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A1046 Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 1515. April 2005 T H E M E N D E R Z E I T
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ls folgsamer Allgemeinmedizi- ner achte ich selbstverständlich auf mein Fortbildungs-Punkte- konto. Schon Ende vergangenen Jahres habe ich mich für einige Fortbildungen verbindlich angemeldet. Die Termine sind bereits seit langem in meinem Ka- lender vermerkt – im ersten Quartal drei Abende und ein Wochenende für insgesamt 16 Punkte. Na ja – mit so vie- len Grippe-Kranken im Februar und März und mit diesen vielen Überstun- den konnte man im November noch nicht rechnen. Aber ich kriege das schon irgendwie hin!Brav den gesundheitlichen Strö- mungen der Zeit gehorchend, bin ich DMP-Arzt für Diabetiker. Klar, dass ich mich deshalb einem Qualitätszirkel
angeschlossen habe. Leider bin ich auch gezwungen, an einer halbtägigen Fortbildungsveranstaltung zum süßen Thema teilzunehmen. Ich denke, das lässt sich schon einrichten.
Als überzeugter Anhänger des Primärarztmodells beteilige ich mich am neuen Hausärztevertrag der BEK.
Im Kleingedruckten entdeckte ich erst gestern, dass ich nunmehr genötigt bin, eine Pharmakotherapie-Fortbildung zu besuchen. Wann, wo und vor allem wie lange wird nicht erwähnt.
Ich bin auch DMP-Arzt für KHK- Patienten. Nun raten Sie mal . . . – ja, auch hier – ich habe mich gestern noch bei meiner KV erkundigt – muss ich ei-
ne „spezielle Herzfortbildungsmaß- nahme“ besuchen, so der Originalton der netten Dame am anderen Ende der Telefonleitung. Ist es nicht süß – „Herz- fortbildungsmaßnahme“?
Der neue EBM ist da – eine Infor- mationsveranstaltung zu besuchen er- scheint für das wirtschaftliche Überle- ben sinnvoll. Einen Abend wird man ja dafür schon opfern können. Qualitäts- sicherung in der Praxis ist absolut up to date. Auch da wird man „mitzirkeln“
müssen.
Dummerweise habe ich im letzten Jahr die Ausbildung zum Sportmedizi- ner begonnen: 120 Stunden theoretische Weiterbildung anstelle meines Urlaubs und einiger Wochenenden Freizeit; und zwei Stunden wöchentlich auf Sport-
plätzen und in Sportlerheimen der näheren Umgebung meines Heimator- tes, in denen ich Freizeitsportlern meine Dienste anbieten darf. Bin es ja selbst schuld, wenn ich so etwas anleiere.
Im Deutschen Ärzteblatt las ich vor kurzem, dass demnächst 16 Stunden Fortbildung und eine Prüfung Pflicht sind, um Patienten eine Rehabilitati- onsmaßnahme ermöglichen zu können (§ 135 Abs. 2 SGB V, Qualitätssiche- rungsmaßnahmen).
Vielleicht gibt es demnächst eine verpflichtende Weiterbildung zum Ausstellen eines Rezeptes?! Interaktiv – an drei Wochenenden – und gespon- sert von den Krankenkassen!
Meiner Familie ist das so- wieso egal, die rechnet mitt- lerweile mit meiner Abwesen- heit. Meine Kinder scheinen mich nicht mehr zu kennen, wenn sich bisweilen morgens unsere Wege vor dem Bade- zimmer kreuzen. Meine Frau sehe ich nur noch spätabends, wenn ich mich – frisch zertifi- ziert – ins Ehebett schleiche.
Ich habe mich „fort-gebildet“
– im wahrsten Sinne des Wortes. Martin Gerst