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s kommt Bewegung in die festge- fahrenen Anstrengungen des Bun- des, ein eigenständiges Präventi- onsgesetz zu schaffen. Zumindest hat die Regierung nach Angaben von Bun- desgesundheitsministerin Ulla Schmidt mit den Spitzenverbänden der Gesetz- lichen Krankenversicherung (GKV)„weitgehende Einigkeit über die künfti- ge Ausgestaltung der Präventionspoli- tik der Kassen“ erreicht. Demnach sol- len bestimmte Präventionsmaßnah- men, wie flächendeckende Vorsorge- programme (Settingansätze) für so- zial Benachteiligte, aus dem Kassen- wettbewerb herausgenommen und von einer von den Krankenkassen zu gründenden Stiftung angeboten wer- den. Zudem sei von Vertretern der Kassen „ausdrücklich anerkannt“
worden, dass auch für die Bereiche der Prävention, die in der individuel- len Verantwortung der Kassen lie- gen (betriebliche Gesundheitsförde- rung), einheitliche Zielorientierun- gen gelten sollen. Die dafür verbind- liche Prioritätensetzung werde auf Bundesebene vorgenommen. In die- sem Sinne müsse auch der Entwurf ei- nes Präventionsgesetzes konkrete Vor- gaben enthalten, so die Ministerin.
Damit scheinen Politik und Kassen ihrem Ziel näher gekommen zu sein, die Präventionsinitiativen der GKV in das Gesetzesvorhaben des Bundes einzupas- sen. Danach sah es lange nicht aus.
Während das Ministerium mit der For- mulierung eines Gesetzestextes bisher nicht recht vorankam, ging die GKV im vergangenen Jahr mit der Ankündigung einer eigenen Stiftungsgründung in die Offensive. Der Hintergrund: Den gesetz- lichen Krankenkassen ist daran gelegen, ihren Einfluss auf die Verwendung der Beitragsgelder, mit denen Präventions- angebote finanziert werden sollen, zu
wahren. Für dieses Jahr wollen die Kas- sen aus den für Vorsorge bereitstehenden Mitteln 25 Millionen Euro für Präven- tionsprojekte zur Verfügung stellen. Von 2005 an werden es jährlich 35 Millionen Euro sein. Nach Angaben des stellvertre- tenden Vorstandsvorsitzenden der Deut- schen Angestellten-Krankenkasse, Dr.
Herbert Rebscher, wolle man mit dem Geld Projekte vor Ort finanzieren, etwa in Schulen oder am Arbeitsplatz. Dies
könne von einzelnen Kassen nicht flä- chendeckend geleistet werden, da durch Settings nicht nur die eigenen Versicher- ten erreicht würden. Die Stiftung sei des- halb der richtige Weg.
Von der Politik wie von den Kassen wird favorisiert, dass sich auch andere Sozialversicherungsträger, wie die ge- setzliche Unfallversicherung oder die gesetzliche Rentenversicherung, für Vorsorge engagieren sollen. Das Mini- sterium, so Joachim Odenbach, Sprecher des Bundesverbandes der Innungskran- kenkassen, wünsche sich dafür einen ge- meinsamen „Finanztopf“, über dessen Verwendung es maßgeblich mitentschei- den kann. Die Kassen hingegen präfe- rierten einen so genannten Stiftungsver-
bund mit anderen Sozialversicherungs- trägern. Die Politik hätte hier allenfalls eine beratende Funktion. Die Verhand- lungen dauerten noch an, so Odenbach.
Bereits fest steht hingegen: Bis Ende April wollen die Spitzen der gesetzli- chen Krankenkassen eine GKV-Stif- tung mithilfe des Gründungsbeauftrag- ten und ehemaligen Bundesausschuss- vorsitzenden Karl Jung ins Leben rufen.
Ob bis dahin Einzelheiten des geplan- ten Präventionsgesetzes oder gar ein Referentenentwurf vorliegen, ist unklar.
Abstimmungsbedarf gibt es insbeson- dere mit den Ländern, die sehr genau auf die Wahrung ihrer präventionspoli- tischen Zuständigkeiten achten.
Ministerin Schmidt nutzt derweil die Zeit, die inhaltlichen Erwartungen an das Gesetzeswerk herunterzuschrau- ben. Bei einer gesundheitspolitischen Veranstaltung der Hubert Burda Media vergangene Woche in München sagte die Ministerin, man habe nicht vor,
„ein großes Gesetz“ auf den Weg zu bringen. Zwar kündigte sie an, Prävention als vierte Säule in die So- zialversicherungssysteme integrie- ren zu wollen, schränkte aber ein:
„Dies lässt sich nicht per Gesetz auf einen Schlag erreichen. Dies ist ein langer Prozess.“ Vorsorge sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, so die Ministerin. Mit dem Präventions- gesetz könne erreicht werden, die zur Verfügung stehenden Finanzen und die bereits bestehenden Akti- vitäten zu bündeln. Nötig sei zudem die stärkere Kooperation der Ge- sundheits- und Kultusbehörden, der Kindergärten und Schulen, des öffent- lichen Gesundheitsdienstes, der Kran- kenkassen und Kommunen.
Schmidt zeigte sich optimistisch, mit Prävention den Finanzproblemen der GKV langfristig besser begegnen zu können. Zwar koste Vorsorge erst ein- mal Geld, zahle sich aber in zehn bis 20 Jahren aus. Vor allem wegen der demo- graphischen Entwicklung sei Präventi- on unverzichtbar, um das Gesundheits- system finanzierbar zu halten. Als Beispiel rechnete die Ministerin vor:
„Wenn es uns gelingt, die Zahl der chronischen Rückenerkrankungen in Deutschland um nur zehn Prozent zu senken, spart dies 1,5 Milliarden Euro pro Jahr.“ Samir Rabbata P O L I T I K
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A824 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 1326. März 2004
Prävention
„Kein großes Gesetz“
Politik und Kassen nähern sich in der Debatte um ein Präventionsgesetz an. Schmidt warnt vor zu großen Erwartungen.
Über eine Präventionsstiftung soll Vorsorge auch in Kindergärten finanziert werden.
Foto:AOK