362 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 199. Mai 2008
M E D I Z I N
Trügerische Sicherheit
„Primum nil nocere“ – vor dem Hintergrund dieses Grundgebots ärztlichen Handelns erschien es nur selbst- verständlich, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) bei Aufnahme der Intrazytoplasmatischen Sper- mieninjektion (ICSI) in den Leistungskatalog der ge- setzlichen Krankenversicherung angesichts einer be- sorgniserregenden Pilotstudie mit signifikant erhöhter Fehlbildungsrate eine Überprüfung seiner Entscheidung nach drei Jahren festlegte (1).
Mit der nun vorgelegten Datenanalyse werden diese Bedenken leider keineswegs ausgeräumt. Dennoch schlussfolgern die Autorinnen sehr moderat, dass we- gen Heterogenität der Studien deren Validität einge- schränkt sei. Tatsache ist jedoch, dass bei quantitativer Zusammenfassung der untersuchten Daten keine Hete- rogenität der Ergebnisse vorliegt: Über alle Studien betrachtet findet sich bei immerhin knapp 5 000 unter- suchten Fällen unadjustiert (Odds ratio [OR] = 1,70;
95-%-Konfidenzintervall: 1,27–2,26) ebenso wie ad- justiert auf Konfounder (OR = 1,76; 95-%-Konfiden- zintervall: 1,16–2,68) ein signifikant erhöhtes Fehlbil- dungsrisiko, bei nicht signifikanter Heterogenität der Studienergebnisse (p > 0,1). Das heißt, trotz teilweise heterogener Studiendesigns besteht Ergebnishomoge- nität, nämlich im Sinne eines nahezu verdoppelten Fehlbildungsrisikos bei lebendgeborenen (sic!) Kin-
dern nach ICSI im Vergleich zur natürlichen Zeugung.
Allein angesichts der Erkenntnisse zu epigenetischen Re-Programmierungsprozessen kann dies auch nicht verwundern, handelt es sich doch bei der ICSI um eine massive Manipulation in der sehr frühen Ontogenese.
Dabei bleiben Langzeitfolgen noch abzuwarten. Dass Ähnliches für die In-vitro-Fertilisation gilt, macht das Problem nicht kleiner. Deshalb müssen die zurückhal- tenden Schlussfolgerungen der Autorinnen doch ver- wundern. Zumindest die konkrete Forderung eines er- neuten Prüfzeitpunkts und verbindlicher Endpunkte wäre hier zwingend geboten, ethisch wie auch gesund- heitsökonomisch. Eine ähnliche „Großzügigkeit“ wie bei dieser offenkundig risikoerhöhenden Maßnahme kann man sich seitens des GBA im Falle der Imple- mentierung von Präventionsmaßnahmen für Mutter und Kind nur wünschen.
DOI: 10.3238/arztebl.2008.0362
LITERATUR
1. Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen: Intracytoplasmati- sche Spermieninjektion (ICSI) wird Kassenleistung. Pressemitteilung, Februar 2002.
Prof. Dr. med. Andreas Plagemann Dr. med. Thomas Harder
Prof. Dr. med. Joachim W. Dudenhausen Charité – Universitätsmedizin Berlin AG „Experimentelle Geburtsmedizin“
Klinik für Geburtsmedizin Campus Virchow-Klinikum Augustenburger Platz 1 13353 Berlin
E-Mail: andreas.plagemann@charite.de
Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.
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zu dem Beitrag
Fehlbildungsrisiko bei extrakorporaler Befruchtung
Prof. Dr. rer. nat. Hilke Bertelsmann, Dr. med. Helena de Carvalho Gomes, Dr. med. Monika Mund, Dr. med. Susanne Bauer, Dr. med. Katja Matthias in Heft 1–2/2008
DISKUSSION
REFERIERT
Gemcitabin beim Pankreaskarzinom
Gemcitabin verlängert bei Patienten mit Pankreaskarzinom das rezidivfreie Überleben, nicht jedoch das Gesamtüberleben. Dies ist das Ergebnis einer offenen Phase-3-Multicenterstudie mit 368 Patienten nach einer R0- bezie- hungsweise R1-Resektion. In über 80 % der Fälle handelte es sich um eine R0-Resektion. Unter Federführung von Helmut Oettle von der Charité Berlin erhielten 179 Patienten sechs Zyklen einer adjuvanten Chemotherapie mit 1 000 mg/m2Gemcitabin an den Tagen 1, 8 und 15 alle vier Wochen.
175 Patienten wurden nur beobachtet. Während einer medianen Nach- beobachtungszeit von 53 Monaten trat bei 133 Patienten (74 %) in der Gemcitabingruppe ein Rezidiv auf, in der Kontrollgruppe ohne Chemothera-
pie war dies bei 161 Patienten (92 %) der Fall. Das mediane rezidivfreie Überleben betrug unter Gemcitabin 13,4 Monate, in der Vergleichsgruppe 6,9 Monate. Nach drei Jahren hatten hochgerechnet 23,5 % nach der Che- motherapie kein Rezidiv, nach fünf Jahren 16,5 %, ohne adjuvante Therapie waren dies lediglich 7,5 % beziehungsweise 5,5 %. Die Ergebnisse waren unabhängig von der Größe des Primärtumors, dem Lymphknotenstatus und einer R0- oder R1-Resektion. Das Gesamtüberleben war allerdings mit me- dian 22,1 Monaten unter Gemcitabin nicht signifikant verlängert gegenüber 20,2 Monaten in der Vergleichsgruppe (p = 0,06). Bei einer längeren Nach- beobachtungszeit könnte sich noch ein signifikanter Unterschied bei der
Gesamtüberlebenszeit ergeben. w
Oettle H et al.: Adjuvant chemotherapy with gemcitabine vs observation in patients undergoing curative-intent resection of pancreatic cancer: a randomized controlled trial. JAMA 2007;
297: 267–77. E-Mail: helmut.oettle@charite.de