Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 48½½½½30. November 2001 AA3153
S E I T E E I N S
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und 7,5 Millionen Bundesbürger sind mittlerweile ausschließlich privat krankenversichert. Dies kann zu einem Problem werden. Wer sich nämlich auf eine private Kranken- versicherung festlegt, trifft eine Ent- scheidung fürs Leben – und das in zweifacher Hinsicht: Einerseits ge- stattet der Gesetzgeber den Wechsel zurück in die Gesetzliche Kranken- versicherung nur in Ausnahmefäl- len. Dies ist sinnvoll, weil solida- risch. Andererseits ist ein Wechsel zu einer anderen privaten Kranken- versicherung zwar möglich, aber kaum zu empfehlen. Denn der Ver- sicherte darf seine Alterungsrück- stellungen nicht mitnehmen. Diese Regelung schadet dem Versicherten und verhindert einen Wettbewerb um die Bestandskunden in der pri- vaten Krankenversicherung.Privat Krankenversicherte zahlen in jungen Jahren mehr und in alten weniger, als für ihre medizinische Versorgung notwendig ist. Aus den Ersparnissen in den Anfangsjahren bilden die Versicherungen eine Rücklage, die übermäßig hohe Prä- mien im Alter verhindern soll. Ende 2000 hatten die privaten Kranken- versicherungsunternehmen 116 Mil- liarden DM an Alterungsrückstel- lungen gehortet. Wer kündigt, hat davon aber nichts mehr. Die Versi- cherung behält die auf den Einzel- nen entfallenden Rücklagen ein, wenn er zur Konkurrenz wechselt.
Ein unhaltbarer Zustand. Beim neu- en Unternehmen muss der Versi- cherte dann neue Ersparnisse fürs Alter bilden. Die Folge: Die Prä- mien sind erheblich höher oder stei- gen rasch unverhältnismäßig stark.
Dem in einem teuren Vertrag „ge- fangenen“ Versicherten räumt der Gesetzgeber bislang nur die Möglich- keit ein, beim gleichen Unternehmen nach einem günstigeren Tarif zu fahn- den. Das System lade dazu ein, die Versicherten mit niedrigen Prämien anzulocken und dann zu schröpfen, sagt Hermann-Josef Tenhagen von der Zeitschrift „Finanztest“. Das Blatt vergleicht in seiner aktuellen Ausga- be das Preis-Leistungs-Verhältnis und die Beitragsentwicklung 358 priva- ter Krankenversicherungsangebote.
Den Krankenversicherungen ge- fällt ihr „Kuschelwettbewerb“. Sie können sich auf ihr Neukundenge- schäft konzentrieren. Deshalb ist der Gesetzgeber gefordert, für einen echten Wettbewerb in der privaten Krankenversicherung zu sorgen. Im Sinne der Versicherten. Jens Flintrop
Private Krankenversicherung
Gefangen im System V
om Runden Tisch, an dem seitMai dieses Jahres über das künf- tige Gesundheitswesen beraten wird, kommt merkwürdige Kunde. Die Empfehlungen der einzelnen Ar- beitsgruppen scheinen nicht das zu bringen, was von den Beratungen ursprünglich erwartet wurde.
Einigermaßen unter Dach und Fach ist offenbar eine Empfehlung zur Prävention. Doch die Empfeh- lungen, die Kernbereiche der ge- sundheitlichen Versorgung der Be- völkerung betreffen, kommen nicht so recht voran. Jedenfalls ist von dem erwarteten Konsens über zen- trale Fragen der Gesundheitspolitik bislang wenig zu spüren.
Nehmen wir als Beispiel die jüng- ste Empfehlung der Arbeitsgruppe 2, die sich mit der künftigen sta- tionären Versorgung beschäftigt. Da
wird an einer Stelle konstatiert:
„Der Kontrahierungszwang der Krankenkassen mit den Kranken- häusern entfällt.“ Vier Zeilen weiter indes: Nach Auffassung der Deut- schen Krankenhausgesellschaft, des Verbandes der Krankenhausdirek- toren, des Marburger Bundes und der kommunalen Spitzenverbände solle „der Kontrahierungszwang un- verändert bestehen bleiben“. Ein anderes Beispiel: Einmal heißt es:
„Die Vergütung der belegärztlichen Leistungen aus der vertragsärztli- chen Gesamtvergütung (sollte) ent- fallen.“ Im nächsten Satz steht: „Die KBV empfiehlt die Beibehaltung der geltenden Finanzierungsrege- lung.“ Die Liste solcher Beispiele lässt sich fast beliebig verlängern.
Gleichwohl laufen die widersprüch- lichen Aussagen alle unter der
Dachzeile „Die Arbeitsgruppe 2 empfiehlt dem Runden Tisch“.
Was soll der Unsinn? Was wird denn jetzt empfohlen? Satz eins oder Satz zwei? Soll das Plenum des Runden Tisches, das am 18. Dezem- ber tagt, das leisten, was die Arbeits- gruppen nicht geschafft haben? Das Ministerium beruft sich darauf, bei einer der Sitzungen habe Ministerin Ulla Schmidt bemerkt, dass die Empfehlungen nicht ausschließlich im Konsens, sondern auch im Dis- sens abgegeben werden können.
Und der Bemerkung habe niemand widersprochen.
Was solche Empfehlungen für die künftige Gestaltung des Gesund- heitswesens wert sind, wenn Einig- keit allenfalls im Dissens besteht, möge das Ministerium einmal erläu-
tern. Norbert Jachertz