Mathematik f¨ ur Chemiker 2: online-Vorlesung 2.1) Lineare Algebra 1: Grundbegriffe
Bernd Hartke
Theoretische Chemie
Institut f¨ur Physikalische Chemie Christian-Albrechts-Universit¨at
Max-Eyth-Str. 2 24118 Kiel
hartke@pctc.uni-kiel.de
https://ravel.pctc.uni-kiel.de/
k
dS
x
y
z θ
dy
dx Gxy
G
Vorbemerkungen
• großes Kapitel; umfaßt Kapitel 2 und 3 von MfC2
• viele unterschiedliche Unterthemen, von Fourierreihen bis Matrix-Eigenwerte
• zentral wichtig in Anwendungen: praktisch alle (natur)wissenschaftlichen Computersimula- tionen basieren auf Konzepten aus diesem Bereich
• viele theoretische Begriffe (linearer Vektorraum, Metrik, usw.) erfordern l¨angere, genaue- re Definitionen; im Skript kurze Ausz¨uge davon; hier in der online-Vorlesung nur wenige Andeutungen
• mit denselben abstrakten Konzepten lassen sich ganz unterschiedliche konkrete Objekte be- handeln; wir betrachten hier Vektoren und Funktionen.
Grundkonzepte Lineare Unabh¨angigkeit, Dimension, Basis Erinnerung an Vektorrechnung @MfC1:
Ebene in Parameterform
~r = ~r1 + λ1(~r2 − ~r1) + λ2(~r3 − ~r1)
= ~r1 + λ1~b1 + λ2~b2
~c = ~r − ~r1 = λ1~b1 + λ2~b2
P2
P3
P1
n
r1 r3_
r r2_ r1
r2 r3
r1
r1 r _
O
P
d
Bereits bekannte Beobachtungen, mit z.T. neuen Namen:
• jeder Vektor ~c in der Ebene kann durch Linearkombination der Basisvektoren ~b1 und ~b2 ausgedr¨uckt werden, d.h. ~c ist linear abh¨angig von ~b1 und ~b2.
• die Anzahl n¨otiger Basisvektoren entspricht der Dimension des Raums, z.B. 1 Basisvektor f¨ur eine 1D-Gerade, 2 Basisvektoren f¨ur eine 2D-Ebene, 3 f¨ur ein 3D-Volumen, etc.
• ~b1 und ~b2 d¨urfen nicht voneinander linear abh¨angig sein (z.B. (anti)parallel zueinander).
Lineare Unabh¨angigkeit
Die Vektoren {~a1, . . . , ~an} heißen linear unabh¨angig, wenn
n
X
k=1
λk~ak = ~0 (1)
nur f¨ur λk = 0, (k = 1, . . . , n) erf¨ullbar ist.
Intention der Definition klarer durch Umstellung:
Ist mindestens ein λi 6= 0 w¨ahlbar, so heißen die Vektoren linear abh¨angig, d.h. dann ist mindestens ein Vektor ~ai als Linearkombination der anderen schreibbar:
~ai = − 1 λi
n
X
k=1k6=i
λk~ak =
n
X
k=1k6=i
λ˜k~ak , mit λ˜k = −λk
λi (2)
Das ist eine n-dimensionale Verallgemeinerung der obigen Ebenengleichung.
Beispiel 1: Lineare Unabh¨angigkeit
~v1 =
1 1
−1
, ~v2 =
1 0 1
, ~v3 =
3 1 1
(3)
Sind diese drei Vektoren linear abh¨angig? Laut Definition ist zu untersuchen, ob andere Zahlen- werte als λ1,2,3 = 0 diese Gleichung l¨osen:
a~v1 + b~v2 + c~v3 = ~0 (4) Obige Vektorgleichung entspricht folgendem skalaren Gleichungssystem:
1) a + b + 3c = 0 (5)
2) a + c = 0 (6)
3) −a + b + c = 0 (7)
Daraus ergibt sich:
1-3) 2a + 2c =0 ⇒ a + c = 0 (8)
2) a + c =0 (9)
Daher ist neben der trivialen L¨osung a = b = c = 0 (die f¨ur homogene Systeme immer m¨oglich ist, siehe sp¨ateres Kapitel “Lineare Gleichungssysteme”) auch a = −c mit beliebigen Werten c ∈ R (insbes. c 6= 0) m¨oglich, wenn b = −2c gew¨ahlt wird (Einsetzen in (1) oder (3)).
Beispiel 1: Lineare Unabh¨angigkeit
Daher sind diese drei Vektoren linear abh¨angig.
Andere Testm¨oglichkeiten:
• L¨osungen von ~v1 = x~v2+y~v3 bestimmen (oder andere Indexpermutationen); lineare Abh¨an- gigkeit liegt vor, wenn es (mindestens) eine L¨osung gibt
(das ist die bereits gezeigte Umformung von Gl. 4)
• Wert der Determinante bestimmen, deren Zeilen oder Spalten die Vektoren sind:
1 1 3 1 0 1
−1 1 1
= −
1 3 1 1
−
1 1
−1 1
= −(−2) − 2 = 0 (10) Ist die Determinante Null (wie hier), liegt lineare Abh¨angigkeit vor.
(das entspricht dem ersten L¨osungsweg, siehe Kapitel “Lineare Gleichungssysteme”, geht aber nur f¨ur n Vektoren mit je n Elementen)
Lineare (Un)Abh¨angigkeit von Funktionen Beispiel a: Die Funktionen
f1(x) = 1 , f2(x) = x , f3(x) = x2 (11) sind linear unabh¨angig, weil
a f1(x) + b f2(x) + c f3(x) = 0 (12) nur dann f¨ur alle(!) x-Werte gilt, wenn a = b = c = 0. Anders ausgedr¨uckt:
f3(x) = x2 6= ax + b = a f2(x) + b f1(x) (13) f¨ur alle a, b ∈ R (außer f¨ur wenige spezielle x-Werte).
Beispiel b: Die Funktionen
g1(x) = x2 , g2(x) = 2x2 (14)
sind linear abh¨angig, denn f¨ur alle x ∈ R gilt
g2(x) = a g1(x) ⇒ 2x2 = ax2 ⇒ a = 2 (15)
Lineare (Un)Abh¨angigkeit von Funktionen
Beispiel c: Die Funktionen
h1(x) = cosh(x) , h2(x) = ex , h3(x) = e−x (16) sind linear abh¨angig, weil
cosh(x) = a ex + b e−x (17)
f¨ur alle x ∈ R erf¨ullt ist, wenn a = b = 12
Zur¨uck zu Vektoren und weiteren Begriffen:
Dimension
Die Maximalzahl linear unabh¨angiger Vektoren in einem linearen Vektorraum heißt Dimension dieses Vektorraums. Beispiel:
• 3 Vektoren in einer 2D-Ebene sind immer linear abh¨angig.
• im obigen Beispiel liegen die 3 Vektoren in einer 2D-Ebene, da jeder von ihnen als Linear- kombination der beiden anderen ausgedr¨uckt werden kann.
Basis
Ein linear unabh¨angiger Satz von n Vektoren in einem n-dimensionalen Vektorraum heißt Basis dieses Vektorraums.
• jeder andere Vektor im selben Vektorraum kann eindeutig als Linearkombination der Basis- vektoren ausgedr¨uckt werden.
• die Basis legt den Vektorraum fest; aber f¨ur einen Vektorraum gibt es unendlich viele unter- schiedliche Basisvektors¨atze.
• bei linearer Abh¨angigkeit in der Basis sind andere Vektoren des Vektorraums – entweder gar nicht in der Basis darstellbar,
– oder die Darstellung ist nicht eindeutig.
Mehr Details im Skript;
hier ein Beispiel zum letzten Punkt und eins zum vorletzten:
Beispiel 1 Fortsetzung: linear abh¨angige Basis
Versuch, ~v1, ~v2, ~v3 als Basis zu verwenden, zur Darstellung eines Vektors ~u:
~u =
2 3 6
= a
1 1
−1
+ b
1 0 1
+ c
3 1 1
= a~v1 + b~v2 + c~v3 (18) L¨osung des zugeh¨origen linearen Gleichungssystems:
1) 2 = a + b + 3 c (19)
2) 3 = a + c (20)
3) 6 = −a + b + c (21)
1+3) 8 = 2b + 4c (22)
2+3) 9 = b + 2c ⇒ 2c = 9 − b (23)
8 = 2b + 18 − 2b ⇒ 8 = 18 Widerspruch! (24)
Es ist keine L¨osung m¨oglich. Offenbar liegt ~u nicht in der Ebene von ~v1, ~v2, ~v3.
Beispiel 1 Fortsetzung: linear abh¨angige Basis
Versuch, ~v1, ~v2, ~v3 als Basis zu verwenden, zur Darstellung eines Vektors w:~
~ w =
2
−2 6
= a
1 1
−1
+ b
1 0 1
+ c
3 1 1
= a~v1 + b~v2 + c~v3 (25) L¨osung des zugeh¨origen linearen Gleichungssystems:
1) 2 = a + b + 3 c (26)
2) −2 = a + c (27)
3) 6 = −a + b + c (28)
1+3) 8 = 2b + 4c (29)
2+3) 4 = b + 2c ⇒ 2c = 4 − b (30)
8 = 2b + 8 − 2b ⇒ 8 = 8 (31)
Daher kann b beliebig gew¨ahlt werden: b = λ mit λ ∈ R. Dann ist
Daher gibt es unendlich viele Darstellungsm¨oglichkeiten f¨ur w, z.B.:~ λ = 0 : −4
1 1
−1
+ 2
3 1 1
=
2
−2 6
= w~ (34) λ = 2 : −3
1 1
−1
+ 2
1 0 1
+
3 1 1
=
2
−2 6
= w~ (35)
Weil eine linear abh¨angige Basis offenbar
• entweder mehrdeutige Darstellungen liefert
• oder viele Vektoren gar nicht darstellen kann,
ist lineare Unabh¨angigkeit einer Basis elementar wichtig.
Beispiel 2: Vektoren in unterschiedlichen Basiss¨atzen Standardbasis im 3D-Raum: kartesische Einheitsvektoren
ˆı =
1 0 0
, ˆ=
0 1 0
, kˆ =
0 0 1
(36)
Damit beliebige 3D-Vektoren darstellbar, z.B.:
3 1
−1
= 3 ˆı + 1 ˆ − 1 ˆk (37)
Neue, andere Basis, ausgedr¨uckt in der alten (angedeutet durch die zus¨atzlichen Indices):
~` =
1 1 0
ˆıˆkˆ
, m~ =
1
−1 0
ˆıˆkˆ
, ~n =
0 0
−1
ˆıˆkˆ
(38) Die neue Basis ist linear unabh¨angig:
Der Testvektor l¨aßt sich daher eindeutig in der neuen Basis ausdr¨ucken:
3 1
−1
ˆıˆkˆ
= x
1 1 0
ˆıˆkˆ
+ y
1
−1 0
ˆıˆkˆ
+ z
0 0
−1
ˆıˆˆk
(40)
= x ~` + y ~m + z ~n = C
x y z
(41)
(Die Basistransformationsmatrix C wird im 3.Kapitel aufgegriffen.)
L¨osung des linearen Gleichungssystems Gl. 40 (oder Ausprobieren) liefert: x = 2, y = 1, z = 1.
Also gilt:
3 1
−1
ˆıˆkˆ
=b
2 1 1
`mn
(42) Die Zahlenwerte von Vektorelementen h¨angen (nat¨urlich!) von der Wahl der Basis ab.
(siehe Kapitel 3).
Entwicklung von Funktionen in Basisfunktionen behandeln wir etwas sp¨ater.