• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "1947/1997 – Bundesärztekammer im Wandel (XVI): Medizinethik in der Berufsordnung Entwicklungen der Muster-Berufsordnung" (24.10.1997)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "1947/1997 – Bundesärztekammer im Wandel (XVI): Medizinethik in der Berufsordnung Entwicklungen der Muster-Berufsordnung" (24.10.1997)"

Copied!
7
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

B

etrachtet man die Entwicklung der Regelung ärztlicher Beruf- spflichten seit dem 19. Jahr- hundert, so stellt man heute mit einiger Überraschung fest, daß diese zunächst kaum etwas mit einem ethischen Pflichtenkatalog in bezug auf allgemeines ärztliches Handeln zu tun hatte. So zielte etwa die 1889 vom Deutschen Ärztetag verabschiedete Standesordnung (1) fast ausschließ- lich darauf ab, durch verbindliche Normen für das Verhalten der Ärzte untereinander den Auswüchsen der freien Konkurrenz auf dem ärztli- chen Arbeitsmarkt entgegenzuwir- ken. Richtlinien für medizinisch ver- antwortliches Handeln, das heißt ins- besondere auch die Wahrnehmung der Rechte der Patienten, waren nicht Gegenstand dieser Standesordnung, was mit dem bereits damals formulier- ten Anspruch des Ärztestandes, seine Angelegenheiten weitestgehend ohne staatliche Einmischung regeln zu wol- len, nicht übereinklang.

Erste Tendenzen einer Gemeinwohlverpflichtung

Bei der Weiterentwicklung der Standesordnung stand bis heute die Regelung des kollegialen Verhaltens der Ärzte untereinander im Vorder- grund. Aber schon in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg lassen sich erste Tendenzen zu einer schriftlich

fixierten Gemeinwohlverpflichtung der Ärzteschaft erkennen. So wurde eingangs der Standesordnung für die deutschen Ärzte aus dem Jahr 1926 festgehalten, daß „der Beruf des deut- schen Arztes Gesundheitsdienst am deutschen Volke“ sei und daß „der deutsche Arzt seinen Beruf nicht le- diglich zum Zwecke des Erwerbes, sondern unter dem höheren Gesichts- punkte der Fürsorge für die Gesund- heit des einzelnen wie für die Wohl- fahrt der Allgemeinheit“ ausübe (2).

Auch der Wortlaut anderer Ein- zelbestimmungen in der Standesord- nung von 1926, die vereinzelten Be- langen der Patienten Rechnung tra- gen, deutet auf erste Ansätze einer Neuorientierung bei der Verpflich- tung des Arztes auf ein standes- gemäßes Handeln hin. So findet sich etwa 1926 zum ersten Mal in der deut- schen Standesordnung die Pflicht des Arztes aufgeführt, das keimende Le- ben zu erhalten. Darüber hinaus war der Arzt zur gewissenhaften Aus- übung seines Berufs angehalten.

Auch bei den Bremer Richtlini- en (3) des Deutschen Ärztetages 1924, die eine erste umfassende Regelung des Facharztwesens darstellten, stand nun nicht mehr – wie bei der Standes- ordnung des Jahres 1889 – allein die Frage der Konkurrenz innerhalb der Ärzteschaft im Vordergrund, sondern gleichzeitig sollte der Patient durch genaue Bestimmungen über die Wei- terbildungsvoraussetzungen in einer

Spezialität vor der Verwendung miß- bräuchlicher Facharztbezeichnungen geschützt werden.

Gewissenspflicht nicht ausreichend konkretisiert

Die in der Standesordnung von 1926 angeführte pauschale Verpflich- tung auf das Gewissen des Arztes er- wies sich jedoch schon in den Jahren vor 1933 als eine nicht ausreichend konkretisierte Handlungsanleitung.

Bei der Frage nach der Zulässigkeit medizinischer Humanversuche blieb es zunächst staatlichen Stellen über- lassen, verbindliche Regelungen zu entwickeln. So kam es im Jahr 1900 im Anschluß an die öffentliche Diskussi- on über einen Fall mißbräuchlicher Forschung an Menschen zu einer Ver- fügung des preußischen Kultusmini- sters (4), in der medizinische Eingriffe zu Versuchszwecken an minderjähri- gen oder geschäftsunfähigen Perso- nen verboten und ansonsten die Zu- stimmung der Probanden nach sach- gemäßer Belehrung vorgeschrieben wurden.

Nach der Lübecker Impfkata- strophe im Jahr 1930, als nach einer BCG-Schutzimpfungsaktion 14 Kin- der starben, entwickelte sich erneut eine breite öffentliche Diskussion.

Die in der Folge 1931 vom Reichsge- sundheitsamt erarbeiteten und vom Reichsminister des Innern den Lan-

B U N D E S A R Z T E K A M M E R. .

1947/1997: Bundesärztekammer im Wandel (XVI)

Medizinethik in der Berufsordnung

Entwicklungen der Muster-Berufsordnung

Der 100. Deutsche Ärztetag hat sich 1997 in Eisenach in- tensiv mit dem vom Vorstand der Bundesärztekammer vorgelegten Entwurf einer Muster-Berufsordnung ausein- andergesetzt. Der schließlich vom Plenum des Deutschen Ärztetags verabschiedete Text bedeutet eine umfassende Neugliederung und Überarbeitung der bisher geltenden Muster-Berufsordnung. Auffällig ist die verstärkte Hin- wendung zu ethischen Grundsatzfragen, wie sie etwa in

der Hervorhebung der Patientenrechte oder der Grund- sätze korrekter ärztlicher Berufsausübung zum Aus- druck kommt. In die gleiche Richtung weisen die Be- stimmungen der neuen Muster-Berufsordnung, mit denen der Arzt bei den Tätigkeiten, die medizinisch-ethische Pro- bleme aufwerfen, an die Richtlinien (Handlungsleitlinien) der Ärztekammern gebunden wird oder mit denen ver- bindliche Vorgaben zur Sterbebegleitung gemacht werden.

Christoph Fuchs

Thomas Gerst

(2)

desregierungen zugestellten Richtli- nien über die Durchführung neuarti- ger Heilbehandlung und die Vornah- me wissenschaftlicher Versuche am Menschen (5) gehen mit ihrer umfas- senden und präzisen Regelung im Grunde sogar weit über die diesbe- züglichen späteren Deklarationen des Weltärztebunds hinaus.

Wie wenig allerdings solche ver- bindlich vorgeschriebenen und zu die- sem Zeitpunkt vorbildlichen medizin- ethischen Handlungsanweisungen in einem totalitären Staatswesen wert sind, zeigte sich in Deutschland in den Jahren nach 1933, als Menschen in denkbar unwürdigster Weise in den Konzentrationslagern von Ärzten zu Forschungszwecken mißbraucht wur- den.

Die gemäß § 14 der Reichsärzte- ordnung 1937 durch den Reichsärzte- führer erlassene Berufsordnung (6) für die deutschen Ärzte hat sich offen- sichtlich in wesentlichen Teilen an der Standesordnung von 1926 orientiert.

Nationalsozialistisches Gedankengut findet zwar insbesondere in der Präambel der Berufsordnung Aus- druck, laut der der Arzt dazu aufge- fordert wird, „seine Aufgabe im Sinne

der nationalsozialistischen Weltan- schauung und Gesundheitsführung“

zu erfüllen und für die „Erhaltung und Hebung . . . des Erbgutes und der Rasse des deutschen Volkes zu wir- ken“, und in den Ausführungen zur ärztlichen Schweigepflicht, in denen

„das gesunde Volksempfinden“ als Maßstab des Arztes für den Bruch der Schweigepflicht genannt wird. For- mal, aber auch zu formal trägt die Be- rufsordnung von 1937 auch dem Schutz des Patienten Rechnung, wie etwa beim ärztlichen Fortbildungsge- bot oder bei den Bestimmungen über die Aufzeichnungs- und Aufbewah- rungspflicht.

Vom Bad Nauheimer zum Genfer Gelöbnis

Als unmittelbare Reaktion auf den Mißbrauch der Medizin unter dem Nationalsozialismus muß das von den Vertretern der westdeutschen Ärztekammern auf ihrer Tagung am 14./15. Juni 1947, also vor Abschluß des Nürnberger Ärzteprozesses, ver- abschiedete Bad Nauheimer Gelöbnis gewertet werden (7), das der künfti-

gen Berufsordnung (von Standesord- nung ist nicht mehr die Rede) voran- gestellt werden sollte. Mit der Wieder- aufnahme in den Weltärztebund wur- de dieser Text, der zumindest in bezug auf die Durchführung von Humanver- suchen eine deutliche Formulierung fand, ersetzt durch das 1948 in Genf vom Weltärztebund verabschiedete Gelöbnis (8), das eine zeitgemäße Ad- aption des hippokratischen Eides dar- stellen sollte.

Das Grundgesetz der Bundesre- publik Deutschland wies den Bundes- ländern 1949 weitgehende Zuständig- keiten im Bereich des Gesundheits- wesens zu. Hierunter fiel auch die ge- setzliche Regelung ärztlicher Selbst- verwaltung in Form von Ärztekam- mern, zu deren Aufgaben der Erlaß einer die Ärzteschaft verpflichtenden Berufsordnung zählt. Eine bundes- weite deutsche Ärzteordnung, wie sie der erste Nachkriegs-Ärztetag 1948 in Stuttgart gefordert hatte, war somit ausgeschlossen.

Zu den zentralen Aufgaben der im Oktober 1947 gegründeten Ar- beitsgemeinschaft der Westdeutschen Ärztekammern (seit 1955 Bundesärz- tekammer) gehörte es daher, der Ent- wicklung unterschiedlicher Rechts- grundlagen für ärztliches Handeln entgegenzuwirken und in Form von Muster-Berufsordnungen eine mög- lichst einheitliche Regelung der ärztli- chen Berufspflichten in den Ländern herbeizuführen, was auch weitestge- hend realisiert werden konnte.

Gebot der ärztlichen Schweigepflicht

Die vom 53. Deutschen Ärztetag 1950 beschlossene Berufs- und Fach- arztordnung beseitigte die nationalso- zialistisch geprägten Passagen der Be- rufsordnung von 1937. Betont wurde besonders das ärztliche Gebot der Schweigepflicht; diesbezüglich schie- nen den ärztlichen Berufsvertretern bindende Vorschriften dringend er- forderlich, und zwei Jahre später for- derten die Delegierten des 55. Deut- schen Ärztetags den Deutschen Bun- destag zu einer eindeutigen gesetzli- chen Regelung auf.

Auf dem 59. Deutschen Ärztetag 1956 in Münster wurde eine „Berufs-

T H E M E N D E R Z E I T 50 JAHRE BUNDESÄRZTEKAMMER

Bisher sind in dieser Serie erschienen:

Thomas Gerst: Föderal oder zentral? – Der kurze Traum von einer bundeseinheitlichen ärztlichen Selbst- verwaltung (Heft 38/1996)

Gerhard Vogt: Arzt im Krankenhaus (Heft 45/1996)

Hedda Heuser-Schreiber: Ärztinnen in Deutschland – Fakten, Beobachtungen, Perspektiven (Heft 1–2/1997) J. F. Volrad Deneke: Körperschaften und Verbände – streitbare Verwandte (Heft 4/1997)

Klaus-Ditmar Bachmann, Brigitte Heerklotz: Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer (Heft 10/1997)

Marilene Schleicher: Die ärztliche Ausbildung in der Bundesrepublik Deutschland (Heft 14/1997) Jürgen W. Bösche: Die Reichsärztekammer im Lichte von Gesetzgebung und Rechtsprechung der Bundes- republik Deutschland (Heft 21/1997)

Horst Dieter Schirmer: Ärzte und Sozialversicherung (I) – Der Weg zum Kassenarztrecht (Heft 26/1997) Horst Dieter Schirmer: Ärzte und Sozialversicherung (II) – Der Weg zum Kassenarztrecht (Heft 27/1997) Franz Carl Loch, P. Erwin Odenbach: Fortbildung in Freiheit – Gestern und heute: Eine Hauptaufgabe der ärztlichen Selbstverwaltung (Heft 33/1997)

Franz Carl Loch, Wolfgang Loris: Der saarländische Sonderweg (Heft 38/1997)

Jörg-Dietrich Hoppe: Die Weiterbildungsordnung – Von der Schilderordnung zum integralen Bestandteil der Bildung im Arztberuf (Heft 39/1997)

Bruno Müller-Oerlinghausen, Karl-Heinz Munter: Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft – Qualitätssicherung in der Arzneitherapie (Heft 40/1997)

Rolf Bialas, Michael Jung: Alterssicherung in eigener Verantwortung – Ärztliche Versorgungswerke (Heft 41/1997)

Walter Burkart: Die Auslandsbeziehungen der Bundesärztekammer (Heft 42/1997)

(3)

ordnung für die deutschen Ärzte“ er- arbeitet, die für die einzelnen Berufs- ordnungen der Landesärztekammern maßgeblich wurde. Sie hat zu einer starken Einheitlichkeit des ärztlichen Berufsrechts in der Bundesrepublik geführt und wurde seither auf Deut- schen Ärztetagen ergänzt und neue- ren Entwicklungen angepaßt.

Für und wider

eine berufsbezogene Spezialethik

Die 1947 in der Urteilsbegrün- dung des Nürnberger Ärzteprozesses entwickelten Grundsätze über zuläs- sige medizinische Versuche an Men- schen, der sogenannte Nürnberger Kodex (9), fanden sowohl in Deutsch- land als auch international zunächst nur wenig Beachtung. Dies mag auch darin seine Ursache haben, daß es nicht immer unumstritten war, ob und inwieweit es für einen bestimmten Stand oder Berufszweig einen von all- gemeinen ethischen Forderungen ab- geleiteten ethischen Spezialkatalog geben muß oder kann.

Diese Frage wurde auch bei den Verhandlungen des 100. Deutschen Ärztetages angeschnitten, als über die Notwendigkeit der in der Berufsord- nung aufgeführten Verhaltensregeln (Grundsätze korrekter ärztlicher Be- rufsausübung) diskutiert wurde. Hier scheint es wichtig, darauf hinzuwei- sen, daß allgemeine ethische Forde- rungen vielfach nicht dazu geeignet sind, im konkreten Fall als Hand- lungsanweisung zu dienen, daß sie wie im Fall der ärztlichen Berufsordnung einer berufsbezogenen praktischen Umsetzung bedürfen.

Regeln für die

medizinische Forschung

Gerade in bezug auf die medizi- nische Forschung an Menschen hielt man lange Zeit die in der Berufsord- nung enthaltene allgemeine Ver- pflichtung zur gewissenhaften Berufs- ausübung des Arztes für ausreichend.

Ein in die Verhandlungen des 72.

Deutschen Ärztetages zur Berufsord- nung eingebrachter Antrag auf Ein- führung eines gesonderten neuen

Paragraphen „Experimente an Men- schen“ wurde mit Hinweis darauf so- wie auf die strafrechtlichen Bestim- mungen vom Vorstand der Bundes- ärztekammer abgelehnt. Verwiesen wurde ferner auf die Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes aus dem Jahr 1964 über klinische For- schung am Menschen. Allerdings muß man die Deklaration von Helsin- ki (10) noch eher als einen allgemei- nen Appell für ethisches Verhalten in der medizinischen Forschung werten.

Erst die revidierte Deklaration von Helsinki, die 1975 in Tokio (11) von der Vollversammlung des Weltärzte- bundes verabschiedet wurde, ent- wickelte diesbezüglich genauere Re- geln und Kontrollmechanismen.

Ausgehend von einer in den USA bereits vorangeschrittenen Ent- wicklung stand hier zentral die Forde- rung nach Einrichtung von unabhän- gigen Ethikkommissionen, deren Vo- tum vor der Durchführung klinischer Versuche am Menschen gehört wer- den sollte. Diese sollten dem Schutz der Probanden dienen und sie vor rechtlich und ethisch bedenklichen Forschungsvorhaben bewahren.

Nach Empfehlung durch den Vorstand der Bundesärztekammer wurden seit 1979 bei den Landesärz- tekammern genau wie bei den Medi- zinischen Fakultäten unabhängige Ethikkommissionen eingerichtet. Der Deutsche Ärztetag übernahm 1985 entsprechende Bestimmungen in die überarbeitete Muster-Berufsord- nung. Während die Ethikkommissio- nen an den Medizinischen Fakultäten überwiegend Projekte der Grundla- genforschung an Menschen beurtei- len, liegt das Schwergewicht der Tätigkeit der Ethikkommissionen der Ärztekammern im Bereich der Arz- neimittel-Forschung. Deren Bera- tungspflicht fand inzwischen auch Eingang in bundesgesetzliche Rege- lungen, indem das Arzneimittelgesetz seit 1995 vor der klinischen Prüfung eines Arzneimittels die zustimmende Bewertung einer nach Landesrecht gebildeten Ethikkommission vor- schreibt.

Insgesamt haben seit den 70er Jahren die Probleme, die sich dem Arzt im medizinethischen Bereich durch den Fortschritt in der Medizin und die gesellschaftlichen Anforde-

rungen an seine Berufsausübung stel- len und zu deren Lösung es ethisch orientierter Leitlinien bedarf, enorm zugenommen. Eine unmittelbare Re- aktion darauf stellt die beginnende in- stitutionelle Verankerung des Faches Medizinethik an den Universitäten dar. Schrittmacher-Funktion bei Ein- bringung medizinethischer Fragen in die allgemeine, nicht nur „innerärztli- che“ Diskussion kommt der 1986 ge- gründeten Akademie für Ethik in der Medizin e.V. zu, die inzwischen ihren Sitz in Göttingen hat und mit wissen- schaftlichen Projekten, Tagungen so- wie Bereitstellung von Informationen zur Lösung aktueller ethischer Pro- bleme beizutragen versucht.

Die öffentliche Publizistik trug in den vergangenen Jahren dazu bei, die Anliegen und das Interesse der Pati- enten allgemein – nicht nur in der kli- nischen Forschung – stärker in den Vordergrund zu rücken. Bei dieser stärkeren Gewichtung mag man in Einzelbereichen ein gewisses Span- nungsverhältnis zur geltenden Mu- ster-Berufsordnung konstatieren, die sich bemüht, etwa dem Anspruch des

„mündigen Bürgers“ auf umfassende Information mit Bestimmungen der Berufsordnung hinsichtlich Art und Umfang der beruflichen Kommuni- kation zu entsprechen, dabei aber den Patienten vor den Gefahren der Fehl- information zu schützen (Gemein- wohlverpflichtung).

Vermehrt: Richtlinien und Empfehlungen

Der rapide medizinische Fort- schritt und die daraus resultierenden medizinethischen Probleme führten auch dazu, daß die Bundesärztekam- mer mehrfach, ergänzend zur Berufs- ordnung, spezielle Sachverhalte in Form von Richtlinien und Empfeh- lungen erstellte. Dies gilt etwa für die 1985 von der Bundesärztekammer be- schlossenen „Richtlinien zur Durch- führung von In-vitro-Fertilisation und Embryotransfer als Behandlungsme- thode der menschlichen Sterilität“, die „Richtlinien zur Gentherapie beim Menschen“ aus dem Jahr 1989 oder die Empfehlungen zur Sterbehil- fe aus den Jahren 1979 und 1993 (12).

Im Oktober 1994 beschloß der Vor-

T H E M E N D E R Z E I T 50 JAHRE BUNDESÄRZTEKAMMER

(4)

In dem Verfahren gegen die Arz- neimittelkommission vor dem OVG Münster ging es im wesentlichen um die Abwägung des Schutzes der Ge- sundheit vor bedenklichen Arznei- mitteln gegenüber dem Recht des Pharmaunternehmers an seinem ein- gerichteten und ausgeübten Gewer- bebetrieb. Während einzelne Ärzte, aber auch Institutionen der Ärzte- schaft das Recht auf Kritik an Arznei- mitteln haben, spielte in diesem Fall die Einbindung der AkdÄ in das Stu- fenplanverfahren eine Rolle. Nach

§ 62 Arzneimittelgesetz (AMG) hat die zuständige Bundesoberbehörde zur Verhütung einer unmittelbaren oder mittelbaren Gefährdung der Gesundheit von Mensch und Tier die bei der Anwendung von Arzneimit- teln auftretenden Risiken zentral zu erfassen, auszuwerten und die nach dem Gesetz zu ergreifenden Maßnah- men zu koordinieren. Sie wirkt dabei zusammen mit Behörden und Institu- tionen, unter anderem mit den „Arz- neimittelkommissionen der Kam- mern der Heilberufe“, die Arzneimit- telrisiken erfassen. Das OVG sah in der Absicht, ein kommentiertes An- hörungsschreiben des Stufenplanver- fahrens zu veröffentlichen, eine „Vor- abveröffentlichung“ von „vorläufi- gen“ Risikoeinschätzungen, die der AkdÄ als Beteiligte des Stufenplan- verfahrens bekannt geworden sind.

Durch diese Vorwegnahme der Ent- scheidung des BfArM werde ein for- malisiertes Verfahren unterlaufen, in dem alle Beteiligten ausreichend gehört und ihre Rechte gewahrt wer- den.

Auch die erst nach dem Verbots- beschluß erster Instanz erfolgte Auf- forderung des BfArM zur Veröffentli- chung im Deutschen Ärzteblatt ver- mochte das OVG nicht zu einer ande- ren Beurteilung zu bringen. Zwar sieht § 34 Abs. 2 AMG in der gewun- denen Sprache des Gesetzes vor:

„Sonstige Mitteilungen der zuständi- gen Bundesoberbehörde einschließ- lich der Schreiben, mit denen den Beteiligten Gelegenheit zur Äuße- rung nach § 28 Abs. 1 VwVfG gege- ben wird, können gleichfalls im Bun- desanzeiger bekanntgemacht werden, wenn mehr als 50 Adressaten davon betroffen sind.“ Das OVG sah hierin nicht die generelle Erlaubnis einer Veröffentlichung, sondern nur die Re- gelung verwaltungsbezogener Zwek- ke bei Massenverfahren.

Die Lehren eines Falles

Der Beschluß des OVG enthält nur den Tenor, wonach die Beschwer- de gegen die einstweilige Anordnung des Verwaltungsgerichts Köln zurück- gewiesen wird. Die in der Fachpresse gebildeten Leitsätze sprechen Bände über die Einstellung des Verfassers:

T H E M E N D E R Z E I T 50 JAHRE BUNDESÄRZTEKAMMER/AUFSÄTZE

stand der Bundesärztekammer die Einrichtung eines unabhängigen und multidisziplinär zusammengesetzten Gremiums zur Beratung ethischer Grundsatzfragen. Diese „Zentrale Kommission zur Wahrung ethischer Grundsätze in der Medizin bei der Bundesärztekammer“ soll sich insbe- sondere mit den ethischen Fragen be- schäftigen, die durch den Fortschritt und die technologische Entwicklung in der Medizin aufgeworfen werden.

Überzeugend: Muster- Berufsordnung 1997

Daß gerade infolge dieses medi- zinischen Fortschritts und gleichzeiti- ger Ressourcenknappheit immer neu- er Regelungsbedarf im medizinethi- schen Bereich erwächst, steht außer Frage. Von daher erschien es ratsam, in der neuen Muster-Berufsordnung bei bestehenden oder neu entstehen- den Problemen die Bindung des Arz- tes an entsprechende Richtlinien und Empfehlungen der Ärztekammern festzuschreiben. Nur so läßt sich auch künftig der Anspruch der Ärzteschaft, ihre ethischen Fragen selbst zu identi- fizieren und zu beantworten, auch glaubwürdig gegenüber der Gesell- schaft vertreten.

Der vom 100. Deutschen Ärzte- tag in Eisenach 1997 mit großer Mehr- heit verabschiedeten Muster-Berufs- ordnung ist es gelungen, die ursprüng- lich unterschiedlichen Entwicklungs- stränge in einem auch medizinethisch verpflichteten Regelwerk zu integrie- ren.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1997; 94: A-2808–2814 [Heft 43]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufor- dern über die Verfasser oder über das Internet.

Anschriften der Verfasser

Prof. Dr. med. Christoph Fuchs Hauptgeschäftsführer

der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages Herbert-Lewin-Straße 1, 50931 Köln Thomas Gerst

Ottostraße 12, 50859 Köln

Ärzte-Kommissionen

Rechtliche Aspekte der Arzneimittelkritik

Erwin Deutsch

Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) beabsichtigte als Beteiligte des Stufenplanverfahrens, Einzelheiten des Anhörungsschreibens des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) über das Arznei- mittel Cordichin kommentierend zu veröffentlichen. Dagegen erließ das Verwal- tungsgericht Köln eine einstweilige Anordnung, die vom Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster am 20. November 1995 bestätigt wurde. Prof. Dr. jur. Dr. h. c.

mult. Erwin Deutsch von der Universität Göttingen beurteilt im folgenden die

Kritikmöglichkeiten der AkdÄ, die stark von ihrem rechtlichen Status abhängen.

(5)

1 PharmaR 1996, 140: „Das OVG stellt in der nachfolgend abge- druckten Entscheidung fest, daß die Arzneimittelkommission der deut- schen Ärzteschaft nicht befugt ist, Einzelheiten eines Anhörungsschrei- bens vor Abschluß des Stufenplanver- fahrens nach § 63 AMG zu veröffent- lichen und zu kommentieren.“

1 PharmInd 1996, 130: „Die Arzneimittelkommission der deut- schen Ärzteschaft und auch das Bun- desinstitut für Arzneimittel und Me- dizinprodukte sind während des lau- fenden Stufenplanverfahrens nicht befugt, eine Warnung vor dem betrof- fenen Arzneimittel zu veröffentli- chen.“

Dabei hatte die einstweilige An- ordnung wie folgt gelautet: Der An- tragsgegnerin wird untersagt, über das Arzneimittel Cordichin den Text

„Antiarrhythmische Therapie mit der fixen Kombination von Chinidin und Verapamil (Cordichin). Das Bun- desinstitut für Arzneimittel und Me- dizinprodukte erwägt Betriebsstop für Cordichin; welche Alternativen empfiehlt die Arzneimittelkommissi- on der deutschen Ärzteschaft?“ zu veröffentlichen oder veröffentlichen zu lassen.

Die schon in § 62 AMG ange- sprochene Mitwirkung der Arznei- mittelkommission beim Stufenplan ist durch Vereinbarungen zwischen der Bundesärztekammer (BÄK) und dem BfArM konkretisiert worden.

Nach einer ersten Vereinbarung von 1987 ist im November 1995 eine neue Vereinbarung geschlossen worden. In zwei Anlagen ist die Geschäftsord- nung des Beratungsverfahrens des Bundesinstituts durch den Ärzteaus- schuß Arzneimittelsicherheit und die Information der deutschen Ärzte- schaft über Informationswege der BÄK oder der Arzneimittelkommis- sion angesprochen.

Juristisch sind die Vereinbarung und ihre Anlagen schwer zu qualifi- zieren. Die BÄK ist privatrechtlich organisiert, das BfArM öffentlich- rechtlich. Der Ärzteausschuß für Arz- neimittelsicherheit ist ein Hybrid zwi- schen Verwaltungsbehörde und nicht rechtsfähigem Verein: ob ihm der Sta- tus eines beliehenen Unternehmers oder nur die Funktion einer Art Auf- gabengehilfe zukommt, ist unklar.

Nach einer Veröffentlichung im Phar- maR 1996, aktuelle Seite I, ist Ziel, daß die BÄK am Management von unerwünschten Arzneimittelneben- wirkungen enger mit dem BfArM zu- sammenarbeitet. Gemeinsame Sit- zungen sollten alle zwei Monate statt- finden. Die AkdÄ übermittelt dem BfArM alle vorliegenden Informatio- nen über unerwünschte Nebenwir- kungen, sie erhält im Gegenzug vier- zehntäglich die Meldungen, die beim BfArM eingegangen sind. Veröffent- lichungen zu Problemen der Arznei- mittelsicherheit sollen abgestimmt werden, ihr Ziel sei die schnellere In- formation der Ärzte über das Stufen- planverfahren. Damit ist freilich nur ein Teil der in der Präambel der Ver- einbarung genannten Ziele aufge- führt.

Das in den §§ 62 ff. AMG ange- sprochene Stufenplanverfahren ist in einer Allgemeinen Verwaltungsvor- schrift zur Beobachtung, Sammlung und Auswertung von Arzneimittelri- siken (Stufenplan) vom 10. Mai 1990

besonders geregelt. Dabei werden die Arzneimittelkommissionen der Kam- mern der Heilberufe als Sammelstel- len für Arzneimittelrisiko-Meldun- gen genannt. Die Meldungen umfas- sen auch Verdachtsfälle von Arznei- mittelrisiken, weisen auf Meldungen oder sonstige Informationen der Möglichkeit von Arzneimittelrisiken hin. So wird der Weg der Gefah- renstufe I eröffnet. In ihr tritt die zu- ständige Bundesoberbehörde mit dem pharmazeutischen Unternehmer unter gleichzeitiger Benachrichtigung der Landesgesundheits- und Vete- rinärbehörde und den früher genann- ten Stellen, darunter auch den Arz- neimittelkommissionen, in einen In- formationsaustausch ein. Der Infor- mationsaustausch erstreckt sich ins- besondere auf die Häufigkeit der ver-

muteten Arzneimittelrisiken, ihre möglichen Ursachen und den Grad der Gefährdung, auch unter Berück- sichtigung der Abgabemenge und des Umsatzanteils an der Arzneimittel- gruppe. Ergibt sich ein begründeter Verdacht auf ein gesundheitliches Ri- siko, so ruft die zuständige Bundes- oberbehörde zu einer Sondersitzung ein (Gefahrenstufe II). Zu der Son- dersitzung werden unter anderem die beteiligten Landesbehörden, Vertre- ter der Arzneimittelkommissionen, Sachverständige, Vertreter der Bun- desverbände der pharmazeutischen Industrie sowie der betroffene phar- mazeutische Unternehmer eingela- den. Die Sondersitzung soll sich nach

§ 7.3 der Allgemeinen Verwaltungs- vorschrift in der Regel wie folgt glie- dern:

l Sachdarstellung durch den Vorsitzenden oder einen Berichter- statter;

l Stellungnahme des betroffe- nen pharmazeutischen Unterneh- mers;

l Stellungnahme der eingela- denen Sachverständigen sowie der übrigen Beteiligten;

l Sitzungsunterbrechung zur Abstimmung der Beteiligten unter- einander;

lGelegenheit zur weiteren Ab- klärung des Sachverhalts und zu Schlußvorträgen;

l zusammenfassende Darstel- lung durch den Vorsitzenden und Be- kanntgabe des Termins, an dem mit einer Entscheidung gerechnet wird.

Der Maßnahmenkatalog reicht von der Einholung weiterer Stellung- nahmen über Auflagen und das Ru- hen der Zulassung bis zur Rücknah- me oder dem Widerruf der Zulassung.

Die Beteiligten sind zu informieren.

Dabei ist bei der Unterrichtung der Medien über eine Maßnahme so vor- zugehen, daß sie grundsätzlich nicht vor dem Tag erfolgt, an dem die Ent- scheidung dem betroffenen pharma- zeutischen Unternehmer mutmaßlich zugegangen ist. Über die Öffentlich- keit oder Nichtöffentlichkeit enthält die Allgemeine Verwaltungsvor- schrift keine Angaben.

Mittlerweile hat sich jedoch die Durchführung der Stufenplanverfah- ren der Stufe II verändert. Wie die Bundesregierung in ihrer Antwort

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

„Der Ärzteausschuß für Arzneimittelsicherheit ist ein

Hybrid zwischen

Verwaltungsbehörde und

nicht rechtsfähigem Verein“

(6)

auf die kleine Anfrage der SPD mit- teilte, haben 1994 insgesamt 78 und 1995 insgesamt 52 Stufenplanverfah- ren der Stufe II stattgefunden. Aus diesem Grund sei es unmöglich, in je- dem Fall eine öffentliche Sondersit- zung durchzuführen, da diese mit ho- hem organisatorischem Aufwand verbunden sei. Dabei hat die Bundes- regierung betont, daß die Behaup- tung, Sondersitzungen im Rahmen des Stufenplanverfahrens der Stufe II würden im Gegensatz zu früher nicht mehr öffentlich durchgeführt, falsch sei. Im Einzelfall sei zu prüfen, wie der Anforderung des § 10 S. 2 VwVfG, das Verfahren einfach und zweckmäßig durchzuführen, am be- sten Rechnung getragen wird. Dann wird mitgeteilt, daß öffentliche Son- dersitzungen im Rahmen von Stufen- planverfahren zuletzt im Dezember 1993 stattgefunden haben. Außer- dem werden zu dem Stufenplanver- fahren die Beteiligten nicht mehr zu- sammengerufen, es wird statt dessen schriftlich geführt. Die damit nicht mehr mögliche Öffentlichkeit sollte nunmehr gelegentlich durch Veröf- fentlichung von Anhörungsschreiben des Stufenplanverfahrens II in Fach- zeitschriften hergestellt werden. So ist wohl auch das Aufforderungs- schreiben des BfArM an die AkdÄ zu verstehen.

Ungewöhnlicher Rechtsweg

Erstaunlich im Falle von Cordi- chin ist zunächst, daß die Verwal- tungsgerichte die einstweilige Anord- nung erlassen haben. Verwaltungsge- richte sind für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten zuständig; ein Aus- schuß der Bundesärztekammer ist je- doch zunächst wie diese zivilrechtlich organisiert. Der Rechtsweg vor den Verwaltungsgerichten war also nur geöffnet, soweit die AkdÄ hoheitlich tätig wurde. Als gesetzliche Stufen- planbeteiligte hat sie eine quasi öf- fentlich-rechtliche Stellung. Jedoch ist ein Ausschuß der privatrechtlich organisierten Bundesärztekammer noch nicht selbst öffentlich-rechtlich tätig und besitzt auch nicht die Fähig- keit, öffentlich-rechtliche Entschei- dungen zu erlassen. Hier liegt der

wunde Punkt der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte, der in der Stel- lungnahme der BÄK gegenüber dem Gericht nicht deutlich genug zum Ausdruck kommt. Mit der Akzeptanz des Verwaltungsrechtsweges war schon die halbe Schlacht verloren, da man nunmehr in das Gebiet der „ho- heitlichen Warnung“ hinüberglitt.

Damit war der Weg eröffnet für die vom OVG vorgenommene strikte

Trennung der Aufgaben der AkdÄ als Beteiligte im Verfahren des BfArM und als selbständige Einrich- tung sowie mit Bezug auf die Formali- sierung des Verfahrens, die sicherstel- len soll, daß alle Beteiligten ausrei- chend gehört sind und zeitgleich Stel- lung nehmen können. Eine selbstän- dige Veröffentlichung der AkdÄ, wel- che sich nicht als Kommentar des Aufforderungsschreibens verstanden hätte, hätte jedenfalls den Verwal- tungsrechtsweg nicht eröffnet.

Erstaunlich an dem Beschluß des OVG Münster ist auch, daß die kon- trastierenden Rechtsgüter, nämlich Information der beteiligten Kreise über Gesundheitrisiken und das Recht am eingerichteten und aus- geübten Gewerbebetrieb, nicht aus- drücklich gegeneinandergestellt wor- den sind. Das Gericht geht streng ver- waltungsrechtlich vor und bezeichnet das BfArM als Entscheidungsträger, das zu einer Information der Beteilig- ten des Stufenplanverfahrens ver- pflichtet ist und gegebenenfalls auch weitere Kreise wie die Ärzteschaft oder die Öffentlichkeit informieren kann. Dies freilich wird dem BfArM vorbehalten.

Die in der Literatur von Burgardt (PharmaR 1996, 136 ff.) nachgebrach- te Abwägung der grundrechtlichen Befugnisse leidet unter einem be- trächtlichen Eingangsfehler. Die AkdÄ wird nämlich als Träger öffent-

licher Gewalt behandelt, der zu dem Grundrechtseingriff eine Ermächti- gungsgrundlage braucht. Man ver- mißt schon in der Veröffentlichung das Grundrecht des betroffenen phar- mazeutischen Unternehmers; als sol- ches kommt wohl nur der Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb in Betracht. Der der AkdÄ umgehängte Maulkorb soll nur in bezug auf eine schon getroffene Maßnahme und eine Warnung im Zu- sammenhang mit bereits getroffenen Maßnahmen abgenommen werden.

Dabei wird die Berechtigung der AkdÄ, durch Veröffentlichungen zum Gesundheitsschutz der Bevölke- rung beizutragen, vernachlässigt. Die AkdÄ soll nicht das Recht haben, das Anhörungsschreiben des BfArM im Stufenplanverfahren mit oder ohne kommentierende Warnung zu veröf- fentlichen. Erlaubt seien nur der Hin- weis auf ein Verfahren und die Auf- forderung an die Ärzte, durch Mittei- lung an der Aufklärung des vermeint- lichen Arzneimittelrisikos beizutra- gen.

Der Pharmahersteller hat ein grundrechtlich geschütztes Recht am eingerichteten und ausgeübten Ge- werbebetrieb, auch soweit es in ei- nem marktgängigen Arzneimittel manifestiert ist. Umgekehrt nimmt die AkdÄ die Interessen der Öffent- lichkeit an einer möglichst ungefähr- lichen Versorgung mit Arzneimitteln wahr. Die hier zu schützenden Rechtsgüter Leben, Körper und Ge- sundheit nehmen gleichfalls einen hohen Stellenwert in der Verfassung ein. Folgt man der Darstellung der Bundesregierung in der Antwort auf die kleine Anfrage, so wird der recht- liche Rahmen für Veröffentlichungen der AkdÄ durch die Allgemeinen Vorschriften, inbesondere durch das Bürgerliche Gesetzbuch, vorgege- ben. Hier kommt der AkdÄ wegen ihrer öffentlichen Aufgabe die Wah- rung berechtigter Interessen zu. An verschiedenen Stellen im Rechtssy- stem (§§ 884 Abs. 2 BGB, 193 StGB, 14 Abs. 2 UWG) wird bei der kriti- schen Auseinandersetzung die Mög- lichkeit vorgesehen, sich auf die Wah- rung berechtigter Interessen zu beru- fen. Allerdings ist vorausgesetzt, daß ein persönliches oder öffentliches In- teresse gegeben sein muß, was bei der

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

„Mit der Akzeptanz des Verwaltungsrechtsweges glitt

man in das Gebiet der ,hoheitlichen Warnung‘

hinüber“

(7)

AkdÄ aus ihrer Funktion und Stel- lung fließt. Zudem darf die Behaup- tung nicht ohne Erfüllung einer Nachforschungspflicht aufgestellt werden. Der Umfang der Nachfor- schung richtet sich nach der Schwere der Behauptung und dem Grad des wahrgenommenen Interesses. Bei ei- ner Beurteilung der Gefährdung durch ein Arzneimittel sollte dieses einer wissenschaftlichen beratenden Kommission ohne weiteres möglich sein.

Bei der Beurteilung von Arznei- mittelwirkungen, vor allem von uner- wünschten Wirkungen, übermäßigen Nebenwirkungen oder entsprechen- den Wechselwirkungen wird die AkdÄ im Bereich des privaten Rechts tätig. Das bedeutet, daß ihre Äuße- rungen nach Zivilrecht, wenn auch mit erheblichem Einfluß des Verfas- sungsrechts, beurteilt werden. Der Rechtsweg ist übrigens nur vor den ordentlichen Gerichten gegeben, so daß unter anderem Geheimhaltungs- pflichten kaum eine Rolle spielen.

Die Zulässigkeit einer kritischen Äußerung über ein Arzneimittel er- gibt sich im Zivilrecht bereits aus der Freiheit der Meinungsäußerung. An- ders als im öffentlichen Recht bedarf es keiner Eingriffsbefugnis. Ein Phar- maunternehmen muß sich der Kritik von Einzelpersonen, aber auch von Arztgruppen stellen. Das ergibt sich aus der Freiheit der Wirtschaftsver- fassung.

Grenzen der Kritik

Das Zivilrecht zieht herabsetzen- den Äußerungen und kritischen Kommentaren gegenüber Dritten Grenzen. Diese werden in den Äuße- rungsdelikten festgelegt. Das Schutz- gut ist das persönliche und geschäftli- che Ansehen. Dabei werden Tatsa- chenbehauptungen und Werturteile unterschieden. Tatsachenbehauptun- gen sind dem Wahrheitsbeweis oder dem Widerlegungsbeweis zugängig.

Wertungen sind das nicht.

Der in diesem Fall als Schutzgut in Betracht kommende eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb hat sich der Kritik durch Wahrnehmung berechtigter Interessen zu stellen (§§ 193 StGB, 824 Abs. 2 BGB, 14

Abs. 2 UWG). Damit sind auch ein- zelne unrichtige Behauptungen zuläs- sig, wenn nach Erfüllen der Nachfor- schungspflicht ein berechtigtes Inter- esse wahrgenommen wird. Die Be- hauptung darf das wahrgenommene Interesse nicht überschreiten. Vor al- lem darf sie nicht ins Blaue hinein auf- gestellt werden. Der Behauptende hat vielmehr einer Sorgfaltspflicht zu genügen, die je nach wahrgenomme- nem Interesse unterschiedlich weit- reichend ist. Wird etwa eine Ware in einem Warentest negativ beurteilt, muß sie genau untersucht werden. In einer reinen Berichtssendung ist die Pflicht herabgesetzt. Wird etwa von

einer stromlosen Teppichkehrmaschi- ne behauptet, sie zerpflücke jeden Teppich, genügt es zur Rechtferti- gung, wenn das Fernsehen eine Haus- wirtschaftslehrerin befragt hat (BGH, Az.: JZ 1967, 94).

Eine Schmähkritik ist auch bei zulässiger kritischer Auseinanderset- zung nicht erlaubt. So hatte das LG Frankfurt vom 5. Juni 1987 (Az.: 2/3 O 3687) den Fall Allival zu beurteilen.

In einer Fernsehsendung unter dem Titel „Todesursache: Allival?“ hieß es: „Wenn es ums Geschäft geht, dann geht der Vorstand der Hoechst AG über Leichen.“ Dieses ist als Schmäh- kritik verstanden und verboten wor- den.

Wahrung

berechtigter Interessen

Wie im PharmaR 1996, 410 be- richtet, hat eine Kassenärztliche Ver- einigung wiederholt in ihrem Infor- mationsdienst dazu aufgerufen, be- stimmte Enzympräparate nicht zu verordnen. Als Grund wurde der marginale therapeutische Nutzen an- gegeben. Dabei wurden einzelne Präparate des klagenden Herstellers

namentlich genannt. Im einstweiligen Verfügungsverfahren hat das OLG Frankfurt zunächst beurteilen müs- sen, ob die Kassenärztliche Vereini- gung aus Wettbewerbsabsicht gehan- delt hat. Mit Recht sagt das Gericht, daß allein gesundheitspolitische Auf- gaben der Kassenärztlichen Vereini- gung wahrgenommen werden und ein Eingriff in den Wettbewerb nicht vor- liegt. Das OLG hat der Kassenärztli- chen Vereinigung zugestanden, in Wahrung berechtigter Interessen zu Arzneimitteln, ihrem therapeutischen Wert und ihren Risiken Stellung zu nehmen. Das liegt auf der Linie von Rechtsprechung und Lehre. Die Wah- rung berechtigter Interessen stößt je- doch an eine Grenze, wenn eine Be- zugssperre unter namentlicher Er- wähnung eines Herstellers und der von ihm angebotenen Medikamente verlangt wird. Das widerspricht § 26 Abs. 1 GWB und ist im übrigen nach

§ 826 BGB sittenwidrig. Die einstwei- lige Verfügung ist also gewährt wor- den, aber nur, weil die Kassenärztli- che Vereinigung trotz Wahrung be- rechtigter Interessen über den hier gezogenen Rahmen hinausgegangen ist.

Die Selbstdefinition der AkdÄ wird darüber entscheiden, ob sie sich in Zukunft vor den Verwaltungs- oder den ordentlichen Gerichten zu recht- fertigen hat. Als Zuarbeiter des BfArM wird sie mehr und mehr in den öffentlich-rechtlichen Rahmen integriert werden. Soweit sie jedoch die in ihrem Statut genannten Aufga- ben selbständig erfüllt und nicht auf einen Konsens auch mit den Herstel- lern sieht, wird sie im Rahmen des Zi- vilrechts beurteilt werden. Dort ist ei- ne größere Kritikmöglichkeit gege- ben.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1997; 94: A-2814–2819 [Heft 43]

Anschrift des Verfassers Prof. Dr. jur. Dr. h. c. mult.

Erwin Deutsch

Direktor der Abteilung für Arzt- und Arzneimittelrecht des Juristischen Seminars der Universität Göttingen Platz der Göttinger Sieben 6 37073 Göttingen

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

„Eine Schmähkritik ist auch bei zulässiger kritischer Auseinandersetzung nicht

erlaubt“

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

§ 25 a: Arzt und Industrie (1) Soweit Ärzte Leistungen für die Hersteller von Arznei-, Heil-, Hilfsmitteln oder medizi- nisch-technischen Geräten er- bringen (zum Beispiel bei der

Ärzte aus verschiede- nen afrikanischen Ländern, darunter Tansania, Ghana, Burkina Faso, Tschad und Äthiopien, haben in dieser Klinik eine dermatologische Grund- ausbildung

Damit liegt der Verdacht nicht ganz fern, daß man sich seitens der Po- litik sehr gerne dann auf das Subsi- diaritätsprinzip beruft, wenn man selbst nur subsidiär mit unangeneh-

Statt dessen tauch- te das Problem auf, daß Ärzte aus Ent- wicklungsländern, die in Deutschland studiert hatten, nach dem Studium und gegebenfalls der Facharztweiter- bildung nicht

D ie Idee der gemeinschaftlichen Absicherung gegen die Risi- ken Invalidität, Alter und die Sorge für die Hinterbliebenen, wie sie im ärztlichen Berufsstand durch die

wurde die gesamte Ärzteschaft aufge- fordert, UAW an ihre Arzneimittel- kommission zu berichten, um sie da- mit auch ihren Kollegen durch Veröf- fentlichung im Deutschen

Ein inhaltlicher Vergleich bei- der Texte zeigt eine starke Anlehnung der Verordnung von 1945 an das ältere Reichsgesetz, unter anderem die Zusammenfassung der Ärzte, Zahnärzte

(2) Auch in einem Arbeits- oder Dienstverhältnis darf ein Arzt eine Vergütung für seine ärztliche Tätigkeit nicht dahingehend vereinbaren, daß die Vergütung den Arzt in