Der Titel scheint eine Selbstver- ständlichkeit zu beschreiben: Erwar- ten doch vermutlich viele, wenn nicht gar alle Leserinnen und Leser im Deutschen Ärzteblatt auch oder gar vor allem Beiträge aus der Fülle der wissenschaftlichen medizini- schen Disziplinen. Ein Blick in aus- ländische, mit dem Deutschen Ärzteblatt vergleichbare Publika- tionsorgane bestärkt diese Erwartun- gen und belegt darüber hinaus ein mehr oder weniger ausgeprägtes Übergewicht der wissenschaftlichen Beiträge gegenüber Aufsätzen aus dem gesundheits- und sozialpoliti- schen Bereich. Daß im DEUT- SCHEN ÄRZTEBLATT seit vielen Jahren wie selbstverständlich ein medizinisch-wissenschaftlicher Teil regelmäßig in konstantem Umfang — unter dem Signum des gesundheits- politischen Primates sind im Zusam- menhang mit der Berichterstattung über die Deutschen Ärztetage aller- dings gewisse Abstriche hinzuneh- men — erscheinen kann, ist in hohem Maße der Förderung durch den Chefredakteur Ernst Roemer zu danken.
Der medizinisch-wissenschaftli- che Teil versucht in seinen verschie- denen Rubriken, Ärztinnen und Ärzte aller Fachrichtungen über wis- senschaftliche Entwicklungen zu in- formieren. Dabei kann es sich selbst- verständlich nicht darum handeln, Spezialwissen zu vermitteln, das der Kenner der jeweiligen Materie ohne- hin in den entsprechenden Fachzeit- schriften sucht. Es gilt vielmehr, das Interesse für neue oder der eigenen Erfahrung fernliegende Entwicklun- gen zu wecken und für die ärztliche Tätigkeit hilfreiche Informationen zu liefern unter bewußtem Verzicht auf die Mitteilung praktischer Hand- lungsanweisungen im Sinne eines Rezeptes für alle denkbaren Fälle.
Vielmehr sollen die Beiträge das wis- senschaftliche Rüstzeug des Arztes
ergänzen, das ihm im Einzelfalle die ärztliche Entscheidung über die ei- gene unmittelbare Tätigkeit oder über den Umfang einer Beteiligung anderer medizinischer Disziplinen erlaubt.
Es kann nicht erwartet werden, daß alle Abhandlungen, die den oft schmalen Grad zwischen Verständ- lichkeit für möglichst viele Ärztinnen und Ärzte einerseits und den Erfor- dernissen einer fundierten wissen- schaftlichen Darstellung anderer- seits zu beschreiten haben, eine gleich große Resonanz finden.
Selbstverständlich wird die Hinwen- dung zu den einzelnen Beiträgen durch die eigene ärztliche Tätigkeit und durch das Interesse für diese oder jene wissenschaftliche Entwick- lung gelenkt. Die Rubrizierung der Beiträge — sie ist wohl niemals ganz widerspruchsfrei möglich — mag dem Leser eine gewisse Hilfe zur Aus- wahl bieten.
Vielfalt der Themen
In den Beiträgen zur Fortbil- dung wird das bewährte und weithin anerkannte Wissen zu dem jeweili- gen Thema dargestellt und zum Teil rekapituliert. Übersichtsaufsätze ge- ben den Stand der Entwicklung auf einem bestimmten Gebiet in größe- rem Zusammenhang wieder, Kurz- berichte schildern eher umgrenzte Aspekte hierzu. Die Rubrik „Aktuel- le Medizin" ist für die Darstellung neuer Entwicklungen in Grundla- genforschung, theoretischer oder kli- nischer Medizin reserviert, die über den Kreis der Spezialisten hinaus be- kannt werden sollten. In den Editori- als nehmen als besonders kompetent angesehene Wissenschaftler Stellung zu bestimmten Einzelfragen. Unter
„Für Sie referiert" schließlich findet man Referate aktueller Publika-
tionen insbesondere aus dem an- gelsächsischen wissenschaftlichen Schrifttum, Kongreßberichte unter- richten über die Jahrestagungen me- dizinischer Fachgesellschaften vor- nehmlich in der Bundesrepublik Deutschland. Zu den wissenschaftli- chen Beiträgen eingehende Diskussi- onsbemerkungen werden, wenn sie bestimmten, regelmäßig publizierten Kriterien genügen, zusammen mit dem Schlußwort des Verfassers in der Rubrik „Diskussion" publiziert, um die wissenschaftliche Aussprache und den Erfahrungsaustausch zwi- schen den unterschiedlichen Berei- chen ärztlicher Tätigkeit zu beleben.
Die Gestaltung des medizinisch- wissenschaftlichen Teils obliegt — im Benehmen mit dem Chefredakteur, dem die presserechtliche Verantwor- tung für den Gesamtinhalt des Hef- tes zukommt — einer von den Her- ausgebern berufenen Gruppe aus Vertretern zahlreicher klinischer Fä- cher. Diese medizinisch-wissen- schaftliche Redaktion ist nach Auf- gabenstellung und Arbeitsweise eher der Schriftleitung wissenschaftlicher Zeitschriften vergleichbar denn Re- daktionen klassischen Zuschnitts.
Sie legt bei ihren jährlichen Konfe- renzen im interdisziplinären Ge- spräch Themen für die Veröffentli- chung des folgenden Jahres fest. In der Regel laden dann die zuständi- gen Fachvertreter nach ihrer Kennt- nis für das vorgesehene Thema be- sonders gut ausgewiesene Autoren zur Erstellung des gewünschten Auf- satzes ein. Daneben wird immer Platz freigehalten, um kurzfristig Veröffentlichungen aus aktuellem wissenschaftlichen Anlaß zu ermög- lichen. Außer den Beiträgen auf Ein- ladung gehen der Redaktion regel- mäßig in beachtlicher Zahl spontan Manuskripte für den medizinisch- wissenschaftlichen Teil zu.
Alle Manuskripte werden zur Vorbereitung der Entscheidung über ihre Verwendung von mindestens zwei Mitgliedern der medizinisch- wissenschaftlichen Redaktion auf wissenschaftliche Dignität und zu vermutende Eignung für den Leser- kreis geprüft. Aufgrund der Diskus- sion in der Redaktionskonferenz wird dann die Entscheidung über Annahme oder Ablehnung getrof-
Elmar Doppelfeld
Medizin
im Deutschen Ärzteblatt
Dt. Ärztebl. 88, Heft 25/26, 24. Juni 1991 (31) A-2243
Walter Kannengießer
Rente nach Leistung
oder aber nach Bedarf?
Die Grundprinzipien des Rentensystems werden in Frage gestellt Vor einem neuen Ausgabenschub / einer Beitragserhöhung 1992/93
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fen. Gegebenenfalls werden die Au- toren gebeten, Änderungen oder Er- gänzungen ihres Beitrages vorzuneh- men und eine revidierte Fassung vor- zulegen. Die Verfasser müssen dann entscheiden, ob und in welchem Um- fange sie die mitgeteilten Anregun- gen berücksichtigen möchten. Dieses Verfahren unterstreicht die Verant- wortung des Autors für seinen Bei- trag, auf die im „Impressum" auch ausdrücklich hingewiesen wird.
Unabhängigkeit der Entscheidung
Das angewandte „Peer-Review- System", an dem bei Bedarf der me- dizinisch-wissenschaftlichen Redak- tion nicht angehörende Experten be- teiligt werden, soll sicherstellen, daß nur wissenschaftlich fundierte Auf- sätze zur Veröffentlichung ange- nommen werden. Dieser Grundsatz der in ihrer Entscheidung unabhän- gigen wissenschaftlichen Schriftlei- tung wird im Rahmen der gesamten Redaktion des Deutschen Ärzte- blattes ohne Einschränkung akzep- tiert, auch dann, wenn aus be- rufspolitischer oder gesundheits- politischer Sicht zwar wünschens- werte, inhaltlich jedoch für den medizinisch-wissenschaftlichen Teil nicht geeignete Manuskripte zurück- gegeben werden. Zur Klarstellung sei hier angemerkt, daß die wissen- schaftliche Redaktion aus anderen Bereichen der Gesamtredaktion selbstverständlich nur Manuskripte mit medizinischem Inhalt zur Stel- lungnahme erhält.
Insbesondere der mit wissen- schaftlichen Publikationen vertraute Leser wird erkennen, daß das skiz- zierte Verfahren der medizinisch- wissenschaftlichen Redaktion ihrer Aufgabenstellung entsprechen dürf- te. Sie steht im fruchtbaren Dialog mit den übrigen Bereichen der Ge- samtredaktion, die entsprechend den Erfordernissen ihrer jeweiligen Zuständigkeitsbereiche tätig sind.
Daß die medizinisch-wissenschaftli- che Redaktion Akzeptanz findet und sich nicht als Fremdkörper innerhalb der Gesamtredaktion fühlt, dankt sie insbesondere dem feinfühligen Ver- ständnis Ernst Roemers. ❑
Die Rentenversicherung steuert auf eine Beitragserhöhung zu, nach- dem der Beitragssatz gerade erst zum 1. April von 18,7 auf 17,7 Pro- zent gesenkt worden ist, um die Mehrbelastung der Beitragszahler durch die Erhöhung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung um 2,5 Prozentpunkte zu begrenzen. Was jedoch schlimmer ist: Die Politik stellt zunehmend den Leistungsbe- zug bei der Rentenbemessung in Frage. Bei der Überleitung des in den westlichen Bundesländern gel- tenden Rentenrechts in die neuen Länder sollen einige Elemente des früheren DDR-Versorgungsrechts, wie Mindestrenten, Sozialzuschläge und Zurechnungszeiten, beibehalten werden. Dadurch soll die Benachtei- ligung der Frauen im Rentenrecht verringert werden. Das Ziel dieser Bestrebungen ist es jedoch, in ganz Deutschland eine Grundsicherung und, wie es heißt, eine eigenständige Alterssicherung der Frauen einzu- führen. Wer die Mindestsicherung des DDR-Rechts und die günstige- ren An- und Zurechnungszeiten bei- behält, der wird früher oder später das westdeutsche Rentenrecht an die wenigen formal günstigeren Be- stimmungen des alten DDR-Rechts anpassen müssen. Sonst würden die Versicherten in den alten Ländern, die jetzt die Verbesserung des Ren- tenrechts in Mittel- und Ostdeutsch- land finanzieren, benachteiligt.
Die Finanzlage der Rentenversi- cherung ändert sich rasant. Vor we- nigen Monaten glaubte die Regie- rung noch, den ermäßigten Beitrags- satz in der Rentenversicherung bis etwa 1994 halten zu können. Ende letzten Jahres erschien die Perspek- tive noch günstiger; da wurde voraus- gesagt, daß der Beitragssatz von 18,7
Prozent bis 2001 reichen würde, um die Renten und die sich aus der de- mographischen Entwicklung erge- benden zusätzlichen Belastungen zu finanzieren. Nun mahnen die Versi- cherungsträger, daß der Beitragssatz spätestens Anfang 1993 auf 19 Pro- zent angehoben werden müsse. Die- ser Einschätzung liegen sogar recht günstige Annahmen über die Wirt- schaftsentwicklung zu Grunde. Blei- ben Wachstum und Beschäftigung hinter den Erwartungen zurück, so wäre der Beitragssatz schon 1992 wieder auf 18 Prozent anzuheben.
Rücklage wird angegriffen Dabei verfügte die Rentenversi- cherung Ende März über eine Rück- lage von 41 Milliarden Mark; das entspricht den Ausgaben von fast drei Monaten. Diese Rücklage muß nun angegriffen werden, um die in den neuen Bundesländern ent- stehenden Defizite auszugleichen.
Auch schlagen die Einnahmeausfälle nach der Senkung des Beitragssatzes zu Buche. Jedenfalls ist nunmehr da- mit zu rechnen, daß die Reserven bis Ende 1992 so weit abgeschmolzen sind, daß nur noch die gesetzlich vor- geschriebene Mindestrücklage von einer Monatsausgabe (rund 16 Milli- arden Mark) vorhanden ist. Nach dem Rentenreformgesetz 1992 muß dann der Beitragssatz automatisch erhöht werden. Dies betrifft auch die Ärzte, und zwar als Arbeitgeber und als Versicherte in den berufsstän- dischen Versorgungswerken, soweit deren Beiträge sich an den Beiträgen der Rentenversicherung orientieren.
Zu den umstrittenen Vorschrif- ten im DDR-Recht gehören die Zu- rechnungszeiten für Kinder von ei- A-2244 (32) Dt. Ärztebl. 88, Heft 25/26, 24. Juni 1991