W
eltweit wurden bisher mehr als 60 Millionen Menschen mit dem humanen Immunschwächevirus (HIV) infiziert. Besonders hat sich die Infektion in Teilen Afrikas ausgeweitet, wo in einigen Ländern bereits mehr als 20 Prozent der 15- bis 49-Jährigen mit HIV infiziert wurden. Auch in Zentral- und Ostasien breitet sich die Infektion aus. Dramatisch steigt die Inzidenz auch in einigen Ländern Osteuropas (34). In Deutschland liegt die Zahl der Neuinfek- tionen anhaltend bei 2 000 bis 2 500 pro Jahr. Die Infektion mit HIV führt nach mehreren Jahren klinischer Latenz zur Entwicklung des erworbenen Immun- schwächesyndroms (Aids) und Tod durch opportunistische Infektionen, Tu- moren, Enzephalopathie oder Schwind- sucht (wasting disease) (20). Es hat sich gezeigt, dass eine Aufklärung mit dem Ziel das Risiko der sexuellen Übertra- gung zu reduzieren, die Zahl der HIV- Übertragungen verringern kann (34). Es ist jedoch auch in den entwickelten Län- dern nicht möglich, durch diese Maßnah- men Neuinfektionen vollständig zu ver- hindern. Um die Infektionskette wirk-sam zu durchbrechen wird deshalb große Hoffnung in die Entwicklung eines HIV- Impfstoffs gesetzt. In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Vakzinekandi- daten entwickelt und zum Teil bereits am Menschen getestet. Ein durchschlagen- der Erfolg blieb bisher aus.Auf der Basis der bisherigen Erkenntnisse und unter Einbeziehung der klinischen Erfahrung könnte eine Änderung der Zielsetzung jedoch in Zukunft zu einer Vakzine führen, die sowohl dem Einzelnen nützt als auch die Ausbreitung der Infektion eindämmt.
Strategie der
Impfstoffentwicklung
Heutige Vakzinestrategien berücksich- tigen eine Vielzahl jüngerer Erkennt- nisse der virologischen und immunolo-
gischen HIV-Grundlagenforschung so- wie vermehrt Daten zur Epidemiologie der HIV-Infektion (Grafik).
Zelluläre und humorale Immunantwort
Auch wenn nicht bekannt ist, ob das menschliche Immunsystem jemals überhaupt in die Lage versetzt werden kann, vor einer HIV-Infektion zu schüt- zen, so besteht doch weitgehend Kon- sens darüber, dass eine optimale Vakzi- ne in der Lage sein sollte, dauerhafte humorale und zelluläre Immunantwor- ten gegen eine breite Auswahl geneti- scher Varianten von HIV zu induzieren.
Grundlage für diese Forderung sind im- munologische Studien bei Personen, die sich trotz wiederholter HIV-Exposition nicht infizierten, und bei Langzeitüber- lebenden mit nichtprogredienter Er- krankung (long-term non-progressors) sowie Experimente mit Rhesusaffen.
Sie weisen darauf hin, dass alle Berei- che der erregerspezifischen Immunab- wehr, einschließlich neutralisierender Antikörper, zytotoxischer T-Lympho- zyten (CTL) und Helfer-T-Lympho-
Perspektiven für
die Entwicklung einer HIV-Vakzine
Zusammenfassung
Mehrere HIV-Impfstoffkandidaten werden derzeit in klinischen Testreihen untersucht.
Anstelle der klassischen Tot- und Lebendimpf- stoffe werden verschiedene neue Formen der Immunisierung, unter anderem Protein- und DNA-Impfstoffe sowie virale und bakterielle Vektoren, erprobt. Darüber hinaus werden Kombinationen unterschiedlicher Immunoge- ne und neuartige Immunverstärker getestet.
Ergebnisse der ersten von zwei laufenden Pha- se-3-Studien werden Ende dieses Jahres er- wartet. Wissenschaftliche und klinische Ein- richtungen in Deutschland sind in zunehmen- dem Maß an der Impfstoffentwicklung betei- ligt. Es gibt allerdings bisher weder experi- mentelle noch klinische Hinweise darauf, dass Impfstoffe die HIV-Infektion wirklich verhin- dern können. Studien im Affenmodell belegen jedoch, dass eine prophylaktische Immunisie- rung den klinischen Verlauf einer Infektion
günstig beeinflussen kann. Eine Impfstrategie, bei der die Infektion zwar nicht verhindert, je- doch die Krankheit hinausgezögert, die Virus- last verringert und damit das Transmissionsri- siko reduziert würde, wäre epidemiologisch sinnvoll und könnte möglicherweise realisiert werden.
Schlüsselwörter: HIV-Infektion, Aids-Präven- tion, Schutzimpfung, Impfstoffentwicklung, kli- nische Prüfung
Summary
Prospects for the Development of an HIV Vaccine
Several vaccine candidates are currently under- going clinical evaluation. Instead of the classi- cal types of vaccines such as live and inactivat- ed viruses, several novel immunogens includ- ing protein subunit and DNA vaccines as well
as viral and bacterial vectors are currently being examined. In addition, combinations of different immunogens and novel adjuvants are being tested. Results of the first of two ongoing phase III trials are expected by the end of 2002. Basic and clinical research institutions in Germany are increasingly involved in HIV vaccine development. Thus far, there is no ex- perimental or clinical evidence that any vaccine will be able to completely prevent HIV infec- tion. However, primate studies indicate that prophylactic immunization may slow down progression of immunodeficiency. Even if vacci- nes do not prevent infection, a vaccine strategy that reduces the viral load and thus trans- mission and slows down the disease process would be epidemiologically useful and probably feasible.
Key words: HIV infection, Aids prevention, vac- cination, vaccine development, clinical evalua- tion
1Institut für Virologie und Immunbiologie (Vorstand: Prof.
Dr. med. Volker ter Meulen), Julius-Maximilians-Univer- sität, Würzburg
2Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene (Direktor: Prof. Dr. rer. nat. Dr. med. habil. Hans Wolf), Uni- versität Regensburg
Christian Jassoy
1Ralf Wagner
2zyten (HTL) sowie lösliche Mediato- ren der zellvermittelten Immunant- wort, Zytokine und Chemokine, dazu beitragen, die Virusvermehrung in vivo einzudämmen und den Krankheits- prozess aufzuhalten (3, 10, 28, 29, 32, 36, 42, 51–55, 65, 66, 69). Konsens besteht generell auch dahingehend, dass neben der Induktion einer systemischen zel- lulären und humoralen Immunantwort der Stimulation einer möglichst effek- tiven Schleimhautimmunität oberste Priorität einzuräumen ist, um das Virus bereits an seinen natürlichen Eintritts- pforten, den Schleimhäuten des Geni- tal- und Rektalbereichs, abzufangen (3, 42). Die Immunität sollte viele Jahre an- halten.
Virusvariabilität als besondere Herausforderung
Genetisch werden zahlreiche Virus- haupt- (M, N, O) und -subtypen (A-K) unterschieden, die auch in ihrer geo- graphischen Ausbreitung signifikant voneinander abweichen (17). Eine der größten Herausforderungen ist die Konzeption einer Impfstrategie, die in der Lage ist, eine Immunantwort zu in- duzieren, die vor Infektion durch gene- tisch divergente HIV-Stämme schützt.
Prinzipiell sind zwei Lösungsmöglich- keiten denkbar: Entweder es gelingt, einen Impfstoff zu konzipieren der ge- gen stammübergreifend konservierte Strukturen immunisiert, oder aber die Variabilität des Virus wird durch einen
„Vakzine-Cocktail“ abgebildet, der auf ausgesuchten Vertretern relevanter Vi- rustypen beruht. In jedem Fall bedarf die Konzeption einer Vakzinierungs- strategie umfassender molekularepide- miologischer Studien in potenziellen Testgebieten (43).
Ein besonderes Hindernis für die Impfstoffentwicklung ist zusätzlich die außergewöhnlich hohe Mutationsfähig- keit des Virus, insbesondere in den oberflächenexponierten Bereichen der viralen Hüllproteine. An ihnen greifen Virus neutralisierende Antikörper an und können dadurch die Infektion des Körpers verhindern. Die Mutations- fähigkeit verleiht dem HI-Virus die Möglichkeit, sich dem Immunsystem immer wieder zu entziehen und ist ne- ben dem Angriff auf die zentralen Zel-
len des Immunsystems, die Helfer-T- Lymphozyten, wesentlicher Virulenz- faktor des Virus (5, 11, 13).
Wahl des Antigens
Die Ziele der Immunisierung bestim- men wesentlich, welche Impfantigene infrage kommen. Neutralisierende Antikörper binden an die Virus-Hüll- glykoproteine. Synthetische Derivate der HIV-Hüllglykoproteine, Komple- xe aus den viralen Hüllproteinen und den entsprechenden zellulären Rezep- toren sowie gespiegelte Abbilder neu- tralisierender Antikörper (Anti-Idio- typen) repräsentieren die Zielrichtung innovativer Versuche, eine breit neu- tralisierende Antikörperantwort zu in- duzieren (38, 46). Aktuelle Strategien, die auf die Stimulation zellvermittelter Immunparameter zielen, stützen sich dagegen meist auf genetisch hoch kon- servierte Komponenten innerhalb der Kapsid- und Matrix-Strukturproteine (Gag) von HIV (4, 56). Darüber hinaus zielen einige Impfstoffkandidaten auf die Induktion einer zellulären Immun- antwort gegen die im viralen Replika- tionszyklus früh exprimierten regula- torischen Polypeptide Nef,Tat und Rev (14, 39). Da sowohl humorale als auch zelluläre Faktoren aktiviert werden sollen, enthalten neuere Vakzinestra- tegien meist mehrere virale Kompo- nenten.
Bedeutung des Impfstoffprinzips
Neben der Auswahl der Antigene kommt der Art der Präsentation des Immunogens entscheidende Bedeu- tung bei der Induktion der Immunre- aktion zu. Einige Impfstoffe induzieren ausschließlich eine humorale Immun- antwort, andere vor allem die zelluläre Immunreaktion, wieder andere können beide Arme der spezifischen Immun- antwort gleichermaßen aktivieren. Vor allem Lebendimpfstoffe und virale Vektoren, die Teile des HIV-Erbmate- rials tragen sowie DNA-Vakzine eig- nen sich zur Induktion einer systemi- schen zellulären Immunität (26, 56).
Die orale Verabreichung gentechnisch veränderter Salmonellen kann im Tier- versuch eine Immunantwort auf Schleimhäuten generieren, die sowohl
humorale als auch zelluläre Immunfak- toren einschließt (62). Auch die Wahl der Adjuvanzien, Zusätze, die den Impfstoffen beigefügt werden, um die Aktivierung der Immunantwort zu un- terstützen, entscheidet, ob bei der Ver- abreichung rekombinanter Proteine entweder, wie bei Aluminiumhydroxid, dem einzigen bisher zugelassenen Ad- juvans, die Antikörperantwort ver- stärkt oder, wie experimentell durch CpG-Oligodinukleotide gezeigt, vor- zugsweise zelluläre Immunparameter aktiviert werden (37, 45).
Rolle des Immunisierungsschemas
Die Immunantwort kann nicht nur durch Adjuvanzien moduliert werden, sondern auch durch die Kombination unterschiedlicher Immunogene. Beim so genannten Prime-Boost-Verfahren wird mit der Verknüpfung von ver- schiedenen Einzelkomponenten in de- finierter zeitlicher Abfolge versucht, eine additive oder synergistische Wir- kung auf das Immunsystem zu erzie- len. Dabei werden Immunogene, die neutralisierende Antikörper induzie- ren können (zum Beispiel Protein- impfstoffe), gerne mit Vakzinekandi- daten kombiniert, die besonders gut ei- ne zelluläre Immunantwort generieren (zum Beispiel virale Vektorimpfstof- fe). Eine Prime-Boost-Strategie ist beim Einsatz von bestimmten Impf- stoffen, wie viralen Vektoren zwingend erforderlich, da bereits nach der erst- maligen Anwendung der Vektoren das Immunsystem massiv auf das Trägervi- rus reagiert und bei einer zweiten Ap- plikation die Immunantwort gegen die transportierten HIV-Proteine überla- gert (1).
Klinische HIV-Vakzine-Studien
Klinische Studien der Phasen 1 und 2 untersuchen die Verträglichkeit und be- stimmen die Immunogenität potenziel- ler Impfstoffe. Die Vakzinekandidaten werden darin bei nichtinfizierten Perso- nen mit geringem Expositionsrisiko ge- prüft. Bisher wurden mehrere Dutzend Studien der Phase 1 und 2 mit HIV- Impfstoffkandidaten durchgeführt. Ta- belle 1 veranschaulicht das Spektrum
der bisher berücksichtigten und gete- steten Substanzen.Alle getesteten Impf- stoffkandidaten waren gut verträglich (9, 47). Wiederholt wurden bei Geimpf- ten jedoch Infektionsdurchbrüche fest- gestellt (25).
Alle bisher für Virusinfektionen zu- gelassenen Impfstoffe beruhen auf den Prinzipien von Lebend- und Tot- oder Proteinimpfstoffen. Gegen die HIV-Infektion werden zahlreiche neue Prinzipien erprobt. Am besten sind bisher HIV-Proteinimpfstoffe unter- sucht.
Lebend- und Totimpfstoffe
Lebend- und Totimpfstoffe, die klassi- schen Immunogene für zahlreiche an- dere Virusinfektionen, wurden am Ge- sunden bisher wegen Bedenken hin- sichtlich ihrer Sicherheit nicht einge- setzt. Bei Affen wurden Lebendimpf- stoffe jedoch bereits Anfang der 90er- Jahre getestet. Die „Immunisierung“
mit Viren, die aufgrund einer Deletion im Bereich des regulatorisch wirksa-
men nef-Gens attenuiert waren, verhin- derte bei diesen Tieren die Infektion mit pathogenem Virus (18). Allerdings persistierten die Impfviren im Körper der immunisierten Tiere und verursach- ten unter bestimmten Bedingungen selbst Aids (2).
Chemisch inaktivierte Viren wurden zwar nicht als Impfstoffe getestet, je- doch als potenziell immunstimulato- risch wirksames Therapeutikum bei HIV-Infizierten erprobt (Substanzna- me: Remune) (35). Aufgrund der che- mischen Behandlung und physikali- schen Prozesse bei der Herstellung fehlt den inaktivierten Viren der äußere Teil der Hüllglykoproteine (gp120). Neutra- lisierende Antikörper werden durch solche Konstrukte nicht induziert.
Proteinvakzine
Proteinvakzine (subunit vaccine) sind synthetisch hergestellte Kopien ein- zelner viraler Proteine oder aufge- reinigte Virusbestandteile. Sie induzie- ren in erster Linie eine Antikörper-
antwort. Klinische Studien zeigen, dass HIV-Glyko- proteine zuverlässig in der Lage sind, neutralisieren- de Antikörper zu induzie- ren (6, 21, 44). Ursprüng- lich wurden für Immuni- sierungen Hüllglykopro- teine von HIV-Labor- stämmen eingesetzt. Dies hat sich jedoch als nachtei- lig erwiesen, da die da- durch induzierten Anti- körper Wildtyp-HI-Viren praktisch nicht neutrali- sierten. Inzwischen wer- den Proteine, deren Ami- nosäuresequenz denen von Wildtyp-Viren ent- sprechen, verwendet. Al- lerdings waren in bisheri- gen Untersuchungen auch hierbei die induzierten Antikörper typspezifisch, das heißt sie neutralisier- ten nur selten Virusvarian- ten mit Hüllglykoprotei- nen anderer Virusstämme (41). Ungenügende In- duktion kreuzreagieren- der Antikörper und zel- lulärer Immunantworten werden für den mangelhaften Schutz in bisherigen Phase-1- und -2-Studien verantwortlich gemacht (40). Glykoprotein-Immuno- gene werden bisher als einzige Vakzine- kandidaten auch in Impfstudien der Phase 3 getestet (33) (Tabelle 2).
DNA-Vakzine
Das Prinzip der Immunisierung mit DNA-Plasmiden beruht auf der zu- nächst erstaunlichen Beobachtung, dass die Applikation von DNA eine Immunantwort gegen ein auf dem Plasmid kodiertes Protein induzieren kann (68). In bestimmten Tiermodel- len können DNA-Impfstoffe eine pro- tektive Immunantwort hervorrufen (61). Die Immunisierung mit DNA- Impfstoffen gilt aufgrund der guten Verträglichkeit und relativ kostengün- stigen Herstellung von Plasmiden so- wie der hohen chemischen Stabilität der Moleküle als interessantes neuar- tiges Impfstoffprinzip. Klinische Stu- dien mit verschiedenen HIV-DNA- Strategie der HIV-Impfstoffentwicklung. Um definierte Immunisierungsziele zu erreichen, sind zahlreiche Fak-
toren zu berücksichtigen. Einige Faktoren, wie zum Beispiel die Wahl der Antigene, die Impfstoffprinzipien und das Immunisierungsschema, beeinflussen sich gegenseitig.
Grafik 1
Vakzinen, die jeweils für ein oder meh- rere HIV-Proteine kodieren, laufen bereits an mehreren Orten (23, 67).
Die Wirkung auf die zytotoxische T- Zell-Antwort blieb zunächst deutlich hinter den Erwartungen zurück, die man aufgrund von Studien mit Mäu- sen hatte (12). Innovative Ansätze, wie beispielsweise die Verwendung opti- mierter HIV-Gene, die Bindung von DNA an immunogene Trägersubstan- zen oder der Zusatz von Zytokinen als Adjuvanzien tragen im Tierversuch in- zwischen zu einer deutlich verbesser- ten Stimulation der zellvermittelten Immunantwort bei (4, 19) und lassen in zukünftigen Studien beim Men- schen eine bessere Immunantwort er- warten.
Trägerviren
Aufgrund natürlicher immunologi- scher Vorgänge stimulieren Viren be- sonders gut die zelluläre zytotoxische Immunantwort. Trägerviren (virale Vektoren) sind Derivate von apatho- genen Viren, die gentechnisch so verändert wurden, dass sie Gene frem- der Organismen tragen können. Für HIV-Impfstudien wurden unter ande- rem verschiedene Vakziniavirus- und Vogelpockenviruskonstrukte, die ei- nes oder mehrere HIV-Gene bein- halten, hergestellt, sowie rekombi- nante Viren auf Basis von Adenovirus und Alphaviren (Semliki-Forest-Vi- rus, Sindbis-Virus, Venezuelanisches Pferdeenzephalitisvirus) konstruiert.
Vakzinia- und Kanarienpockenvirus- konstrukte werden zurzeit in mehre- ren Studien beim Menschen getestet (7, 15, 24). Am weitesten fortgeschrit- ten sind multizentrische Phase-2-Stu- dien mit Kanarienpockenviruskon- strukten, die in Kombination mit HIV-Hüllglykoproteinen (gp120) ein- gesetzt werden (8, 22) (Tabelle 2). Der Beginn einer Phase-3-Studie in Thai- land zur Untersuchung der Schutzwir- kung einer Impfstoffkombination aus Kanarienpockenvirus und gp120 ist für September 2002 geplant (16). Wei- tere Pockenviruskonstrukte, unter an- derem auf Basis des stark attenuier- ten modifizierten Vakziniavirus Anka- ra (MVA), sowie ein Impfkonstrukt auf der Basis eines Adenovirus Typ 5
werden zurzeit als Einzelsubstanzen beziehungsweise in Kombination mit DNA-Plasmiden klinisch getestet (27, 33).
Phase-3-Studien
In der Phase 3 der klinischen Entwick- lung wird die Wirksamkeit der Impfung untersucht. Bisher laufen zwei Phase-3- Studien, deren Ziel die Evaluierung des Schutzes vor Infektion ist (Tabelle 2). In beiden Fällen handelt es sich um einen HIV-Hüllglykoprotein- (gp120-)Impf- stoff, der zwei in ihrer Aminosäurese-
quenz unterschiedliche HIV-Hüllglyko- proteinvarianten enthält (AIDSVAX).
In der in den USA, Kanada, Puerto Rico und den Niederlanden 1998 begonnenen ersten Studie besteht das Immunogen aus einer Kombination eines Glykopro- teins eines HIV-Laborstamms (Subtyp B) mit dem eines natürlichen HIV-Iso- lats vom Subtyp B, dem in diesen Län- dern vorherrschenden Virustyp. In der zweiten Studie wird in Thailand ein ana- loges Immunogen bestehend aus dem Laborstamm-Glykoprotein und dem Glykoprotein eines natürlichen Isolats des Subtyps E, der in Thailand neben
´ Tabelle 1 C´
HIV-Impfstoffkandidaten
Impfstoffprinzip Aufbau Stadium der klinischen Testung
Lebendimpfstoff HI-Viren, attenuiert durch Bisher nicht getestet (wie Masern-, Mumps-, Deletionen im Bereich des nef-
Rötelnimpfung) Gens und/oder anderer regula- torischer Genomabschnitte
Totimpfstoff Chemisch inaktiviertes Als Immunstimulans bei (wie Poliovakzine nach Salk) HI-Virus Infizierten
Proteine Einzelne virale Proteine, in der Mehrere Glykoproteine in (wie Hepatitis-B-Impfung) Regel das Hüllglykoprotein Phase 1–3
Pseudovirionen Nichtreplizierende, nichtinfek- Phase 1 und als Immun- tiöse virusähnliche Partikel stimulans in Infizierten bestehend aus den viralen
Gag, Gag-Pol oder Gag-Pol und Hüllglykoproteinen
Peptide Synthetisch hergestellte HIV- Phase 1/2 und als Proteinfragmente (Epitope) Immunstimulans als Einzelpeptide, Peptidketten
oder chemisch modifiziert als Lipoproteine
DNA-Vakzine Plasmid-DNA mit Phase 1, demnächst in Kombi- HIV-Genen nation mit viralen Vektoren
in Phase 2
Viraler Vektor Trägerviren mit einem oder Pockenviren: in Kombination mehreren Genen von HIV auf mit Protein-Impfstoff in Phase Basis von Pockenimpfviren 2, demnächst Phase 2;
(Vakziniavirus, Impfstamm Adenoviren in Kombination mit NYVAC, modifiziertes Vakzinia- DNA in Phase 1
virus Ankara) Geflügel-, Kanarienpockenviren, Adeno- viren, Alphaviren
Bakterieller Vektor Attenuierte und apathogene Salmonella typhi: Phase 1 Bakterien, die HIV-Gene tragen
(z. B. Salmonella typhi-Impf- stamm CVD908, BCG)
dem Subtyp B vorherrschenden HIV- Variante, getestet (31, 33). Insgesamt werden in beiden Studien zusammen zurzeit circa 8 000 Freiwillige untersucht.
Die Ende 2001 durchgeführte Zwi- schenanalyse der ersten der beiden Pha- se-3-Studien zeigte keinen ausreichen- den Schutzeffekt und kommt deshalb zu dem Ergebnis, dass die Studie, wie ur- sprünglich vorgesehen, bis Ende 2002 fortgeführt wird. Zwischenergebnisse zur zweiten Studie, die erst neun Monate später begonnen wurde, stehen noch aus.
HIV-Impfstoff-Forschung in Deutschland
In der Bundesrepublik beteiligen sich sowohl öffentlich wissenschaftliche Ein- richtungen als auch biotechnologische Unternehmen an der HIV-Impfstoffent- wicklung. Die Arbeiten konzentrieren sich zurzeit auf molekularepidemio- logische Studien, die in China (Institut für Mikrobiologie und Hygiene, Univer- sität Regensburg), Tansania (Abteilung
für Infektions- und Tropenmedizin, Lud- wig-Maximilians-Universität, München) und Nigeria (Robert Koch-Institut, Ber- lin) durchgeführt werden. Darüber hin- aus befindet sich ein WHO-Referenz- zentrum für die molekulare Epidemiolo- gie von HIV am Chemotherapeutischen Forschungsinstitut, Georg-Speyer-Haus, Frankfurt (30, 49, 60). An der Konstruk- tion neuer Vakzinekandidaten arbeiten insbesondere virologische Forscher- gruppen der Universitäten Regensburg und Würzburg sowie am GSF-For- schungszentrum für Umwelt und Ge- sundheit, Neuherberg. Des Weiteren sind einige junge Biotechnologieunter- nehmen wie GeneArt, Regensburg, und Bavarian Nordic, Martinsried, an diesen Entwicklungen beteiligt. Das Paul-Ehr- lich-Institut, Langen, das Deutsche Pri- matenzentrum, Göttingen, und das Robert Koch-Institut besitzen die erfor- derliche Infrastruktur zur Testung der Wirksamkeit von Impfstoffkandidaten an Primaten und haben in der Vergan- genheit auf diesem Sektor eigene Ver- suchsreihen durchgeführt (48, 57–59, 63,
64). Klinische Impfstudien, zum Beispiel an der Medizinischen Klinik III der Uni- versität Erlangen-Nürnberg, sind in Deutschland in Vorbereitung (Prof. T.
Harrer, persönliche Mitteilung). Die Ab- teilung für Infektions- und Tropenmedi- zin der Ludwig-Maximilians-Univer- sität, München, bereitet zusammen mit Partnern vor Ort und dem Walter Reed Army Institute, Washington, D.C., USA, Vakzinierungsstudien in Tansania vor.
Am Institut für Medizinische Mikro- biologie der Universität Regensburg wurde im Rahmen eines europäischen Forschungsverbundes ein HIV-Impf- stoffkandidat entwickelt, der auf die weltweit am häufigsten vorkommende HIV-Variante, Subtyp C, abgestimmt ist und augenblicklich in unterschiedlichen Darreichungsformen (DNA-Impfstoff, virale Vektorvakzine) nach den Richtli- nien des Arzneimittelgesetzes produziert wird. Der Beginn der vergleichenden kli- nischen Erprobung dieser Vakzinekandi- daten in einer europäischen Multicenter- studie bei HIV-negativen Freiwilligen, unter anderem auch an der Medizini- schen Klinik der Universität Regens- burg, ist auf das dritte Quartal dieses Jah- res anberaumt. Parallel dazu wird in ei- nem von Regensburg aus koordinierten EU-Projekt die weiterführende Testung ausgewählter Kandidaten (DNA, virale Vektoren) im Rahmen einer Phase-1/2- Studie in China vorbereitet. Dazu gehört auch die Etablierung der erforderlichen Infrastruktur für zukünftige Phase-3- Wirksamkeitsstudien in den betroffenen Endemiegebieten.
Orientierungswechsel in der Impfstoffentwicklung?
Keiner der bisher beim Tier oder beim Menschen getesteten Impfstoffe scheint Infektionen mit den Immunschwächevi- ren wirklich verhindern zu können (25).
Es ist deshalb fraglich, ob ein Immun- schutz, der die HIV-Infektion vollkom- men verhindert („Sterilisierende Immu- nität“) oder nach kurzer Zeit eliminiert, durch Vakzinierung überhaupt induziert werden kann. Trotzdem könnte ein Impfstoff, der sowohl dem Geimpften nützt als auch die Ausbreitung der Infek- tion eindämmt, realisierbar sein. Diese Einschätzung beruht auf neuen, bemer-
´ Tabelle 2 ´
Klinische Phase-2- und -3-Studien mit HIV-Impfstoffkandidaten
Bezeichnung HIV-Subtyp Adjuvans Entwickler
Phase 2
Hüllprotein basierte Impfstoffe
rENV*1, *2 B MF59*7 Chiron/BIOCINE
rENV B Aluminiumhydroxid Genentech
rENV B, E MF59 Chiron
Rekombinante Proteine zusammen mit gentechnisch veränderten Pockenimpfviren
vENV-GAG-PR*3,*4 B MF59 Pasteur-Merieux
+ rENV Chiron/BIOCINE
vENV-GAG-POL-NEF*5,*6 B Aluminiumhydroxid Aventis-Pasteur
+ rENV VaxGen*8
vENV-GAG-POL-NEF B, E Aventis-Pasteur
+ rENV VaxGen
Phase 3
rENV (AIDSVAX) B Aluminiumhydroxid VaxGen (USA)
rENV (AIDSVAX) B/E Aluminiumhydroxid VaxGen (Thailand)
*1r, gentechnisch hergestellte Virusproteine; *2ENV, virales Hüllglykoprotein; *3 v, gentechnisch hergestellte Pockenimpfviren; *4 PR, virale Pro- tease; *5POL, virale Enzyme (Protease, reverse Transkriptase, Integrase); *6 NEF, für die virale Pathogenese relevantes Regulatorprotein; *7Sa- poninderivat; *8Phase-3-Studie in Thailand für September 2002 geplant
kenswerten Erfolgen am Affenmodell der HIV-Infektion. Dabei wurde be- obachtet, dass geimpfte Affen nach an- schließender Infektion mit dem Immun- schwächevirus eine deutlich niedrigere Viruskonzentration und höhere T-Hel- ferzellzahlen im Blut sowie eine länge- re symptomfreie Zeit hatten als nicht- geimpfte Tiere (1, 4, 56).Vor diesem Hin- tergrund scheint es im Augenblick zu einem Umdenken in Bezug auf die Ziel- setzung zu kommen (Textkasten). An- stelle bisheriger Impfkonzepte, die einen vollständigen Schutz oder maximal eine zeitlich begrenzte Infektion zum Ziel ha- ben, steht in Zukunft möglicherweise die Langzeitkontrolle der Infektion im Vor-
dergrund der Impfbemühungen. Eine Vakzine, die eine Immunantwort indu- ziert, die das Virus in Schach hält, wäre nicht nur für den Betroffenen hilfreich.
Indem sie die Infektiosität der Körper- flüssigkeiten der Infizierten und damit das Übertragungsrisiko unter einen für die Aufrechterhaltung der Infektions- kette kritischen Schwellenwert senkt, könnte eine solche Vakzine die Ausbrei- tung der HIV-Infektion wirksam ein- dämmen (50).
Fazit
Entgegen der ursprünglichen Einschät- zung der frühen 90er-Jahre gilt es mitt- lerweile als fraglich, ob es prinzipiell möglich ist, einen Impfstoff zu ent- wickeln, der die HIV-Infektion verhin- dert. Realistischer erscheint die Her- stellung eines Impfstoffs, der in der La- ge ist, bei einer Infektion die Virusver- mehrung zu begrenzen, den Krank- heitsprozess zu verzögern oder, im gün- stigsten Fall, zu verhindern. Ein derarti- ger Impfstoff wäre nicht nur für den Einzelnen wünschenswert, sondern auf- grund der Senkung der Viruslast in Blut und Körpersekreten und damit des Transmissionsrisikos auch aus epide- miologischer Sicht sinnvoll. Augen- blicklich werden, auch mit deutscher Beteiligung, eine Vielzahl unterschied- licher Vakzinekandidaten entwickelt
und in den USA, Australien, verschie- denen Ländern Europas und zuneh- mend auch in Entwicklungsländern kli- nisch getestet. Angesichts der auch in Deutschland anhaltenden Neuinfekti- onsrate sowie des katastrophalen Aus- maßes der Aids-Epidemie in vielen Tei- len der Welt sind weitere Bemühungen um eine möglichst rasche Entwicklung und Verfügbarkeit einer wirksamen Vakzine dringend erforderlich.
Wir bedanken uns bei Prof. Dr. V. ter Meulen und Prof. Dr.
H. Wolf sowie Dr. A. Jassoy und T. Alberich für die kritische Durchsicht des Manuskripts und zahlreiche nützliche An- merkungen.
Manuskript eingereicht: 1. 3. 2002, angenommen: 22. 3. 2002
❚Zitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2002; 99: A 1962–1971 [Heft 28 –29]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.
Anschriften der Verfasser:
Priv.-Doz. Dr. med. Christian Jassoy Institut für Virologie und Immunbiologie Universität Würzburg
Versbacher Str. 7 97078 Würzburg
E-Mail: jassoy@vim.uni-wuerzburg.de Priv.-Doz. Dr. rer. nat. Ralf Wagner
Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene Universität Regensburg
Franz-Josef-Strauß-Allee 11 93049 Regensburg
E-Mail: Ralf.Wagner@klinik.uni-regensburg.de
Beta-Blocker werden in der Therapie der leichten und mittelschweren Herz- insuffizienz eingesetzt. Ob auch Pa- tienten mit fortgeschrittener Herzin- suffizienz von diesem Therapiekonzept profitieren, wurde in einer großen Mul- ticenterstudie mit dem b-Blocker Bu- cindolol untersucht. Insgesamt 2 708 Patienten mit Herzinsuffizienz NYHA Grad III und IV wurden randomisiert
doppelblind einer Therapie mit Bucin- dolol unterzogen. Obwohl es in der zweijährigen Nachbeobachtungsphase in der Behandlungsgruppe zu weniger Krankenhauseinweisungen kam als in der Placebogruppe und eine Verbesse- rung der linksventrikulären Ejektions- fraktion durch die b-Blocker-Therapie zu verzeichnen war, kam es bei dem primären Endpunkt der Studie zu kei-
nem signifikanten Unterschied (449 To- desfälle in der Placebogruppe, 411 To- desfälle in der Bucindolol-Gruppe, p = 0,13).
Somit konnte nach Ansicht der Auto- ren bei dieser heterogenen Patienten- gruppe kein Vorteil einer b-Blocker- Therapie im Hinblick auf die Gesamt- mortalität verzeichnet werden. acc The Beta-Blocker Evaluation of Survival Trial Investiga- tors: A trial of the beta-blocker Bucinolol in patients with advanced chronic heart failure. N Eng J Med 2001; 344:
1659–1667.
Dr. Eichorn, Cardiac Catheterization Laboratory (IIIA2), Uni- versity of Texas Southwestern and Dallas Veterans Affairs Medical Center, 4500 S. Lancaster, Dallas, TX 75216, USA.
Referiert
Effektivität von bbbb -Blockern bei schwerer Herzinsuffizienz umstritten
Neuorientierung bei den Impfzielen Bisherige Impfziele:Schutz vor Infektion
❃Vollständiger Schutz vor Infektion („Sterilisie- rende Immunität“) oder zeitlich begrenzte In- fektion
❃Kein oder nur vorübergehend nachweisbares HIV
❃Kein oder zeitlich limitiertes Risiko der Übertra- gung von HIV
Zukünftige Impfziele:Langzeitkontrolle der Infektion
❃Lebenslang niedrige Viruslast
❃Kein bedeutsamer CD4-T-Zellverlust
❃Keine Immunschwäche
❃Übertragungsrisiko minimiert Textkasten