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Archiv "Mikrochirurgie der Hirngliome" (07.10.1983)

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 40 vom 7. Oktober 1983

Mikrochirurgie der Hirngliome

Hans Werner Pia

Aus der Neurochirurgischen Universitäts-Klinik Gießen (Direktor: Professor Dr. med. Dr. med. h. c. Hans Werner Pia)

Die ungünstige Prognose der Hirngliome hat sich trotz großer Fortschritte nicht ge- ändert. Überlebenszeit und seltene Heilungen werden von der Tumorart bestimmt.

Neuentwickelte mikrochirurgi- sche Ope rationsverfah ren wer- den vorgestellt. Ihr Prinzip ist, den Tumor durch kleinsten Zugang und Eröffnung zu ent- fernen und alle nicht betrof- fenen Hirnabschnitte ein- schließlich ihrer Gefäße zu schonen. In der operativen Technik unterschieden wer- den: 1. Der pergyrale Zugang bei direktem Tumorbefall des Kortex; 2. der intergyrale per- sulkale Zugang als Verfahren der Wahl bei subkortikalen Gliomen; 3. die partielle Gyrek- tomie bei kleinen, umschrie- benen benignen oder semibe- nignen Gliomen. Selbst tieflie- gende Tumoren, so ein Astro- zytom bei tuberöser Sklerose oder große Tumoren (Astrozy- tom Grad II) können mit der verfeinerten Operationstech- nik risikoarm entfernt werden.

Damit sind bislang nicht zu- gängliche Gliome in den Sprachgebieten und anderen wichtigen Hirnteilen operabel geworden. Vorteile liegen in der geringen Operationsmor- talität und -morbidität und darüber hinaus in der ver- besserten Lebensqualität für die verbleibende Lebenszeit.

Die Behandlung der Hirngliome ist bis heute unbefriedigend. Eine Hei- lung ist von wenigen Ausnahmen, so dem pilozytären Astrozytom, dem früheren Spongioblastom des Klein- hirns und Einzelfällen anderer Glio- me abgesehen, nicht zu erreichen.

Der Gliomkranke stirbt in Abhängig- keit von der Dignität der jeweiligen Gliomform früher oder später an sei- ner Erkrankung. Die Gründe sind vielschichtig. Als wesentlich sind an- zuführen:

• die ungeklärte Genese und

E)

die unzureichende Klassifikation der Gliome,

O der nicht sicher voraussehbare und wechselhafte Verlauf histolo- gisch anscheinend gleichartiger Gliome bei Konstanz wie Wandel der biologischen Wertigkeit,

• die daraus abzuleitende Unsi- cherheit in der Beurteilung thera- peutischer Maßnahmen, speziell konservativer Verfahren,

O der bisher fehlende Nachweis ei- ner entscheidenden Lebensverlän- gerung durch Zytostatika (Ausnah- me: Medulloblastom) und

O die unbewiesene Einwirkung der lmmunotherapie.

Die Prinzipien der Gliomtherapie sind unverändert die gleichen wie seit Beginn der modernen Therapie vor etwa 100 Jahren:

die Exstirpation des Tumors mit dem Ziel der möglichst vollständi- gen Entfernung und

O die Strahlentherapie in Form der Nachbestrahlung strahlensensibler Gliome oder der primären Bestrah- lung inoperabler Gliome bei gesi- cherter histologischer Diagnose durch stereotaktische Biopsie.

Für eine ganz wesentliche Verbesse- rung der Frühprognose im letzten Jahrzehnt sind die folgenden Maß- nahmen verantwortlich:

O Die begleitende intrakranielle Drucksteigerung und ihre Auswir- kungen auf die vitalen Strukturen des Zwischenhirns und Hirnstam- mes als der entscheidenden Todes- ursache des Gliomkranken sind durch moderne Maßnahmen, spe- ziell die Glukokortikoide, wirksamer und über längere Zeit als früher zu senken bzw. verringern.

O Das Operationsrisiko ist dank verbesserter Operationstechnik und Neuroanästhesie auf ein Minimum gesunken.

O Die Frühdiagnostik hat seit Ein- führung der Computer-Tomogra- phie große Fortschritte gemacht.

Die Mikrochirurgie der Hirngliome hat nach den Ausführungen keinen Einfluß auf die Prognose und Le- benserwartung, speziell der malig- nen Gliome. Die seit 5 Jahren laufen- den eigenen Bemühungen sind von folgender Vorstellung bestimmt:

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(2)

c C)

partielle Gyrektomie

r --- F2 Inzision F3 Fl

F3 F2

Mikrochirurgie

,

der

Gliome

Intergyraler persulkaler Zugang

E

E Pergyraler Zugang

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Hirngliome

O Verbesserung der Morbidität für die verbleibende Überlebenszeit des Gliomkranken und

e Entfernung „inoperabler" Glio- me in sogenannten unzugänglichen und funktionell wichtigen Teilen des Großhirns, der Stammganglien und des Hirnstammes.

Schlüsselfall für dieses Vorgehen wurde ein 65jähriger Arzt mit einem Glioblastom des linken Angularisge- bietes. Er hatte ein nahezu vollstän- diges Angularis-Syndrom mit hoch- gradiger sensorischer Aphasie, Ale- xie, Agraphie, Akalkulie, usw.. . Die Angehörigen erbaten die Operation, weil der Kranke sich so lange wie möglich um seine schwer geschä- digte Frau kümmern und seine vor dem Abschluß stehenden griechi- schen und lateinischen Sprachstu- dien abschließen wollte.

Von einer kleinen Trepanation aus mit dem Tumor in seinem Zentrum wurde der befallene Gyrus angularis in zwei Zentimeter unter mittlerer Vergrößerung eröffnet.

Der zerfallene Tumor wurde von sei- nem Zentrum aus von innen nach außen vorgehend in Stücken ent- fernt. Es wurden keine Spatel ver- wandt. Die einzigen Instrumente wa- ren Mikrosauger, eine kleine Faßpin- zette und die bipolare Koagulation.

Die nicht befallenen benachbarten Hirnteile blieben unberührt. Nahezu unmittelbar nach der Operation bil- deten sich die Ausfälle zurück. Der Kranke konnte nach 10 Tagen ent- lassen werden. Keine Röntgenbe- strahlung. Der Zustand blieb fünf- einhalb Monate gut, bis sich das An- gularissyndrom wieder einstellte. Er bat um eine zweite Operation, die sechs Monate nach dem Ersteingriff

mittels der gleichen Technik ausge- führt wurde. Auch jetzt bildete sich das Angularis-Syndrom schnell zu- rück. Der Kranke starb nach vier Mo- naten.

Man mag sich vielleicht nach dem Sinn der beiden Operationen fragen.

Für den Kranken bedeuteten sie zehn geschenkte Monate, neun von ihnen in gutem Zustand. Wir haben seitdem etwa 50 Kranke mit Gliomen aller Typen und Dignität in den Sprachgebieten (Broca-, Wernicke- Zentrum, Angularis-Gebiet), dem motorischen, sensorischen und op- tischen Gebiet, vereinzelt im Balken, den Stammganglien und im Hirn- stamm operiert. Ausgedehnte und diffuse Gliome mit isoliertem oder gleichzeitigem Befall medialer Strukturen wurden nicht operiert.

Das Ergebnis der mikrochirurgi- schen Behandlung ist ermutigend,

Zentralwindung Abbildung 1: Mikrochirurgie der Hirngliome. Drei Möglichkeiten der operativen Technik.

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Hirngliome

Abbildung 2: Intergyrale persulkale Freilegung — Abbildung 2a (oben links): Intergyrale Freilegung der zweiten und dritten Frontalwindung — Abbildung 2b (oben rechts): Persulkale Darstellung des Tumors —Abbildung 2c (unten links): Tumorentfernung in kleinen Stücken mittels bipolarer Koagulation und kleiner Faßpinzette — Abbildung 2d (unten rechts): Ende der Operation.

Intergyrale Eröffnung von 2 Zentimetern. Die Hirnwindungen F 2 und F3 liegen wieder aneinander.

speziell bei kortikalen und subkorti- kalen Gliomen. Bestehende Ausfall- erscheinungen bildeten sich zurück oder verbesserten sich zu einem Zu- stand ausreichender Funktion. In keinem Fall hat die mikrochir- urgische Behandlung zu einem blei- benden Ausfall geführt.-Darüber hin- aus ist der postoperative Verlauf un- komplizierter und schneller als bei makrochirurgischer Operation.

Operative Technik

Für das operative Vorgehen wurden zwei Zugänge und ein Exstirpations- verfahren entwickelt: der pergyrale Zugang, der intergyrale persulkale Zugang und die partielle Gyrektomie (Abbildung 1).

Der pergyrale Zugang: Der per- gyrale Zugang ist angezeigt bei kor-

tikosubkortikalen Gliomen, d. h. in Fällen mit direktem Befall des Kor- tex durch den Tumor. Der befallene Kortex wird in einer Ausdehnung von einem bis zwei Zentimeter ge- spalten und der Tumor in kleinen Stücken von innen nach außen wie bei unserem ersten Kranken entfernt (Abbildung 1).

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Der intergyrale persulkale Zu- gang: Der intergyrale persulkale Zu- gang ist das Verfahren der Wahl bei subkortikalen Gliomen. Die Arach- noidea wird zwischen zwei Windun- gen, die unmittelbar über dem Gliom liegen, eröffnet. Die Windungen wer- den in einer Ausdehnung von etwa zwei Zentimeter vorsichtig ausein- ander gezogen, ohne daß Kortex, Ar- terien und Venen geschädigt wer- den. Der Kortex im Sulkus und die Marksubstanz werden gespalten, bis der Tumor erreicht ist. Seine Entfer-

nung erfolgt in kleinen Stücken mit- tels bipolarer Koagulation und klei- ner Faßpinzette. Jede noch so gerin- ge Blutung wird bipolar versorgt.

Bei angioblastischen Gliomen und zerfallenen Glioblastomen sind die Entfernung durch Mikrosauger und bipolare Koagulation am schonend- sten. Optimale Beleuchtung und an- gemessene Vergrößerung gewähr- leisten auch bei kleinsten Öffnungen die Entfernung. Spatel sind nur aus- nahmsweise notwendig. Im demon- strierten Beispiel eines Glioms unter dem Ende der zweiten und dritten Frontalwindung links blieben Kortex und nichtbefallene Marksubstanz unberührt. Die motorische Aphasie war nach wenigen Tagen beseitigt (Abbildungen 2 a, b, c, d).

Selbst tiefliegende Tumoren, so ein para- und intraventrikuläres Astrozy- tom bei tuberöser Sklerose (Abbil-

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Abbildung 3: Para- und intraventrikuläres Astrozytom unter dem linken Angularisge- biet. CT prä- und postoperativ

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin.

Hirngliome

dung 3) oder große Tumoren, so ein Astrozytom Grad II (Abbildung 4), können risikoarm entfernt werden.

In beiden Fällen lagen die Tumoren unter dem Angularisgebiet links und wurden von einem kleinen intergyra- len transsulkalen Zugang zwischen dem hinteren Ende der 3. Temporal- windung und dem Gyrus angularis entfernt. Der Verlauf war unauffällig.

Es kam zu keinen Ausfällen.

0 Partielle Gyrektomie: Die partiel- le Gyrektomie scheint der geeignete Eingriff zu sein, kleine umschriebe- ne benigne oder semibenigne Glio- me mit Befall eines Gyrus und der angrenzenden Marksubstanz zu ent- fernen. So wurde bei einem Astrozy-

Abbildung 4: Riesiges Astrozytom unter Gebiet. CT prä- und postoperativ

tom am Ende der zweiten Frontal- windung durch intergyrale transsul- kale Freilegung zwischen der ersten und zweiten Frontalwindung, der zweiten und dritten Frontalwindung sowie dem Ende der zweiten Fron- talwindung und der Zentralwindung der Tumor entfernt. Kortex und Ge- fäße der angrenzenden ersten und dritten Frontalwindung sowie der Zentralwindung blieben intakt. Ent- sprechend kam es zu keinen Ausfäl- len (Abbildungen 1c, 5a, 5b).

In Einzelfällen sind selbst riesige Tumoren, so bei einem zweijährigen Jungen mit einem Plexuspapillom (Abbildungen 6a, 6b), von einer um- schriebenen partiellen Gyrektomie aus zu entfernen.

dem linken hinteren Temporo-parietal-

Die Vorteile der mikrochirurgischen Behandlung der Gliome mittels des beschriebenen technischen Vorge- hens sind die folgenden:

kleine Kraniotomie mit dem Gliom in ihrem Zentrum und damit Vermeidung von Schädigungen des Hirngewebes in größerer Entfer- nung, wie sie bei großen Kranioto- mien vorkommen können,

kleinstmöglicher und direkter Zugang zum Tumor durch pergyrale oder intergyrale persulkale Freile- gung,

(i)

Schonung aller nicht befallenen Strukturen: Hirnrinde, Mark, Arte- rien und Venen,

Tumorentfernung in kleinen Stücken mit einem Minimum wirksa- mer Instrumente zur Vermeidung zu- sätzlicher Schädigungen, z. B.

durch Spateldruck. Der Erfolg der mikrochirurgischen Gliomentfer- nung ist trotz begrenzter Erfahrung ermutigend und gekennzeichnet durch

• einen schnellen und komplika- tionslosen postoperativen Verlauf,

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die schnelle Rückbildung klini- scher Beschwerden und Symptome,

• die erwiesene Operabilität soge- nannter unzugänglicher kortikaler und subkortikaler Gliome und

C)

die ganz wesentliche Verbesse- rung der spontanen und operativen Morbidität und damit die Verbesse- rung der Lebensqualität des Gliom- kranken für die ihm verbleibende Le- benszeit.

Die Verlaufsbeobachtungen erlau- ben noch keine Stellungnahme zu der Frage, ob die isolierte Tumorent- fernung die Dauer der Überlebens- zeit beeinflußt und sie mit der bisher üblichen ausgedehnten Resektion von Tumor und nichttumorösem Ge- webe vergleichbar ist. Unzweifelhaft sind die verbesserte Frühprognose und die fehlende oder geringe Mor- bidität dank des atraumatischeren Vorgehens und der schnellen Rück-

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

Hirngliome

Abbildung 5: Partielle Gyrektomie mit intergyralen persulkalen Freilegungen zwischen F 2 und F3 , F, und F 2 , F2 und Gyrus centralis (Abbildung 1c) — Abbildung 5a (links): Intergyrale Freilegung zwischen F 2 und F,— Abbildung 5b (rechts): Partielle Gyrektomie bei intakter 1. und 3. Frontalwindung und der Zentralwindung.

Abbildungen 6a und 6b: Riesiges Plexuspapillom rechter Seitenventrikel. Entfernung nach partieller Gyrektomie des mittleren Drittels der 1. Frontalwindung. CT: links präoperativ, rechts zwei Tage postoperativ

bildung des Hirnödems, bzw. der Vermeidung eines postoperativen Ödems.

Zusammenfassung

Die mikrochirurgische Gliomentfer- nung stellt bei umschriebenen korti- kalen und subkortikalen Gliomen des Großhirns einen echten Fort- schritt dar. Durch pergyralen oder

intergyralen persulkalen Zugang und partielle Gyrektomie sind selbst große Gliome jeder Dignität und Gliome in funktionell wichtigen Hirngebieten, z. B. den Sprachge- bieten, risikoarm zu entfernen. Dank der größeren Operabilität und des geringeren Operationstraumas sind die Frühprognose günstiger, die Überlebensqualität verbessert und Rezidivoperationen in größerem

Umfang möglich. Ein Einfluß auf die Lebensverlängerung scheint nicht zu bestehen.

Literatur beim Sonderdruck Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med. Dr. h. c.

Hans Werner Pia

Direktor der Neurochirurgischen Universitätsklinik

Klinikstraße 29, 6300 Gießen

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