uf den ersten Blick erscheint die Idee logisch und auch konsequent: Wenn schon die Krankenkassen neue Verwaltungs- strukturen haben, dann können diese sicher auch auf die Kassenärztlichen Vereinigungen übertragen werden.
Der Gesetzgeber läßt sich offenbar von derartigen Überlegungen leiten – und unterliegt damit unter Umstän- den einem folgenschweren Irrtum.
Tatsächlich sind nämlich die ärzt- liche Selbstverwaltungskörperschaf- ten mit den Krankenkassen weder in der Aufgabenstellung noch in der Mitgliederzusammensetzung ver- gleichbar. Weil die Kassenärztlichen Vereinigungen nicht nur Interessen- vertretung für die niedergelassenen Ärzte sind, sondern auch Ordnungs- funktionen gegenüber ihren Mitglie- dern wahrzunehmen haben, bedarf es nämlich eines hohen Maßes an Identi- fikation und Akzeptanz des einzelnen Vertragsarztes mit seiner ärztlichen Selbstverwaltung. Krankenkassen hin- gegen stehen untereinander im Wett- bewerb. Deren Vorstände müssen dafür Sorge tragen, daß zum Beispiel Mitgliederzahlen wachsen und mög- lichst viele gute Risiken im Mitglie- derstand verbleiben.
Hinzu kommt, daß die vom Gesetzgeber geplante Strukturreform der KVen nicht losgelöst von anderen Elementen im Gesundheitsreformge- setz betrachtet werden kann. So wer- den zwangsläufig die Möglichkeiten der Krankenkassen, zukünftig mit dem stationären Versorgungsbereich zweiseitige Verträge über eine zeitli- che Veränderung der prä- und post- stationären Behandlung im Kranken-
haus abzuschließen, Modellvorhaben nach § 63 und 64 SGB V ohne Beteili- gung der KVen zu vereinbaren sowie die nach § 140 angestrebten integrati- ven Versorgungsformen den Sicher- stellungsauftrag der KVen unterlau- fen, wenn nicht gar gänzlich abschaf- fen. Es sei denn, der Sicherstellungs- auftrag wird – wie von Politikern be- reits vorformuliert – zukünftig so zu verstehen sein, daß die KVen nur noch die Einhaltung der Budgets si- cherzustellen haben.
Dann wäre auch verständlich, warum es im neuen Gesetzestext nach
§ 79 Absatz 5 heißt: „Der Vorstand verwaltet die Kassenärztliche Verei- nigung . . .“ und warum dem neu zu schaffenden Verwaltungsrat kaum mehr politische, sondern nur noch technokratische Aufgaben und Kom- petenzen zugewiesen werden sollen.
Am Ende: Alle Macht den Krankenkassen?
Aus all dem folgt: Sowohl die Kassenärztliche Bundesvereinigung als auch die KVen der Länder werden sy- stematisch entmachtet und zu „Ver- waltungsaußenstellen der Kranken- kassen“ degradiert. Das Ende dieser Entwicklung könnte in der völligen Abschaffung der Kassenärztlichen Vereinigungen als Interessenvertre- tung der Vertragsärzte bestehen. Das kann die Ärzteschaft nicht hinnehmen!
Und es gibt einen Gegenentwurf.
Die Vertragsärzteschaft braucht effiziente Führungsstrukturen. Des- halb müssen Vorstände verkleinert und damit die Entscheidungswege
verkürzt werden. Die Vorstandstätig- keit sollte künftig hauptamtlich aus- geübt werden, wobei allerdings ge- währleistet sein muß, daß ärztliche Mitglieder eines Vorstandes jederzeit wieder zurück in ihre angestammte Praxis kehren können.
Ein hauptamtlicher Vorstand ist vom Verwaltungsrat zu wählen. Da- bei kann offenbleiben, ob die Vor- standsmitglieder von Berufs wegen Ärzte sein sollen oder eine andere berufliche Ausbildung haben kön- nen. Der zu bildende Verwaltungsrat kann durchaus, wie auch jetzt im Gesetz vorgesehen, gegenüber den bisherigen Vertreterversammlungen verkleinert werden.
Minderheitenschutz sicherstellen
Kritisch zu hinterfragen ist, ob die vom Gesetzgeber angestrebte Einführung des Verhältniswahlrechts wirklich einen auch von der ärztlichen Seite her geforderten Minderheiten- schutz gewährleistet. Hier wäre eher zu überlegen, inwieweit gesetzlich oder zumindest satzungsmäßig garan- tiert wird, daß einzelne Arztgruppen über die Bildung von Fachausschüs- sen verpflichtend an der Vorbereitung von Vertragsverhandlungen zu betei- ligen sind, sofern es denn um ihre fachgruppenspezifischen Belange geht.
Die Kassenärztliche Bundesverei- nigung und der Vorsitzende der KBV- Vertreterversammlung haben sich mit übereinstimmenden Vorschlägen an die Politik gewandt, wie denn die zukünftige Struktur der Kassenärztli- chen Vereinigungen aussehen könnte.
Aber: Der jetzt vorliegende Gesetz- entwurf vermittelt nicht den Eindruck, daß diese Vorschläge gehört worden wären. Was für die gesamte Gesund- heitsreform 2000 gilt, trifft auf die neuen Organisationsformen der Kas- senärztlichen Vereinigungen erst recht zu: keine Reform gegen die Ärzte! Die Politik läuft anderenfalls Gefahr, ein gewachsenes und bewährtes System zu zerschlagen – mit fatalen Folgen für das gesamte Gesundheitswesen.
Dr. med. Helmut Klemm Vorsitzender der
Vertreterversammlung der KBV A-2412 (24) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 39, 1. Oktober 1999
P O L I T I K AKTUELL