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Archiv "Adjuvante oder neo-adjuvante Chemotherapie?" (25.01.1990)

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DAS EDITORIAL

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Adjuvante

oder neo-adjuv te Chemotherapie?

Rudolf Gross 1. Adjuvante Chemotherapie

Wie Osiecka und Schmidt in unserem Hand- buch „Klinische Onkologie" (1) ausgeführt ha- ben, ist „die adjuvante Chemotherapie wie die prophylaktische postoperative Strahlenbehand- lung eine Zusatzbehandlung, welche nach ma- kroskopisch radikaler Operation eines malignen Tumors mit dem Ziel eingesetzt wird, im Körper zurückbleibende, klinisch nicht faßbare Mikro- metastasen zu eliminieren, um auf diese Weise ein Lokalrezidiv beziehungsweise die Fernmeta- stasierung zu verhindern".

Diese klare Definition hat neuerdings durch die Einführung des Begriffes „neo-adjuvant" mit ganz anderer Zielsetzung einerseits eine Be- griffsverwirrung erfahren. Andererseits bringt die genauere Beschäftigung mit den Begriffen und ihrer Entwicklung bessere Vorstellungen über die Konzepte, die den drei großen Behand- lungsverfahren bei Tumorleiden zugrunde lie- gen: Operation — Bestrahlung — (zytostatische) Chemotherapie — neuerdings ergänzt durch ei- nen vierten Arm der körpereigenen Abwehrstof- fe wie Cytokine, Kachectin, Interferone und an- dere (siehe dazu auch Dt. Ärztebl. 83, Heft 15/1986 und Dt. Ärztebl. 83, Heft 34/35/1986).

Operation und Bestrahlung („Stahl und Strahl") gehen von der unilokulären Entwick- lung der soliden Tumoren aus. Die bei frühzeiti- gem Einsatz gegebene Möglichkeit einer definiti- ven Heilung (das C in Stephens' CRAB, 2, 3) ei- nes soliden Tumors ist bei alleiniger Chemothe- rapie meist nicht gegeben. Abgesehen vom Cho- rionepitheliom der Frau und einigen kleinzelli- gen Bronchialkarzinomen hat sie ihre bisher größten Erfolge (zum Teil mit Sequenzen bis zu sieben Substanzen!) bei systemischen Neopla- sien wie der akuten Leukämie des Kindes, dem M. Hodgkin und einigen Non-Hodgkin-Lympho- men aufzuweisen, die in diesem Rahmen nicht weiter diskutiert werden können. Bei den soliden

Tumoren, vor allem beim großzelligen Bron- chialkarzinom, Tumoren des Magen-Darm-Ka- nals, beim Melanom und anderen sind die kura- tiven Erfolge alleiniger Chemotherapie weiter- hin im ganzen unbefriedigend, von Tumor zu Tu- mor verschieden, so daß De Vita (4) eine mehr- fach modifizierte Abstufung in vier Kategorien zwischen „fast sicherer Heilung" und „absoluter Wirkungslosigkeit" aufstellen konnte.

Die Geschichte der adjuvanten Chemothera- pie zu verfolgen, ist ebenso aufschlußreich wie fruchtbar. In meiner Kenntnis geht die systema- tische Chemoprophylaxe nach scheinbar radika- ler Operation auf den Wiener Chirurgen Denck und seinen onkologischen Mitarbeiter Karrer (5, 6) Anfang der 60er Jahre zurück — lange Zeit mit dem (heute nicht mehr im Handel befind- lichen) N-Lost-Derivat Mitomen®, später auch mit dem N-Lost-Phosphamidester Cyclophos- phamid (Endoxan®) (neueste Literatur bei 7).

Als wir das Letztere in die klinische Therapie eingeführt hatten (8, 9), haben wir auch prophy- laktische Behandlungen in nicht randomisierten Phase-Il-Studien mit Endoxan® und Mitarson®

betrieben, ohne großen Erfolg.

Vor allem hat sich diese Behandlung von un- bekannten Mikrometastasen und späteren Rezi- diven unseres Wissens in den USA nicht durch- gesetzt, da die Ergebnisse (zum Teil durch Über- dosierung) schlechter waren als ohne Chemothe- rapie (abgesehen von deren bekannten Nebener- scheinungen).

In den 70er Jahren, als die angloamerikani- schen Kollegen mehr Zytostatika besaßen, bes- ser differenzieren und individueller dosieren konnten, wurde die Methode sozusagen nach Europa reimportiert — natürlich mit einem neuen Namen: „Adjuvante Chemotherapie". So enthal- ten zum Beispiel die großen amerikanischen Tu- morbücher wie das von Holland und Frei (10) und das von De Vita, Hellman und Rosenberg (11) herausgegebene (in den mir vorliegenden

Dt. Ärztebl. 87, Heft 4, 25. Januar 1990 (35) A-201

(2)

Auflagen von 1974 und 1984) keine allgemeinen Ausführungen zur adjuvanten Chemotherapie, während ein kleineres, das von Cole (12), ein ganzes Hauptkapitel diesem Thema widmet. Ei- ne Literaturübersicht zeigt auch, daß für das Mammakarzinom die bisher größten Erfahrun- gen vorliegen, vor allem mit Fällen, bei denen sich bereits Metastasen in den regionalen Lymphknoten finden (T + N + M — ). Insgesamt kommen die bisher abgeschlossenen randomi- sierten Studien zu kontroversen Ergebnissen (15, 16), die hier nicht im einzelnen diskutiert werden können.

2. Sprachliche Bemerkungen

Das Wort „neo-adjuvant" erfüllt wegen sei- ner Verbindung griechischer und lateinischer Worte den Humanisten mit Unbehagen, obwohl wir ähnliche „Mischehen", zum Beispiel bei der

„Differentialdiagnose" ohne Bedenken hinneh- men, ja uns zu eigen machen. Der Kenner unter- scheidet sich bei der sorgfältig abgestimmten Verbindung von Operation mit Strahlen- und/

oder Chemotherapie vom durchschnittlichen Arzt durch seine „Modalität", die seinen Heil- plan von Programmen, Schemata oder (meist in der Forschung) Protokollen unterscheidet. Er ist übrigens in guter Gesellschaft der Philosophen und Linguisten: Wer wagt es noch, für eine The- se ein „Beispiel" oder ein „Modell" anzuführen, nachdem es seit Thomas S. Kuhn (13) zur geho- benen Bildungsstufe gehört, auf ein „Paradigma"

zu verweisen?

3. Neo-adjuvante Chemotherapie

Dieser liegt gegenüber der adjuvanten Che- motherapie ein ganz anderes Konzept zugrunde:

ein oder zwei Zyklen vorausgehender Chemo- therapie sollen den Herd (T + , N? M?) so ver- kleinern, die besonders an der Tumoroberfläche proliferierenden Zellen so schädigen, daß die später angeschlossene Operation oder Bestrah- lung eine bereits verkleinerte oder angeschlage- ne Tumormasse sicherer entfernt. Selbstver- ständlich werden dabei auch etwa bestehende Mikrometastasen mit in einem frühen Stadium getroffen; auch werden meist später weitere Be- handlungen angeschlossen. Das Entscheidende an der neo-adjuvanten Chemotherapie ist somit die Vorschädigung vor der Operation oder Be- strahlung. Das zeigt sich schon daran, daß, wo anatomisch möglich, eine regionale Perfusion des Tumorgebietes von manchen Onkologen der systemischen Anwendung vorgezogen wird (14).

Die Überlegung hinter diesem den Patienten unter Umständen präoperativ belastenden Kon- zept ist, daß Operation oder Strahlentherapie die (ohnehin meist kritische) Blutversorgung des Tumors verschlechtern und diesen für die Che- motherapie damit weniger anfällig machen.

Wer erstmals den Ausdruck „neo-adjuvant"

eingeführt hat, ist schwer zu sagen. Unter den Lehrbüchern fand ich den Ausdruck (neben der Nennung der postoperativen adjuvanten Chemo- therapie im Sinne des Abschnitts 1) erstmals in dem von Brunner und Nagel 1985 in 3. Auflage herausgegebenen Werk (15).

In Paris wurde 1988 die neo-adjuvante Che- motherapie kontrovers diskutiert. Ich möchte mich der Meinung des Berichterstatters Ste- phens (14) anschließen, daß man zur Vermei- dung von Mißverständnissen die eventuell einer Radikaloperation oder herdvernichtenden Be- strahlung vorausgehende Chemotherapie nicht als „neo-adjuvant", sondern als „primäre" oder

„basale" oder „reduktive" oder — meines Erach- tens am besten — als „induktive" Chemotherapie bezeichnen sollte.

Literatur

1. Gross, R.; Schmidt, C. G.: Klinische Onkologie. Stuttgart, Thieme, 1985

2. Stephens, F. 0.: „Crab" Care and Cancer Chemotherapy. Med.

J. Austral. 1976, II: 41

3. Stephens, F. 0.: „Crab" Chemotherapy. Am. J. Surg. 135 (1978) 375

4. De Vita, V. T.: The evolution of therapeutic research in can- cer. New Engl. J. Med. 298 (1978) 907

5. Karrer, K.: Kombinierte chirurgische und zytostatische Thera- pie des Magenkarzinoms. Münch. Med. Wschr. 31 (1967) 1609 6. Karrer, K.; Denck, H.: Weitere Vorschläge zur chemothera-

peutischen Rezidivprophylaxe des Magenkarzinoms. Wien.

Med. Wschr. 121 (1971) 112

7. Brock, N.: Oxaphorine Cytostatics: Past — Present — Future.

Cancer Res. 49 (1989) 1

8. Gross, R.; Lambers, K.: Vorläufige klinische Beobachtungen mit einem N-Lost-Phosphamidester in der Tumortherapie. Na- turwiss. 45 (1958) 66

9. Gross, R.; Lambers, K.: Erste Erfahrungen in der Behandlung maligner Tumoren mit einem N-Lost-Phosphamidester. Dtsch.

Med. Wschr. 83 (1958) 458

10. Holland, J. F.; Frei III, E. (Edit.): Cancer Medicine. Philadel- phia. Lea a. Febiger, 1974

11. De Vita, V. T.; Hellmann, S.; Rosenberg, S. A.: Cancer Prin- ciples and Practice of Oncology. Philadelphia, Lippincott, 1982 12. Cole, W. H.: Chemotherapy of Cancer. Philadelphia, Lea a.

Febiger, 1970

13. Kuhn, Th. S.: The structure of scientific revolutions. Foundat.

of the Unity of Science. Univ. Chiacago Press, II (1973) 4 14. Stephens, F. 0.: The case for a name change of neoadjuvant

chemotherapy to induction chemotherapy. Cancer 63 (1989) 1245

15. Brunner, K. W.; Nagel, G. A.: Internistische Krebstherapie.

Berlin, Springer, 1985

16. Abel, U.: Verlängert die zytostatische Chemotherapie das Überleben von Patienten mit fortgeschrittenen epithelialen Tumoren? Unveröffentlichte Studie 1989

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. Dr. h. c. Rudolf Gross Herbert-Lewin-Straße 5

5000 Köln 41 A-202 (36) Dt. Ärztebl. 87, Heft 4, 25. Januar 1990

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