• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Islamische Patienten und das religiöse Fasten: Compliance versus Glauben" (17.01.1997)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Islamische Patienten und das religiöse Fasten: Compliance versus Glauben" (17.01.1997)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

D

ie großen sozialen Umwälzun- gen der letzten Jahrzehnte mit der Tendenz zur Globalisie- rung haben dazu geführt, daß der in einer christlich oder laizistisch geprägten Welt tätige Arzt sich mit transkulturellen Fragen und Proble- men auseinandersetzen muß, um ei- ner großen Zahl seiner Patienten ge- recht zu werden. Dies wird besonders evident in den Ballungsgebieten vie- ler Großstädte, in denen Muslime ei- nen großen Teil des Patientenkollek- tivs bilden.

Der ärztlichen Verordnung von Medikamenten, ausreichender Flüs- sigkeitszufuhr und vernünftiger Er- nährung stehen die Forderungen des religiösen Fastens während des islami- schen Monats Ramadan offenbar dia- metral entgegen, so daß durch man- gelnde Compliance für das medizi- nisch Notwendige der Heilungsprozeß behindert, oftmals unmöglich ge- macht werden kann. Zumeist wird sich der muslimische Patient mit einem Hinweis auf das Fastengebot begnü- gen und nicht den Dialog mit seinem Arzt suchen, da dieser aufgrund seiner Herkunft für dieses Thema nicht kom- petent ist und den Widerspruch des re- ligiösen Gebotes zur medizinischen Verordnung nicht lösen kann.

Unerläßlich ist für den behan- delnden Arzt, sich über Sinn und Be- deutung des Fastens im Islam aus er- ster Hand zu informieren. Ihm können unter Berufung auf den Koran und die Rechtsauslegungen Argumente an die Hand gegeben werden, die den Pati- enten davon überzeugen, daß er die ärztlichen Verordnungen wahrneh- men kann, ohne gegen seine religiösen Pflichten zu verstoßen. Diese Argu- mente fallen besonders dann auf fruchtbaren Boden, wenn der in seiner Lebens- und Glaubenshaltung sehr orthodoxe Patient über die Locke- rungsmöglichkeiten des Fastens nicht informiert ist und sein Arzt ihn argu- mentativ aus dem Dilemma befreit.

Ohne Thematisierung dieses Problems wird der Patient die Verord-

nung hinnehmen, sie aber zu Hause nicht durchsetzen und der vitaleren Notwendigkeit seiner religiösen Pflichten nachkommen.

Fasten im Islam

Als eine der fünf Säulen des Is- lam definierte Verpflichtung bedeutet das Fasten für den Gläubigen weit mehr als nur eine religiöse Übung.

Bestimmt werden die Regeln eindeu- tig im Koran, Sure 2 : 183, 184, ergänzt durch diverse Ausführungen in dem Hadith, der primär mündlichen Über-

lieferung über die Worte und Taten des Propheten, zusammengefaßt in einem das islamische Leben bestim- menden Kanon: demnach besteht das zwingende Gebot des Fastens für den heiligen Monat Ramadan (der 9. Lu- narmonat des islamischen Kalenders) täglich in der Zeit von Sonnenaufgang bis zum Einbruch der Nacht. In dieser Zeitspanne ist es den Gläubigen un- tersagt, feste oder flüssige Speisen zu sich zu nehmen, zu rauchen oder sich sexuell zu betätigen.

Während des Fastens ist es nicht gestattet, Schlechtes über seine Glau- bensgenossen zu reden, Böses zu tun, die Unwahrheit zu sagen. Mit der Ein- haltung des Fastengebotes erwirbt sich der Gläubige Freispruch von sei- nen Sünden. Nichtbeachtung stellt ei- ne schwere Schuld dar, die in der Ge- meinschaft der Gläubigen sozial geächtet wird.

Alltag des Muslim

Die Zeit des Ramadan ist eine Bußzeit, wie sie auch die christliche und jüdische Religion kennt (Sure 2 : 183). So wird beim Abendgebet der Koran in besonderer Form rezitiert und in der Predigt der Gläubige zur Buße und zur sozialen Verantwortung ermahnt. Gleichzeitig erinnert die Fa- stenzeit an die Herabsendung der Of- fenbarung und veranlaßt zur Dank- barkeit gegenüber Allah, die in den Freuden der nächtlichen Feier zum Ausdruck gebracht wird.

Mit dem gottgefälligen Fasten wird das Wohlwollen Allahs erfleht, und „wer fastet, dem werden alle ver- gangenen Sünden vergeben“ bezie- hungsweise „das Fasten sühnt die Sünden, die bis zum nächsten Fasten- monat begangen werden“ – also im voraus.

Der Fastenmonat Ramadan hat eine tiefgehende Bedeutung für die Solidarität der islamischen Gemein- schaft mit einer besonderen Bereit- schaft zur Versöhnung mit Widersa-

A-87

P O L I T I K AKTUELL

Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 3, 17. Januar 1997 (19)

Islamische Patienten und das religiöse Fasten

Compliance versus Glauben

Die Fastenzeit der Mohammedaner, der Ramadan, begann in diesem Jahr am 10.

Januar und endet am 9. Februar. Aus aktu- ellem Anlaß im folgenden ein Beitrag eines Insiders, der lange Jahre als Arzt in der arabischen Welt gearbeitet hat. Er weist auf ein wichtiges Problem im Zusammenhang mit dem religiösen Fasten hin, das in den Arztpraxen häufig nicht ausreichend be- achtet wird und/oder dem viele Kollegin- nen und Kollegen hilflos gegenüberstehen.

Das Fastengebot während des Ramadan kann zu Pro- blemen in der Arztpraxis führen.Foto: Jochen Dziedzic, Köln

(2)

chern und Betonung der Brüderlich- keit, indem die Reichen die Armen zu den nächtlichen Mahlzeiten einladen oder Speisungen finanzieren, wobei die Gemeinschaft der Gläubigen die Einhaltung des Fastengebotes rigide überwacht. Der Arzt, der muslimische Patienten behandelt, muß diesen in das Leben tief eingreifenden Einfluß kennen, um die Probleme bei der Compliance im Hinblick auf medizi- nisch notwendige Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr sowie die Medika- menteneinnahme anzusprechen und seinen Patienten zu entlasten.

Ausnahmen unter anderem für Kranke

So deutlich wie die Gebote zum Fasten festgeschrieben sind, so deut- lich sind auch Regeln zur Ausnahme im Koran wie im Hadith niedergelegt.

Die Kenntnis dieser Regeln ist unum- gänglich, wenn der in seinem tiefen Glauben fixierte Patient den ärztli- chen Empfehlungen folgen soll:

– Der Frau ist während ihrer Menses das Fasten untersagt, sie kann aber die entsprechende Zahl von Ta- gen fastend nachholen (Hadith 12).

– Ein Kranker, eine schwangere oder stillende Frau oder ein sehr alter Mensch ist vom Fasten exkulpiert, wenn dafür eine andere bedürftige Person gespeist wird (Sure 2 : 184, Ha- dith 11). Nach der türkisch-islami- schen Rechtsauslegung muß für 30 Tage ein Almosen (Fitre) gezahlt wer- den, der Betrag wurde für 1996 mit 10 DM festgesetzt.

– Ist die betroffene Person arm, erfolgt die Befreiung von der Almo- senpflicht – sie muß statt dessen unter Rezitation des Korans Allah um Ver- zeihung bitten.

– Das Fasten darf unter beson- deren Belastungen wie Reisen, Krankheit, Krieg gebrochen werden, wenn nach Ende der widrigen Um- stände eine gleiche Zahl von Tagen gefastet wird (Hadith 9, 10), denn

„Allah will es euch leicht machen, nicht schwer“ (Sure 2 : 185).

Dr. med. H.-Thomas Gosciniak Facharzt für Neurologie und Psychiatrie/Psychotherapie Engelbertstraße 52, 50674 Köln

A-88

P O L I T I K AKTUELL

(20) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 3, 17. Januar 1997

Wer Sport treibt, ist seltener krank und mit sich selbst zufriedener als sportlich Nichtaktive. Mit der Prä- sentation dieses Untersuchungser- gebnisses des Wissenschaftlichen Instituts der Ärzte Deutschlands (WIAD) reagierten der Deutsche Sportbund (DSB) und der AOK-Bun- desverband auf die vorgesehene ge- setzliche Streichung der Gesundheits- förderung im 2. GKV-Neuordnungs- gesetz. Die Gesundheitspolitik sei derzeit rein finanzpolitisch motiviert und könne nur zu kurzfristigen Ein- sparungen führen, kommentierte der Präsident des DSB, Manfred von Richthofen, die neuen Regelungen bei einem Pressegespräch in Bonn.

Welchen Einfluß hat sportliche Aktivität auf die Zufriedenheit, Lei- stungsfähigkeit und Gesundheitssta- bilität der Gesellschaft? Unter dieser Fragestellung wertete das vom Hart- mannbund getragene WIAD Daten von rund 44 000 Probanden im Alter von 25 bis 69 Jahren aus. Sie wurden im Rahmen der vom Bundesgesund- heitsministerium finanziell geförder- ten Deutschen Herz-Kreislauf-Prä- ventionsstudie zwischen 1984 und 1992 erhoben. In den neuen Bundes- ländern wurden von 1992 an Daten von rund 2 200 Probanden ermittelt.

„Die Anzahl der Krankentage ist in allen Altersgruppen bei den Sport- treibenden niedriger als bei den Nicht- aktiven“, hob WIAD-Geschäfts- führer, Dr. Lothar Klaes, hervor. Am deutlichsten zeige sich dies in der Gruppe der 41- bis 55jährigen, in der die Krankheitsdauer um zwei Tage kürzer gewesen sei. Den Ergebnissen zufolge sind sportlich Aktive beson- ders für Herz-Kreislauf-Erkrankun- gen weniger anfällig und haben ein ge- ringeres Sterblichkeitsrisiko als Nichtaktive. Darüber hinaus weisen Sporttreibende eine höhere Lebens- zufriedenheit auf, haben ein stärkeres Gesundheitsbewußtsein und klagen weniger über berufliche Belastungen.

„Im Durchschnitt“, so Klaes, „ist die Beschwerdehäufigkeit bei sporttrei- benden Personen in der Altersgruppe der 56–69jährigen immer noch gerin- ger als bei den Nichtaktiven im mittle- ren Alter.“ In den neuen Bundeslän- dern sei der Gesundheitszustand der Bevölkerung etwas schlechter. Wäh- rend 34 Prozent der westdeutschen Bevölkerung Sport treiben, seien dort nur 24 Prozent aktiv.

Angebote an Gesunde nicht mehr möglich

Die Ergebnisse unterstreichen, so von Richthofen, daß gezielte Prävention die einzige Möglichkeit sei, verhaltensbedingten Krankheiten vorzubeugen. Mit der Unterstützung der Krankenkassen sei es in den ver- gangenen Jahren gelungen, bundes- weit ein flächendeckendes Angebot zu schaffen. Dabei hätten die rund 45 000 Kurse, vom Herz-Kreislauf- Training bis zur Rückenschule, Ko- sten von 42 Millionen DM verursacht.

Der Verwaltungsratsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Peter Kirch, sprach sogar von „mehreren hundert- tausend Kursen“, die lediglich ein Prozent aller Leistungsausgaben be- anspruchten.

„Angebote an Gesunde sind für die Krankenkassen nicht mehr mög- lich“, faßte Kirch die Auswirkungen der aktuellen Gesetzgebung zusam- men. Der Weg, durch Prävention die viel kostenträchtigeren Aufwendun- gen für Krankenbehandlungen einzu- sparen, sei damit beendet. Daß die Krankenkassen jedoch auch „reine Werbemaßnahmen“ finanziert haben, gestand von Richthofen indirekt ein.

So schlug er vor, Kontrollstellen ein- zurichten, um gesundheitsfördernde Maßnahmen klar von Werbung abzu- grenzen. Ihre Aufgabe könne es sein, die Angebote zu begutachten und zu genehmigen. Dr. Sabine Glöser

Prävention

Kassen sparen beim

Gesundheitssport

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

ist, für den Menschen, der vor mir sitzt – wenn ich mir die Zeit nehme, ihn in seiner Situation wahr und ernst zu nehmen; wenn ich also Sinn stifte, Verzettelung vermeide,

Ob Kant Sittlichkeit sagt oder ideale Menschheit oder Auto- nomie oder Gewissen, immer spricht er von dem geistigen Men- schen, welcher sich im natürlichen Menschen durch

Nur: Was nicht mehr täglich geübt werden kann, ver- kümmert.Was nicht mehr zur Heilkunst vervollkommnet wird, kann auch an jüngere Ärzte nicht mehr lehrend wei- tergegeben

Ärzte können das Vertrauen ihrer Patienten gewinnen, indem sie ihnen mit einer positiven und interessier- ten Grundhaltung begegnen und sich Zeit für Gespräche nehmen – auch wenn

Wie wir den Begriff der Rehabilitation heute nicht allein auf ärztliche Ak- tivitäten zurückführen, sondern auf eine Leistung der Gemeinde ansehen, muß auch die Betreuung

Ich zi- tiere: „Selbsterfüllung oder Le- benserfüllung wird nicht von der Hingabe an außerhalb des Indivi- duums liegende Ziele erhofft, son- dern von der Realisierung unmit-

Zunächst wird die Möglichkeit, daß Eltern ihr eigenes Kind miß- handeln oder mißbrauchen, nicht in seine Erwägungen einbezogen, weil das für ihn fast unverständ- lich ist,

Unter dem Begriff einer Allge- meinen Medizin verstand Viktor von Weizsäcker eine bestimmte ärztliche Einstellung, die das Subjekt des Kranken in den Mittelpunkt rückt, und