Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 26⏐⏐27. Juni 2008 A1431
P O L I T I K
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och ist es ein Lippenbekennt- nis: Das Bundesgesundheits- ministerium, die Deutsche Krebs- gesellschaft (DKG), die Deutsche Krebshilfe und die Arbeitsgemein- schaft Deutscher Tumorzentren wollen bei der Bekämpfung von Krebs enger zusammenarbeiten. Ihr Bindeglied soll der Nationale Krebs- plan sein. „Deutschland steht in der Krebsbekämpfung vor wachsenden Herausforderungen“, sagte Bundes- gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) bei seiner Vorstellung in Ber- lin. Zwar könnten viele Tumorarten dank moderner Diagnostik und Therapie inzwischen gut behandelt werden, doch weil die Menschen immer älter würden und das Krebs- risiko mit höherem Alter steige, nehme die Zahl der Neuerkrankun- gen weiter zu.Die Aktion versteht sich als Fort- setzung des 1979 initiierten „Ge- samtprogramms zur Krebsbekämp- fung“ und soll eine langjährige Per- spektive haben. In der ersten Phase der Jahre 2009/2010 werden vier Bereiche in Angriff genommen:
die Krebsfrüherkennung
die onkologischen Versor- gungsstrukturen und deren Qualitätssicherung
die Sicherstellung einer effizienten onkologischen Arzneimitteltherapie und
die Stärkung der Patienten- orientierung.Die Zeit für ein konzertiertes Handeln drängt: In Deutschland wird inzwischen im Schnitt fast jede Minute die Diagnose Krebs gestellt.
Nach den jüngsten Daten des Robert-Koch-Instituts (RKI) er- krankten 2004 rund 436 500 Men- schen an Krebs (230 500 Männer, 206 000 Frauen). Die Überlebens-
chancen der Betroffenen würden deutlich verbessert, wenn die Be- völkerung die Früherkennungsan- gebote der gesetzlichen Kranken- versicherung häufiger nutzen wür- den, sagte der Präsident der Deut- schen Krebsgesellschaft, Prof. Dr.
med. Michael Bamberg: „2006 nah- men nur 48 Prozent der Frauen an Screening-Untersuchungen teil, bei den Männern waren es sogar nur 21 Prozent.“ Abhilfe soll ein gut or- ganisiertes Einladungs- und Erinne- rungssystem schaffen. Auch gibt es Überlegungen, Früherkennungs- und Gesundheitsuntersuchungen ver- stärkt als „One Stop Shopping“ zu etablieren, sodass innerhalb eines Konsultationstermins möglichst viele Untersuchungen durchgeführt werden.
Screening-Programme müssen evaluiert werden
Alle diese Maßnahmen müssten je- doch verstärkt auf ihre Effektivität und mögliche Risiken überpüft wer- den, da sich Früherkennungsunter- suchungen an beschwerdefreie, kli- nisch gesunde Menschen richten.„Leider wird die Evaluation der Früherkennungsprogramme unter Beteiligung der epidemiologischen Krebsregister derzeit durch hohe datenschutzrechtliche Hürden und uneinheitliche Regelungen in den Landeskrebsregistergesetzen behin- dert“, so Bamberg.
Auch wenn die Überlebenschan- cen und die Lebensqualität der Pati- enten in den letzten Jahren stetig verbessert wurden, ist die Qualität der onkologischen Versorgung bun- desweit nicht überall gleich hoch.
Beispiel Brustkrebs: Aktuell wer- den 70 Prozent der Patientinnen in einem der 170 Brustkrebszentren
betreut, lobte der Vorstandsvorsit- zende der Deutschen Krebshilfe, Friedrich Carl Janssen. Die restli- chen 30 Prozent aber würden in 800 verschiedenen Krankenhäusern behandelt, in denen teilweise weni- ger als fünf Mammakarzinomfälle jährlich betreut werden. Klinische Krebsregister könnten dazu bei- tragen, das beste Krankenhaus für die Betroffenen zu finden und Schwachstellen in der Versorgung aufzudecken. Diese Register geben Auskunft darüber, wie viele Krebs- behandlungen ein Krankenhaus ge- macht hat und wie erfolgreich die Therapie verlaufen ist. Seit 2007 sind die Krankenhäuser verpflich- tet, diese Daten zu veröffentlichen.
Nach Angaben von Bamberg gibt es derzeit 250 spezialisierte Organ- krebszentren, die sich neben Brust- krebs auf Darm- und Prostatakarzi- nome spezialisiert haben. Diese Strukturen sollen im Zuge des Krebsplans flächendeckend ausge- baut werden. So würden noch in diesem Jahr Hautkrebs- und Lun- genkrebszentren eröffnet.
Die onkologische Versorgung werde sich durch Fortschritte der Therapie allerdings auch darauf ausrichten müssen, dass Krebser- krankungen zunehmend den Verlauf einer chronischen Erkrankung an- nehmen, sodass die Betroffenen nicht primär an den Folgen des Kar- zinoms versterben. Daher werde die kontinuierliche medizinische Nach- sorge und die sorgfältige onkologi- sche Langzeitbetreuung eine größe- re Bedeutung gewinnen, erklärte Bamberg.
„Mit dem nationalen Krebsplan ist es erstmals gelungen, dass die Ver- antwortlichen der Krebsorganisatio- nen zusammen mit den politischen Entscheidungsträgern ein Programm auf den Weg bringen, das die Akti- vitäten zum Wohle der Patienten bündelt“, betonte der Hauptgeschäfts- führer der Deutschen Krebshilfe, Gerd Nettekoven. Die Organisation hat allein im vergangenen Jahr 50 Millionen Euro ihrer privaten Spen- dengelder für die Krebsforschung ausgegeben. Sie gehört damit zu den wichtigsten Förderern der Krebsfor- schung in Deutschland. I Dr. med. Vera Zylka-Menhorn