Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 37⏐⏐14. September 2007 A2465
P O L I T I K
de ein individuelles Risikoprofil er- stellt und überprüft, ob eventuelle Risikofaktoren adäquat behandelt werden. Die Studie gilt als ein klas- sisches Beispiel für hochkarätige Versorgungsforschung in Europa, entsprechend gespannt erwartete man in Wien die Präsentation der aktuellen Daten. Und diese waren zwiespältig.
Was die Kardiologen als Erfolg für ihre Fachrichtung werten, ist ei- ne deutliche Verbesserung der medi- kamentösen Therapie ihrer Patien- ten im Sinne der Leitlinien seit 1995. Damals erhielten in Deutsch- land nur 43,6 Prozent der Patienten Betablocker, heute sind es 85 Pro- zent. Die Verordnung von ACE- Hemmern/AT-II-Blockern stieg von 31,4 auf 72,8 Prozent. Auch Diureti- ka werden häufiger verordnet. Den größten Zuwachs innerhalb von zwölf Jahren verzeichnen jedoch die Statine; ihr Anteil stieg von 31,1 auf 85,4 Prozent.
Was hat die verbesserte Arzneimitteltherapie genützt?
Die therapeutische Kontrolle des Blutdrucks hat sich seit 1995 nicht verbessert – noch ist jeder zweite Patient hyperton. Die Diabetes- Prävalenz hat sich im Untersu- chungszeitraum in Deutschland fast verdoppelt (1995: 13,5 Prozent, heute: 22,6 Prozent). Trotz Nicht- raucherkampagnen und kardialer Vorschädigung hat sich die Anzahl der Raucher unter den Patienten nicht verringert, rund ein Fünftel kann nicht von der Zigarette lassen.
Auch das Körpergewicht stieg im Untersuchungszeitraum stetig an, sodass zuletzt vier von fünf Patien- ten übergewichtig (BMI > 25) und mehr als ein Drittel sogar fettleibig (BMI > 30) waren.
In Wien suchten die Kardiologen nach Lösungen für die Entwicklun- gen. Herzpatienten scheinen ihr Arzneimittelrezept als eine Art
„Ablassschein“ zu betrachten, um weiter „sündigen“ zu können. „Die Bevölkerung zieht die Einnahme von Tabletten einer unbequemen Änderung des gewohnten Lebens- stils vor“, sagte Prof. Dr. med. Phi- lip Poole-Wilson (London).
Durch Prävention die Krankheit verstehen lernen
„Patienten benötigen professionelle Unterstützung, um ihren Lebensstil zu ändern und ihre Risikofaktoren wirksam zu managen. Ihnen einfach ein Rezept in die Hand zu drücken, genügt nicht“, warnte Prof. David Wood (London): „Patienten müssen die Art ihrer Krankeit verstehen. Das kann nur durch umfassende Präven- tions- und Rehabilitationsprogram- me geschehen, wie sie etwa in der ,Europäischen Charta für Herzge- sundheit‘ vorgesehen sind.“ Prof.
Dr. med. Hugo Saner (Bern/Olten) sprach sich für die Einrichtung von eigenen Präventionszentren an Kli- niken aus.
Gute Fortschritte erzielte man – dank der Statine in den vergangenen Jahren – lediglich bei der Korrektur pathologischer Blutfettwerte. Lagen die Gesamtcholesterin-Werte 1995 bei 94,3 Prozent der KHK-Patienten über dem Leitlinien-Ziel, sind es heute nur noch 49,4 Prozent. Ein ähnliches Bild bot sich beim LDL- Cholesterin (96,8 respektive 54,2 Prozent). Allerdings könnte diese positive Statistik schon bald getrübt werden, denn in Wien erörterte man eine weitere Senkung der Zielwerte von 100 mg/dl auf 70 mg/dl nach amerikanischem Vorbild. I Dr. med. Vera Zylka-Menhorn
EUROPÄISCHER KARDIOLOGENKONGRESS
Prävention ist nicht (nur) Privatsache
Obwohl immer mehr Arzneimittel verschrieben werden, verbessert sich das
Risikoprofil der meisten Herzkranken nicht. Kardiologen sprechen sich für die Ausweitung von Präventionsprogrammen und die Einrichtung von „Präventionszentren“ aus.
* EUROASPIRE = European Action on Secondary Prevention through Intervention to Reduce Events
W
er glaubt, dass Herzpatien- ten im letzten Jahrzehnt trotz umfangreicher und anspruchs- voller Arzneimitteltherapie gesün- der und gesundheitsbewusster ge- worden sind, der unterliegt einer massiven Täuschung. Das Gegen- teil ist der Fall: Mit Ausnahme der Cholesterinwerte hat sich das kar- diovaskuläre Risikoprofil (Zigaret- tenkonsum, Übergewicht, Bluthoch- druck, Diabetes mellitus) der euro- päischen Bevölkerung innerhalb von zwölf Jahren so massiv verschlech- tert, dass man eigentlich von einer„Bankrotterklärung“ der Sekundär- prävention sprechen möchte. Ent- sprechend enttäuscht reagierte die Fachwelt auf die Vorstellung der Er- gebnisse von EUROASPIRE* III anlässlich des Europäischen Kar- diologenkongresses in Wien.
EUROASPIRE ist ein Pro- gramm, mit dem die „klinische Wirklichkeit der Koronarprävention in Europa“ erfasst werden soll. Zu diesem Zweck wurden in den Jah- ren 1995 (I), 2000 (II) und 2006 (III) mehr als 8 547 Koronarpati- enten aus acht europäischen Län- dern (Deutschland, Finnland, Frank- reich, Italien, Niederlande, Slowe- nien, Tschechien und Ungarn) in- terviewt. Bei den Befragten han- delte es sich um Patienten entweder mit akutem Koronarsyndrom oder nach Revaskularisation (Bypass- operation oder perkutane translu- minale koronare Angioplastie).
Sie wurden ausführlich zu Ge- fäßerkrankungen und Risikofakto- ren, Lebensweise, Motivation zur Änderung des Lebensstils, Lebens- qualität und aktueller Medikamen- ten-Einnahme befragt. Danach wur-