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Archiv "Extradurale spinale Tumoren" (17.07.1975)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

KOMPENDIUM:

Extradurale spinale Tumoren

Diagnostik und Therapie Osteosarkom infauste Diagnose oder kurabler Tumor?

Reisekrankheit

Physiologische Reaktion auf unphysiologische Beschleunigungsvorgänge

AUSSPRACHE:

Wirkungen und Indikationen von Placebo

Definition

Unter dem Oberbegriff „spinale Geschwülste" werden im allgemei- nen alle raumfordernden Prozesse des Spinalkanals (Abbildung 1) zu- sammengefaßt, die entweder als vertebrale Tumoren vom Spinalka- nal selbst oder dem Wirbelskelett ihren Ausgang nehmen oder von paravertebral sekundär aus dem Retroperitonealraum, dem Brust- korb oder dem Halsbereich viel- fach in Sanduhrform durch die Wir- bellöcher in den Wirbelkanal hin- einwachsen. Darüber hinaus wer- den auch die nichttumorösen raumfordernden Prozesse, wie Bandscheibenhernien, Parasiten, entzündliche Prozesse u. a. mit hin- zugerechnet. Letztere sollen im Rahmen dieser Arbeit jedoch nur

erwähnt, aber nicht weiter berück- sichtigt werden.

Die Häufigkeit der spinalen gegen- über den zerebralen Geschwülsten wird mit 1 : 6 angegeben und be- trägt bei einem großen Sektionsgut weniger als ein Prozent.

Pathologie

und pathologische Anatomie Die eigentlichen Tumoren teilt man in zwei Gruppen:

O Primäre Tumoren O Metastatische Tumoren

Alle extraduralen Geschwülste nehmen ihren Ausgang vom epi- beziehungsweise periduralen Ge-

Extradurale spinale Tumoren

Diagnostik und Therapie

Wilhelm Grote

Aus der Neurochirurgischen Klinik (Direktor: Professor Dr. W. Grote)

des Universitätsklinikums der Gesamthochschule Essen

Die extraduralen Tumoren gehen entweder vom intraspinalen Gewe- be oder vom Wirbelskelett aus und wachsen sekundär von paraver- tebral (Retroperitonealraum, Brustkorb, Halsweichteile) in Sanduhr- formen durch die Wirbellöcher in den Wirbelkanal ein. Die nicht- tumorösen spinalen Raumforderungen (Bandscheibenhernien, Para- siten und andere) werden nur erwähnt, aber nicht weiter berück- sichtigt. Über die neurologischen Befunde und Röntgenleerbilder hinaus werden die modernen Untersuchungsverfahren (spinale Kontrastdiagnostik und Isotopenuntersuchung und andere) ange- führt, vor allem wird auch auf die therapeutischen Möglichkeiten ein- gegangen, um dazu beizutragen, daß Krankheitsträger möglichst frühzeitig einer optimalen und vielfach auch anhaltend erfolgreichen Behandlung zugeführt werden.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 29 vom 17. Juli 1975 2101

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Spinale extradurale raumeinengende Prozesse Gutartige Tumoren:

Bösartige Tumoren:

Osteom Chondrom Riesenzelltumor Fibrom

Lipom Meningeom Neurinom Ganglioneurom Chordom Sarkom

Sympathikoblastom

mesodermale Tumoren

neuroepitheliale Tumoren mesodermale Tumoren neuroepitheliale Tumoren Karzinom epitheliale

Tumoren Mißbildungstumoren: Epidermoid

Dermoid Teratom Systemerkrankungen: Leukose

Lymphogranulomatose Myelom = Plasmozyton Parasiten und Zysten:

Entzündliche Prozesse: unspezifische spezifische Skelettabhängige

Raumforderungen

Nucleus-pulposus-Prolaps Spondylolisthesis

Wirbelangiom u. a.

Abbildung 1: Zusammenstellung der möglichen spinalen Raumforderungen webe, von der Wirbelsäule oder

dem paravertebralen Raum mit se- kundärem Einwachsen in den Wir- belkanal. Alle haben sie gemein- sam eine spinale Raumforderung mit einer unmittelbaren Kompres- sion nervöser Elemente (Rücken- mark, Nervenwurzeln) oder einer indirekten Schädigung des Mye- lons durch eine tumorbedingte Ge- fäßunterbrechung.

Osteome treten als Enostome auf und wirken im Röntgenbild wie Kompaktinseln oder als Exostosen fast nur an den Dornfortsätzen und Wirbelbögen. Osteoid-Osteome im- ponieren im Kindes- und Jugendal- ter durch Aufhellungsherde im Kor- ti kalisbereich.

Chondrome, eine seltene Ge- schwulstart vornehmlich der Wirbel- bögen, können erhebliche Größen erreichen und maligne entarten. Sie bestehen aus hyalinem Knorpel bei unterschiedlichem Gehalt an hyali- ner Zwischensubstanz mit Knorpel- zellen.

Bei den Riesenzelltumoren handelt es sich um primäre Knochentumo- ren. Sie kommen an der Wirbel- säule nur selten vor und wenn, dann meistens an Hals- und Brust- wirbelsäule. Wegen des langsamen Wachstums ohne Rezidivneigung sieht man sie als benigne an.

Bei den Fibromen des Spinalkanals gibt es fließende Übergänge zu

den Neurofibromen. Erwähnt wer- den sie eigentlich nur noch im älte- ren Schrifttum.

Eine spinale Lokalisation von Lipo- men wird hauptsächlich in Verbin- dung mit dysrhaphischen Fehlbil- dungen im lumbo-sakralen Bereich gesehen, sonst vornehmlich extra- dural in der unteren Hälfte des tho- rakalen Wirbelkanals.

Die Meningeome sind im wesentli- chen intradural lokalisiert, kommen aber auch extradural vor, wobei sie in einem Teil der Fälle wieder so- wohl extra- als auch intradural ge- legen sind. Sie treten auch als Sanduhrgeschwülste mit einem ex- traduralen Anteil und einem inter- oder paravertebralen Geschwulst- zapfen auf. Bevorzugte Lokalisatio- nen finden sich im mittleren Be- reich der Hals- und im oberen Be- reich der Brustwirbelsäule.

Die Histogenese der Neurinome ist umstritten. Früher nahm man so- wohl eine ektodermale als auch eine mesodermale Herkunft an.

Heute zählt man sie mehr zu den neuroepithelialen Tumoren. Wenn ihre überwiegende Anzahl auch in- tradural gelegen ist, so ist eine ex- tradurale Lokalisation doch recht häufig; diese wiederum tritt oftmals in Zwerchsack- beziehungsweise Sanduhrform mit Wachstum durch die Foramina intervertebralia auf (Abbildung 2). Hinsichtlich einzel- ner Wirbelsäulenabschnitte zeigen sie sich vornehmlich thorakal, ge- folgt von der Lumbal- und Zervikal- region.

Von den Sympathikustumoren tre- ten als seltene Geschwulstart Gan- glioneurome auf, das hauptsäch- lich im Bauchraum und dann im Thorax. Von hier aus können sie in Form einer Sanduhrgeschwulst nach extradural in den Spinalkanal eindringen. Die Ganglienzelltumo- ren des Sympathikus finden sich in maligner Form kongenital und im frühen Jugendalter oder als be- nigne Ganglioneurome im Alter.

Die biologische Wertigkeit der Chordome ist umstritten, doch sind

2102 Heft 29 vom 17. Juli 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

Abbildung 2 (links): Erweiterung des Foramen intervertebrale in Höhe C2:3 durch eine „Sanduhrgeschwulst" mit Tu- moranteilen sowohl intra- als auch extraspinal beziehungsweise paravertebral — Abbildung 3 (Mitte) Wirbeldestruktio- nen durch Ewing-Sarkom. Auflockerung der Knochenstruktur eines Brustwirbelkörpers und völlige Osteolyse des Wir- belbogens und des Dornfortsatzes (Tomogramm) Abbil dung 4 (rechts): Multiple osteoplastische Wirbelmetastasen bei Prostatakarzinom

diese seltenen, an den Endpunkten der Wirbelsäule auftretenden Tumo- ren eher als maligne anzusehen.

Sie entstehen aus den Resten der embryonalen Chorda-Anlage, ent- wickeln sich meist nur beschränkt auf den Knochen und können er- hebliche Größe erreichen.

Bei den spinalen Sarkomen, die seltener als die des übrigen Ske- lettsystems sind, stehen die osteo- genen Sarkome, die von der Wir- belsäule selbst ausgehen, im Vor- dergrund. Diese weichen, fleischi-

gen, stark vaskularisierten Tumo- ren mit diffuser Ausbreitung wachsen infiltrativ. Neben den ech- ten primären Sarkomen des Epidu- ralraumes, den Lymphosarkomen, kennt man noch die vom Knochen ausgehenden Ewingsarkome (Ab- bildung 3) und Retikulosarkome, um weitere Spielarten zu nennen.

Metastasen epithelialer Tumoren finden sich am häufigsten im Ske- lettsystem und in der Wirbelsäule, hier vornehmlich thorakal. Primä- rer Karzinombefall an Mamma,

Prostata, Schilddrüse, Lunge, Nie- re, weiblichem Genitaltrakt und am Darm kann oft zu osteolytischen, seltener auch zu osteoplastischen (Abbildung 4; Prostata) Metastasen führen. Ihr infiltratives Wachstum führt sowohl durch Raumforderung als auch durch Gefäßunterbre- chung zu medullären Ausfällen.

Mißbildungen entwickeln sich auf dem Boden von Keimversprengun- gen. Bei den Epidermoiden und Dermoiden spricht man auch von Cholesteatomen, weil sie mit chole- sterinhaltigem Brei gefüllt sind. >

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 29 vom 17. Juli 1975 2103

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Über die Epidermisprodukte der Epidermoide hinaus kommen bei den Dermoiden auch die übrigen Anhangsgebilde der Haut hinzu, wie Talgdrüsen und Haare mit Talgdrüsen. Beinhalten diese Miß- bildungen Abkömmlinge von allen drei Keimblättern, so spricht man von einer „Wundergeschwulst" be- ziehungsweise vom Teratom.

Außer den geschwulstartigen spi- nalen Prozessen kennt man noch eine Reihe weiterer Erkrankungen des Wirbelkanals, die für Rücken- mark und Nervenwurzeln raumfor- dernd wirken können. Hier sind es einmal Erkrankungen des blutbil- denden Systems, wie bei Leukämie

und Lymphogranulomatose, die über die Zwischenwirbellöcher in den Spinalkanal eindringen oder auch zu Wirbelveränderungen füh- ren. Weiter kennt man im Rahmen von Erkrankungen des myelo-ery- thropoetischen Gewebes das Mye- lom oder Plasmozytom (Abbildung 5), auch als Kahlersche Krankheit bekannt. Weitere extradurale, nichttumoröse Raumforderungen können ebenso durch angeborene Zysten und vornehmlich tierische Parasiten (Zystizerken, Echinokok-

ken u. a.) hervorgerufen werden, wie durch bakterielle oder tuberku- löse entzündliche lnfiltrate oder Abszedierungen und schließlich auch noch durch reine skelettab-

hängige Situationen, wie beim Bandscheibenvorfall, bei der Spon- dylolisthesis und beim Wirbelan- giom (Abbildung 6), um einige be- sondere Beispiele anzuführen.

Klinik und Diagnostik

Etwa 15 Prozent der spinalen Raumforderungen treten bei Kin- dern und Jugendlichen auf. Die Al- terskurve zeigt ihren Gipfel zwi- schen dem dritten und sechsten Lebensjahr. Etwa ein Drittel aller spinalen Raumforderungen sitzt ex- tradural. Die subjektiven Be- schwerden und die klinische Sym- ptomatologie werden einmal von

Abbildung 5 (links): Ausgedehnte Osteolyse der drei unte ren Lendenwirbel durch ein Plasmozytom (Tomogramm) Abbildung 6 (Mitte): Wabiges Aussehen des zweiten Lendenwirbelkörpers mit Hervortreten vertikaler Konturlinien bei Wirbelangiom (Tomogramm) — Abbildung 7 (rechts): Pantopaque-Myelogramm mit Aussparung der Kontrastmit- telsäule durch einen umschriebenen extraduralen Tumor

2104 Heft 29 vom 17. Juli 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

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Abbildung 8 a (links): Myeloszintigramm links nach lumba I er und rechts nach zisternaler Applikation der Isotope. Links nur Darstellung des unteren lumbalen Liquorraumes und rechts normale Passage zervikal und thorakal mit De- fekt im oberen Lumbalbere ich. Exakte Lokalisation einer spinalen Raumforderung - Abbildung 8 b (rechts): Im Knochenszintigramm Sichtbarmachung eines Knochenumbauprozesses bei malignem Knochentumor

der Höhenlokalisation geprägt und zum andern von seiner Einwirkung auf das Rückenmark und die Ner- venwurzeln.

Raumforderungen im Bereich des kranio-zervikalen Übergangs kön- nen eine medulläre Symptomatik aufweisen mit einer Hemi- oder Te- traspastik und entsprechenden sensiblen Ausfällen, begleitet von ein- oder beidseitigen Störungen der unteren Hirnnerven (Nervus hy- poglossus, Nervus accessorius)

sowie auch der medullären Tri- geminusbahn. Nacken-Hinterkopf- Schmerzen mit Steifhaltung des Kopfes können zusätzliche Hinwei- se geben.

Im Zervikalbereich fehlen beglei- tende Hirnnervenstörungen. Die medullären Erscheinungen sind ähnlich. Nicht selten sieht man ein Brown-Sequard-Syndrom. Radiku- läre Zeichen mit Schmerzen, Par- ästhesien, Taubheit und Paresen runden das neurologische Bild

ebenso ab wie Zwerchfellbeteili- gungen (segmentale oder ein- oder beidseitiger Hochstand) und Läsio- nen des Centrum cilio-spinale (Hor- nersyndrom). Die Schmerzen treten im Nacken, in den Armen und Nak- ken-Hinterkopf-Bereich (Zephalgie, Migraine cervicale u. a.) auf.

Raumeinengungen im thorakalen Spinalkanal führen durch eine Rük- kenmarksschädigung zu motori- schen und sensiblen Störungen am Rumpf und an den unteren Extremi-

DEUTSCHES ARZTEBLA'IT Heft 29 vom 17. Juli 1975 2105

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täten, begleitet von Störungen der Blasen- und Darmfunktion. Auch hier werden radikuläre Symptome solitär oder begleitend gesehen, etwa in Form einer Interkostalneur- algie. Intermittierende Schmerzat- tacken werden nicht selten als Or- ganschmerz (Herz, Gallenblase u. a.) fehlgedeutet. Am thorako-lum- balen Übergang, wo in Höhe L1/L2 das Rückenmark endet und die Cauda equina beginnt, bewirken Raumforderungen oftmals ein bun- tes Bild mit medullären und radiku- lären Erscheinungen.

Bei lumbaler und sakraler Lokali- sation werden im Gegensatz zur zervikalen und thorakalen Rücken- marksschädigung ausschließlich pe- riphere = schlaffe Paresen (Aus- fall des 2. motorischen Neurons) an den unteren Extremitäten gese- hen, sei es in Form von Monopare- sen einzelner Beinmuskeln oder einseitiger Beinlähmungen oder in

Form einer inkompletten oder kom- pletten Querschnittslähmung, be- gleitet von Störungen der Blase, des Darms und der Potenz, wobei letztere Schädigungen auch bei Raumforderungen in den übrigen spinalen Abschnitten möglich sind.

Sensible Ausfälle können isoliert in lediglich einem Segmentbereich auftreten, ebenso in mehreren und in Form der sogenannten Reitho- senanalgesie und -anästhesie. Ent- sprechend dem Ausmaß der Betei- ligung von Nervenwurzeln haben begleitende Schmerzen nur mono- radikulären Charakter (züm Bei- spiel lschialgie) oder sind in meh- reren Segmenten oder diffus in den Beinen lokalisiert.

Die eigenen Erfahrungen lassen keine absolut signifikanten Sym- ptome und Vorläufe erkennen, die eine gesicherte Unterscheidung in intramedulläre und extramedulläre Raumforderungen möglich machen, wenn auch gewisse Hinweise be- stehen, daß bei intramedullären Prozessen initial mehr die Schmer- zen und bei den extramedullären Raumforderungen mehr die neuro- logischen Ausfälle im Vordergrund stehen. Die Klassifikation der vor- liegenden Geschwulstart ist über

die neurologische und topische Symptomatologie hinaus vom zeitli- chen Krankheitsverlauf und sonsti- gen Begleitfaktoren mit abhängig.

Rasch progrediente oder akut ein- setzende Querschnittsbilder wer- den am ehesten bei sich rasch ent- wickelnden Karzinommetastasen und Sarkomen gesehen. Bei be- kanntem Vorliegen einer sonstigen malignen Körpergeschwulst ist das Auftreten einer spinalen Sympto- matologie natürlich sofort suspekt, und bei unbekanntem Primärtumor kann der Nachweis durch ein Tho- raxbild, eine Prostatauntersuchung, ein Urogramm u. a. manchmal sehr einfach sein.

Andererseits bedarf es oftmals gro- ßer zusätzlicher diagnostischer An- strengungen, um eine Primärge- schwulst nachzuweisen, manchmal gelingt es gar nicht. Der maligne Charakter der extraduralen Ge- schwulst läßt sich fast immer durch eine zusätzliche Röntgenuntersu- chung nachweisen, wobei eine De- struktion des Wirbelknochens (Kör- per, Bogen u. a.) gefunden wird.

Diese osteoklastische Knochende- struktion zeigt sich vornehmlich bei Metastasen von Bronchial-, Mamma- und Strumakarzinomen, weiter bei Hypernephromen, Sarko- men (Abbildung 3), Plasmozytomen (Abbildung 5) u. a. Eine osteopla- stische Form der Wirbelmetastasie- rung (Abbildung 4) wird vornehm- lich beim Prostatakarzinom gese- hen. In allen Altersstufen können sich tumorbedingte akute Quer- schnittsbilder entwickeln, wobei im Fall von Kindern und Jugendlichen die Sarkome überwiegen und im späteren Lebensalter die karzino- matösen Tumoren.

Wesentlich erscheint auch der Hin- weis, daß der oftmals foudroyante Verlauf hinsichtlich der Quer- schnittssymptomatik besonders bei den Malignomen nicht nur durch die mechanische Markschädigung verursacht wird, sondern vielmehr durch eine Abschnürung der spina- len Gefäße, die zu einer unmittel- baren Durchblutungsstörung und damit zur Markschädigung (bis zur Erweichung) führt und progno-

stisch besonders ungünstig ist, wenn nicht sehr rasch entlastet wird.

Sämtliche extraduralen, primären und sekundären intraspinalen Tu- moren führen je nach Wachstums- tendenz entsprechend ihrer Beni- gnität oder Malignität in stark diffe- rierenden Zeiträumen zu Beein- trächtigungen der Nervenwurzeln und darüber hinaus zu einer me- chanischen Schädigung des Rük- kenmarks. Auf ein neuralgisches Vorstadium, je nach Lokalisation mit Nacken-Schulter-Arm-Schmer- zen, Brust- oder Bauchschmer- zen (Interkostalneuralgie, Organ- schmerzen) oder Rücken-Bein- Schmerzen (Ischiaigle) folgen lang- sam oder rasch sich entwickelnde sensible und motorische medulläre Ausfälle oder bei lumbaler Lokali- sation eine Cauda-Symptomatik.

Der vielfach rasche, zum Teil sogar apoplektiforme Ablauf bei Karzi- nom-Metastasen und Sarkomen wurde bereits erwähnt. Die Mißbil- dungsgeschwülste (Epidermoide, Dermoide und Teratome) sind ent- weder bereits bei der Geburt er- kennbar (zum Beispiel Steißterato- me) oder führen meist schon im Kindes- und Jugendalter zu klini- schen Erscheinungen. Epidermoide und Dermoide können an allen Wir- belsäulenabschnitten auftreten, hauptsächlich jedoch lumbo-sa- kral. Die den Mißbildungsge- schwülsten nahestehenden Lipome sind ebenfalls hauptsächlich lum- bo-sakral lokalisiert und können in jedem Lebensalter, vornehmlich je- doch in der Jugend, zu einer spina- len Raumforderung führen.

Ebenfalls im Jugendalter können extradurale Zysten hauptsächlich lumbal und thorakal klinisch mani- fest werden und wie eine Ge- schwulst wirken. Sie sind nicht sel- ten von einer Spina bifida occulta begleitet.

Seltenere extradurale Raumeinen- gungen verursachen Fibrome, Osteome, Riesenzelltumoren, Chor- dome (kranio-zervikal und sakral), Gangliozytome, Sympathoblastome

2106 Heft 29 vom 17. Juli 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

Extradurale spinale Tumoren

(thorakal), Plasmozytome, Lympho- granulomatose und leukämische Infiltrate. Eine charakteristische Symptomatologie läßt keine Situa- tion erkennen. Mykotische (Aktino- mykose, Blastomykose) und parasi- täre (Zystizerken, Echinokokken) Erkrankungen, wie syphilitische Gummen, stellen als spinale Raum- forderungen eine Rarität dar.

Die Differentialdiagnose spinaler Tumoren gegenüber sonstigen Spi- nalerkrankungen ist natürlich viel- fach nicht alleine aus dem Krank- heitsablauf und den neurologi- schen Befunderhebungen möglich.

Hier sind zusätzlich die Liquordia- gnostik, eine Reihe verschiedener röntgenologischer Untersuchungs- methoden und die Anwendung von Isotopen von entscheidender Be- deutung.

Eine Liquoruntersuchung sollte im- mer vergleichend lumbal und zister- nal erfolgen. Bei Prüfung der spi- nalen Passage durch Jugularis- kompression und Bauchpresse am Steigrohr oder durch optische Re- gistrierung soll man sich nicht zu sehr auf die Ergebnisse der Druck- abläufe verlassen, denn viele Feh- lermöglichkeiten verhindern oft- mals eine absolute Aussage. Auch die Laborwerte des Liquors (Ei- weiß, Kolloidkurven, Elektrophore- se, Zellen) sind bei Grenz- und Normalbefunden nicht unbedingt beweisend für eine spinale Raum- forderung. Bei einem sogenannten

„Stopp-Liquor" unterhalb eines ver- muteten Passagehindernisses ist die Diagnose klar.

Durch Übersichtsaufnahmen und vor allem Tomogramme werden einmal destruierende (Abbildungen 3 und 5) oder sonstige Veränderun- gen der Wirbelknochen und des Spinalkanals erfaßt, ihre Ausdeh- nung festgelegt und vielfach ihre Ätiologie geklärt. Nicht immer ist es jedoch möglich, aus der Art der Knochenveränderung sichere Rück- schlüsse auf den Grundprozeß zu ziehen.

Die spinale Myelographie mit Luft oder mehr noch mit ölhaltigen

Kontrastmitteln (Abbildung 7) ist bislang noch das wesentlichste Diagnostikum zum Ausschluß oder Nachweis und zur genauen Lokali- sation einer spinalen Raumforde- rung. Bei komplettem Kontrastmit- telstopp ist die Diagnose leicht.

Schwierigkeiten dagegen bieten kleine oder nur flüchtige Passage- hindernisse, hier muß das Kon- trastmittel oftmals hin- und herge- schaukelt werden.

Ein weiteres wertvolles Hilfsmittel kann die Wirbelangiographie sein.

Einmal kann das Kontrastmittel in den Wirbelkörper injiziert werden

= Ossovenographie, um über den venösen Schenkel eine Ge- schwulstdarstellung zu erreichen.

Über den arteriellen Schenkel kann eine Tumordarstellung über die Ar- teria vertebralis (zervikal) oder die Arteria femoralis und die Aorta (lumbal und thorakal), zum Teil durch selektive Kontrastdarstellung der Interkostalarterien erreicht werden.

Zunehmend versucht man, die Diagnostik mit Isotopen für den Geschwulstnachweis und zur Fest- stellung ihrer Ausdehnung nutzbar zu machen (Myelo-Szintigraphie).

Ein Weg geht über die intrathekale Applikation radioaktiver Substanzen um damit den Spinalkanal auf Ein- engungen, Aussparungen und Un- terbrechungen des Lumens zu über- prüfen (Abbildung 8a). Tumoröse, vor allem auch metastatische Kno- chenprozesse versucht man durch die Knochenszintigraphie (Stronti- um) zu erfassen (Abbildung 8b).

Therapie und Prognose

Wie in der Geschwulstbehandlung überhaupt, gibt es auch bei den

„spinalen Tumoren" je nach Ge- schwulstart die Alternative: Opera- tion, Bestrahlung und Zytostatika.

Zusätzlich können bei einigen Kar- zinommetastasen (Mamma, Pro- stata) Hormonbehandlungen (ge- gengeschlechtliche Hormone u. a.

beim Mammakarzinom und Honvan beim Prostatakarzinom) oder auch Kastrationen und Ausschaltungen der Hypophyse günstig wirken. Bei den benignen Tumoren (Osteom, Lipom, Riesenzelltumor, Menin- geom, Neurinom u. a.) gibt es aus- schließlich die Möglichkeit einer operativen Geschwulstentfernung, da keine Empfindlichkeit gegen- über einer Strahlenbehandlung besteht und ebenso Zytostatika keine Angriffsmöglichkeiten fin- den.

Bei den malignen Prozessen (Sar- kome, Karzinome u. a.) sollen Ope- rationen, Bestrahlungen und Zyto- statika weniger miteinander kon- kurrieren, sondern sich gegenseitig ergänzen, um die therapeutische Wirkung möglichst weit zu span- nen. Eine entlastende Operation und nachfolgende, eventuell wie- derholte Bestrahlungen dürften das wirksamste Vorgehen darstellen.

Die alleinige Strahlenbehandlung ist bislang bei fehlenden nervalen Ausfällen und bei multipler spinaler Lokalisation indiziert. Wichtig ist dabei, daß einige destruierende Knochentumoren (Plasmozytom zum Beispiel) kaum strahlenemp- findlich sind. Daß maligne Tumo- ren, auch nach scheinbarer voll- ständiger operativer Entfernung und nachfolgender Bestrahlung im- mer wieder rezidivieren können — aber durchaus nicht müssen — ist bekannt. Auch Karzinommetasta- sen bieten keine absolut infauste Prognose, denn zum Beispiel ope- rierte Wirbelmetastasen eines Prostatakarzinoms mit nachfolgen- der Hormonbehandlung können den Kranken viele Jahre beschwer- defrei überleben lassen.

Natürlich sind generell die kno- chenzerstörenden spinalen Tumo- ren prognostisch ungleich ungün- stiger zu beurteilen, wie die biolo- gisch gutartigen Meningeome, Neurinome, Lipome, viele Mißbil- dungstumoren u. a. Wie bei allen malignen Geschwülsten sollte auch hier wegen der Operationsindika- tion niemals alleine der lokale spi- nale Befund ausschlaggebend sein,

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Das Osteosarkom ist mit einer Häufigkeit von etwa 1 /100000 Jugend- liche pro Jahr ein seltener maligner Tumor. In der Bundesrepublik Deutschland dürften pro Jahr etwa 100 bis 200 Fälle beobachtet wer- den. Das häufigste Auftreten liegt im Alter von 8 bis 20 Jahren.

Innerhalb von 12 bis 18 Monaten führte das Osteosarkom bei 80 Pro- zent der betroffenen Patienten zum Auftreten von Lungenmetastasen und zum Tode. Die minimale Hei- lungsrate wurde nur wenig vom therapeutischen Vorgehen beein- flußt. Strahlentherapeutisch konnte der Tumor nur mit Dosen von 14 000 bis 16 000 rad unter einer durch Anwendung eines Tourni- quets erzeugten Hypoxie lokal kon- trolliert werden. Die Reaktion des Normalgewebes verbot jedoch die Fortführung dieser Therapie.

Eine weite Verbreitung fand das Vorgehen von Sir Stanford Cade, der mit großfeldriger Hochvoltbe- strahlung des Tumors die Amputa- tion um sieben bis acht Monate hin- ausschob, um den radikalen Ein- griff auf diejenigen Patienten zu beschränken, die zu diesem Zeit- punkt metastasenfrei waren und eine Aussicht auf Heilung hatten.

Als Nachteil erwies sich jedoch, daß diese Therapie für das vorwie- gend im distalen Femur auftreten- de Osteosarkom nur selten die Funktionsfähigkeit des Beines wie- derherstellen oder erhalten konnte.

Die Führung des Patienten wurde durch die verzögerte Entscheidung über die Amputation nicht erleich- tert.

Als weitere Verfahren, die keinen signifikanten therapeutischen Vor- teil brachten, sind die hochdosierte vielmehr muß die Gesamtsituation

des Kranken mitentscheiden, ob man sich für den einen oder ande- ren Behandlungsweg entschließt oder ob man überhaupt keine The- rapie mehr für sinnvoll erachtet.

Die benignen Tumoren sind nur im Ausnahmefall nicht radikal zu ent- fernen. Dies kann bei großer spina- ler Ausdehnung der Fall sein oder wenn Neurinome oder Ganglioneu- rome in Form einer ausgedehnten Sanduhrgeschwulst vorliegen, und wenn zum Beispiel beim Meninge- om die Ansatzstelle nicht völlig ausgeschaltet werden kann. Dann können auch hierbei Rezidive auf- treten.

Im allgemeinen ist bei den bio- logisch benignen Prozessen die Prognose auch als gut zu bezeich- nen.

Die Operationsergebnisse sind ein- mal abhängig von Histologie und Lokalisation einer Geschwulst, zum anderen vom Zeitpunkt des Eingrif- fes, das heißt vom Grad der Ausbil- dung und von der Intensität der Krankheitserscheinung.

Ziel der diagnostischen Bemühun- gen kann nur sein, Tumorträger ei- ner Behandlung zuzuführen, bevor die neurologischen Ausfälle ein großes oder sogar hoffnungsloses Ausmaß erreicht haben. Abgese- hen von den prognostisch mit Vorsicht zu beurteilenden knochen- destruierenden extraduralen Tu- moren — auch für sie gilt selbst- verständlich, je frühzeitiger desto günstiger — gibt es eine Vielzahl gutartiger Geschwülste, bei denen durch eine frühzeitige Operation absolute Heilung erzielt werden kann.

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med. Wilhelm Grote Neurochirurgische

Universitätsklinik 43 Essen 1 Hufelandstraße 55

Osteosarkom

infauste Diagnose

oder kurabler Tumor?

Erwin M. Röttinger, Werner Hupfauer, Walter M. Gallmeier

Aus der Universitätsstrahlenklinik, (Direktor: Professor Dr. E. Scherer) der Orthopädischen Universitätsklinik, (Direktor: Professor Dr. K. F. Schlegel)

der Inneren Universitätsklinik und Poliklinik (Tumorforschung) (Direktor: Professor Dr. C. G. Schmidt)

der Gesamthochschule Essen

Die rasche Metastasierung des Osteosarkoms ist die Ursache für die schlechte Heilungschance von 20 Prozent. Lokale Maßnahmen, wie Amputation und Strahlentherapie, haben daran nur wenig geän- dert. Durch die postoperative („adjuvante") Chemotherapie wurde jedoch die Vernichtung klinisch latenter Mikrometastasen ermög- licht. Zur Koordination der therapeutischen Maßnahmen wird eine interdisziplinäre Zusammenarbeit erforderlich.

DEUTSCHES .A.RZTEBLATT Heft 29 vom 17. Juli 1975 2109

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