E
s soll hier ein neues Krankheitsbild beschrie- ben werden, das sich in letzter Zeit fast epidemieartig ausgebreitet hat. Nicht dass einer an das alte Volkslied denkt: Es klappert die Müh- le am Lauterbach. Expertitis entsteht dann, wenn Politiker etwas entscheiden sollen, was sie gar nicht übersehen kön- nen. Da gibt es dann allge- meine politische Richtlinien, die auch nicht konkret genug sind.Es fehlt der eigene Über- blick, weil man ja selbst mit diesen Dingen keine prakti- schen Erfahrungen hat. Wenn dann die eigene Euphorie der Selbstüberschätzung auf kriti- sche Stimmen aus der Praxis trifft, werden natürlich Stress- hormone ausgeschüttet. Die Reden wandeln sich ins Ne- belhafte, und schließlich steigt der Spiegel an Interleukin-1.
Damit geht dann der Ent-
scheidungsprozess in einen Entzündungsprozess über. Al- le möglichen Personen aus Koalitionen und Oppositio- nen entzünden sich an dem Thema. Jeder ist scheinbar schlauer als der andere, und so
bläht sich alles zu einem ent- zündlichen Ödem auf. Wenn dann die eigenen Ressourcen nicht mehr ausreichen, zieht man „Experten“ zu Rate. Da- bei ist Experte kein Berufs- bild, sondern man wird kraft
des Amtes eines Politikers da- zu ernannt. Wichtig sind dabei nur Titel und Rhetorik, das wirklich praktische Wissen ist eher nebensächlich. Es soll ja sowieso möglichst keiner ver- stehen, wovon die Rede ist.
Wenn so einer nach dem an- deren Experten zur Expertitis bei den Politikern geführt hat und jeder seine eigene Mei- nung so angeblich belegen kann, könnte es sein, dass im- mer noch drei Leute vier Mei- nungen haben.
Um diesem Umstand abzu- helfen, werden dann aus Ex- perten und Leuten, die sich für Experten halten, Kommis- sionen gebildet. Dann hat die Expertitis ihren Höhepunkt erreicht und schlägt in die Kommissionitis um. Diese führt dann zur allgemeinen Ausweitung von der politi- schen Szene bis in die Bevöl- kerung, weil tröpfchenweise unsinnige Worte aus undich- ten Stellen der Kommissionen bis zu den Journalisten durch- dringen.Dr. med. Hartmut Mamat
Z
wanzig Prozent Plus seit Jahresbeginn sind schon nicht schlecht, aber sagen- hafte (fast) siebzig Prozent Ge- winn hätte ein mutiger Anle- ger eingestrichen, der in deut- sche Aktien im Frühjahr ein- gestiegen wäre. Die Betonung liegt genau auf wäre, denn an den meisten Börsianern ist dieses reichliche Füllhorn spendenlos vorbeigeschritten.Heute notiert der DAX mit über 3 700 Punkten auf Jahres- hoch, und schon kommen sie wieder aus ihren Löchern. Au- guren, Propheten, Börsenken- ner und andere medienge- wandte Geldgurus verkünden dem staunenden Sparer, jetzt sei aber endlich die Zeit ge- kommen, an der Hausse auch zu partizipieren, und das wäre ein fast schon risikoloses Spiel.
Das sehe ich aber anders.
Der deutsche Aktienindex DAX ist für meinen Ge- schmack ziemlich heißgelau- fen. Erwartungen, der Index könne bald die Marke von
4 000 überschreiten, halte ich für ziemlich hochgesteckt, vielmehr rechne ich damit, dass ein herber Rückschlag bis auf die Gegend von 3 200 Punkten droht. Mindestens.
Diese Erwartung hat nicht nur, aber auch mit der schlich- ten Erkenntnis zu tun, dass die Mehrheit der Experten mei- stens schief liegt. Die Konsen- sus-Schätzung der professio- nellen Börsianer liegt bei ei- nem DAX per Jahresende von 3 800 Punkten, die Wahrheiten der Vergangenheit liegen von den jeweiligen Prognosen aber meist meilenweit entfernt.
Ein weiteres Phänomen ist derzeit ebenfalls zu beobach- ten. Wenn sich Anleger eine blutende Nase geholt haben, ist die Wahrscheinlichkeit, sich noch mal selber in die Pfanne
zu hauen, umso größer, je stär- ker der vorangegangene Crash war.Das mag psychologisch da- mit zu tun haben, sich die erste Niederlage nicht eingestehen zu wollen,und dass beim ersten Sonnenschein die alten Bles- suren bereits vergessen sind.
Es sieht ganz danach aus, als würde sich wider besseres Wissen eine neue Spekula- tionsblase aufbauen, deren Platzen dann vielleicht noch heuer oder nächstes Frühjahr ansteht. Die Finanzwissen- schaft sagt übrigens, dass die meisten Anleger erst nach dem zweiten Niederschlag ih- re Lektion gelernt hätten, die- ses Postulat wird also derzeit möglicherweise auf seine Pra- xistauglichkeit getestet.
Insgesamt scheint sich die weltpolitische Großwetterla-
ge einzutrüben, das Yukos- Gaunerstück mit mehreren windigen Beteiligten setzt hier unübersehbare Signale, die er- staunliche Machtlosigkeit der Amerikaner im Irak passt ebenso gut in das Bild. Die Öl- preise ziehen wieder an. Die USA verhängen gegen die Chinesen Handelsbarrieren.
An den Finanzmärkten dürf- ten steigende Zinsen ziemlich wahrscheinlich sein, meines Erachtens haben die Zentral- banken längst mit dem Um- denken begonnen.
Da bedarf es oft nur eines kleinen Anlasses, um Luft aus der Blase zu lassen.Wenn sich herumspricht, dass viele ame- rikanische Unternehmen ihre Bilanzen schöngerechnet ha- ben, kann die Wende schnell kommen.Wenn den Anlegern klar wird, dass die jetzige US-Hausse schon jetzt auf falschen „Tatsachen“ beruht, werden sich die anderen Bör- sen der Welt dem Down des Dow nicht entziehen. ) S C H L U S S P U N K T
[64] Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 4614. November 2003
zu Aktien
Die Blase füllt sich wieder
Börsebius
Post Scriptum