und Todesstrafe
DEUTSCHES ARZTEBLATT
93. Deutscher Arztetag
Fristenlösung, Müllverbrennung
Die künftige deutsch-deutsche Regelung des Schwangerschaftsab- bruchs ist im Entwurf des Staatsver- trages ausgeklammert worden, wahr- scheinlich deshalb, weil die Auffas- sungen zu weit auseinandergehen.
Das jedenfalls läßt die bisherige, höchst unterschiedliche Regelung in der Bundesrepublik einerseits und in der DDR andererseits vermuten.
Hier die (freilich weitgefaßte) Indi- kationsregelung, dort eine (großzügi- ge) Fristenregelung.
Eine Meinungsbildung der Ärz- teschaft steht aus. Der 93. Deutsche Ärztetag in Würzburg hat sie ver- schoben und fürs erste einen deutsch-deutschen Ausschuß be- schlossen, der „aus ärztlicher Sicht die Grundlage für eine kompatible Regelung" erarbeiten soll. Auf eine inhaltliche Vorgabe, wie ein Kom- promiß auszusehen hätte, hat der Arztetag verzichtet; er folgte hier ei- ner Anregung von Dr. Ingeborg Retzlaff, die den Antrag (im Einver- nehmen mit dem Deutschen Ärztin- nenbund) initiiert hatte.
Zu einer angemessenen Diskus- sion hätte die Zeit ohnehin nicht ge- reicht. Bemerkenswert immerhin zwei Wortmeldungen aus der DDR.
Prof. Dr. Harald Mau von der Berli- ner Charit6 erklärte, in der DDR stimmten Ärzte und Frauen mit der praktizierten Lösung weitgehend überein. Alle Vorschriften müßten allerdings jetzt neu überdacht wer- den. Dabei gelte es, zwei Sicherun- gen einzubauen: 1. Kein Arzt dürfe zu einem Schwangerschaftsabbruch gezwungen werden. 2. Die Entschei- dungen seien letztlich von den be- troffenen Frauen zu treffen.
Der Aussage von Professor Mau, auch unter den Ärzten herrsche
„weitgehende Übereinstimmung", wurde von einer Ärztin (Dr. Kirsten Leube, Weimar) nachdrücklich wi- dersprochen. Es gebe konfessionelle Häuser in der DDR, die sich bis heu-
te weigerten, Schwangerschaftsab- brüche nach den gesetzlichen Be- stimmungen durchzuführen. Sie per- sönlich habe das, was in der DDR geschehe und geschehen sei, von An- fang an nicht gutgeheißen. Sie wisse von vielen Kollegen, die „moralisch sehr angegriffen" seien, zumal im- mer häufiger Mädchen, die noch nicht volljährig seien, wegen einer Abtreibung kämen.
Zwei Stimmen, zwei konträre Meinungen. Was die Ärzte insge- samt in der DDR über den Schwan- gerschaftsabbruch denken, läßt sich nicht ausmachen, da es bisher keine innerärztliche Selbstverwaltung gibt, die eine demokratisch begründete Meinungsäußerung dazu hätte for- mulieren können.
Über der unterschiedlichen Handhabung in beiden Teilen Deutschlands traten die spezifischen Fragen um den Schwangerschaftsab- bruch in der Bundesrepublik Deutschland zurück. Immerhin, es gab provozierende Anträge, unter anderen des für provozierende Auf- tritte zu dieser Frage bekannten Dr.
Ernst Theodor Mayer aus München.
Dieser beantragte zum Beispiel, die bayerische Normenkontrollklage zu unterstützen und die DDR-Fristen- lösung abzulehnen. Die Meinungen prallten aufeinander. Gelöst oder überbrückt wurde erwartungsgemäß nichts. Der Ärztetag überwies Mayers Anträge an den Vorstand der Bundesärztekammer zur weite- ren Abklärung und Beratung.
Einen gewissen Eindruck von der Haltung des Deutschen Ärzte- tags vermittelt die Abstimmung zu einem gleichfalls aus Bayern kom- menden Antrag (Dr. Ingeborg Oster). Hier sollte der Arztetag dazu bewegt werden, die bayerische Staatsregierung aufzufordern, die Normenkontrollklage zurückzuzie- hen. Der Antrag wurde mit 131:72 Stimmen abgelehnt.
Formaliter stand der § 218 gar nicht auf der Tagesordnung des 93.
Deutschen Ärztetages, genausowe- nig wie etwa Müllverbrennung oder Ächtung der Todesstrafe. Gleich- wohl hat der 93. Deutsche Ärztetag dazu und zu vielen, vielen anderen Themen Meinungen kundgetan. Der Grund liegt in einer Besonderheit der Tagesordnung. Unter dem stän- digen Tagesordnungspunkt aller Ärztetage „Tätigkeitsbericht der Bundesärztekammer" können An- träge aller Art gestellt werden. Die Delegierten nehmen dieses Recht sehr gerne wahr. Alle Bemühungen in früheren Jahren, ein solches ex- tensives Antragsrecht zu begrenzen, wurden immer wieder zurückgewie- sen. Und so lagen auch beim 93.
Deutschen Ärztetag dem Plenum zum Tagesordnungspunkt V — eben dem „Tätigkeitsbericht" — an die 90 Anträge vor. Die Hälfte davon wur- de positiv beschieden. Die entspre- chenden Beschlüsse werden in die- sem Heft dokumentiert.
Zu längeren Aussprachen kam es angesichts der Antragsfülle aller- dings nicht, bis auf die beiden Fra- genkomplexe Aus- und Weiterbil- dung sowie stationäre Versorgung.
Darüber wird auf den nächsten Sei- ten ausführlich berichtet. Im übrigen blieb es bei kurzen Diskussionsansät- zen nach Art des geschilderten zum
§ 218. Ähnlich war es bei einigen An- trägen, die auf eine Lockerung des Werbeverbots der Berufsordnung zielten. Die Aussprache ließ erken- nen, daß sich vornehmlich niederge- lassene Ärzte gegenüber Kranken- häusern (und leitenden Kranken- hausärzten) benachteiligt fühlen.
Entscheidungen fielen zwar nicht;
doch läßt die Diskussion vermuten, daß der Ärztetag dem Wunsch aufge- schlossener gegenübersteht als das in früheren Jahren der Fall gewesen ist.
Zumeist kamen lediglich eine Pro- und eine Kontra-Stimme je An- trag zu Wort, was insofern vertretbar war, als der Großteil der Anträge Aussagen enthält, die von den Dele- gierten wohl als Selbstgänger emp- funden wurden — am augenfälligsten bei dem vom Vorstand der Bundes- ärztekammer eingebrachten Antrag, die Todesstrafe weltweit zu ächten.
Er wurde einstimmig beschlossenNJ
1 LE POLITIK
Dt. Ärztebl. 87, Heft 23, 7. Juni 1990 (19) A-1839