Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 17⏐⏐28. April 2006 AA1105
S E I T E E I N S
Altersgrenze Kassenärzte
Nur als Nothelfer A
lles soll flexibler, liberaler undfreizügiger werden. Bundesge- sundheitsministerin Ulla Schmidt möchte mit dem Vertragsarztrechts- änderungsgesetz (VÄG) die bislang eher starren Formen der ambulan- ten ärztlichen Berufsausübung über Bord werfen. Das deckt sich mit den Vorstellungen der Ärzte, und das ist auch gut so.
Kommt das Gesetz durch, können die Vertragsärzte künftig unter ande- rem unbegrenzt Kollegen anstellen, weitere Praxen an anderen Orten eröffnen oder sich über KV-Grenzen hinweg in Berufsausübungsgemein- schaften zusammenschließen. Auch Teilzulassungen sollen möglich sein, sodass ein Arzt sowohl angestellt im Krankenhaus als auch halbtags in der Praxis arbeiten darf. Bei so viel Frei- zügigkeit ist kaum zu verstehen, war-
um die älteren Ärzte auch weiterhin draußen bleiben müssen.
Gerade jetzt würde sich die Chan- ce bieten, politische Fehler der Ver- gangenheit zu korrigieren – beispiels- weise die höchst umstrittene Alters- grenze für Kassenärzte: Wer 68 Jahre alt ist, muss seine Zulassung zurück- geben; wer älter als 55 Jahre ist, be- kommt keine Zulassung mehr. Diese Regelung ist inzwischen aufgrund des sich abzeichnenden Ärzteman- gels völlig sinnentleert.
Die Konsequenzen zieht die Poli- tik indessen nicht. Sie treibt viel- mehr ein unwürdiges Spielchen mit den älteren Ärzten. Das VÄG sieht vor, die Altersgrenze auszusetzen, wenn der Zulassungsausschuss ei- nen Planungsbereich als unterver- sorgt erklärt. Dann werden krampf- haft Ärzte gesucht, dann sind auch
die „Alten“ wieder recht. In solchen Gebieten sollen sich künftig auch Ärzte niederlassen können, die älter als 55 Jahre sind, die über 68-Jähri- gen dürfen bleiben – allerdings nur so lange, bis die Unterversorgung wieder behoben ist.
Ältere Ärzte würden mit einer derartigen Regelung zu Nothelfern auf Zeit degradiert. Wenn aber Ärz- temangel droht und Unterversor- gung bevorsteht, wenn überall sonst die große Freizügigkeit Einzug hal- ten soll: Warum lässt der Gesetzge- ber dann nicht auch die Altersgrenze für Kassenärzte fallen? Sollte es – zynisch genug – „die Sorge um die Patienten“ sein, könnte sehr viel besser eine bewährte Gesetzmäßig- keit des Wettbewerbs greifen: die Abstimmung mit den Füßen. Das ist Freizügigkeit. Josef Maus
Ärztestreiks
Einigung ist möglich A
rbeitgeber und Marburger Bundwollen sich im Tarifstreit der Ärz- te an Universitätskliniken und Lan- deskrankenhäusern wieder an einen Tisch setzen. Das gab der Vorsitzende des Marburger Bundes (MB), Dr.
med. Frank Ulrich Montgomery, am Montag bekannt.
Bei Redaktionsschluss war noch unklar, ob Hartmut Möllring, CDU- Finanzminister in Niedersachsen und Verhandlungsführer der Länder, ein neues Angebot der Arbeitgeber un- terbreiten wird. Das wäre die Vor- aussetzung für den MB, erneut zu verhandeln.
Doch stehen die Chancen nicht schlecht, dass nach sechs Wochen Arbeitskampf endlich Bewegung in die festgefahrenen Verhandlungen kommen könnte. Denn Möllrings Gesprächsangebot kam unmittelbar
nach der Ankündigung des Marbur- ger Bundes, die Ärztestreiks verschär- fen zu wollen. Schon jetzt stöhnen die Kliniken über millionenschwere Ein- nahmeausfälle.Dabei haben die Ärzte nur zwei bis drei Tage am Stück die Arbeit niedergelegt und in den Streik- pausen vieles Unerledigte nachgear- beitet. Künftig sollen die Streiks bis zu einer Woche andauern – eine Droh- kulisse, die Wirkung zeigen könnte.
Ein weiterer wichtiger Impuls kam aus Berlin, das nicht Mitglied der Tarifgemeinschaft der Länder ist. Die Verhandlungspartner haben dort be- wiesen, dass eine Einigung möglich ist, und einen drohenden Streik an der Charité in letzter Minute abgewendet.
Die Klinikleitung und der MB einig- ten sich auf einen Vorschalt-Tarif- vertrag für die 2 200 Universitätsärzte.
Dieser sieht unter anderem neue Ar-
beitszeitmodelle mit erhöhten Stun- densätzen, einen vollständigen Über- stunden-Lohnausgleich und eine Ver- gütung aller Bereitschaftsdienste zu 95 Prozent vor. Zudem verpflichteten sich die Partner, erneut zu verhan- deln, sobald auf Bundesebene ein Tarifvertrag ausgehandelt wurde.
Mit der Einigung werden zunächst Einschnitte aus den vergangenen Jah- ren abgefedert.Von den Forderungen des MB nach 30 Prozent mehr Gehalt ist man auch in Berlin weit entfernt.
Dennoch beweist das Übereinkom- men, dass der Marburger Bund kom- promissbereit ist und an einer schnel- len Beendigung des Arbeitskampfes interessiert. Denn unter dem Streik leiden nicht nur Patienten und Klini- ken, sondern auch die betroffenen Ärzte – sie warten nur auf ein ver- nünftiges Angebot. Samir Rabbata