenüber der Ökonomie der Krankenkasse. Die Überschreitung der wirtschaftlich ge- botenen Grenzen wird mit Ersatz- pflicht bedroht, ihre Innehaltung sol- len Kontrollen verbürgen, die des

Arztes ebenso unwürdig sind wie des Kranken. Seit dem Zusammenbruch und insbesondere seit der Währungs- umstellung ist die deutsche Kranken- versicherung nicht mehr in der Lage, den Versicherten eine Versorgung zu gewähren, die dem Stande der ärztli- chen Wissenschaft entspricht, ohne ihren wirtschaftlichen Zusammen- bruch gewärtigen zu müssen. Das Maß des Notwendigen wird heute nicht erreicht. Im Vordergrund einer jeden Versicherungsform muß des- halb vor allem die Forderung stehen:

den Krankenkassen die Gewährung einer Krankenhilfe zu ermöglichen, die dem heutigen Stande der medizi-

nischen Wissenschaft entspricht.

Nicht auf das Notwendige, sondern auf das Menschenmögliche und damit Menschenwürdige hat der Kranke Anspruch. Auch die Psychotherapie ist ein Bestandteil vollkommener Heilbehandlung.“

Könnte so nicht auch heute argu- mentiert werden?

Ausführlich wird 1949 auch das Problem der Flüchtlingsärzte behan- delt. In einer dazu auf Antrag der In- teressengemeinschaft „Kriegsvertrie- bener Ärzte“ verabschiedeten Ent- schließung heißt es unter anderem:

„Die gleichberechtigte wirtschaftli- che Sicherstellung der berufsunfähi- gen kriegsvertriebenen Ärzte, ihrer Familien, Witwen und Waisen ist an- zustreben.“ Nicht zuletzt deshalb

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wird mit Nachdruck ein Gesetz gefor- dert, „das nach dem Vorbilde des seit über 25 Jahren bestehenden bayeri- schen Ärzteversorgungsgesetzes alle berufstätigen Ärzte und deren Hin- terbliebene vor wirtschaftlicher Not bei Invalidität und im Todesfalle schützt“.

1951: Rückkehr in die internationale Gemeinschaft der Ärzte

Im Auftrag des Ärztetages ver- abschiedete schließlich der Ge- schäftsführende Vorstand am 4. und 5.

November 1949 eine Berufs- und Facharztordnung, in die das von dem 1947 gegründeten Weltärztebund 1948 verabschiedete Genfer Gelöbnis einbezogen wurde. Eine wichtige Voraussetzung der Aufnahme der deutschen Ärzteschaft in den Welt- ärztebund, der ursprünglich dafür eine Kollektivschuldanerkennung für die Verbrechen von Ärzten während der Nazizeit gefordert hatte, war da- mit erfüllt. Die ärztliche Berufsvertre- tung Deutschlands kehrte 1951 in die internationale Gemeinschaft der Ärz- te der Welt zurück. Sie wurde dank sachkundiger, engagierter Mitarbeit – insbesondere bei vielen ethischen Problemen – rasch ein geachteter, gleichberechtigter Partner.

Das gilt auch für den nach Unter- zeichnung der Römischen Verträge 1957 gebildeten „Ständigen Ausschuß der Ärzte der EG“. In vorbildlicher Zusammenarbeit gelang es dort den ärztlichen Berufsorganisationen, die entscheidenden Voraussetzungen da- für zu schaffen, daß im Juni 1975 im Amtsblatt der Europäischen Gemein- schaft die „Richtlinie des Rates für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und son- stigen Befähigungsnachweise des Arztes und für Maßnahmen zur Er- leichterung und tatsächlichen Aus- übung des Niederlassungsrechts und des Rechtes auf freien Dienstlei- stungsverkehr“ (75/362/EWG) veröf- fentlicht werden konnte. Sie wurde inzwischen aktualisiert und ersetzt durch die Richtlinie 93/16/EWG des Rates zur „Erleichterung der Freizü- gigkeit für Ärzte und zur gegenseiti- gen Anerkennung ihrer Diplome und

Prüfungszeugnisse und sonstigen Be- fähigungsnachweise vom 05. April 1993“.

Für die Aufbaujahre der ärztli- chen Selbstverwaltung waren die weltpolitischen Veränderungen der Nachkriegsjahre – insbesondere nach der Berlin-Blockade 1948 und dem Ausbruch des Korea-Krieges 1950 – sowie die zunehmende Konfrontation zwischen Ost und West von minde- stens ebenso großer Bedeutung wie für die staatliche Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland. Sie wa- ren unter anderem Anlaß, einen west- deutschen Verteidigungsbeitrag vor- zusehen. Die Ärzteschaft nahm dabei auf die Gestaltung des Sanitätsoffi- ziers entscheidenden Einfluß und stellte Anfang 1952 die Forderung auf, daß der Sanitätsoffizier in erster Linie Arzt sei, der für seine taktischen Aufgaben auch eine militärische Vor- bildung benötige. Der 58. Deutsche Ärztetag 1955 in Baden-Baden richte- te in einer Entschließung an die Bun- desregierung die dringende Bitte,

„beim organisatorischen Aufbau der künftigen deutschen Streitkräfte dem Sanitätswesen die seiner Wichtigkeit für Gesundheit und Leben der deut- schen Soldaten und des deutschen Volkes entsprechende Stellung zu ge- ben“. Der 59. Deutsche Ärztetag wie- derholte 1956 mit Nachdruck diese Forderungen und betonte, die Sorge um den Menschen dürfe vor dem Ma- terial nicht zurückstehen. Am Sa- nitätswesen einer Wehrpflichtarmee – auch in Friedenszeiten – sparen zu wollen sei unverantwortlich.

Zusammenarbeit mit dem Sanitätsdienst

Daß heute der Sanitätsdienst der Bundeswehr einen den anderen In- spekteuren der Teilstreitkräfte gleich- gestellten Inspekteur des Sanitäts- dienstes hat, ist somit zu einem nicht unwesentlichen Teil den Bemühun- gen der deutschen Ärzteschaft zu ver- danken. Damit wurde gleichzeitig ei- ne enge Zusammenarbeit zwischen dem Sanitätsdienst der Bundeswehr und der verfaßten Ärzteschaft be- gründet. Die ärztlichen Sanitätsoffi- ziere wurden vollberechtigte Mitglie- der der Ärztekammern; gleichzeitig

wurde eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Sanitätsdienst der Bun- deswehr und der verfaßten Ärzte- schaft begründet.

Bereits 1949 wurde ein „Gesund- heitspolitischer Ausschuß der deut- schen Ärzteschaft“ gegründet, der sich unter anderem mit Fragen der vorbeugenden Gesundheitspflege und der Krankheitsfrüherkennung be- faßte, einem Thema, das später auf dem 74. Deutschen Ärztetag in Mainz 1971 ausführlich behandelt wurde und auch heute unverändert aktuell ist.

Die „Rote Studie“ aus dem DGB und der Beginn der Ärzteprogramme

Nach den Aufbaujahren nun ein Sprung in die 60er Jahre: Die infolge der Studentenrevolte von 1968 ver- stärkt einsetzende Diskussion um die nach dem Wiederaufbau immer noch bestehenden Mängel in unserer Ge- sellschaft, vor allem im Vergleich zu den im Grundgesetz formulierten Zielen und Idealen und die vor al- lem von „gesellschaftlich relevanten Gruppen“ erstellten Mängellisten und beklagten Theoriedefizite sowie die fehlenden programmatischen Aussagen zur Veränderung einer kon- sumorientierten Wohlstandsgesell- schaft, ließ auch die Ärzteschaft nicht unberührt. Für das Gesundheitswe- sen wurde 1971 vom Wirtschaftswis- senschaftlichen (später Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen) Institut des DGB eine „Studie zur Gesund- heitssicherung in der Bundesrepublik Deutschland“ veröffentlicht – damals bekannt als die „Rote Studie“, einmal wegen ihres Einbandes, dann aber auch wegen des Inhaltes. Mit Blick auf die WHO-Definition der Gesund- heit als Zustand körperlichen, geisti- gen und sozialen Wohlbefindens und ergänzt um gesellschaftliche Aspekte, wurden sowohl eine umfangreiche

„Analyse qualitativer und quantita- tiver Mängel und Lücken im gegen- wärtigen Gefüge der Gesundheitssi- cherung“ vorgenommen, als auch zahlreiche, teils systemverändernde, ideologisch geprägte Reformvorschlä- ge gemacht. Weitere arzt- und gesund- heitssystemkritische Veröffentlichun- gen in den Medien folgten. ! A-2896 (44) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 44, 31. Oktober 1997

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Die Reaktion der Ärzteschaft darauf war überwiegend negativ, brachte aber eine breite Diskussion in Gang. In den ärztlichen Verbän- den, so dem Hartmannbund und dem Marburger Bund, wurde an Antwor- ten und eigenen Programmen gear- beitet. Auf dem 75. Deutschen Ärzte- tag 1972 wurde an die zahlreichen Reformanstöße der Ärzteschaft seit 1948 erinnert, gleichzeitig wurden aber grundlegend neue, der Entwick- lung der Medizin entsprechende und noch heute richtungweisende „Leit- sätze zur Struktur der Krankenhäu- ser und ihres ärztlichen Dienstes“

verabschiedet, zu denen die von einer außerordentlichen Hauptversamm- lung des Marburger Bundes im April 1971 in Saarbrücken beschlossenen

„Vorschläge zur Reform des Kran- kenhauswesens“ entscheidend beige- tragen hatten. Diese Strukturvor- schläge wurden auch von der Deut- schen Krankenhausgesellschaft auf- gegriffen, die auf dem Krankenhaus- tag 1973 in Hannover die von einer Strukturkommission unter Mitwir- kung der Ärzteschaft entwickel- ten „Modernen Krankenhausstruk- turen“ vorstellte.

„Gesundheits- und sozial- politische Vorschläge der deutschen Ärzteschaft“

Auf dem 76. Deutschen Ärztetag 1973, zugleich Jubiläumsveranstal- tung „100 Jahre Deutscher Ärztetag“, wurden schließlich „Gesundheits- und sozialpolitische Vorschläge der deutschen Ärzteschaft“ vorgelegt, in deren Vorwort es heißt: „Das große und wachsende Interesse der Öffent- lichkeit an den Problemen der sozia- len Sicherheit – und dabei besonders am Ausbau des Gesundheitswesens auf dem Gebiet der präventiven wie kurativen Gesundheitspflege – ver- pflichtet die Ärzteschaft, ihre Auffas- sung über eine zeitgerechte Gesund- heits- und Sozialpolitik zu erläutern.

Dabei betrachtet sich der Deutsche Ärztetag als sachverständige Vertre- tung der Gesamtbevölkerung in ge- sundheitlichen Belangen.“

Zur Abgrenzung der Gesund- heits- von der Sozialpolitik wird darin festgestellt:

„Im freiheitlichen und sozialen Rechtsstaat wird die in den politi- schen Gesamtzusammenhang einge- fügte Gesundheitspolitik

1bestimmt durch den Wert der Gesundheit als eines wesentlichen Elements der persönlichen Existenz des Menschen,

1 begrenzt durch den Vorrang des Grundrechts des Menschen auf Schutz der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit.

Im freiheitlichen und sozialen Rechtsstaat muß die Sozialpolitik

1die für die Entfaltung der indi- viduellen Freiheiten notwendige so- ziale Sicherheit schaffen,

1 den Ausgleich der unter- schiedlichen individuellen Chancen und Risiken in der Gesellschaft er- möglichen.“

Diese vom 77. Deutschen Ärzte- tag 1974 verabschiedeten Grundsätze sowie die Strukturvorstellungen für den ärztlichen Dienst in den Kran- kenhäusern, die 1977 durch den 80.

Deutschen Ärztetag zu „Thesen zur Reform der Struktur der Kranken- häuser und ihres ärztlichen Dienstes sowie über die Zusammenarbeit zwi- schen den Ärzten in freier Praxis und im Krankenhaus“ erweitert wurden, sind seitdem wiederholt durch Deut- sche Ärztetage bestätigt und bekräf- tigt worden, zuletzt insgesamt im

„Gesundheits- und sozialpolitischen Programm der deutschen Ärzte- schaft“ von 1994 sowie in weiteren Einzelentschließungen zur sogenann- ten 3. Stufe der Gesundheitsreform durch die folgenden Deutschen Ärz- tetage.

Der 100. Deutsche Ärztetag im Mai 1997 hat für eine patientenge- rechte Weiterentwicklung auch nach der Verabschiedung der GKV-Neu- ordnungsgesetze weiterhin die Reali- sierung folgender Vorschläge gefor- dert:

1 Schaffung der gesetzlichen Voraussetzungen für eine effiziente Verbindung zwischen ambulanter und stationärer ärztlicher Versorgung mit dem Ziel, eine an den Versorgungsbe- dürfnissen der Patienten orientierte sachgerechte Arbeitsteilung zwischen ambulanter haus- und fachärztlicher Versorgung einerseits und stationärer Versorgung andererseits zu erreichen und dadurch die sektorale Abgren-

zung beider Bereiche zu überwinden.

Die Verbindung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung muß auf einer personenbezogenen Grundlage, insbesondere durch persönliche Er- mächtigungen von qualifizierten Krankenhausärzten zur Erbringung hochspezialisierter Leistungen, erfol- gen.1 Sicherstellung der Investiti- ons- und Betriebsfinanzierung einer bedarfsgerechten Krankenhausver- sorgung, d. h. eines nach Leistungs- fähigkeit gestuften und flächen- deckend gegliederten Systems von wohnortnahen Krankenhäusern mit differenzierter medizinischer Aufga- benstellung.

1 Strukturreform der Kranken- häuser und ihres ärztlichen Dienstes (Teamarztmodelle).

1 Entlastung der Gesetzlichen Krankenversicherung, insbesondere von krankenversicherungsfremden Leistungen.

1 Erweiterung der Beitrags- pflicht in der Gesetzlichen Kranken- versicherung auf alle Einkommensar- ten unter Festlegung von Einkom- mensfreigrenzen und Überprüfung der Beitragsbemessungsgrenze;

Einführung eines Ehegattensplittings (Aufhebung beziehungsweise Mo- difizierung des Mitversicherungssy- stems);

Überprüfung des Kreises der gesetz- lich Krankenversicherten.“

Das Bundesverfassungs- gericht zieht den Rahmen für das Facharztwesen

Der Beschluß des Bundesverfas- sungsgerichts vom 9. Mai 1972 brach- te für die Arbeit der Ärztekammern erhebliche Konsequenzen. Das BVG stellte darin fest:

1.) Zur Regelung des Facharzt- wesens besitzt der Bund keine Ge- setzgebungszuständigkeit.

2.) Das Facharztwesen darf nicht ausschließlich der Regelung durch Satzungen der Ärztekammern (Fach- arztordnungen) überlassen werden.

Mindestens die „statusbildenden“

Bestimmungen muß der Gesetzgeber selbst treffen.

Unter „statusbildenden“ Nor- men verstand das Verfassungsgericht

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Regeln, „welche die Voraussetzungen der Facharztanerkennung, die zuge- lassenen Facharztrichtungen, die Mindestdauer der Ausbildung, das Verfahren der Anerkennung, die Gründe für eine Zurücknahme der Anerkennung sowie endlich auch die allgemeine Stellung der Fachärzte in- nerhalb des gesamten Gesundheits- wesens betreffen, die in den Grundzü- gen durch ein förmliches Gesetz fest- gelegt werden müssen. Die dann noch erforderlichen ergänzenden Regelun- gen können nach dem Ermessen des Gesetzgebers dem Satzungsrecht der Ärztekammern überlassen bleiben.“

Eine grundlegende Überarbei- tung des Weiterbildungsrechtes war erforderlich. Sie erfolgte, nachdem in Nordrhein-Westfalen als erstem Bun- desland die nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts notwendi- gen gesetzlichen Regelungen getrof- fen waren, durch Verabschiedung ei- ner neuen (Muster-)Weiterbildungs- ordnung durch den 79. Deutschen Ärztetag 1976 in Düsseldorf.

Die „Mobilisierung der Bildungsreserven“ und der rapide Anstieg der Studentenzahlen

Etwa in die Zeit des 25jährigen Bestehens der Bundesärztekammer, also in den endsechziger Jahren bis Mitte der siebziger Jahre, fallen auch vehemente Auseinandersetzungen um die Gestaltung der Bildungspoli- tik. Dem politisch propagierten Bil- dungsnotstand sollte durch „Mobili- sierung der Bildungsreserven“ begeg- net werden. Ziel einer Ausbildung oder eines Universitätsstudiums soll- te nicht in erster Linie ein Berufsab- schluß, sondern das „Erlebnis der Bil- dung an sich“ sein. Die bereits damals sichtbaren Spätfolgen der Entwick- lungen in den ersten Nachkriegsjahr- zehnten, die aus der „Ärzteschwem- me“ nach 1945 einen Ärztemangel hatten werden lassen, nun aber wie- derum die Studentenzahl stark hatten ansteigen lassen, führten zu einer un-

differenzierten Propagierung des Me- dizinstudiums.

Doch schon 1974 wird in einer vom Bundesminister für Bildung und Wissenschaft in Auftrag gegebenen Studie der Firma McKinsey & Com- pany Inc. zum „Ausbildungsbedarf für Mediziner bis zum Jahr 2000“ un- ter anderem ausgeführt: „Eine Studi- enanfängerzahl von jährlich 7 500 reicht aus, um den erwarteten Anstieg der Gesamtnachfrage nach ärztlichen Leistungen zu befriedigen.“ McKin- seys Schlußfolgerung:

„Diese Studienanfängerzahl wird bereits aufgrund der laufenden Aus- bauvorhaben erreicht, möglicherwei- se sogar überschritten.“

Der dramatische Rückgang der Medizinstudentenzahlen und der sechs bis acht Jahre später ebenso drastische Rückgang der Approbatio- nen von 2 900 noch im Jahr 1953 auf den Tiefstand von 500 im Jahr 1957, der erst im Jahr 1965 mit 2 600 Appro- bationen eine dem Stand von 1953 vergleichbare Größenordnung er-

A-2899 Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 44, 31. Oktober 1997 (47)

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reichte, traf mit einem nach Inkraft- treten des Bundesangestelltentarifes (BAT) im April 1961 ebenso wie durch die Entwicklung der Medizin stark erhöhten Bedarf an Ärzten in den Krankenhäusern zusammen. Die- ser Ärztemangel in den Krankenhäu- sern wurde durch die Niederlassungs- welle noch verschärft, nachdem das Bundesverfassungsgericht im März 1960 Zulassungsbeschränkungen zur kassenärztlichen Versorgung auf- grund von Verhältniszahlen für ver- fassungswidrig erklärt hatte.

In der ambulanten kassenärztli- chen Versorgung war es durch die Fortschritte der Medizin, aber auch durch das Ausscheiden älterer Jahr- gänge, besonders in Stadtrand- und Landgebieten vorübergehend zu Versorgungsengpässen gekommen.

Ebenso konnten offene Stellen im öf- fentlichen Gesundheitsdienst nicht besetzt werden. Das jedoch verschärf- te die Situation in den Krankenhäu- sern und war ebenso wie die verstärk- te Beteiligung und Ermächtigung von Krankenhausärzten an der kassen- ärztlichen Versorgung zur Überwin- dung des viel beklagten „starren Grabens“ zwischen ambulanter und stationärer Versorgung Ursache teil- weiser überzogener Einkommens- erwartungen. Die Attraktivität des Medizinstudiums wurde dadurch er- heblich beeinflußt, zumal Hochschul- absolventen in der Medizin – im Ge- gensatz zu manch anderen Fachrich- tungen – schon als Medizinalassisten- ten sofort mit einer nach BAT II vergüteten Stelle rechnen konnten.

Von großem Einfluß waren fer- ner wiederholt öffentlich erhobene Vorwürfe einer angeblich falschen So- zialisation jüngerer Ärzte durch die Orientierung am Vorbild älterer Be- rufskollegen, wobei Belange der Ge- sellschaft außer acht gelassen würden.

Hektische politische

Reaktionen: „Bettenberg“,

„Kostenexplosion“ . . .

Die Politik reagierte auch damals hektisch, ohne die Ursachen der Fehl- entwicklungen exakt zu analysieren.

Während es in der gesundheitspoliti- schen Diskussion bis in die 70er Jahre hauptsächlich um angebliche oder

tatsächliche Schwachpunkte in unse- rem Gesundheitssystem und um zahl- reiche, oftmals utopische Vorschläge ging, die Versorgung der Patienten zu verbessern und durch einen Großein- satz von Bauten, technischem Gerät und Personal alle Krankheiten heil- bar zu machen oder durch Vorsorge- maßnahmen gar nicht erst entstehen zu lassen, erfolgte Mitte der 70er Jah- re ein Wandel dieser Einstellung. In den Krankenhäusern wurde der trotz staatlicher Planung entstandene

„Bettenberg“ entdeckt, im Gesund- heitswesen als ganzem die „Kostenex- plosion“, die bis zum Jahr 2000 bewir- ken werde, daß jede erwirtschaftete Mark für das Gesundheitswesen aus- gegeben werden müßte. Vorschläge zur Kostensenkung schossen gerade- zu wie Pilze aus dem Boden; sie ver- wechselten oft Ursache und Wirkung und zielten zumeist auf ein Kurieren an Symptomen.

Von den sachgerecht kausal wir- kenden Vorschlägen der Ärzteschaft zur Anpassung der Versorgungsstruk- turen an die Entwicklung der Medizin durch tiefgreifende Reformen – einschließlich der Überwindung des viel beklagten Grabens zwischen am- bulanter und stationärer Versorgung – wurde jedoch mangels der notwen- digen Einsicht der Beteiligten und Verantwortlichen viel zu wenig ver- wirklicht.

Die Ursachen für die Unterlas- sung dringend notwendiger Refor- men sind nicht zuletzt in vielen – aller- dings auch unterschiedlichen – ideo- logisch bedingten Barrieren und Scheuklappen zu suchen. Auch Be- sitzstandsdenken, Halbherzigkeit und Zukunftsangst führten zusammen mit sektoralem Denken und dem Behar- ren auf überholten Strukturen we- sentlich mit zu den heute allseits be- klagten Problemen. Und sicher ist die Feststellung nicht falsch, daß bei rechtzeitigem Handeln viele der heu- te lautstark beklagten Probleme mög- licherweise überhaupt nicht entstan- den wären, mindestens aber nicht die- se Größenordnung erreicht hätten.

Kompliziert wurde die öffentliche Diskussion über Fragen des Gesund- heitswesens durch einen in dieser Zeit einsetzenden Paradigmenwandel von oft allzu unkritischer Wissenschafts- und Technikgläubigkeit und der Vor-

stellung, alles sei machbar, wenn man es nur richtig organisiere und finan- ziere, zu einer ebenso unbegründeten, unkritischen Wissenschaftsskepsis und Technikfeindschaft.

Noch 1972 wurde das Kranken- hausfinanzierungsgesetz (KHG) mit der Veränderung der Finanzierungs- grundlagen der Krankenhäuser und Einführung einer Krankenhausbe- darfsplanung als Problemlösung schlechthin und als „Jahrhundertge- setz“ gepriesen. Doch schon bald folgte die Ernüchterung, leider aber kein zielgerichtetes kausales Han- deln, das – wie in der Medizin – eine exakte Analyse und Diagnose als Vor- aussetzung einer dauerhaft wirksa- men Therapie gehabt hätte.

In immer kürzeren Abständen versuchte der Gesetzgeber, durch neue Bestimmungen der Entwicklung Herr zu werden. Doch auch rund 50 Gesetze mit rund 7 000 Einzelbestim- mungen konnten die Probleme nicht lösen, weil die Ursachen der Entwick- lungen nicht erkannt wurden. Sachge- rechte Vorschläge der Ärzteschaft wurden nicht beachtet.

Ärztliche

Reformvorschläge wurden abgetan

Die wiederholten Forderungen Deutscher Ärztetage zu Strukturver- änderungen des ärztlichen Dienstes im Krankenhaus als eine der wichtig- sten Voraussetzungen für eine Anpas- sung der Versorgungsstrukturen an die Fortschritte der Medizin und den durch die demographische Entwick- lung veränderten Bedarf sowie für ei- ne bessere Verbindung zwischen am- bulantem und stationärem Behand- lungsbereich wurden nur wenig be- achtet oder gar als ärztliche Interes- senpolitik zur Pfründesicherung ab- getan, obwohl sie sich aus der eigent- lich auch für Nichtmediziner erkenn- baren ungeheuren Wissensauswei- tung ergaben sowie den geradezu sprunghaften Fortschritten der Medi- zin, insbesondere in den vergangenen fünf Jahrzehnten.

Die damit verbundene Differen- zierung und Spezialisierung führte von den ursprünglich 1924 vom 43.

Deutschen Ärztetag in Bremen erst-

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mals definierten 14 Facharztbezeich- nungen zu den vom 95. Deutschen Ärztetag 1992 in Köln festgelegten 41 Facharztbezeichnungen und weiteren 19 Schwerpunktbezeichnungen und 22 Zusatzbezeichnungen. Die Ent- wicklung dürfte damit jedoch noch keineswegs abgeschlossen sein.

Trotz dieser Spezialisierung muß für eine möglichst effiziente Behand- lung des einzelnen Patienten jedoch der jeweils benötigte gesamte Sach- verstand einschließlich des Allge- meinarztes wirksam werden können.

Differenzierung und Spezialisierung erfordern also eine verstärkte inter- disziplinäre und außerdem eine inter- professionelle Kooperation – sowohl im Krankenhaus wie in freier Praxis als auch zwischen diesen beiden wich- tigsten und größten Versorgungsbe- reichen.

Eine möglichst gute, individuelle ärztliche Versorgung der Patienten nach dem jeweiligen Stand medizi- nisch-wissenschaftlicher Erkenntnis- se und technischer Möglichkeiten er- fordert weiterhin eine rationelle Nut- zung komplizierter und zumeist sehr investitionsintensiver Infrastrukturen rund um die Uhr an sieben Tagen der Woche. Der Zeitaufwand wie auch der Umfang von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten in einem sowohl quantitativ erweiterten als auch vor allem qualitativ veränderten Lei- stungsspektrum überfordern schon seit langem die Leistungsfähigkeit ei- nes einzelnen Arztes und erfordern deshalb intensive, von Bevormun- dung freie Kooperation aller Speziali- sten. Der Patient erwartet zu jeder Zeit unverzüglich kompetente ärztli- che Hilfe, wobei nach heutiger Recht- sprechung auch jederzeit Facharzt- standard gewährleistet sein muß.

Deshalb sind gerade im Krankenhaus heute mehr berufs- und lebenserfah- rene Ärzte mit unterschiedlichen Spezialkenntnissen erforderlich, die dort aber auch eine sie befriedigende Lebensaufgabe finden müssen.

Mit den überkommenen Struktu- ren im ärztlichen Dienst des Kranken- hauses ist dies jedoch nur selten zu er- reichen. Dies läßt sich eindrucksvoll anhand der Arztzahlentwicklung in den verschiedenen Versorgungsberei- chen während der vergangenen nahe- zu vier Jahrzehnte belegen. So ist die

Zahl der Krankenhausärzte seit 1960 von 22 702 um das Fünffache auf 107 468 im Jahr 1994 gestiegen, dar- unter hat sich die Zahl der leitenden Krankenhausärzte jedoch von 4 111 im Jahr 1960 auf 9 860 im Jahr 1994 le- diglich verdoppelt. Im gleichen Zeit- raum hat sich die Zahl der in eigener Praxis freiberuflich tätigen Ärzte von 46 795 auf 90 406 im Jahr 1994 eben- falls lediglich verdoppelt.

Wenn jedoch wegen der immer noch bestehenden Strukturen des ärztlichen Dienstes und zusätzlich we-

gen befristeter Arbeitsverträge nahe- zu 90 Prozent der im Krankenhaus tätigen Ärztinnen und Ärzte weiter- hin nach jeweils etwa vier bis zehn Jahren Krankenhaustätigkeit, also nach etwa einem Drittel ihrer Lebens- arbeitszeit, das Krankenhaus verlas- sen müssen, um die folgenden zwei Drittel ihrer Lebensarbeitszeit über- wiegend in eigener Praxis zu wirken, müssen die Arztzahlen in der Praxis stark ansteigen. Sie werden sogar weit überproportional ansteigen müssen, weil die Zahl der Krankenhausärzte an der Gesamtzahl der Ärzteschaft nicht mehr wie 1960 lediglich ein gu- tes Viertel der niedergelassenen Ärz- te beträgt, sondern mit 135 341 die Zahl der niedergelassenen Ärzte mit 112 660 im Jahr 1996 inzwischen deut- lich übersteigt.

Verbunden mit dieser Entwick- lung ist eine Verschiebung der Rela- tionen zwischen Spezialisten und All-

gemeinärzten in der hausärztlichen Versorgung. Dies wiederum muß in Relation zu der Gesamtzahl von heu- te rund 100 000 Medizinstudenten in Deutschland gesehen werden. Die politisch Verantwortlichen müssen immer wieder mit Nachdruck darauf hingewiesen werden, daß die Ent- wicklungen der Arztzahlen trotz der sprunghaften Fortschritte in der Me- dizin wegen der langen Aus- und Wei- terbildungszeiten in außerordentlich langen Wellen, oft über mehrere Jahr- zehnte, verlaufen und einem Zeit-

raum von drei bis fünf Legislaturperi- oden entsprechen. Ein zumeist nur auf den nächsten Wahltermin orien- tierter Politiker nimmt aber oft nur ei- nen Teilabschnitt dieser an- oder ab- flutenden Welle wahr, die er dann häufig noch als Bewegung des Uni- versums mißdeutet.

Die tiefgreifenden Veränderun- gen gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Rahmenbedingun- gen, insbesondere nach der Überwin- dung der Ost-West-Konfrontation und der Öffnung der Grenzen in Deutschland und in Europa, wirken sich wegen der veränderten Finanzie- rungsbedingungen, vor allem infolge der hohen Arbeitslosigkeit, auch auf das Gesundheitswesen aus. Betroffen davon sind die Arbeitsbedingungen des einzelnen Arztes in Praxis oder Krankenhaus, aber auch das Bewußt- sein und Selbstverständnis der Ärzte- schaft insgesamt.

A-2901 Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 44, 31. Oktober 1997 (49)

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Während ursprünglich nahezu ausschließlich freiberufliche Tätigkeit die Regel war und das Bewußtsein zum Beispiel auch der Delegierten des 51. Deutschen Ärztetages 1948 in Stuttgart geprägt hatte, ist heute der größere Teil der Ärzteschaft im Status des Angestellten oder Beamten tätig.

Das Zusammengehörigkeitsgefühl entsprechend der in der Bundesärzte- ordnung enthaltenen Definition Der Arztberuf ist seiner Natur nach ein freier Berufist jedoch bis heute – trotz vielerlei unterschiedlicher Interessen – weitgehend erhalten geblieben.

Oder angesichts jüngster Entwicklun- gen vielleicht besser: noch erhalten geblieben. Dies muß nicht geradezu zwangsläufig in Zukunft so bleiben, wie sich an der veränderten Bewußt- seinslage vieler Krankenhausärzte und den zunehmend militanter ver- tretenen Interessen einzelner Arzt- gruppen abzeichnet.

Sollte sich diese Entwicklung verstärken, wird durch die uneinsich- tige und unnachgiebige Verfolgung von Partikularinteressen die Glaub- würdigkeit und Durchsetzungskraft der ärztlichen Selbstverwaltung ins- gesamt nachhaltig beeinträchtigt – und das zu einem Zeitpunkt, in dem nach dem Motto „Vorfahrt für die Selbstverwaltung“ durch Maßnah- men des Gesetzgebers, zuletzt durch das zum 1. Juli 1997 in Kraft getretene 2. Gesetz zur Neuordnung von Selbst- verwaltung und Eigenverantwortung in der Gesetzlichen Krankenversiche- rung (2. GKV-Neuordnungsgesetz –

2. GKV-NOG), der Selbstverwaltung mehr Gestaltungsraum geschaffen wurde.

Die Ärzteschaft kann sich natür- lich mit den jetzt gefundenen Rege- lungen nicht zufriedengeben. Nicht alle dringend notwendigen und seit langem überfälligen Reformen und Veränderungen sind damit zu bewir- ken. Nur wenige ihrer Forderungen könnten damit erfüllt werden; sie ent- ziehen sich vielfach allerdings auch der Regelungskompetenz durch den Bundesgesetzgeber und fallen in die Zuständigkeit der Länder oder der Krankenhausträger. Selbstverwal- tung kann schließlich nur dort tätig werden und Verantwortung überneh- men, wo sie auch Regelungskompe- tenzen hat.

Für die Zukunft ist ein noch en- geres Zusammenwirken der ärzt- lichen Selbstverwaltungskörperschaf- ten und der Ärzteschaft insgesamt mit den Selbstverwaltungen von Kran- kenkassen und Krankenhausträgern auf Bundes- und Länderebene erfor- derlich. Dies ergibt sich nicht nur aus den durch das 2. GKV-NOG der Selbstverwaltung übertragenen Auf- gaben, sondern auch durch andere ge- setzliche Regelungen, zum Beispiel in dem jetzt endlich durch Bundestag und Bundesrat verabschiedeten Transplantationsgesetz oder durch das im Referentenentwurf vorliegen- de Transfusionsgesetz.

Wegen der im Sozialrecht vorge- sehenen Begrenzung der von der Soli- dargemeinschaft zu bezahlenden Lei-

stungen auf das Notwendige, Zweck- mäßige und Ausreichende, das wirt- schaftlich erbracht werden kann, so- wie der Budgetvorgaben muß der Ge- setzgeber prüfen, ob nicht den betei- ligten Selbstverwaltungskörperschaf- ten eine gesetzliche Legitimation zu sachgerechter Information einge- räumt werden muß, etwa über Wirk- samkeit oder unerwünschte Wirkun- gen von Arzneimitteln oder für die Beschränkung der in wissenschaftli- chen Leitlinien aufgestellten Empfeh- lungen auf das unbedingt Notwendi- ge, unter Verzicht zum Beispiel auf das Nützliche und Wünschenswerte.

Der Staat sollte sich auf die Festlegung von Rahmen- bedingungen beschränken

Zur Sicherung einer möglichst effizienten Versorgung der Patienten unter Nutzung der weiterhin raschen Fortschritte der Entwicklung der Me- dizin sowie unter Beachtung des Zie- les der 3. Stufe der Gesundheitsre- form, Leistungsfähigkeit und Finan- zierbarkeit des Gesundheitswesens auch über das Jahr 2000 hinaus dauer- haft zu sichern, sollte sich der Staat künftig mehr als bisher auf die Festle- gung von Rahmenbedingungen be- schränken und die Vertragsfreiheit der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten, Krankenkassen und Kranken- hausträgern sichern, bei der allerdings auch Verantwortung und Kompetenz zusammengeführt werden müssen.

Für die Ärzteschaft ergibt sich daraus, daß ihre Selbstverwaltungskörper- schaften unabhängig vom Status der Ärzte als Freiberufler, Angestellte oder Beamte organisiert werden, wie dies zum Beispiel schon heute in den Ärztekammern der Fall ist, damit un- ter Zurückstellung von Partikularin- teressen eine sektorübergreifende Selbstverwaltung ein Gegeneinander vermeiden und dauerhaft in ein Mit- einander verwandeln kann. Nur so wird künftig die Selbstverwaltung ih- rer Aufgabe gerecht werden können, eine auch wirtschaftlich effiziente Pa- tientenversorgung und zugleich lei- stungsgerechte Vergütungen für die Ärztinnen und Ärzte in allen Ver- sorgungsbereichen zu sichern. Gegen- über einer sektorübergreifenden

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Selbstverwaltung wäre die Aufrecht- erhaltung einer getrennten Selbst- verwaltung für die jeweiligen Versor- gungssektoren oder gar eine Zer- stückelung, etwa für Hausärzte und Spezialisten, auf Dauer das Ende ei- ner wirksamen Selbstverwaltung. Bei staatlich vorgegebenem Sparzwang wären Verlagerungen von einem in ein anderes Budget oder einen ande- ren Sektor, aus betriebswirtschaft- lichen Gründen Leistungsausgren- zungen und Risikoselektionen nahe- zu unvermeidlich.

Eine Selbstverwaltung neuer Art

Eine sektorübergreifende Selbst- verwaltung neuer Art, die bereits 1970 in dem Modell von Herder- Dorneich mit Bildung von kranken- hausärztlichen Vereinigungen einmal anklang, könnte dann auch für eine bessere Integration von stationärem und ambulantem Bereich sachgerech- te Lösungen je nach regionalen Gege- benheiten erreichen. Versorgungs- strukturen müssen ebenso wie die Strukturen der Selbstverwaltung den wachsenden Anforderungen der mo- dernen Medizin entsprechen, um Lei- stungsfähigkeit und Finanzierbarkeit unseres Gesundheitswesens dauer- haft zu sichern. Allein rational be- gründete und nicht lediglich ideolo- gisch geprägte Lösungen können für den einzelnen Patienten zu besserer individueller Behandlung und für das Gesundheitssystem insgesamt zu mehr Wirtschaftlichkeit führen.

Der Staat allerdings darf Selbst- verwaltung nicht als staatliche Auf- tragsverwaltung betrachten und schon gar nicht für die Regelung von unlösbaren Problemen mißbrauchen, für die es nach objektiven Kriterien entweder überhaupt keine Lösung gibt oder aber für deren Lösung den verantwortlichen Politikern Einsicht, politischer Wille oder Mut – vielleicht auch alles zusammen – fehlen.

Selbstverwaltung kann schließ- lich nur dann wirksam arbeiten, wenn ihre Regelungen durch die Mehrheit der Mitglieder akzeptiert werden.

Die Mandatsträger – auch in sektor- übergreifenden Selbstverwaltungs- körperschaften – müssen nach demo-

kratischen Grundsätzen gewählt wer- den, gegebenenfalls in Relation zu der Anzahl der in den verschiedenen Versorgungsbereichen Tätigen. Sie können deshalb nicht gegen den er- klärten Willen ihrer Mitglieder und Wähler arbeiten, weil mit Selbst- verwaltung Rechte und Pflichten für alle verbunden sind. Bei der Arbeit der ärztlichen Selbstverwaltung müs- sen deshalb sowohl die Entscheidun- gen der Mitglieder beachtet als auch die Belange der Allgemeinheit ge- wahrt werden. Denn Selbstverwal- tung kann von der Allgemeinheit – und damit dem Gesetzgeber – nur so lange akzeptiert werden, wie deren Tätigkeit als mittelbare Staatsverwal- tung im allgemeinen Interesse schlüs- sig und glaubwürdig ist. Der Gesetz- geber sollte aber nicht versuchen, jedes von der Selbstverwaltung er- kannte Problem an sich zu ziehen, um es gesetzlich zu regeln, weil man es angeblich der Selbstverwaltung nicht in eigener Verantwortung überlassen könne. Dem Gesetzgeber ist es häu- fig wegen der außerordentlich dif- fizilen und differenzierten Tatbestän- de, aber auch wegen des oft partei- politisch geprägten Meinungsstreites viel weniger oder überhaupt nicht möglich, zu sachgerechten Lösungen zu kommen. Außerdem besteht die Gefahr, Eigeninitiative und Motiva- tion für ein ehrenamtliches Enga- gement der in der Selbstverwaltung an verantwortlicher Stelle Tätigen zu lähmen.

Kontinuität und Wandel werden auch in den kommenden Jahrzehnten die Arbeit der Bundesärztekammer als der Spitzenorganisation ärztlicher Selbstverwaltung prägen. Dabei müs- sen wir uns stets veränderten Anfor- derungen stellen.

Geschichtliche Entwicklungen ebenso wie große Chancen wiederho- len sich nicht; dennoch kann man dar- aus lernen. Manche Sorgen der Nach- kriegszeit sind vielen heute nahezu unverständlich, andere wiederum sind oder werden wieder aktuell, wie zum Beispiel die zunehmende Zahl arbeitsloser Ärzte und die infolge der Veränderung der Marktbedingungen wiederum einsetzende Ausplünde- rung ärztlicher Arbeitskraft – vor al- lem jüngerer Ärztinnen und Ärzte – zeigen.

Aus der Geschichte der Ärzteschaft lernen?

Trotz allen Wandels bleibt rich- tig, was zur Eröffnung des 51. Deut- schen Ärztetages 1948 in Stuttgart gesagt wurde: „Die Geschichte unse- res Standes lehrt uns, daß wir Ärzte nur dann unsere Lebensrechte wirk- sam verteidigen können, wenn wir einig sind. Mit mehrfach wechseln- den, den jeweiligen Zeitverhältnissen angepaßten Formen der Berufsver- tretung und des kollegialen Zusam- menschlusses waren wir immer von neuem gezwungen, um die Erhaltung unserer Unabhängigkeit und um be- friedigende und würdige Lebensbe- dingungen zu kämpfen. Zur Stunde wissen wir nicht, ob uns die zuletzt auf dem Kölner Ärztetag von 1931 mit so großem Erfolge geforderten Formen der Berufsvertretung und der beruflichen Selbstverwaltung erhalten bleiben . . . Die durch eine etwaige Aufhebung des geltenden Arztrechts entstehenden Folgen wür- den uns zwingen, wiederum neue Formen des beruflichen Zusammen- schlusses zu finden.“

Auch wir wissen heute nicht, wel- che Formen der Selbstverwaltung die kommenden Jahrzehnte prägen wer- den. Eines allerdings ist auch in Zu- kunft sicher: Ein leistungsfähiges Ge- sundheitswesen erfordert die enga- gierte Mitwirkung der Ärzte und ihrer Selbstverwaltung. Die zur Sicherung von Leistungsfähigkeit und Finanzier- barkeit anstehenden politischen Ent- scheidungen setzen dabei mehr denn je eine intensive Kooperation aller an verantwortlicher Stelle Tätigen vor- aus. Haben wir also Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit und nutzen entschlossen gemeinsam die sicher bei vielen Risiken und Gefahren weitaus größeren positiven Chancen.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1997; 94: A-2891–2904 [Heft 44]

Anschrift des Verfassers

Dr. med. Dr. h. c. Karsten Vilmar Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages Herbert-Lewin-Straße 1 50859 Köln (Lindenthal) A-2904 (52) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 44, 31. Oktober 1997

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