A-2058 (10) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 36, 4. September
S P E K T R U M LESERBRIEFE
würde, der durch den großen Aufwand der Leitlinien-Er- stellung verhindert werden sollte. Dieser Schritt würde den programmierten Unter- gang der Leitlinien, quasi die „Leitlinien-Apoptose“, einleiten. Die „Leitlinien- Apoptose“ kann vermieden werden, ohne die ärztliche Handlungsfreiheit zu begren- zen, wenn wir darauf verzich- ten, fehlende wissenschaftli- che Daten durch subjektive Einschätzungen zu ersetzen (die dann für andere Kolle- gen verbindlich sein sollen).
Anstatt subjektive Bewertun- gen mit dem Mantel der Leit- linie zu verkleiden, sollte man lieber die individuelle Bewer- tung jedem eigenverantwort- lichen Arzt (zusammen mit der Haftung für seine Ent- scheidung) übertragen. Wir hätten mehr ärztliche Hand- lungsfreiheit, zufriedenere Ärzte und sicher keine schlechtere Krankenversor- gung. Wie soll das funktionie- ren?
Anstatt Leitlinien zu for- mulieren, die immer eine sub- jektive Bewertung alternati- ver Handlungsmöglichkeiten beinhalten, sollten wir ledig- lich die wissenschaftliche Grundlage für die Erstellung dieser Leitlinien erarbeiten.
Diese Leitlinien-Basis sollte lediglich eine Zusammenstel- lung aller gängigen Metho- den enthalten, die zur Lösung eines Problems angewandt werden. Zu jeder Methode sind die Studien zu nennen, welche die medizinische Ef- fektivität (Wirksamkeit aus der Sicht des Arztes und Nut- zen aus der Sicht des Patien- ten – sofern es dazu Studien gibt) beschreiben. Zusätzlich zur medizinischen Effekti- vität ist für jede Methode die ökonomische Effizienz offen- zulegen. Die Effizienz ist durch die Patientenpräferenz und durch ökonomische Analysen zu beschreiben.
Wir würden uns wundern, wie wenige der favorisierten Maßnahmen in der Medizin den nicht favorisierten Ver- fahren tatsächlich überlegen sind. Durch die Transparenz der Daten, „wieviel etwas
nützt und wieviel es kostet“, könnte jeder verantwortliche Arzt selbst entscheiden. Prin- zip: Kopplung von Handeln und Haften. Wer teure Maß- nahmen auswählt, sollte de- ren Überlegenheit nachwei- sen können.
Prof. Dr. med. Franz Porz- solt, AG Klinische Ökono- mik, Universitätsklinikum Ulm, Steinhövelstraße 9, 89075 Ulm
Gynäkologie
Zu der Meldung „Ärztinnen wollen ei- ne Professorin für Frauenheilkunde“
in Heft 26/1998:
Man begreift es nicht
Man begreift es nicht: Ei- nerseits verlangen wir Ärztin- nen vollkommene Gleichbe- rechtigung und keinerlei Vor- oder Nachteile wegen des Ge- schlechts, andererseits for- dert der Deutsche Ärztinnen- bund, daß unbedingt eine Frau eine C-4-Stelle für Gynäkologie erhalten muß.
Geht es dabei auf einmal nicht mehr darum, ungeach- tet des Geschlechts die oder den Besten zu berufen? Quo- tenfrauen gibt es schon ge- nug.
Prof. Dr. Dr. Jutta Rall-Niu, Kallmorgenweg 3, 22607 Hamburg
Viagra
Zum Thema Potenzstörungen:
Weiterer Aspekt
Ein lange totgeschwiege- nes Thema. Jetzt kommt es ans Licht, daß jeder zweite ältere Mann unter einer erektilen Dysfunktion leidet.
Wer aber denkt an das Wohl und Wehe der dazugehö- rigen Ehefrauen/Partnerin- nen, oder müssen Frauen be- troffener Partner ihre eigene Libido gleichsam mitbeerdi- gen? Selbst Feministinnen, wie Frau Alice Schwarzer, haben in der öffentlichen Diskussion um dieses Thema sträflich versagt und die In-
teressen der Frauen unter den Tisch gekehrt, indem sie in einem Interview die An- wendung von Viagra ablehn- te, da dadurch die Liebe auf das rein „Mechanische“ re- duziert würde. Selbst Promi- Kolleginnen, wie Frau Dr.
Antje Kühnemann, kamen über Boulevard-Diskussi- onsniveau nicht hinaus.
Wirkt Viagra doch nach An-
sicht von Experten nur bei vorhandener Libido, und bei dieser kann ich, weiß Gott, nichts Mechanisches ent- decken.
Umgekehrt sollte eine ernsthafte Untersuchung durchgeführt werden, wie viele psychosomatische Stö- rungen, Neurosen und Neu- röschen der in der Literatur sattsam als neuroseanfällig bekannten Damenwelt in Wirklichkeit auf das Konto ehelicher Schlafzimmerpro- bleme zurückgehen. Als ich vor 20 Jahren, vollgestopft mit neuestem Wissen, psy- chosomatisch orientiert und mit einem ausgeprägten Hel- fersyndrom versehen, meine Praxis eröffnete, saß eine 68jährige Patientin mit einer depressiven Neurose vor mir, die mir nach langen Ge- sprächen gestand, daß seit acht Jahren ehelicher Ver-
kehr wegen einer erektilen Dysfunktion des gleichaltri- gen Ehemannes nicht mehr stattgefunden hat. Ich war schnell mit meinem Latein am Ende! Und kommen Sie mir jetzt nicht mit dem preis- werten Vibrator!
Dr. Veronika Gersten, Kies- straße 51, 64283 Darmstadt
Antiangiogenese
Zu dem Medizinreport „Die Blutver- sorgung des Tumors unterbinden“ von Dr. Barbara Nickolaus in Heft 27/1998:
Unkritische Euphorie
. . . Kürzlich vorgelegte Ergebnisse aus Folkman’s Labor (Harvard, USA) zeig- ten, daß durch Applikation antiangiogener Substanzen sogar eine Tumorregression
erzielt werden kann. Es er- staunt, daß diese Ergebnisse nun zu einer (durch die Medi- en angefachten) teils unkriti- schen Euphorie geführt ha- ben. Denn ob Folkman’s tier- experimentelle Ergebnisse auf den Menschen übertrag- bar sind, ist zu hoffen, aber nur in klinischen Studien ve- rifizierbar. Ihr Artikel er- wähnt nicht, daß neben der Freiburger Phase-I-Studie ei- ne Vielzahl klinischer Studi- en mit antiangiogenen Sub- stanzen zur Tumortherapie an anderen Zentren (vor- zugsweise in den USA) lau- fen, welche sich bereits in fortgeschrittenen Stadien (Phasen II und III) befinden.
Priv.-Doz. Dr. med. Lothar Schweigerer, Pädiatrische Hämatologie/Onkologie und Endokrinologie, Universi- tätsklinikum Essen, Hufe- landstraße 55, 45122 Essen
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